26. November 2011

L’Africaine – Enrico Calesso.
Theater Würzburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 6, Platz 167














Das Theater aus den Sechzigern verströmt den Charme einer Gesamtschule. Klappernde Türen, ein kleiner Innenhof mit Begrünung und – Kopfsteinpflaster?! Das Gestühl scheint dem Härtegrad nach original erhalten zu sein. Aber dann die Akustik! Welch Klang in dieser tristen Hütte! Ob’s an der Laubsägearbeitenverschalung der Wände oder der spacigen Schlupp-vom-grünen-Stern-Decke liegt – egal, das Resultat gibt den Erbauern Recht. Wunderbar direkt, geradezu plastisch, knackig, trotzdem differenziert. Das hat Wumms und Klasse.

Leider kann der Klangkörper nicht mit seiner Heimstätte mithalten. So ist zumindest der erste Eindruck „Versetzung gefährdet“, zum Glück weiß Herr Calesso die offenkundigen Schwächen seines Orchesters durch Elan und Leidenschaft, aber auch Sensibilität wett zu machen. Offenbar kein schlechter Mann. Entfesselt insbesondere zu den Aktschlüssen einen regelrechten Furor, die Musiker folgen ihm dabei präzise und geschlossen.

Die Behauptung, das Orchester klänge generell nicht, läßt sich angesichts vieler wunderschöner Passagen nicht halten, manches Adagio hätte kaum schmelzreicher ausfallen können. Eigentlich jede Instrumentengruppe hat an diesem Abend ganz starke, aber eben auch schwache Momente, wobei sich bei mir der Eindruck einer stetigen Steigerung mit fortlaufender Dauer einstellte. Und noch einmal: wenn es klappt, dann klingt der Saal himmlisch, und es klappte oft.

Zu den Sängern: Auch hier sind angesichts des Spielortes keine Wunderdinge zu erwarten, wie so oft „in der Provinz“ kann man aber auch hier mit einem überzeugenden Ensemble aufwarten. Sicher gibt es auch hier Mißtöne, sollte man Vergleiche zu Aufnahmen gar nicht erst bemühen, aber unter dem Strich steht ein gelungener Abend zu Buche, der mir Meyerbeer einen weiteren Schritt näher gebracht hat. Besonders hervorheben möchte ich die Sängerin der Sélika und den Sänger des Nélusko.

Frau Leiber kommt das Verdienst zu, die Seele des Abends gewesen zu sein, sowohl mit ihrer gefühlvollen, sensiblen Lyrik als auch mit ihrer anrührenden Darstellung. Wenn sie in der Kerkerszene des zweiten Aktes mit dem Jackett ihres Angebeteten beschirmt ihren Schmerz besingt und ruhelos umherstreift, ist dies allein bereits Sinnbild dessen, was Oper zu leisten im Stande ist, warum ich Oper liebe. Adam Kim als Nélusko besitzt stimmlich und darstellerisch eben jenes Feuer, von dem im Libretto die Rede ist, da kann man ruhig mal von Idealbesetzung sprechen. Diese Kategorie kann Herr McNamarra als Vasco de Gama leider nicht erfüllen. Von Erscheinung und Auftreten her eher ungelenk als heldisch, verfügt er zwar über eine recht schöne Stimme, die in den tragenden Momenten jedoch nicht ausreicht. Ihr fehlt die Höhe, die Kraft, der Stahl, der aus einem Tenor einen Helden macht. Da hatte Erfurt mit seinem Robert ein glücklicheres Händchen. Solide reicht angesichts solch einer Rolle einfach nicht. Nathalie de Montmollin als Inès hat ihre stärksten Momente im ersten Akt, ihr zarter Sopran ist leider nicht immer intonationssicher. Paolo Ruggiero überzeugt als Don Diego und Hohepriester mit großem Organ, auch Jörn E. Werner als Großinquisitor kann sich hören lassen. Johan F. Kirsten als Don Pédro gebührt der Ehrenoscar für den blasiertesten Gesichtsausdruck auf deutschen Bühnen – scheinbar hat er nur den einen ...

Die Inszenierung ist recht konventionell mit „modernen“ Einsprengseln. Der Gang durch die drei Zeiten ist wohl der Kapitalismuskritik-Keule in den letzten beiden Akten geschuldet, trägt aber nichts zum Geschehen bei. Die Tatsache, daß die Insulaner bereits halb „zivilisiert“ erscheinen, ist als Verweis auf den Kolonialismus nachvollziehbar, mir jedoch – wie die Ölförderpumpe – als Bild zu platt. Die Nutzung der großen Wandelemente durch die Akte hindurch erfüllt wohl eher Anforderungen der Praktikabilität als der Ästhetik. Die stilisierte Exotik der „Wilden“ mit ihren Tätowierungen erscheint mir passend. Die Inszenierung hat jeweils dann ihre stärksten Momente, wenn die Hauptpersonen bei sich sind (inwiefern das für den Inszenierungsstil spricht, sei mal dahingestellt), die großen Massenszenen mit Chor sind eher eindimensional, statisch gelöst (bis hin zur „eingefrorenen“ Szene des Rats-Tumults im ersten Akts – für mich eine vertane Gelegenheit).

Alles in allem hat sich der Besuch sehr gelohnt, der Eindruck, in Meyerbeer einen neuen Bewohner im musikalischen Hausaltar gefunden zu haben, hat sich weiter verfestigt. Ich freue mich bereits auf unsere nächste Begegnung und hoffe, daß sich weitere Häuser der Pflege dieser Beziehung annehmen werden.

PS: Im Gegensatz zum Erfurter Robert scheint die Afrikanerin den Geschmack der Würzburger zu treffen, die Vorstellung war nahezu ausverkauft und umjubelt – wie ich von meiner Nebensitzerin hörte, sei die Produktion sehr beliebt. Geht doch!


Giacomo Meyerbeer – L’Africaine
Musikalische Leitung – Enrico Calesso
Inszenierung – Gregor Horres
Bühne und Kostüme – Jan Bammes
Choreinstudierung – Markus Popp
Dramaturgie – Christoph Blitt

Don Pédro – Johan F. Kirsten
Don Diego / Oberpriester – Paolo Ruggiero a.G.
Inès – Nathalie de Montmollin
Vasco de Gama – Paul McNamarra a.G.
Don Alvar – Yong Bae Shin
Großinquisitor – Jörn E. Werner a.G.
Nélusko – Adam Kim a.G.
Sélika – Karen Leiber
Anna – Anneka Ulmer
Ratsdiener – Kenneth Beal
Priester – Deuk-Young Lee
Matrose – David Hieronimi

Opernchor, Extrachor und Komparserie des Mainfranken Theaters Würzburg
Philharmonisches Orchester Würzburg