24. November 2012

Kleider machen Leute – Ulrich Kern.
Theater Görlitz.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 102



Eine neue Stadt, ein neues Haus, ein neues Werk. Görlitz ist eine Reise wert! Wo andere Städte aus ein paar Vorkriegsüberbleibseln eine Altstadt halluzinieren, bleibt man hier Straßenzug um Straßenzug, Platz für Platz von der sogenannten Moderne verschont. Mit dem Material könnte man das halbe Ruhrgebiet wieder passabel herrichten – Kleider machen vielleicht Leute, aber Häuser eben auch Städte.

Warum nun dies seltene Werk in Görlitz? Nach der Konsultation der Inhaltsangabe fügt sich die Wahl in die deutsch-polnische Ausrichtung des Hauses (z.B. zweisprachige Übertitel) – offenbar wird über Wasserpolaken-Witze beiderseits der Neiße geschmunzelt. Die Oper hat mich musikalisch sehr überzeugt, auch wenn die Geschichte von eher leicht verdaulicher Art ist. Muß ja auch nicht immer Menschheitserlösung oder Weltenbrand sein. Das gesamte Ensemble zeigte sich in jedem Fall bestens aufgelegt, um das heitere Verwirrspiel um den falschen Grafen lebendig werden zu lassen.

Besonders gelungen geriet die phantasievolle Einbindung der Tänzergruppe, vor allem bei der Visualisierung der Zwischenmusik der langen Reise. Was man nicht alles mit ein paar Koffern anstellen kann. Der in stetigem Fluss vollzogene Wechsel von Stadt zu Stadt, bzw. von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zeugte gleichermaßen von Witz und Kreativität. Generell hielt die Inszenierung eine Fülle humorvoller Seitenhiebe bereit. Beispielsweise die Charakterisierung der „feinen Gesellschaft“, die sich um den fremden Grafen scharrt. Erwähnt sei stellvertretend die Wandlung der Zigarre paffenden Würdenträger-Klone in ihren unförmigen Gummisesseln in hemmungsloses Partyvolk, oder ein Detail wie das allzu gut bekannte ignorante Bonbongeraschel des „Kunstfreundes“ bei der Konzertdarbietung in erlauchtem Kreise.

Die Einteilung der verschiedenen Gruppen durch mehr oder weniger uniforme Kostüme unterstreicht dabei das Beispielhafte und Kleinbürgerliche der parodierten Gesellschaft. Zudem spielt es mit dem Kern des Stückes, daß Menschen (scheinbar) über ihr Erscheinungsbild definiert werden können, bzw. eben doch nur wollen.

Fazit: Eine musikalische Entdeckung aus der Feder Zemlinskys, liebevoll und kurzweilig auf die Bühne gebracht.


Alexander von Zemlinsky – Kleider machen Leute
Musikalische Leitung – Ulrich Kern
Inszenierung – Klaus Arauner
Ausstattung – ÄNN
Choreografie – Dan Pelleg, Marko E. Weigert
Dramaturgie – Sebastian Ritschel
Choreinstudierung – Manuel Pujol
Musikalische Einstudierung – Olga Pujol, Tobias Kruse

Wenzel Strapinski – Jan Novotny
Erster Schneidergeselle – Tommaso Randazzo
Zweiter Schneidergeselle – Carsten Arbel
Der Kutscher / Der Amtsrat – Dieter Goffing
Nettchen – Audrey Larose Zicat
Melchior Böhni – Tim Stolte
Adam Litumlei – Won Jang
Frau Litumlei / Die Köchin – Patricia Bänsch
Polykarpus Federspiel – Michael Berner
Frau Häberlein / Die Wirtin – Özgecan Gencer
Sohn Häberlein – Tommaso Randazzo
Sohn Pütschli – Hans-Peter Struppe
Der Wirt „Zur Waage“ – Stefan Bley
Der Kellner – Keon Lee
Der Kellnerjunge – Laura Scherwitzl
Wenzels Meister – Niko van Harlekin, Dan Pelleg, Marko E. Weigert
Pianistin – Olga Dribas

Tanzcompany des GHT Görlitz-Zittau
Chor des GHT Görlitz-Zittau
Neue Lausitzer Philharmonie