12. Mai 2017

Steve Reich: Ensemble.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 7, Platz 6



Steve Reich im Gespräch mit Mischa Kreiskott

Steve Reich – Music for 18 Musicians
(Colin Currie Group, Synergy Vocals)



Am Anfang stand heute nicht wie erwartet das Wort, sondern der Rhythmus, genauer gesagt das Stück „Clapping Music“, welches Colin Currie und Steve Reich, nachdem sie schweigend die Bühne betreten hatten, Kraft ihrer klatschenden Hände darboten. Einige Minuten fein synchronisierter Geräuschentwicklung – rhythmische Strukturen als Keimzelle von Musik.

Das folgende Interview mit dem Komponisten zeigte, welch sympathischer, bodenständiger Geselle dieser alte Herr doch ist, der seinen Platz in den Geschichtsbüchern der Musik bereits eingenommen hat. Neben einer gänzlich unakademischen Einführung in seine Arbeitsweise und das Werk des Abends, gab Reich ein Beispiel davon, wie unkompliziert, bescheiden und geerdet man auch als Künstler von Weltgeltung auftreten kann. Dabei war es besonders interessant zu erfahren, dass sich Reich sehr wohl in einer Traditionslinie mit anderen Vertretern der klassischen, westlichen Musikhistorie wie Bach oder Beethoven sieht (so stellte er ein kleines rhythmisches Motiv vor und kommentierte: „This was my »ta ta ta taaa«.“) – ohne sich mit diesen Größen auf eine Stufe zu stellen. Entwaffnend unprätentiös dann auch sein abschließender Tipp auf die Frage, wie man seiner Kunst als Neuling am besten begegnen sollte: „Make sure you use your left ear ... and your right ear.“

Und das Zeug dazwischen am besten auch, möchte ich ergänzen. Denn so einfach die Bausteine dieser Musik sind – einzelne Harmonien, pulsierende Klänge, repetitiv eingesetzte Intervalle oder kurze Motive – ist sie doch weit mehr als ein suggestiv gewobener Ambient-Teppich und gewährt bei entsprechender Konzentration interessante Einblicke in Reichs Werkstatt struktureller Kombinations- und Variationsarbeit. Wobei das Stück mit fortschreitender Dauer durchaus etwas Hypnotisches bekommt. Der Maßstab für Zeit verschwimmt angesichts des stetig fließenden und gleichzeitig in seinen Wiederholungen auf der Stelle oszillierenden Gefüges. Größte Bewunderung auch für die Musiker, die ihr zum Teil gezwungenermaßen stoisch maschinenhaftes, aber keineswegs seelenloses Mitwirken in vorbildlicher Ausdauer und Harmonie vollziehen.

Parallelen zur elektronischen Musik werden offenkundig – Monotonie nicht als Makel, sondern Stilmittel zur Kanalisierung von Atmosphäre. Alles ordnet sich dem Flow unter. Weiterhin ist es verblüffend, wieviel Groove diese streng konzipierte Musik besitzt. Es wippt der Fuß, es nickt das Köpfchen. Und neben dem Stück als solches überzeugt aufs Neue dessen akustischer Transfer an das beschworene Ohrenpaar, diesmal in der elektrisch verstärkten Version mit Lautsprechern und dem damit verbundenen Einsatz der leider ein wenig die Saaloptik verschandelnden, ausfahrbaren Wandpaneele. Wirklich gelungen dabei das Zusammenspiel von Ausgewogenheit des verstärkten Klanges und (suggerierter) Ortbarkeit der einzelnen Musiker, egal ob einzelne Geige, gedoppelte Piano- Pärchen oder die ganz direkt mit dem Mikrophon arbeitenden Sänger, welche ihre Crescendo- und Diminuendo-Effekte allein durch die Veränderung des Abstands zu selbigem werden und vergehen lassen. Mein Lieblingsinstrument des Abends ist aber die Bassklarinette, dem Konzept gemäß ebenfalls im Doppelpack anzutreffen. Pulsierende, tiefe Töne für die jeweilige Dauer eines Atemzuges.

Zum Schlußapplaus bestritt Reich noch einmal die Bühne, bleibt zunächst jedoch am Rand stehen, möchte den frenetischen Applaus ganz seinen Musikern überlassen, bis er schließlich doch inmitten des Ensembles beklatscht wird – so schließt sich der Kreis: vom organisierten zum ritualisierten Geräusch.