17. Dezember 2011

Der Vampyr – Fabian Dobler.
Hamburger Kammeroper.

20:00 Uhr, Parkett, Reihe 3, Platz 35


Das Allee-Theater erinnert mich in vielen Details an die alte Ohnsorg-Wirkungsstätte: Die kleine Kasse (ein Lebkuchenteller lädt zum Zugreifen ein), die Galerie mit Szenenfotos, das angeschlossene Café, die winzige Bühne, das alles verströmt den gleichen liebevollen, familiären Charakter. Dabei fällt gleich das Gastronomiekonzept auf, das offenbar Anklang findet und dem akustischen und visuellen Erlebnis ein kulinarisches zur Seite stellen möchte. Wohl bekomm’s.

Meine Allee-Theater-Premiere weckte ehrlicherweise im Vorfeld den ein oder anderen Vorbehalt in mir. Was ist von solch einer Semiprofi-Truppe zu erwarten? Verleiden die reinen Limitationen – eine winzige Bühne, ein eher rudimentär vorhandener Klangkörper usw. – nicht zwangsläufig ein noch so ambitioniertes, engagiertes Wollen der Beteiligten? Dieses hohe, auf Staatsopernweiden genährte Ross, konnte ich gedanklich glücklicherweise mit dem Eintritt in das Theater draußen anleinen und habe in den folgenden Stunden nicht ein einziges pikiertes Wiehern vernommen.

Dabei lösten die ersten Minuten der Aufführung durchaus noch Befremden bei mir aus, sowohl bezogen auf das Musikalische als auch das Szenische. Ein Hexenchor ohne Chor (gefühlt waren es vielleicht drei Hexen) schallt neben den Verlautbarungen eines Häufleins Musiker aus der Orchestermulde, und was zuerst wie das Skelett der Marschner-Partitur daherkommt, füllt sich auf wundersame Weise rasch mit Leben. Das (Kammer-)Konzept funktioniert. Irgendwann nimmt man beispielsweise einfach nicht mehr wahr, daß es kein Blech gibt, sondern nur das eine Horn (oder waren es doch zwei?) – völlig unerheblich, die Musik, ihr Gehalt, ihre Botschaften, ihre Finessen werden von dieser reduziertesten Besetzung in aller Leidenschaft übertragen. Respekt gebührt demzufolge der Einrichtung und Darbietung durch Herrn Dobler.

Wie gesagt, auch szenisch warf mich das Ganze anfangs in Irritation. Der Hauptdarsteller als wandelndes Bela Lugosi-Zitat, dazu ein fast scherenschnittartig gehaltenes Bühnenbild. Erste Lacher entfahren dem Publikum und mir die Frage, in welche Richtung das Ganze hier beabsichtigt ist. Aber schnell wird klar, die Inszenierung arbeitet bewußt mit den tradierten Stereotypen der Dracula-Umsetzungen und setzt, um das Stück unter der Last der von den heutigen Zuschauern im Rezeptions-Gepäck mitgebrachten Altlasten nicht niederzudrücken, auf Humor. Selbiger kommt nicht immer fein geschliffen daher, mag sein, aber alles in allem bereitet er die Fallhöhe für die vielen beseelten, innigen Momente, die insbesondere von den kontemplativen Arien ausgehen. Mir persönlich hat diese Herangehensweise den Eintritt in die Welt Marschners jedenfalls nahtlos ermöglicht, ohne in Klischees zu verharren und doch die romantisch-unschuldige Tiefe des Stückes seine Wirkung entfalten zu lassen.

Die Sänger ihrerseits trugen durch ihre Leidenschaft und Präsenz zum Gelingen des Abends bei. Dabei ist es unerheblich, ob jede einzelne Leistung staatsoperntauglich gewesen ist, oder sein konnte – an diesem Abend in diesem Raum besaß dieses Ensemble alles, um zumindest mich (und offenbar weite Teile des Publikums) in seinen Bann zu schlagen. Namentlich Frau Bitter traf in ihren mal wehmütigen, mal hoffnungsvollen Äußerungen der weiblichen Hauptpartien ein ums andere mal das Romantik-umflorte Herz. Und auch wenn der Tenor von Herrn Adrados vielleicht nicht den Schmelz der Auserwählten bereithält, so hat mich seine Arie des Aubry „Wie ein schöner Frühlingsmorgen ...“ doch, emporgehoben auf den Schwingen dieser wunderschönen Musik, die machtlos machtvolle Verzweiflung des Liebenden spüren lassen, der sein Glück in den Fängen des Dämons weiß. Für Momente wie diese besuche ich das Theater, egal, ob es den Zusatz Staats-, Hof-, oder Hinterhof im Briefkopf führt.

Zurück aus den lanzebrechenden Sphären hin zu den Betrachtungen nüchternerer Art. Der Bariton des Herrn Pohnert ist aller Ehren Wert und in der Lage, den kleinen Saal klangschön in Grund und Boden zu dröhnen. Die nuancenreichste Stimme des Abends nennt ohne Zweifel Frau Bitter ihr Eigen, insbesondere im lyrischen Bereich sehe ich ihre Stärken. Bei Herrn Adrados sorgt die starke Akzentfärbung hier und da für leichte Irritation. Die übrigen Teilnehmer runden den guten Gesamteindruck ab, wobei Herr Wiedl durch seine überbordende Spielfreude – gespeist aus einer herzhaften Volkstheater-Körperlichkeit – zum heimlichen Liebling des Publikums avanciert.

Ensemblebedingt rasche Rollenwechsel stören in keiner Weise, sondern unterstreichen wie die einfachen, aber liebevollen szenischen Einfälle, daß hier im besten Sinne (Theater-)Handwerk gelebt wird. Dabei geht es weniger um die platte Vorstellung „Not macht erfinderisch“, als vielmehr um die bestmögliche Ausnutzung der vorhandenen Gegebenheiten. Dies fängt bei der sinnvollen Einbeziehung des Zuschauerraumes als Ausweitung der Spielfläche an – konsequent weitergetragen in der „Erweiterung“ des Saales hin zum Restaurantbereich des Hauses in der Hochzeitsfestszene – und findet im Auferstehungseffekt des Dämons seine bühnentechnische Raffinesse.

Es bleibt festzuhalten: Die Hamburger Kammeroper bietet ein Theaterkonzept, das fernab des üblichen Strebens nach stimmlichen und szenischen Superlativen eine kleine, feine Welt aufmacht, die es zu bestaunen, für meinen Teil zu bewundern, doch keinesfalls zu belächeln gilt. Ich freue mich auf die nächste Produktion.


Heinrich August Marschner – Der Vampyr
Musikalische Leitung und Bearbeitung – Fabian Dobler
Regie – Andreas Franz
Bühne – Kathrin Kegler
Textfassung und Kostüme – Barbara Hass

Lord Ruthven – Daniel Pohnert
Janthe, Malwina, Emmy – Joo-Anne Bitter
Edgar Aubry, George Didbin – Enrique Adrados
Sir Berkley, Laird von Davenaut – Michael Doumas
Suse Blunt, schwarze Braut – Gritt Gnauck
Toms Blunt, Vampirmeister – Richard Wiedl

Das Alleetheater Ensemble