19. Februar 2012

Hamburger Symphoniker – Jeffrey Tate.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 8, Platz 16


Igor Strawinsky – Apollon Musagète

(Pause)

Richard Wagner – Auszüge aus „Götterdämmerung“: Sonnenaufgang, Siegfrieds Rheinfahrt, Siegfrieds Tod und Trauermarsch, Brünnhildes Schlußgesang (Deborah Voigt – Sopran)



Für das Strawinsky-Ballett konnte ich mich nicht besonders erwärmen, sehr wohl aber für den gewohnt warmen, feinen Streicherklang der Symphoniker. In einigen schnellen Passagen hätte es eine kleine Schippe Virtuosität mehr sein können, unter dem Strich wieder eine mustergültige Darbietung, fein geregelt von Jeffrey Tate. Seiner nuancierten Gestaltung verdanke ich dann auch, daß die halbe Stunde zumindest kognitive, wenn schon keine emotionale, Stimulanz gewährleistet war. Eine unglaublich anstrengende, weil kaltlassende Musik.

Der Kontrast der Halbzeiten wurde ja bereits in der Einführung (diesmal ungewohnt launig!) beschworen und hätte in der Tat kaum eklatanter ausfallen können. Eines vorweg: Tates Wagner ist nicht immer mein Wagner, aber es ist ein ununterbrochen beeindruckender, bis ins letzte Detail ausgetüftelter Wagner. Auch hier fällt mir nichts Besseres ein, als die üblichen Tate-Attribute zu bemühen: transparent, nuanciert, gestaltet, plastisch, homogen, bestechend. Ungeachtet der schieren Wucht, die in den dargebotenen Passagen der Götterdämmerung nun einmal dominiert, geht Tate auch hier konsequent seinen Weg der differenzierten Interpretation. Dabei hört sich meine Beschreibung seines Stils analytischer an, als es das eigentliche Ergebnis tut. Die Art der Darbietung trat vielmehr wieder einmal den Gegenbeweis an, bei Wagner handele es sich unter dem Strich um eine brutale, lärmende Angelegenheit.

Wenn Maßlosigkeit in der Musik eine Schwäche darstellt, dann bin ich gerne ein Anhänger des Schwachen. Ich liebe Musik, die „von ... bis“ ist. Von den zartesten Streicherstrahlen des Sonnenaufgangs der Götterdämmerung bis zu den (im Idealfall) markerschütternden Schlägen des Trauermarsches. Musik von hoch bis tief, von leise bis laut, von langsam bis schnell und so weiter und so fort. Auf den Punkt gebracht ist das eine Musik der Kontraste. Nun ja, eine Musik, die gänzlich auf Kontraste verzichtet, ist sicher selten bis nie anzutreffen, mir liegt aber insbesondere das Maß, gewissermaßen die Amplitude der Kontraste am Herzen. Und in diesem Zusammenhang kann ich meine Vorliebe für Superlative nicht verhehlen, wobei beispielsweise „leisest“ und „zartest“ eine mindestens ebenso große Anziehungskraft auf mich ausüben wie ihre Spiegelbilder.

Tate liefert diese Kontraste, nicht holzschnittartig, sondern organisch wachsend und vergehend. Ein relativ langsames Grundtempo läßt den Spielraum, sich am Reichtum der Partitur zu weiden. Steigerungen entstehen bei ihm als durchhörbare, soghafte Entwicklungen, zum Höhepunkt hin nochmals verlangsamend schichtend, bei denen ich vielleicht höchstens die letzte Zündstufe der Entäußerung vermisse, im Zweifel auch auf Kosten der hier nie in Frage stehenden Homogenität. Aber ist nicht die bloße Suche nach dem I-Tüpfelchen, dem letzten bißchen Klangfarbe und Intensität, dem ich hier hinterherjage, in Zusammenhang gesetzt mit der Tatsache, daß hier weder die Berliner noch Wiener Orchestereliten am Werk waren, sondern ein dem Renommee nach eher unbeschriebener Klangkörper, die eigentliche, unzweifelhafte Sensation des Abends?

Die im Vorfeld nach allen Regeln der Vermarktung (und angestrebten Realisation der DVD-Produktion) angekündigte personelle Sensation, die deutsche Erstbrünnhilde von Deborah Voigt, geriet mir da zwar nicht zur Randnotiz, fügte sich aber vielmehr als ein wichtiger Baustein zum gelungenen Ganzen der Aufführung. Ich würde meinem tatsächlichen Eindruck nicht gerecht, schmisse ich auch hier mit Superlativen um mich, aber sie ist definitiv eine Brünnhilde, wie man sie nicht so häufig – auch an sogenannten ersten Häusern – zu Gehör bekommt. Nicht schrill, keine Spur des üblichen Gekeifes, eine sehr warme, schlanke, dennoch durchdringende Stimme, vielleicht mit etwas viel Vibrato, bemerkenswert textverständlich und akzentneutral. Ich bin gespannt auf die DVD.

Die Hamburger Symphoniker verdanken Jeffrey Tate eine Menge, soviel ist sicher. Ich verdanke allen Beteiligten einen äußerst intensiven, im Wortsinne musikalischen Abend.