30. März 2014

Tosca – Jaroslav Kyzlink.
Staatsoper Prag.

19:00 Uhr, 1. Balkon Reihe 3, Platz 35



Das mittlere der drei Häuser des Prager Opernverbundes hat es zugegebermaßen standorttechnisch deutlich weniger repräsentativ getroffen als sein großer Bruder. Gelegen in Bahnhofsnähe, gerahmt von Schnellstraße, Gleisbett und Parkhaus, zieht die Staatsoper in Sachen Glamour gegen den Moldaublick des Nationaltheaters zwar klar den Kürzeren, der Bau weiß aber in seinem Inneren durchaus zu beeindrucken. Prachtvolle Foyers laden zum Lustwandeln ein, im Saal selbst gipfelt das dekorative und figürliche Treiben aufs Vollendetste. Innerer Aufbau und Ausgestaltung des Theaters erinnern mich stark an das Hamburger Schauspielhaus, und siehe da: die Herren Fellner und Helmer waren tatsächlich auch hier am Werk.

Schleierhaft blieb mir, warum das ornamentale Kleinod diesmal nur so spärlich Zulauf fand, und das an einem Sonntag, der nicht gerade unbeliebte Kost verhieß. Tosca zieht doch immer, sollte man denken. Hier und heute offenbar nicht. Überhaupt waren die Reaktionen insgesamt eher gedämpft. Ok, man muß angesichts der gebotenen, ordentlichen Leistung vielleicht nicht ausrasten, aber an anderen Theatern hält sowas das lokale Publikum auch nicht davon ab, „ihrem“ Haus die nötige Portion Enthusiasmus entgegenzubringen. Bliebe noch die Frage, inwiefern der Faktor touristische Gelegenheitsbesucher hier eventuell eine Rolle spielen könnte. Vieleicht geht man als Prager Opern-Ultra ja tatsächlich eher ins Nationaltheater. Fragen über Fragen.

Wenig Stirnrunzeln hingegen lösten die Ereignisse auf der Bühne aus. Leider, muß man sagen. Man kann halt auch ein potenziell gemeingefährliches Stück wie Tosca mit solch formidablen Zutaten wie Eifersucht, Intrige, Sadismus, Mord, Verrat und nicht zuletzt Liebe bis in den Tod einfach nur brav runternudeln, daß einem die Pausenschnittchen auch noch nach der Folterszene munden. Ok, das ist vielleicht zu hart, aber mir ging es definitiv zu gemütlich zu, und daß nicht einmal in erster Linie bei den angesprochenen Schauermomenten. Ein stimmlich braves Ensemble agierte brav in einer durch und durch braven Inszenierung, begleitet von einem braven, nicht immer sattelfesten Orchester unter der Aufsicht seines braven Taktgebers. Man könnte „brav“ auch jeweils durch „solide“ oder „unauffällig“ ersetzen, was den Mitfieber-Aspekt doch einigermaßen dämpfte.

Oder anders. Ich setze noch mal neu an: Die Mitwirkenden haben an diesem Abend eine in allen Belangen brauchbare Leistung gezeigt, unter dem Strich aber zu wenig, um mehr als gepflegte Unterhaltung zu vermitteln. Vielleicht erklärt das auch die verhaltenen Reaktionen. So war im Zweifel also doch keine Touristen-Verschwörung, sondern einfach ein bisschen Langeweile im Spiel. Gutes Stichwort übrigens – das Spiel der Sänger war wahrscheinlich mit der Knackpunkt. Auch hier ist es natürlich leicht an den darstellerischen Fähigkeiten von Sängern herumzukritteln, die in der Regel eher selten bei Lee Strasberg die Schulbank gedrückt haben, aber man ist halt verwöhnt durch die mittlerweile immer häufiger anzutreffenden Gegenbeispiele der eierlegenden Wollmilchsängerdarsteller.

Um nur mal den Sänger des Scarpia als Beispiel zu nehmen: Herr Chmelo besitzt eine schöne Stimme und darüber hinaus auch die nötige Physis für einen potenziell einschüchternden Charakter, aber weder Gesang noch Agieren vermitteln mehr als den Holzschnitt eines Bösewichts. Ich meine, Toscas Ausspruch, daß vor diesem Mann ganz Rom gezittert habe, gibt ja schon eine Hausnummer für sein Auftreten. Und bitte nicht mißverstehen, ein Scarpia muß nicht Neugeborene auf offener Bühne verspeisen oder durch Blut waten, alles dreht sich nur um Intensität und Präsenz – der leise, kontrollierte Terror ist mitunter der verstörendste.

So bleibt am Ende der ungestörte Eindruck redlichen Handwerks. Kann man so machen, allein dafür würde ich aber nicht unbedingt nach Prag fahren – da hat diese schöne Stadt doch ungleich mehr zu bieten, das ein Wiedersehen in jedem Fall rechtfertigt.

Fazit: Beim nächsten Besuch geht es ins Nationaltheater.


Giacomo Puccini – Tosca
Musikalische Leitung – Jaroslav Kynzlink
Regie – Martin Otava
Kostüme – Josef Jelínek
Chorleiter – Adolf Melichar

Floria Tosca – Anda-Louise Bogza
Mario Cavaradossi – Michal Lehotsky
Baron Scarpia – Vladimír Chmelo
Cesare Angelotti – Ladislav Mlejnek
Der Messner – Aleš Hendrych
Spoletta – Václav Lemberk
Sciarrone – Oldřich Kříž
Stimme eines Hirten – Sona Koczianová
Ein Gefängniswärter – Nikola Tašev

Orchester der Staatsoper Prag
Chor der Staatsoper Prag