30. März 2013

Die tote Stadt – Arn Goerke.
Theater Hof.

19:00 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, Orchestersitze links, Reihe 2, Platz 32



Also ich müßte ja lügen, behauptete ich, das Theater Hof hätte ja schon immer auf meiner streng geheimen Liste der Geheimtipps ganz oben gestanden, aber nach heute Abend bin ich doch sehr versucht, eine derartige Mär zu stricken.

Ob man sich in Hof dessen bewußt ist, welche Qualität im knuffigen Kaff an der Saale geboten wird? Mein Eindruck belief sich eher auf das Gegenteil, zumindest in der besuchten Aufführung. Viele leere Plätze, die sich nach jeder Pause noch fleißig vermehrten, und eine Reaktion auf die präsentierte Extraklasse, die schon arg ans Schnarchnasige reicht. Bei Werken von Korngold oder auch Schreker bekomme ich es einfach nicht in die Birne – warum triumphieren diese Opern mit ihrer spätromantischen Klangsprache nicht mit wehenden Fahnen bei einem Publikum, das bei Wagner und Strauss die Musentempel einrennt? Als einziges, schwaches Argument fällt mir dazu ein, daß sie seltener gespielt werden, man sich daher weniger vertraut zeigt – was an sich schon eine Schande ist. Ich hatte ja bereits in Frankfurt einmal das Vergnügen (Link). Aber was soll’s, jammern hilft nicht, also konzentrieren wir uns auf die bemerkenswerte Darbietung.

Was macht Daniel Kirch in Ulm? Er wird in Hamburg, in Berlin, in München gebraucht! Ein verdutzter Blick in seine Vita verrät – das hat man auch schon in Berlin, in München und anderswo bemerkt. Kaum verwunderlich, macht die Kombination aus frisch-jugendlicher, kraftvoller und doch extrem facettenreich schattierfähiger Stimme und einem vor Leidenschaft berstenden Agieren auf der Bühne Herrn Kirch zu einem Sängerdarsteller erster Güte, wie man ihn in dieser Intensität nicht so häufig antrifft. Sein Spiel zeichnet sich dabei neben einer mimischen Präsenz, die unter die Haut geht, vor allem auch durch eine enorme Körperlichkeit aus, die sehr viel zur glaubwürdigen Umsetzung der Rolle beiträgt. Gerade die Ambivalenz von Pauls Charakter – gespannte Andacht, wahnhafte Raserei, ekstatisch frommer Rausch, zerschlagene Verzweiflung – füllt Herr Kirch beängstigend plastisch aus. Ein flackernder Blick, blanker Hass, Güte, Tränen, Zerknirschung. Allein auch wie er sich gegen die Artistenfreunde Mariettas wirft, oder mit welcher Kraft er sich das umklammerte Bild Mariens nicht entreißen läßt – buchstäblich wie im übertragenen Sinne. Diesen Herrn sollte man erlebt haben, und damit meine ich gesehen UND gehört.

Glücklicherweise blieb es nicht allein bei dieser bemerkenswerten Einzelleistung der Hauptpartie, auch die übrigen Sänger trugen ihren Teil zum hervorragenden Gesamteindruck bei. Jennifer Maines als Marietta bzw. Marie liefert einen starken Gegenpol zum Paul-Darsteller, wenngleich mir ihre Stimme persönlich nicht ganz behagt, da sie teilweise etwas altzänkisch klingt. Technisch und vom Einsatz her ist aber alles, wie es sein soll. Es fällt auf, daß auch ihr Spiel sehr körperlich ausfällt (z.B. wilde Küsse, lustvolle Interaktion mit ihren Verehrern), was dem sinnlichen Charakter der Marietta glaubhaft Gestalt verleiht. Die Sänger der Haushälterin und des Freundes überzeugen mit sehr klarer Textverständlichkeit, Birger Radde zudem mit ausgesprochenem Wohlklang und Schmelz, was ihm in der Arie des Fritz eine regelrechte Sternstunde ermöglichte. Besser ist diese wehmütig-zarte Äußerung kaum vorstellbar. Bravo!

Ein weiterer Pluspunkt in Hof ist die Akustik des Saales, welche das tadellose Orchester weidlich zu nutzen weiß. Die reiche Instrumentation kommt differenziert rüber, gleichzeitig sitzt an den entsprechenden Stellen ordentlich Wumms dahinter. Allein die Einbindung der Orgel (vom Band) gerät akustisch ein wenig unausgewogen. Mein Kompliment auch an Herrn Goerke und seine intensive Ausgestaltung dieses Wechselbades der Emotionen.

Die Inszenierung von Jens Pesel besticht gleichermaßen durch Stringenz im Vorantreiben des Geschehens und Opulenz in der Umsetzung der Traumwelt. Das gestrandete Rettungsboot in Pauls Zimmer – Sinnbild für sein Inneres als Abbild Brügges, das große Auge bei der Anrufung Mariens, weitere Projetionen wie die Tanzvision am Ende des ersten Aktes oder später die Kirchenerscheinungen – die Liste starker visueller Eindrücke ist lang und ließe sich problemlos fortsetzen. Neben der Betonung des verzerrt Traumhaften – beispielsweise im Austausch der ursprünglichen Kerzen im Zimmer durch riesige Exemplare und eine expressive Lichtführung – versteht es die Regie immer wieder, die Zerrisenheit in Pauls Charakter bzw. seinen inneren Konflikt zwischen „Treue“ und Sehnsucht nach Rausch zu thematisieren, etwa in der Vermischung von kirchlicher Symbolik und Sexualität. Das Schlußbild, das dem die ganze Zeit so präsenten, verdorrten Baum blitzartig eine weitere Funktion zuweist, verfehlt seine erschütternde Wirkung nicht. Vielleicht ist Paul am Ende tatsächlich weniger geläutert, denn durch den Traum in seinem Entschluß bestärkt, die geliebte Stadt auf diesem Wege zu verlassen, der Geliebten zu folgen.

Ein beeindruckender, erschütternder, intensiver Abend, oder, um es im Rückgriff auf die Einleitung zu banalisieren: Ich hab’s ja schon immer gewußt – Auf nach Hof!


Erich Wolfgang Korngold – Die tote Stadt
Musikalische Leitung – Arn Goerke
Inszenierung – Jens Pesel
Bühne und Kostüme – Siegfried E. Mayer
Chor –Cornelius Volke
Choreografie – Barbara Buser
Videographie – Kristoffer Keudel
Dramaturgie – Thomas Schmidt-Ehrenberg

Paul – Daniel Kirch
Marietta / Die Erscheinung Mariens – Jennifer Maines
Frank / Fritz – Birger Radde
Brigitta – Stefanie Rhaue
Juliette – Inga Lisa Lehr
Lucienne – Masako Iwamoto-Ruiter
Gaston – Florian Bänsch
Victorin – Mathias Frey
Graf Albert – Karsten Jesgarz

Ballett, Opernchor und Extrachor
Hofer Symphoniker