25. März 2012

Tristan und Isolde – Daniel Barenboim.
Staatsoper im Schillertheater Berlin.

16:00 Uhr, Parkett links, Reihe 2, Platz 16












Auf höchstem Niveau enttäuscht es sich doch immer noch am besten. Oder: Vom prognostizierten Traum-Tristan zu den Festspielen der zerplatzten Erwartungen. Kein Roman Trekel, kein Rene Pape und vor allem keine Waltraud Meier – das ist der Stoff, aus dem Ernüchterung gemacht wird.

Es las sich ja auch zu schön um wahr zu sein. Als ich die Karte im letzten Jahr bestellte, sprach alles für einen außergewöhnlichen Abend, der meinen Münchner Erst-Tristan noch zu überbieten vorbestimmt schien: Ian Storey hatte in den Trojanern einen starken Eindruck hinterlassen, Pape und Gubanova durfte ich bereits in München bewundern, Trekel ein alles andere als unbeschriebenes Blatt und als Krönung Waltraud Meier, deren Bühnenmagie ich nach mehreren Konzerterlebnissen entgegenfieberte. Abgerundet sah ich das Luxuspaket durch die geschätzte Staatskapelle unter ihrem Wagner-Veteranen, als vielversprechenden Rahmen die Aussicht auf eine weitere Inszenierung des verehrten Herrn Kupfer.

So trat ich also nach den diversen Absagen bereits mit der Einstellung, um etwas ganz Besonderes gebracht worden zu sein, meinen Gang in die mir unbekannte Schilleroper an. Um es vorwegzunehmen: Es wurde ein grandioser Abend, der mich dennoch seltsam uninvolviert lies. Dabei hätte der gefundene „Ersatz“ jedem Spitzen-Haus zur Ehre gereicht, ebenso wenig mangelte es an Leidenschaft aus dem Graben. Warum also dies Gefühl außen vor geblieben zu sein? Nach längerem Grübeln habe ich schließlich in der Akustik des Schillertheaters den Übeltäter (oder Sündenbock?) ausersehen. Die Bemühungen zur Optimierung in Ehren, Holzvertäfelung hin, Orchestergrabenverschalung her – die Halle bringt es nicht.

Angefangen beim staubtrockenen, basslosen Klang, den man mit einigem guten Willen noch als „direkt“ bezeichnen könnte, über die gefühlte Schlucht, auf dessen Grund irgendwo entfernt ein Orchester zu erahnen ist, das, wie von einem Kippschalter bedient, entweder ganz oder gar nicht zu hören ist, bis hin zur Unmöglichkeit, Mischklänge zu realisieren, weist das Schiller-Portfolio alle Komponenten auf, um jegliche Form der Emphase bestmöglich zu unterbinden. Die Streicher erreichen trotz Ausnahmequalität nie die nötige (akustische!) Präsenz, einzig das Blech thront von Zeit zu Zeit eindrucksvoll über dem Ganzen. Böse Ahnung: Unter solchen Umständen hätten auch drei Meier-Isolden und ein halbes Dutzend Pape-Markes nichts ändern können. Vielleicht war es also gar nicht so ... Naja, man kann sich auch alles so hinbiegen, wie man es am besten erträgt.

Kommen wir also vom Wolkenkuckucks-Tristan zur realen Aufführung. Die wie gesagt nicht die Schlechteste war. Linda Watson besitzt in ihrer Stimme eigentlich alles, was man für die Irische Maid mitbringen sollte – Kraft und Durchsetzungsvermögen, Wohlklang und Wärme, selbst die Fähigkeit zu feiner Phrasierung. Doch wie ihr darstellerisches Vermögen nicht dazu berufen ist, die Isolde in Fleisch und Blut, ihr Wesen auf der Bühne erstehen zu lassen, geht ihr Singen nicht über bloßen Gesang hinaus. Was läßt sich alles in Tönen sagen, und wie ernüchternd ist es, wenn eben aus voller Kehle geschwiegen wird. Hinzu kommt, daß ich bei Frau Watson ein eigenes Timbre vermisse, das sie unverwechselbar macht – das gewisse Etwas, das gute und richtige Ergebnisse von elektrisierenden unterscheidet.

Ein Mangel an darstellerischer Präsenz ist Ian Storey fürwahr nicht zu unterstellen. Der Begriff des Sängerdarstellers findet bei ihm – wie schon als Aeneas – die erhoffte Anwendung. Das Lyrische ist dabei nicht unbedingt seine Sache, dafür wird aber mit Hingabe geheldet und im dritten Akt grimmig-wahnhaft gestorben. Unterstützung findet er dabei in Martin Gantner, dessen Kurwenal angesichts seines zwischen Dies- und Jenseits oszillierenden Herrn ergreifend liebevolle, verzweifelt-zärtliche Töne anschlägt, die seine Leistung an diesem Abend bekrönen.

Kwangchul Youn ist eine der denkbar besten, vielleicht die beste Marke-Alternative zu Pape, kann diesen in letzter Konsequenz jedoch nicht ersetzen. Heute Abend wurde absolutes Top-Niveau geboten – leider drängt sich mir trotzdem ungerechterweise der Vergleich mit München auf, wo Pape einfach Unübertreffliches vorgelegt hatte. So einen intensiven Bass gibt es wohl nur einmal, dennoch war es eine ganz starke Leistung von Youn. Neben einem kantig-scharfen Melot komplettiert mit Frau Gubanova eine Brangäne das Sängerfeld, die ich als ideal, ach sei’s drum, als perfekt bezeichnen möchte. Auch hier noch einmal der Blick zurück nach München: bereits dort hatte mich diese Stimme, aber auch die ganze Erscheinung, tief beeindruckt, in Berlin durfte ich feststellen, daß sie jene Qualität offenbar bei jedem Auftritt abzurufen im Stande ist. Diese dunkle Färbung, dieser volle, leidenschaftsdurchpulste, um nicht zu sagen erotische Ton. Mit der richtigen Isolde wäre eine wahrhaft ekstatische Kombination denkbar. Auch darstellerisch ist alles da: die Sorge, die Zerrissenheit, das Mitgefühl – eine Idealbesetzung.

Die Inszenierung setzt voll und ganz auf die individuelle Wirkung der Akteure und stellt ihnen mit der poetisch-zarten Pose des Engels lediglich die eigene Seelenlandschaft als Manifestation für ihr Handeln zur Verfügung, dabei alle Facetten der Emotionen widerspiegelnd. Ohnmacht, Verzweiflung, Trauer, Enttäuschung, Hoffnung, Liebe. Gleichsam Todes- und Schutzengel, zu Boden geschleudert und doch mit kräftigen Schwingen das Wunder der Entweltlichung schirmend.

Bei der Führung durch das Theater im Anschluß an die Aufführung konnte ich der Demontage des Engels beiwohnen – ein Verbund aus Stahl und Kunststoff, wie er im Bootsbau eingesetzt wird, so verkündete der Techniker. In einer anderen Ecke warten graue Rösser darauf, ihrer Verwendung zugeführt zu werden. Morgen ist Walküre. Könnte ein ähnliches Material sein. Ob ihm wohl ähnlicher Zauber innewohnt?


Richard Wagner – Tristan und Isolde
Musikalische Leitung – Daniel Barenboim
Inszenierung – Harry Kupfer
Bühnenbild – Hans Schavernoch
Kostüme – Buki Schiff
Chöre – Eberhard Friedrich

Tristan – Ian Storey
König Marke – Kwangchul Youn
Isolde – Linda Watson
Kurwenal – Martin Gantner
Melot – Reiner Goldberg
Brangäne – Ekaterina Gubanova
Ein Hirt, ein junger Seemann – Florian Hoffmann
Ein Steuermann – Arttu Kataja

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin