8. Juni 2013

Katja Kabanova – Arne Willimczik.
Theater Regensburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 11



Eines schönen Tages kam ich im Foyer eines mir wohlbekannten Hauses in der Schlange zur Pausenbrezel mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der mir mehr oder weniger ungefragt seine Ansichten über gebührliches Verhalten in Oper und Konzert kundtat. Während sich die Weißweinprozession langsam gen Tresen schob, eröffnete er mir, daß er in langen Jahren des Studiums des Publikums einen Vergehenskatalog angelegt habe, in dem alle kleinen und großen Sünden der Besucherkaste Eingang gefunden hätten – gewissermaßen ein Standardwerk des schlechten Benehmens.

Mit einer Mischung aus anerzogener Höflichkeit und latentem Interesse folgte ich – auch in Ermangelung einer spannenderen Alternative als Warteschlangenbestandteil – seinen leicht wirren, jedoch von Enthusiasmus geprägten Ausführungen, so daß man am Ende von Kurzvortrag und Pause nicht umhin kam, Mail-Adressen zwecks weiterer Vertiefung auszutauschen. Die daraufhin erhaltenen Beobachtungen und Gedanken zu ebenso beliebten wie gängigen Publikumssünden gedenke ich nun zukünftig in loser Folge meinen eigenen Berichten beizufügen, um zumindest ein kleines Schlaglicht auf den jahrzehntelangen Einsatz des mysteriösen Herrn für ungetrübten Kunstgenuss zu werfen und seiner Arbeit ein Mindestmaß an Würdigung angedeihen zu lassen, obwohl ich mich ausdrücklich von der teils rüden Ausdrucksweise distanzieren möchte.


Konzertsünde Nr. 1: Der gemeine Konzerthusten.

Als Klassiker unter den Konzertsünden erfreut sich der Husten in den Sälen landauf landab ungebrochener Beliebtheit. In unterschiedlichen Abstufungen, beispielsweise als halb unterdrückter Solistenschreck, ausladend produziertes Zwischensatzstakkato oder auch ungeniert vorgetragener Pianissimo-GAU, ob geröchelt oder aus voller Seele bzw. Schleimbevorratung hinausgeschleudert, ist er trotz seines mannigfaltigen Auftretens vor allem Eines – überflüssig. Merke: Es geht auch ohne. Immer. Wer etwas anderes behauptet, hat sich und seine Konzentration nicht im Griff und sollte sein Konzertengagement grundlegend überdenken. Anders ausgedrückt: Der Husten ist das Ventil der Unmusikalischen.

Konzertsünde Nr. 2. Das dreiste Gelaber.

Die verbale Verfehlung des Gelabers, je nach Region auch als Geschwätz, Gebabbel, Gesülze, Geplapper, Gewäsch oder Gefasel bekannt, ist ebenso ärgerlich wie vermeidbar, zumal hier fadenscheinige Ausreden, wie sie noch in der Erduldung des Hustens schwächere Geister vielleicht durchgehen lassen mögen, von vornherein ein mutwillig kunstfeindliches Gemüt entlarven. Dabei ist es einerlei, ob es sich um eine Frage („Geht es schon los?“) oder Aussage („Es geht los!“), eine Äußerung des Mißfallens („Wie lange geht das denn noch?“), der Zustimmung („Das könnte immer so weitergehen!“) oder das häufig anzutreffende Phänomen handelt, bei dem schlichte Gemüter irgendeine belanglose Erkenntnis direkt absondern müssen („Schau mal – da geht einer.“). Es spielt keine Rolle, welche Intention und welcher Informationsgehalt der akustischen Entleerung zugrunde liegt – man erspare sie sich und den übrigen Besuchern und hebe sich Perlen wie „Das ist Mozart!“ (In einem Mozart-, besser noch in einem Haydnkonzert) oder „Ein schönes Kleid hat die Isolde“ für das Expertendinner NACH der Darbietung auf.

Fortsetzung folgt.


Ach ja, und dann war ich an diesem Wochenende zum ersten Mal in Regensburg. Ein hübsches Theater, ein ehrwürdiger Saal, der im Gegensatz zum ursprünglich eingeplanten Passau trotz launischer Donau das Sitzen auf trockenen Polstern ermöglichte, dazu eine runde Produktion von Janáčeks „Katja Kabanova“, die ich also hier in der Oberpfalz kennenlernen sollte.

Die Tatsache, daß man auch nach zwei- bis dreimaliger Lektüre der Handlung im Programmheft immer noch nicht so recht verstanden hat, wer mit wem und überhaupt, läßt entweder auf eine tierisch komplizierte Handlung, ein dürftiges Gedächtnis bzw. Leseschwäche beim Autor dieses Blogs oder aber mittelschwere Probleme beim Memorieren slawischer Namen schließen – Letzteres konnte letztendlich als Hürde identifiziert werden. Aber eigentlich liegt der Fall auch hier – wie so oft – ebenso einfach wie tragisch: Die, die zusammen sollen, wollen nicht und die die zusammen wollen, dürfen nicht. Man kennt das.

Die Inszenierung von Frau Fassbaender, deren stimmliches Wirken ich leider nicht mehr live erlebt habe, mir aber durch manch herrliche CD ans Herz gewachsen ist, hat mir ausgesprochen zugesagt. Die Wesenszüge der einzelnen Charaktere kommen deutlich zur Geltung – etwa der zögerliche, schwache Tichon, die herrschsüchtige, auf ihren Sohn offenbar mit mehr als Mutterliebe fixierte Kabanicha oder die von Sehnsucht getriebene Katja. All die Figuren mit ihren Hoffnungen, Ängsten, Wünschen, irrlichtern im stetigen Fluss der doppelten Drehbühne, wie von den Wellen der omnipräsenten Wolga getrieben. Verschiedene Lichtsituationen lassen den Strom immer wieder anders erscheinen, mal erinnert das Bild an ein Werk Gerhard Richters, mal scheint Caspar David Friedrich Pate gestanden zu haben, schließlich geraten die Wellen durch Projektion in Bewegung.

Die Sorgen und Nöte der Menschen wirken auf mich fast nebensächlich, beiläufig; der Wissenschaftler macht seine Experimente als Repräsentant einer neuen Zeit, die Tradition in Frage stellend. Doch wie steht es mit der Tradition der Unterdrückung? Weniger im großen Ganzen als unter dem Brennglas persönlicher Schicksale? Sind auch hier neue Erkenntnisse, Fortschritte zu erwarten? Katjas Schicksal wirkt eher wie eine Störung denn als Aufbruch der Tradition, ein unerwartetes Kräuseln auf der seit Gezeiten ruhig dahinfließenden Wolga. Ihr Selbstmord bestürzt, wird jedoch durch den bigotten Schlußkommentar der Kabanicha seltsam relativiert.

Vielleicht ist es diese Form von Realismus, dem Pathos eher fern, der mir die Oper auch musikalisch – zumindest nach dem ersten Durchhören – eher sperrig und distanziert erscheinen läßt. Der Funke will jedenfalls erst mal nicht so recht überspringen, obwohl ich generell der Tonsprache Janáčeks sehr zugetan bin. An der Inszenierung dürfte es wie gesagt nicht gelegen haben. Kommt Zeit, kommt Erkenntnis.


Leoš Janáček – Katja Kabanova
Musikalische Leitung – Arne Willimczik
Inszenierung – Brigitte Fassbaender
Bühne und Kostüme – Dorit Lievenbrück
Licht – Martin Stevens
Choreinstudierung – Alistair Lilley
Dramaturgie – Eva Maskus

Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, ein Kaufmann – Mario Klein
Boris Grigorjewitsch, sein Neffe – Arturo Martín
Marfa Ignatjewna Kabanova (Kabanicha) – Clarry Bartha
Tichon Iwanytsch Kabanov, ihr Sohn – Roman Payer
Katja, seine Frau – Michaela Schneider
Wanja Kudrjasch – Cameron Becker
Varvara, Pflegetochter im Hause Kabanov – Vera Egorova
Kuligin, Freund von Kudrjasch – Matthias Wölbitsch
Glascha – Elena Lin
Fekluscha – Angelika Hircsu

Philharmonisches Orchester Regensburg
Opernchor des Theaters Regensburg
Statisterie und Kleindarsteller