28. Februar 2017

Curlew River – Martin Fitzpatrick.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Ebene 13, Reihe 3, Platz 13


Großes Kompliment an Herrn Francis Hüsers für seine ebenso kompetente wie anschauliche Werkseinführung. Kurzportrait des Komponisten, Entstehung und Einordnung des Werks, Hintergründe, angereichert durch die eine oder andere Anekdote, kurz: alles, was das Verständnis für dieses exotische Mischwesen fördert, auf das man eher selten im Bühnen- und Konzertbetrieb trifft.

Irgendwo zwischen Oratorium und weltlichem Musiktheater, zwischen westlich-christlicher Glaubens- und Erlösungsmotivik und der Archaik seiner fernöstlichen Wurzeln, findet sich die Schnittmenge, welche die Kirchenparabel Curlew River bildet. Die wenigen Instrumentalisten und Sänger, die Britten vorsieht, nehmen nur einen winzigen Bereich der Bühne ein – Kammermusik im großen Saal, den mancher ohnehin als verkappte Jumbokammermusikhalle begreift. Das Wichtigste Vorweg: Auch mit solch spärlicher Besetzung lassen sich dem Bau akustische Wonnen entlocken. Gleich mit dem Auftritt der Mönche, die, ähnlich einer Prozession, singend ihren Weg von den Rängen zur Bühne beschreiten, wird das klangliche Potenzial des Spielortes in die Aufführung einbezogen. Schade nur, dass dem erhabenen Fluß dann jähe Unterbrechung widerfährt, als Herr Fitzpatrick vergeblich in die Tasten der kleinen Bühnenorgel greift – kein Strom, kein Ton. Ein paar Momente peinlicher Berührung und ratloser Schaltersuche später, konnte das Mysterium seinen Lauf nehmen.

Wobei sich leider wieder einmal bestätigen sollte, das längst nicht jeder Konzertbesucher für die fein-schwebende, zerbrechliche Musik Brittens gebaut ist. Schon gar nicht, wenn er oder sie – wie man aktuell teilweise brutalstmöglich erdulden muss – ohne nennenswertes Interesse am Programm einfach nur mal zum Elphi-Glotzen vorbeischaut. Da können fast zwei Stunden schräg-dröger Singsang schon mal das arme Spatzenhirn an seine Leistungsgrenze bringen und entlarvende Übersprunghandlungen auslösen. An Fotos – natürlich gern mit Blitz – während der Aufführung hat man sich ja schon fast gewöhnen müssen, die nächste Ausbaustufe wurde dann mit dem visuellen Highlight-Reiz gezündet: Ein Kind betritt die Bühne! Handy raus – Film ab! Welch bemitleidenswerte Konzentrations-Krüppel, die den „besonderen Moment“ nicht ohne elektronisches Hilfsmittel aufzunehmen im Stande sind. In Fällen wie diesen möchte ich den Handy-Eumeln ihre Erinnerungsprothese einmal rektal einführen, um ihnen dort ein paar unvergessliche Schnappschüsse mit auf den Heimweg zu geben. Gewaltfantasien eines Gefrusteten, ganz und gar an der frohmachenden Botschaft des Stückes vorbei.

Überhaupt boten Werk und Umsetzung allen Grund zu Frohlocken. Das Ensemble, allen voran Ian Bostridge mit größtmöglicher stimmlicher Identifikation und Intensität, transportierte das inhaltlich schwere, äußerlich schwebende Sujet ganz im Sinne von Brittens behutsam-soghaften Spannungsaufbaus – eine Musik äußerster Ökonomie der eingesetzten Mittel, die dadurch an ihrem dramaturgischen und musikalischen Kulminationspunkt umso tiefer berührt. Die Madwoman wird durch das Wunder der Erscheinung ihres verstorbenen Sohnes geheilt, wohl dem, der sich in der Lage sieht, dieses nicht ganz zugängliche musikalische Wunder für sich zuzulassen.


Benjamin Britten – Curlew River
Musikalische Leitung und Orgel – Martin Fitzpatrick
Madwoman – Ian Bostridge
Traveller – Marcus Farnsworth
Ferryman – Ashley Riches
Abbot – Jonathan Lemalu

Spirit of the Boy – Solist des Tölzer Knabenchores
Britten Sinfonia
Britten Sinfonia Voices