27. April 2013

Lucrezia Borgia – Andriy Yurkevych.
Deutsche Oper Berlin.

18:45 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 6, Platz 26



Ab nach Berlin zur Gruberova-Show. Zumindest hatte ich mir das so vorgestellt, aber der Abend hielt dann doch noch andere Überraschungen bereit. Ein exzellentes Ensemble beispielsweise, das meine Befürchtung einer einseitigen Fokussierung auf die Koloratur-Diva grundlegend widerlegte. Und damit meine ich nicht nur die weiteren Hauptrollen, die wahrlich Weltklassequalität bewiesen, sondern jeden einzelnen, der sich heute befrackt vor dem Orchester ans Publikum wandte.

Auch ohne Kostüm und Kulisse übertrug sich da Vieles an Atmosphäre und Zwischentönen der Handlung, nehmen wir einmal die etwas kleinere Rolle des Rustighello, in der Alvaro Zambrano List und Tücke ausstrahlte, oder aber Alex Esposito als alles beherrschender Herzog – wenn Blicke töten könnten! Aber es ist ja nicht mit der Mine, dem Auftreten getan, in diesem Fall komplettieren jene eine stimmliche Präsenz, die geradezu Ehrfurcht gebietend ist. Allein um diesen Künstler zu hören, hätte sich die Reise schon gelohnt. Aber gemach – die Liste der musikalischen Schönheiten ist lang heute.

Pavol Breslik scheint mir den Idealtypus für solche Tenorpartien zu sein, eine Stimme voll Herzblut und Strahlkraft, gleichermaßen klangschön wie energisch, dazu deutete er bereits mit wenigen Gesten an, daß er auch darstellerisch über erhebliches Charisma verfügt. Ähnliches läßt sich über Jana Kurucová sagen, die in der Hosenrolle des Maffio glänzte (das beileibe nicht nur durch den Glitzerblazer im zweiten Akt) und die Herrenriege mit ihrem klaren, flexiblen Mezzo bereicherte. Und auch wenn er quantitativ nur eine Randfigur des Abends darstellte, hinterließ der volltönende, wunderbare Bass des Tobias Kehrer umso deutlicher einen bleibenden Eindruck. Chor und Orchester folgten dem knackigen Dirigat, das immer wieder für intensive Momente sorgte, beispielsweise in der mitreißenden Tempoverschärfung zum Ende des ersten Aktes – das knallt ordentlich!

Und natürlich, es gab da ja noch diese gewisse Dame, deren Gestaltung der Titelpartie schon das ein oder andere Wort verdient hat. Um nur eines zu verwenden: phänomenal! Frau Gruberova bildet ohne Frage das Zentrum der Aufführung, bei jedem Auftritt scheint das Publikum wie elektrisiert zu sein. Neben der schier erschlagenden Elastizität ihrer feinen Stimme hat mich deren Kraft und Tragfähigkeit verblüfft. Wirklich unglaublich wird es dann, wenn der Begriff Nuance neu verhandelt wird – an einer Stelle hielt die Sängerin einen Hauch von Ton über eine gefühlte Ewigkeit, trotz der um sie herum stattfindenden, lauteren musikalischen Ereignisse absolut präsent, um diesen dann plötzlich in dynamische Höhen zu schrauben, die ihrer Rolle in dieser Situation unmißverständlichen Respekt einflößten. Frau Gruberova geht voll und ganz in dieser Partie auf. Sie umgarnt und verflucht, schmachtet und kämpft, triumphiert und leidet. Und auch wenn es vielleicht widersinnig klingen mag, ergibt sich gerade aus dieser größtmöglichen Verinnerlichung mein einziger Kritikpunkt: Ich kann mir nicht helfen, am Ende ist es mir doch etwas zu dicke mit dem Geschluchze, Geseufze und Geweine. Wahrscheinlich wird jetzt jeder Freund der italienischen Oper vor Empörung ob dieser frevelhaften Ketzerei auf- und der Dame zur Seite springen, aber so empfinde ich es nun mal – eine Spur zu viel.

Eine Spur zu wenig hingegen – um mich wenn schon, dann richtig in die Nesseln zu setzen – liefert mir das Werk an sich. Die Musik plätschert hübsch langweilig dahin, zwischendurch wird mal angezogen, aber gerade auf die Dauer ist die Oper mehr als eintönig. Zu mokieren, es passiere ja nicht viel und es würde eh nur rumgelabert, könnte natürlich auch jeden Parsifal-Verächter auf den Plan rufen, aber gut, die Geschmäcker sind eben verschieden. Mir persönlich wollen insbesondere Trink- und Schunkelepisoden der Weinseligkeit anfangs des zweiten Aktes einfach nicht munden. Auch diese ewigen „Überraschungsmomente“ wer jetzt wieder wen ver- oder entgiftet hat, entziehen sich meiner Vorstellung von Spannungsbögen.

Egal, genug geunkt, am Ende des Abends ändern auch musikalische Geschmacksvorlieben nichts an der Tatsache, daß mit dieser konzertanten Aufführung eine Qualität abgeliefert wurde, wie sie luxuriöser kaum denkbar ist. Ein orkanhafter, nach diversen Vorhängen kaum abflauender Beifall setzte diese Erkenntnis auch akustisch gebührend um.


Gaetano Donizetti – Lucrezia Borgia
Musikalische Leitung – Andriy Yurkevych
Chöre – William Spaulding

Don Alfonso d’Este – Alex Esposito
Lucrezia Borgia – Edita Gruberova
Gennaro – Pavol Breslik
Maffio Orsini – Jana Kurucová
Jeppo Livoretto – Paul Kaufmann
Apostolo Gazella – Andrew Harris
Ascanio Petrucci – Seth Carico
Oloferno Vitellozzo – Jörg Schörner
Rustighello – Alvaro Zambrano
Gubetta – Simon Pauly
Astolfo – Tobias Kehrer
Eine Stimme aus der Ferne – Tobias Kehrer

Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin

26. April 2013

Liederabend – Ian Bostridge & Friends.
Laeiszhalle Hamburg, Kl. Saal.

19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett Mitte links, Reihe 9, Platz 4



Benjamin Britten – Songs and Proverbs of William Blake op. 74
Henry Purcell/Benjamin Britten – Lord, what is Man
Pelham Humfrey – A Hymn to God the Father D 49 (arrangiert von Michael Tippett und Walter Bergmann)
William Croft/Benjamin Britten – A Hymn in Divine Musick

(Pause)

Benjamin Britten – Canticle I op. 40
für Tenor und Klavier „My Beloved is Mine“
Benjamin Britten – Canticle II op. 51
für Alt, Tenor und Klavier „Abraham and Isaac“
Benjamin Britten – Canticle III op. 55
für Tenor, Horn und Klavier „Still falls the Rain“
Benjamin Britten – Canticle IV op. 86
für Countertenor, Tenor, Bariton und Klavier „Journey of the Magi“
Benjamin Britten – Canticle V op. 89
für Tenor und Harfe „The Death of Saint Narcissus“

(Ian Bostridge – Tenor, Iestyn Davies – Countertenor, Simon Keenlyside – Bariton, Stefan Dohr – Horn, Maria Tsaytler – Harfe, Julius Drake – Klavier)



Hatte ich schon einmal erwähnt, daß ich Britten liebe? Hmm, ich befürchte jedesmal, wenn der Lockenkopf Thema ist. Oder auch wenn nicht, denn ich lenke das Thema gern mal auf Britten, auch wenn seine Werke gerade nicht Bestandteil eines Programms sind. Da habe ich es in diesem Fall leichter – ein reiner Britten-Abend. Also fast, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein.

Ein Liederabend mit Ian Bostridge (auch bei der Einführung stand der schlaksige Brite Rede und Antwort), der gleich noch ein paar Freunde im Schlepptau mitbrachte – und was für welche! Simon Keenlyside förderte mit den Songs and Proverbs of William Blake Kraft einer kaum steigerungsfähigen textlichen Identifikation Unglaubliches an Inbrunst und Ausdruck zu Tage. Dabei scheint dieser Intensitätsgrad bei ihm keine Seltenheit zu sein, wie ich bei seinem Münchner Wozzeck erleben durfte (Link). Ein wohltimbriertes Organ, das die ganze emotionale Skala von galligem Furor bis ersterbendem Flüstern abrief, die in diesem dämonisch soghaften Werk angelegt ist.

Im Zuge der folgenden Liedbearbeitungen konnte man sich erstmals von der kristallinen Qualität der wahrhaft himmlischen Stimme des Iestyn Davies einnehmen lassen. Unter seiner Mitwirkung erwies sich dann das zweite Canticle als einer der Höhepunkte eines Glücksfalls von Abends im Geiste Brittens. Gerade dieses Canticle zeigt mit seinen verschiedenen Affektminiaturen die ganze Meisterschaft des Komponisten: Die Trauer Abrahams, seinen Sohn opfern zu müssen, dessen Angst, die schließlich in zärtliche Wehmut beim Abschied der beiden mündet, um dann am Ende in grenzenlose, dankbare Freude über die Rettung umzuschlagen.

In der Einführung wurde Herr Bostridge auch danach befragt, wie er denn mit dem unausweichlichen Pears als Vorbild bzw. Bürde umzugehen pflege, was der Sänger damit beantwortete, er müsse und könne angesichts der singulären stimmlichen Eigenart des Vorgängers nur seinen eigenen Weg gehen. Und wie er ihn geht. Bostridge besitzt die Intelligenz und das Einfühlungsvermögen, die tiefsten Tiefen dieser kleinen Wunderwerke auszuloten, ihnen das Höchste abzugewinnen. Die Stimme schlank und edel, geschmeidig und wandelbar im Ausdruck.

Wie wohl stimmt – und klingt – es, daß Britten über solche Freunde verfügt, wobei ausdrücklich die Instrumentalisten des Abends, allen voran Julius Drake mit seinem butterweichen Anschlag, mit einzubeziehen sind. Der Freundeskreis seiner Tonkunst dürfte jedenfalls durch solche Darbietungen den ein oder anderen neuen Zugang zu verzeichnen haben. Die Reaktion des Publikums zumindest ermutigt, daß in diesem Fall nicht bloß der Wunsch Vater des Gedankens ist.

25. April 2013

NDR Sinfonieorchester – Michael Gielen.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 7, Platz 13



















Johannes Brahms – Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a
Arnold Schönberg – Violinkonzert op. 36 (Michael Barenboim)

(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90



Ein blutleerer Abend, der nichts brachte als die Bestätigung, daß auch nach mehrjähriger Abstinenz kein Deut an meiner Einschätzung in Bezug auf Herrn Gielen zu revidieren ist und ich von weiteren Begegnungen nun beruhigt absehen kann.

Nachdem die Haydn-Variationen unter seinem Dirigat den Charme eines akademischen Staubfängers versprühten, folgte auf dem Fuße die nächste Stufe der Bestrafung in Form des quälend seelenlosen Schönberg-Konstruktes. Mit diesem ist es Schönberg tatsächlich gelungen, eine Art musikalischen Blindtext abzuliefern – frei nach dem Motto: „in diese Folie in drei Sätzen bitte die Ideen für ein Violinkonzert einfügen“. Ich mache mich ja selbst gern über die Innovationsfurcht und -flucht mancher Besucher lustig, aber bei diesem fahlen Schatten eines Konzertes hört der Spaß tatsächlich auf. Mit seinem Mangel an emotionaler Relevanz, dem völligen Ausbleiben melodischer, aber auch harmonischer Momente von Belang, eingepfercht in das Korsett einer durchweg biederen Instrumentation, taugt dies Opus beim besten Willen nur als musikhistorische Fußnote. Der junge Barenboim ackert sich dabei brav durch das aufwändig und hochvirtuos strukturierte Nichts, wobei man den Eindruck nicht ganz los wird, einer – wenn auch makellosen – Abschlussprüfung beizuwohnen.

Die Rettung durch brahmssche Labsal nach der Pause bleibt aus, da Gielen es auch in der Dritten versteht, jegliches Feuer im Keim zu ersticken. Ein schleppender Beginn, generell wenig Tempokontraste, einzig die Dynamik ist sorgsam ausgefeilt. Das Orchester kann an diesem Abend beileibe nichts dafür – hier atmet nichts, nichts darf sich ausschwingen. Langweilig, ermüdend, reine Zeitverschwendung. Wer meint, daß mit solch einem nüchternen Zugang vielleicht mehr Augenmerk auf die Struktur gelegt wird, erweist diesem herrlichen Werk einen Bärendienst. Ich persönlich ziehe es zumindest vor, meinen Brahms lieber als fesselnden Roman denn als Bedienungsanleitung für Staubsauger zu verschlingen.

14. April 2013

Rienzi – Mihkel Kütson. Theater Krefeld.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 125



Manchmal ist es das Beste, einfach nur die Geschichte zu erzählen. Autor und Werk zu vertrauen, ohne dem Ganzen noch einen drauf setzen zu wollen. Diese Ahnung beschlich mich seinerzeit bei Stölzls Rienzi in Berlin (Link), der trotz beeindruckender ästhetischer Geschlossenheit die Anlage der Oper einem Chaplin meets „Der Untergang“ opferte. Hier in Krefeld zeigte sich – wie schon bei meinem Erst-Rienzi in Bremen – daß der fünfaktige Aufbau mit seinen klaren Finalzäsuren der Struktur des Werkes und dem Ablauf des Abends ungemein gut tut. Steigerungen und Kontrastwirkungen der einzelnen Akte kommen viel besser zur Geltung, alles gestaltet sich weit weniger zäh, sondern im Gegenteil mitreißend und sich stetig steigernd. Auch in dieser Produktion nahm man diverse Striche vor, diese Kürzungen lassen den Fluss der Handlung jedoch nicht stocken, wie die zusammengepferchte Berliner Version.

Doch es liegt nicht allein an diesem formalen Unterschied, daß der Krefelder Rienzi sein Gegenstück an der Deutschen Oper letzten Endes aussticht, es ist das Gesamtpaket, das überzeugt. Matthias Oldag und sein Team haben einen großen Anteil daran. Das Geschehen ins Heute zu verlagern, ist dabei kein Akt der Willkür, sondern markiert in der Szenenfolge sehr klar und fasslich die verschiedenen Aggregatzustände der übergeordneten wie individuellen Entwicklung. Die einzelnen Bilder zeichnen den Aufstieg und Fall des Tribuns dabei sehr deutlich als politische Fieberkurve nach und könnten auch mit einzelnen Kapitelüberschriften versehen sein: Zeit des Aufruhrs; Der Hoffnungsträger; Der Medienwahlkampf; Wahlsieg, Staatsbankett und Attentatsversuch; Der Krieg gegen innere und äußere Feinde; Der Hoffnungsträger wird zum Despoten; Auflehnung und Revolution.

Die vielfältigen aktuellen Bezüge bannen ebenso geschickt wie unaufgesetzt eine mögliche Historienschinkengefahr und lassen das Werk vielmehr als überzeitliche Parabel über Machtstrukturen und Machtmißbrauch wirken, die uns auch heute etwas zu sagen in der Lage ist. Dabei wird durch die Wahl der verwendeten Videoausschnitte eine allzu einseitige Sicht und Wertung von vornherein vermieden. Verschiedene Facetten der Inszenierung von Macht und Mächtigen kommentieren die Geschehnisse auf der Bühne. Der ebenfalls als Heilsbringer bejubelte Obama im Sternenbanner-Meer oder Putins dominantes Auftreten, diese Bilder schaffen eine Atmosphäre der Ambivalenz, vor allem unter dem Gesichtspunkt der auch auf die Bühnenhandlung übertragenen Rolle der Medien. Die Kameras begleiten Rienzis fulminanten Aufstieg, bieten ihm ein Forum für sein Sendungsbewußtsein.

Eine besonders gelungene Aktualisierung stellt die Szene des Staatsbanketts nach dem Wahlsieg dar. Wie hier beispielsweise die naive Huldigung durch das Ständchen oder die verlogen heuchlerische Integration der Nobili in Szene gesetzt wird, die schließlich das Attentat zur Folge hat, schlägt ebenso sinnhaft wie eindrucksvoll die Brücke von spätmittelalterlichen zu heutigen Gepflogenheiten. Die Zusammenkunft der Verschwörer schließlich vor fallenden Aktienkursen stattfinden zu lassen, könnte durchaus auch als ironischer Kommentar auf die Motivation der selbstlosen Staatsretter zu verstehen sein.

Und auch das Persönliche, Menschliche hat in dieser Regiearbeit eindringliche Momente, namentlich im hin und her gerissenen Adriano und natürlich im geistigen Niedergang Rienzis. Schon am Ende des zweiten Aktes, nachdem das Attentat gescheitert ist und er seine Feinde begnadigt hat, bleibt Rienzi allein vor dem Vorhang zurück – ein erstes Anzeichen für seine zunehmende Isolation schon in diesem Moment des (scheinbaren) Triumphes. Verstörend dann sein Auftritt zu Beginn des letzten Aktes, als er, bloß mit einem Hemd bekleidet, die trügerische (Papp-)Krone auf seinem Haupt, inmitten der verstreuten Buchstaben-Insignien seiner Macht, selbige noch einmal bei höchster Instanz zu beschwören sucht.

Jon Ketilsson besitzt vielleicht kein Riesenorgan, jedoch durchaus die stimmlichen und darstellerischen Qualitäten, diesen Abend zu tragen. Dabei steht er einem sehr ausgewogenen Ensemble vor, das durch die Bank zu überzeugen weiß. Es gibt ein Wiedersehen mit einigen Mitwirkenden der starken Gladbacher Maskerade-Premiere (Link), die Stimmen wirken auf dieser großen Bühne teilweise etwas weniger präsent, der positive Gesamteindruck bestätigt sich jedoch ohne Abstriche. Herr Nolen ist wirklich ein Darsteller, der vor Spielfreude – und als Orsini vor Arroganz und Verschlagenheit – regelrecht zu platzen scheint. Der profunde Bass des Herrn Wittich sticht auch auf dieser Bühne eindrucksvoll heraus, alle weiteren Sänger machen ihre Sache ebenfalls sehr gut. Die stimmliche Einspringerin für Frau Günschmann integriert sich ohne Probleme. Die Orchesterleistung fällt ebenso mitreißend wie nuanciert aus, die Chöre wissen zu überzeugen, die Interpretation durch den GMD arbeitet die Kontraste der Partitur wunderbar heraus, kurz: Auch musikalisch ward der Rienzi in Krefeld ein Ereignis und Genuß.

An dieser Stelle noch mal ein kleines Beispiel für das glückliche Zusammenwirken von Musikalischem und Szenischem: Die vorbildliche Durchhörbarkeit und gleichzeitige akustische Präsenz beim Finale des zweiten Aktes wurde maßgeblich durch die günstige Staffelung von Chor (Mitte) und Nobili (Orsini Proszenium rechts, Colonna links) erzielt, die zudem auch inhaltlich die Zerrissenheit der Beteiligten Gruppen zum Ausdruck brachte – so einfach kann es gehen.

Womit der Bogen zur Eingangsbeobachtung geschlagen wäre. Einfach mal ein Stück nehmen, auf seine musikalische Qualität bauen und seine narratorische Wirkung – wirken lassen. Daß diese Herangehensweise mit Konservatismus oder gar Ideenlosigkeit nichts zu tun haben muß, davon kann sich ein jeder beim Niederrheinischen Rienzi überzeugen.


Richard Wagner – Rienzi
Musikalische Leitung – Mihkel Kütson
Inszenierung – Matthias Oldag
Bühne – Thomas Gruber
Kostüme – Henrike Bromber
Choreinstudierung – Maria Benyumova
Dramaturgie – Andreas Wendholz

Rienzi – Jon Ketilsson
Irene, seine Schwester – Anne Preuß
Steffano Colonna, Haupt der Familie Colonna – Hayk Dèinyan
Adriano, sein Sohn – Eva Maria Günschmann (szenisch), Alla Perchikova (Gesang)
Paolo Orsini, Haupt der Familie Orsini – Andrew Nolen
Kardinal Orvieto – Matthias Wippich
Baroncelli – Walter Planté
Cecco del Vecchio – Rafael Bruck

Chor und Extrachor des Theater Krefeld Mönchengladbach
Statisterie des Theater Krefeld Mönchengladbach Niederrheinische Sinfoniker

13. April 2013

Der Kaiser von Atlantis – Dirk Erdelkamp.
MIR Gelsenkirchen, Kleines Haus.

19:00 Einführung, 19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 62



Was ist Kunst dem Menschen in Ausweglosigkeit? Beziehungsweise dem Künstler? Existenzielle Äußerung des Menschseins in unmenschlicher Zeit? Triebfeder einer Existenz ohne Perspektive?

Im Laufe dieser gleichsam bedrückenden wie berührenden Aufführung drängte sich mir mehrfach der Gedanke auf, die Oper wäre damals tatsächlich in Theresienstadt zur Uraufführung gekommen – natürlich eine Utopie, wie die Utopie des Werkes an sich, die Läuterung des unmenschlichen Kriegs-Kaisers am Schluß. Welch eine Kraft wohnt dieser Fabel und den Umständen ihrer Entstehung doch inne. Diese Form der Radikalität in Bezug auf die Umstände der Entstehungszeit habe ich auf der Bühne noch nicht erlebt. Was am meisten dabei trifft, erschüttert, ist vielleicht nicht einmal die Düsternis des Sujets, sondern das Moment der Hoffnung, das Ullmann und Kien trotz der Hoffnungslosigkeit ihrer eigenen Situation daraus abzuleiten im Stande waren. Unfassbar.

Die Darbietung am Kleinen Haus des Gelsenkirchener Theaters ist an Intensität wohl kaum zu übertreffen. Das Zusammenwirken von Inszenierung sowie musikalischem und szenischem Ausdruck darf ohne Zweifel als Referenz gelten, vor allem auch durch die beispiellose Hingabe der Sängerdarsteller. Die besondere Erwähnung, daß die Begleitung durch ein weitgehend aus Laien bestehendes Jugendorchester erfolgte, erübrigt sich eigentlich angesichts der geleisteten Qualität und Spannung, unterstreicht jedoch andererseits die Leidenschaft, mit der das Projekt an diesem Haus angegangen und umgesetzt wurde.

Fazit: Die vollendete Umsetzung einer musikalischen Entdeckung, die Kraft ihrer parabelhaft zeitlosen Anklage wider Gewaltherrschaft und Krieg ein Repertoiredasein jenseits einer musikhistorischen Ausgrabung verdient hätte.


Viktor Ullmann – Der Kaiser von Atlantis
Musikalische Leitung – Dirk Erdelkamp
Inszenierung – Carsten Kirchmeier
Ausstattung – Helke Hasse
Licht – Andreas Gutzmer
Produktionsdramaturgie – Ulla Theißen

Kaiser Overall – Vasilios Manis
Der Lautsprecher – Claudius Muth
Der Tod – Kai Uwe Schöler
Harlekin – William Saetre
Ein Soldat – E. Mark Murphy
Bubikopf, ein Soldat – Tina Stegemann
Der Trommler – Anke Sieloff

Das MiR-Jugend-Orchester 2013

12. April 2013

Maskerade – Alexander Steinitz.
Theater Mönchengladbach.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 1



Hygge in Rheydt: Die Regie entwirft ein dänisches Idyll zwischen Dünengras und Saunagang, das die Handlung vom 18. Jahrhundert in ein gemütlich maritimes Hier und Jetzt verlegt. Schnuckelige kleine Häuschen am Meer, wie von Kinderhand mit Kreide gezeichnet, geben einen ersten Hinweis darauf, daß wir heute trotz aller dramaturgisch notwendigen Irrungen und Wirrungen einem harm-, jedoch ganz und gar nicht reizlosen Vergnügen beiwohnen werden.

Das erste Kompliment verdient sich die ganze musikalische Ausgestaltung. Ein schwungvolles, dabei durchaus differenziertes Dirigat, das eine gute Orchesterleistung abruft, ist gleich ab der Ouvertüre der Ausgangspunkt für einen inspirierten Abend. Die gesamte Besetzung, weitgehend mit Mitgliedern des Hauses realisiert, erweist sich als überaus homogenes, stimmlich wie darstellerisch hervorragendes Ensemble, das vor Spielfreude nur so sprüht. Es bereitet einfach einen Riesenspaß, von dieser Riege durch die Geschehnisse geleitet zu werden – nicht unbedingt das schlechteste Zeichen in einer Komödie. Mit dem Wunsch nach einer „typgerechten“ Besetzung ist es zwar generell so eine Sache – was ist das schon, bzw. wodurch definiert sie sich – aber heute war wieder einer dieser Fälle, bei denen man konstatiert: Als wären die Rollen den Darstellern auf Leib und Kehle geschneidert.

Ein paar Worte zu den einzelnen Sängern: Michael Siemon als Leander überzeugt neben seinem sympathisch-verschmitzten Auftreten mit klarer, wunderbar lyrischer Stimme, die Schmelz und Ausdruck als weitere Vorzüge bereithält. Seine Herzensdame, verkörpert durch Debra Hays, steht dem in nichts nach und weiß ein ums andere mal mit ihrem zart leuchtenden Sopran zu verzaubern. Das zweite Paar, Henrik und Pernille bzw. Tobias Scharfenberger und Susanne Seefing, komplettiert den starken Eindruck seinerseits mit stimmlicher und darstellerischer Finesse. Insbesondere Herr Scharfenberger scheint komplett in seiner Rolle als gewiefter Freund Leanders aufzugehen und trägt viel zum komödiantischen Erfolg des Abends bei.

Aber auch die weiteren Kollegen lassen in dieser Beziehung nichts an Identifikation vermissen. Hayk Dèinyan als herrlich grummeliger Patriarch mit Autorität verströmendem Bass, Satik Tumyan als dessen „frivole“ Gattin, der unterbelichtete Diener Arv (Markus Heinrich), der zauselige Magister des Andrew Nolen oder der brillant gestelzte Walter Planté (vorbildliche Diktion!) als Freund des Hauses auf Freiersfüßen – sie alle treten den Beweis an, daß auch vermeintlich leichte Kost auf großer Bühne ein beseeltes und anregendes Ergebnis zur Folge haben kann. Nicht unterschlagen werden soll in diesem Zusammenhang vor allem die Leistung des „Zeremonienmeisters“ Matthias Wippich, der in gleich drei Rollen mit seinem volltönend balsamigen Bass zu beeindrucken wußte und als Schalk im Hummerkostüm den ein oder anderen Schmunzler entlockte.

Womit wir bei der köstlichen Inszenierung wären. Das Geschehen vom 18. Jahrhundert ins Heute zu verlegen, dabei aber durch viele Details in Ausstattung und Durchführung ein Moment des Zauberischen, Traumhaften heraufzubeschwören, läßt die auf scheinbar überkommenen Rollenmustern und Gesellschaftskonventionen fußende Handlung frisch vor dem Auge des Zuschauers entstehen und unterstreicht die rauschhafte Wirkung der Maskerade durch surrealen Überschwang. Wird zuerst das Musterbeispiel dänischer Gemütlichkeit im Hause Jeronimus gezeichnet, inklusive Strandatmosphäre, zelebriertem „Wellness“ und gediegenem Frühstück auf Designstühlen, lassen bei der Maskerade die phantasievollen Kostüme, spritzige Balletteinlagen und ein allgemeines drunter und drüber ein gänzlich anderes Bild der nördlichen Nachbarn entstehen.

Dabei ist dem Kostümfest bewußt eine Aura des Surrealen mitgegeben – die Feierlichkeiten finden unter dem Meer statt, als Einstiegsschleuse fungiert eine Telefonzelle, ein Hummerballett sorgt für Hochseeanmut. Als die Szene beherrschendes Requisit fällt sogleich ein riesiges Bett auf, das zum Tummelplatz für das Treiben jenseits der kleinbürgerlichen Konvention wird. Besonders schön auch das vorausgehende Bild, in dem sich die Bewohner aus ihren winzigen, stilisierten Häusern auf den Weg zum Ball machen, allesamt im Einheitsdress — gepunktetes Nachthemd und Clogs. Nur dem Sittenwächter Jeronimus und seinem Diener wird in diesem Aufzug der Zugang verwehrt, bis sie schließlich in voller Kostümierung passieren dürfen. Scheinbar hat die Eignung zu Alltagsabkehr und Ausgelassenheit wohl doch mehr mit innerer Einstellung denn mit äußerlichen Masken zu tun.

Herrlich dann die überbordende Vielfalt und Detailliebe der verschiedenen Kostüme. Paarungen jeglicher Couleur sind mit von der Partie – unter anderem Adam und Eva, Popeye und Olivia, Biene und Blume, Märchenprinz und Andersens Meerjungfrau, Guttenberg und seine Doktorarbeit, ein spanisches Paar (womöglich gar Carmen und Escamillo?). Und gepaart wird sich dann auch in vielerlei Hinsicht, selbst im Tanz von Mars und Venus und dem Eifersuchts-Ballett der Strandjugend dreht sich letzten Endes alles um das Eine.

Am Schluß sind der alte Griesgram bekehrt, die füreinander bestimmten Paare vereint und das Publikum zu Recht begeistert angesichts dieser Fülle an freudigem Augen- und Ohrenschmaus. Ein strahlender Premierenerfolg, der hoffentlich auch einiges zur weiteren Verbreitung der Musik des großartigen Komponisten-„Geheimtipps“ beitragen wird. Mange Tak!


Carl Nielsen – Maskerade
Musikalische Leitung – Alexander Steinitz
Inszenierung – Aron Stiehl
Bühne – Jürgen Kirner
Kostüme – Dietlind Konold
Choreografie – Robert North
Choreinstudierung – Maria Benyumova
Dramaturgie – Ulrike Aistleitner

Jeronimus, Bürger zu Kopenhagen – Hayk Dèinyan
Magdelone, seine Frau – Satik Tumyan
Leander, sein Sohn – Michael Siemon
Henrik, Leanders Diener – Tobias Scharfenberger
Arv, Knecht – Markus Heinrich
Leonard aus Slagelse – Walter Planté
Leonora, seine Tochter – Debra Hays
Pernille, Leonoras Zofe – Susanne Seefing
Nachtwächter / Festordner / Korporal Mors – Matthias Wippich
Magister – Andrew Nolen
Wachtmeister – Yasuyuki Toki
Rosenverkäuferin – Marianne Thijssens
Junge Mädchen – Sabine Sanz, Margriet Schlössels, Ariane Gdanitz, Christina Heuten, Lisa Kaltenmeier

Tanzensemble – Victoria Hay, Yasuko Mogi, Camila Matteucci, Fabio Toraldo, Raphael Peter, Takashi Kondo

Chor des Theater Krefeld und Mönchengladbach
Niederrheinische Sinfoniker

11. April 2013

NDR Sinfonieorchester – Eschenbach.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 13, Platz 13



Paul Hindemith – Kammermusik Nr. 1 op. 24 Nr. 1
Paul Hindemith – Sinfonie in Es

(Pause)

Richard Wagner – Siegfried-Idyll
Richard Wagner – „Starke Scheite schichtet mir dort“ Brünnhildes Schlußgesang aus „Götterdämmerung“ (Petra Lang – Mezzosopran)



Ein gutes Konzert, das trotz des überaus geschätzten Maestro Eschenbach nach der Pause nicht ganz so zündete, wie es der erste Teil erhoffen ließ.

Hindemith wunderbar klar und transparent. Selbst in den größten Steigerungen der großen Sinfonie blieb das Prinzip des polyphonen Übereinanderschichtens stets durchhörbar. Auch interessant der Kontrast vom „Provokateur“ mit Akkordeon und Sirene zum gemäßigt modernen Gang in klassischen Fußstapfen. Hindemith liegt mir einfach, vor allem in der emanzipierten Behandlung der Holzbläser. Und auf eines ist stets bei ihm Verlaß: Früher oder später erscheint eine dieser anrührenden, scheu-zerbrechlichen Flötenkantilenen. Soviel zum Thema „Gebrauchsmusik“.

Vom Wagner hatte ich mir dann mehr erhofft. Die Interpretation des Siegfried-Idylls durch Eschenbach war zwar vorzüglich – fein abgestimmte Dynamik und atmende Bögen – jedoch wurde dieser zarte Zugang nicht von allen Beteiligten auch konsequent umgesetzt. Vor allem die Bläser ließen das versonnene Gewebe mangels Einfühlungsvermögen mehr als einmal aufreißen.

Beim abschließenden Götterdämmerungsfinale konnte ich mir nicht helfen – das hatte ich vor gar nicht allzu langer Zeit eindringlicher gehört. Einerseits wurde Petra Langs Stimme teilweise ob der Orchestergewalt doch deutlich an ihre dynamischen Grenzen gebracht – in tiefer Lage war sie des Öfteren kaum zu hören – andererseits bleiben die Hamburger Symphoniker unter Jeffrey Tate auch in puncto Gestaltung und Ausdruck für mich klarer Punktsieger (Link). Das wogte und wallte vormals einfach differenzierter, organischer. So bringt mich meine Wagner-Liebe mal wieder zu der Einsicht: Guter Wagner reicht eben nicht, dann doch lieber – Keiner.