1. Juni 2016

Concentus Musicus Wien – Diego Fasolis.
Laeiszhalle Hamburg.

19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125

(Arnold Schönberg Chor, Genia Kühmeier – Sopran, Wiebke Lehmkuhl – Alt, Steve Davislim – Tenor, Luca Pisaroni – Bassbariton)



Ein Wort zur historischen Aufführungspraxis: Nein. Auch wenn ich durchaus nicht wenig Interesse an der geschichtlichen Entwicklung der Musik hege, ist mir Beethovens Neunte für ein Seminar Instrumentenkunde des frühen 19. Jahrhunderts einfach zu schade. Weder das eingesetzte Material noch die Spielweise tragen etwas dazu bei, dem Werk bzw. der Konzeption des Komponisten näher zu kommen, sondern quälen mit eigentlich glücklicherweise überwundenen Unzulänglichkeiten und verstellen den Blick auf das Wesentliche: Daß Musik eben mehr ist als die Summe leidlich getroffener Töne.

Beethoven als Holzschnitt. Ich bin deutlich zu wenig Masochist, um mir all den Reichtum nehmen zu lassen, der in dieser Partitur steckt. Und Reichtum meint nicht Fülle. Orchester wie die Kammerphilharmonie Bremen beweisen eindrucksvoll, dass eine Reduzierung der Besetzung auf zeitgenössisches Maß durchaus Wunder wirken kann in Bezug auf Transparenz, Fasslichkeit und Ursprünglichkeit. Die heutige Präsentation stimmt mich eher traurig als nostalgisch. Früher war eben nicht alles besser, der Orchesterklang schon mal ganz sicher nicht – wie schade, dass die großen Komponisten ihre Werke wohl nie in der Qualität erleben durften (sofern sie überhaupt aufgeführt wurden), die wir heute gewohnt sind. Natürlich kann man letztlich nur vermissen, was man kennt, aber ich wäre überrascht, wenn es in Beethovens taubem Kopf so unbehauen und profan zugegangen ist.

Mehr noch als die technische Minderwertigkeit, stört dabei die klangliche Unvereinbarkeit der verschiedenen Instrumentengruppen, welche ein rohbauartiges Klanggerippe ergibt, das sich partout nicht zu einem harmonischen Ganzen fügen möchte. Ich mag es gern knackig und schroff, aber hier fällt einfach alles auseinander. Sind die schmalbrüstigen Violinen überhaupt einmal im Tutti zu vernehmen, fisteln sie im Verbund mit ihren tieferen, knarzenden Geschwistern konsequent an den Bemühungen der spröden Holzbläser vorbei, jeder für sich in seiner eigenen, trostlosen Welt, überkreischt vom durchdringenden Blechschaden der Kollegen aus der letzten Bank. Ich möchte den anwesenden Musikern sicher nicht Talent und Hingabe absprechen, aber wenn ich derart mit der Nase darauf gestoßen werden möchte, mit wie viel Mühe und Schwierigkeiten den Instrumenten ihr Tagewerk abgerungen werden muss, höre ich mir lieber ein Schülerorchester an, da greift zumindest der Welpenschutz.

Glücklicherweise ließ sich der Chor nicht von der instrumentalen Schonkost verunsichern und lieferte zuverlässig und angemessen. Ja warum eigentlich? Es wird sich doch sicher in irgend einem Archiv zwischen zwei verstaubten Deckeln der Hinweis finden lassen, dass die Chöre zu Beethovens Zeit eine ganz andere Artikulation besaßen, Lispeln oder Wiener Idiom wären auch nicht schlecht, klingt doch gleich viel authentischer. Zu den vier Solisten gibt es nicht viel zu sagen, außer dass zumindest Tenor und Bariton für meine Begriffe mehr Durchsetzungsvermögen gut zu Stimme gestanden hätte.

Bleibt noch das Dirigat. Falls Herr Fasolis, wie ich las, tatsächlich mit der Witwe Harnoncourts besprochen hat, wie das Konzert im Sinne des verstorbenen Maestros durchzuführen sei, erscheint mir dies in zweifacher Hinsicht befremdlich. Zum einen erschließt sich mir nicht, wie eine solche Harnoncourt-Simulation funktionieren soll, zum anderen sollte Herr Fasolis als Dirigent doch selbst genug einzubringen haben. Was auch immer ihn an diesem Abend maßgeblich geleitet haben mag, von einer übermäßig inspirierten Lesart der Sinfonie habe ich kaum etwas mitbekommen. Kann man so machen. Nicht mehr, nicht weniger. Der Kopfsatz geht dramatischer, das Scherzo pointierter, das Adagio feinfühliger und nuancierter, das Finale kontrastreicher und beseelter.

Fazit: Kein krönender Abschluß für Aboreihe und Musikfest Hamburg, sondern Beethoven für Erbsenzähler. Sei’s drum – neue Neunte, neues Glück.