10. Juni 2012

Hamburger Symphoniker – Jeffrey Tate.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 15














Camille Saint-Saëns – Phaéton
Benjamin Britten – Les Illuminations (Anne Schwanewilms – Sopran)

(Pause)


Maurice Ravel – Shéhérazade (Anne Schwanewilms)

Albert Roussel – Sinfonie Nr. 3



Frankreich-Wochen in der Laeiszhalle, Teil 2: Phaéton mag zündeln, zünden will er nicht, obwohl der Maestro und seine Mannschaft mit Verve zu Werke gehen – wie in letzter Zeit schon so oft bestaunt und besprochen. Die Ausführenden tragen keine Schuld, das Werk selbst scheint dem ersten Vernehmen nach lärmende Langeweile.

Ganz im Gegensatz zum wohlvertrauten Werk des genialen Insulaners, der sich per Sprachregelung in den Abend gemogelt hat. Frau Schwanewilms knüpft dort an, wo sie in der Ariadne aufgehört hatte – feinstziselierte Phrasierungs- und Nuancierungswonnen aus goldener Kehle. Gleichwohl die Sopranfassung für meine Pears-geeichten Ohren überaus gewöhnungsbedürftig im Wortsinne war – es dauerte eine ganze Weile, um reinzukommen, danach war der Weg frei, das Stück von ganz anderer Warte gewissermaßen neu zu entdecken. Sehr interessant, wie sich der gesamte Ausdruck, aber auch Details in der Wahrnehmungs-Gewichtung durch die alternative „Instrumentation“ verschieben.

Ungeachtet ihrer Leistung im Britten scheint sich Frau Schwanewilms bei Ravel eine Spur wohler zu fühlen. Stimmlich ist dies der Höhepunkt des Abends – wenn ich mich doch nur für diese Musik erwärmen könnte. Vielleicht kommt das ja noch. Gestern hatte Ravel mich, heute blieb ich „L’indifférent“.

Aber endlich höre ich einmal ein Werk von diesem Roussel. Das schätze ich so an den Konzerten der Hamburger Symphoniker – eine inspirierte Programmgestaltung jenseits der altbewährten Konzertschlachtrösser. Und siehe da: Der Neue kann sich hören lassen. Eine Art französischer Westentaschen-Mahler. Ein bärbeißiges Allegro, Marsch- und immer wieder Tanzelemente, groteske Einschläge, urige Instrumentation (z.B. tiefes Blech plus Triangel), ein episodenhaftes Adagio, ein Mini-Scherzo, das Finale fast schon Ives-mäßig. Und immer wieder interessante Harmonien.

Anstelle eines Fazits einige Überlegungen zum Konzertbetrieb. Heute lag ein Fragebogen der Hamburger Symphoniker aus, in dem man unter anderem auch angeben konnte, was man von einem Konzert dieses Orchesters erwartet. Programme wider den Klassik-Mainstream, vollendet interpretiert von Herrn Tate und anderen Dirigenten sowie Gastsolisten mit diesem wunderbaren Orchester – das ist es, was ich erwarte und zum Glück auch erhalte. Aber wie sieht das die Mehrheit im Saal?

Das Konzert heute war sehr gut besucht, soweit ich das überblicken konnte, das habe ich speziell bei den Hamburger Symphonikern schon ganz anders erlebt. Dennoch schnappe ich nach Programmen dieser Art – mit ein oder gar mehreren Werken unbekannterer Bauart – an der Garderobe oder am Bahnsteig der U-Bahn eher Kommentare auf, die den Vortrag, nicht aber das Vorgetragene loben. Oder gleich unverblümt ihrem Sehnen nach Mozart und Brahms Ausdruck verleihen. Britten? Hindemith? Sibelius? Womöglich das böse S-Wort gar – Schönberg? Stirnrunzeln. Kopfschütteln. Schwere Seufzer. Modernes Zeugs.

Seit über hundert Jahren zu modern – nicht schlecht. Aber zurück zur Frage: wie sieht das die Mehrheit im Saal? Zumindest im Radio wird ja immer die gleiche Sülze gewünscht. Gestern im Fauré geht ein erleichtertes Raunen durch den Saal, als „das bekannte Stück“ aus der Suite erklingt. Vielleicht sind Konzerte auch einfach nur zu einem guten Teil eine Art geheime Absprache. Man mag es nicht – man klatscht trotzdem. Denn was wäre ein Konzertbesuch ohne den abschließenden Satz der Sätze: „Schön war’s“.

PS: Wenn „nett“ bekanntermaßen der kleine Bruder des anderen bösen S-Wortes ist, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis steht dann „schön“?