12. März 2017

Zar und Zimmermann – Gerrit Prießnitz.
Volkstheater Rostock.

15:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 5, Platz 94



Ein gut aufgelegtes Orchester, vorzügliche Sänger, eine ambitionierte Inszenierung, ein stimmiges Bühnenbild, pracht- und liebevoll gestaltete Kostüme – was will man mehr? Ein Stück, das all diese Mühen verdient hat, vielleicht. Das mag hart klingen, doch nun, da ich nach dem Wildschütz in Bad Lauchstädt (Link) mit „Zar und Zimmermann“ das wohl bekannteste Werk aus der Feder Lortzings kennenlernen durfte, kann ich diesen Komponisten getrost zu den Opernenzyklopädie-Akten legen. Für mich ist das nichts.

Nicht meine Vorstellung von Humor, von Dramaturgie, und vor allem nicht von musikalischer Attraktivität. Wäre letztere vorhanden, könnte ich mich ohne Frage viel leichter mit der Seichtheit und Vorhersehbarkeit anfreunden, über die ein Abend heiter-gemütlicher Unterhaltung auch nicht hinausgehen muss. Eine Verwechslungsklamotte braucht keinen philosophischen Über- oder Unterbau, um Menschen zum Lachen zu bringen und für ein paar nette Stunden zu sorgen. Die mehr als zweieinhalb Stunden Zarencharade hätte ich dann aber doch lieber gegen manch bissig-freche Operette eingetauscht, obwohl, oder gerade weil die Qualität der Umsetzung in Rostock so vorzüglich geriet. Wenn unter diesen Voraussetzungen der Funke nicht überspringt, ist Lortzing für mich verloren.

Kommen wir also lieber zur erfreulichen Entdeckung des Tages – Das Rostocker Haus birgt in seiner schmucklosen Hülle bestes Musiktheater. Bis auf Oliver Weidunger, der dem herrlich blasierten Bürgermeister mit spürbarer Spielfreude und wohligem Bass Leben einhaucht, sind alle weiteren großen Rollen mit Ensemblemitgliedern besetzt, die der Sängerriege eine enorme qualitative Geschlossenheit verleihen. Sei es Grzegorz Sobczak als schneidiger Zar, dessen Stimme sowohl über Durchsetzungsvermögen als auch Ausdruck verfügt, der frische, helle Sopran Katharina Kühns oder die beiden grundverschiedenen Tenorrollen – hier der kräftig-ursprüngliche Peter Iwanow (James J. Kee), dort der eher eng und hoch geführte, kantable französische Gesandte (Matthew Peña) – sie alle geben einzeln und im Verbund ein Musterbeispiel für eine typgerechte, stimmige Besetzung ab.

Und auch die Regiearbeit liefert einiges, um der schlichten Handlung Abwechslung einerseits, einen zarten Hauch Tiefgang andererseits abzugewinnen. Eine Fülle an eingestreutem visuellen Schabernack und Running Gags, gern mit einem Hang zum Absurden, sorgen immer wieder für willkommene Irritationsmomente. Dabei hat das Team von der Stofftierkatze mit Augenklappe, an der sich Marie schließlich in einem Wutanfall abreagiert, bis hin zu den Tauchern, welche wiederholt den stilisierten Schiffsbauch der Bühne wie auf der Suche nach versunkenen Schätzen durchwatscheln, tief in die Nonsens-Truhe gegriffen. Ebenso sind die einzelnen Charaktere teilweise köstlich überzogen gestaltet, allein schon wenn man sich die verschiedenen Ausformungen männlichen Balzverhaltens besieht – von denen der virile Highlander-Lord und der windige Gockel-Marquis sicher beide den Vogel abschießen.

Andererseits werden die monologischen Auftritte des Zaren dafür genutzt, dieser Figur über ihre Funktion als Dreh- und Angelpunkt des allgemeinen Identitätsversteckspiels hinaus mehr Tiefe zu geben. Den Modernisten Peter plagen dabei albtraumhafte Visionen, in denen das Abschneiden alter Zöpfe, in diesem Fall Bärte, mit dem gewaltsamen Tod von Menschen einhergeht, die schließlich in Selbstmordfantasien gipfeln. Das Bild des jungen Zaren in Uniform, unter dessen Schlägen der Militärtrommel Namenlose ihre Hinrichtung erfahren, wird in der finalen Szene des Stückes wieder aufgegriffen, wenn sich die Bürger zu Peters Takt in die Riemen legen – Der nette Kumpel-Kaiser bleibt hier letzten Endes wohl doch (auch) Schinder und (Kriegs?-)Treiber.

Bühnenbild und Ausstattung sind mit dem Blick für Details gestaltet, das Gleiche gilt für die aufwändigen Kostüme in historisierendem Lokalkolorit. Verschiedene Lichtinszenierungen sorgen für zusätzliche Abwechslung – ein besonders gelungenes Beispiel: Die Verhörszene, in der die Bühne durch vom Schnürboden herabgelassene Industrieleuchten in schummriges Licht getaucht ist, die Van Bett dann Peter Iwanow jeweils als Verhörlampen ins Gesicht richtet. Weitere visuelle Attraktionen kommen durch die Tanzcompagnie, aber auch durch den Chor ins Spiel, der als Zimmerleute und Gemeindemitglieder mit recht detailversessener individueller Personenregie bedacht wird – die Werft und ganz Saardam lebt.

Fazit: Rostock begeistert, Lortzing enttäuscht. Zum Glück ist der Weg von Hamburg nicht so weit, um diese Qualität noch einmal in etwas Gewichtigeres investiert zu sehen.


Albert Lortzing – Zar und Zimmermann
Musikalische Leitung – Gerrit Prießnitz
Nachdirigat – Hans-Christian Borck
Inszenierung – Anja Nicklich
Ausstattung – Antonia Mautner Markhof
Choreografie – Katja Taranu
Choreinstudierung — Joseph Feigl

Peter der Erste, Zar von Russland – Grzegorz Sobczak
Peter Iwanow, ein junger Russe – James J. Kee
Van Bett – Oliver Weidunger
Marie, die hübsche Nichte – Katharina Kühn
General Lefort, russischer Gesandter – Maciej Idziorek
Lord Syndham – Florian Spiess
Marquis von Chateauneuf – Matthew Peña
Witwe Browe – Rita Lucia Schneider
Offizier – Tim Grambow
Ratsdiener – Marco Geisler / Victor Sudmann
Ein Brautpaar – Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock
Der junge Zar – Anton Keck
Polizisten, Taucher, Ratsdiener – Komparserie

Norddeutsche Philharmonie Rostock
Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock
Opernchor des Volkstheaters Rostock
Komparserie