23. September 2017

Lady Macbeth von Mzensk – Yoel Gamzou.
Theater Bremen.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 14



"Die Musik hätte ich mir schlimmer vorgestellt ...", resümiert der Herr hinter mir beim Verlassen des Theaters – hach, es geht doch nichts über Aufgeschlossenheit, gepaart mit einem gesunden Maß Masochismus. Wie oft gehe ich nicht selbst mit der wohligen Vorverurteilung in eine Vorstellung, für die ich natürlich ordentlich gelatzt hab, was für eine miese Scheiße mich wohl erwarten wird. Wer grundsätzlich negativ denkt, kann nur positiv überrascht werden – genial! Da ist der arme Abo-Lemming ja noch mal glimpflich davongekommen, mit diesem semi-schlimmen Schostakowitsch. Warum setzt man der treuen Herde auch nur immer wieder solch modernes Teufelszeug vor? Gut, mit seinen 83 Jahren auf dem Buckel eigentlich absolut zielgruppenkonform, der Schinken. Aber was soll´s, solange noch genug Leute im Saal sitzen, für die Musiktheater mehr als Berieselung darstellt. Die Hütte war zumindest richtig voll. Und die Fluchtmöglichkeit zur Pause wurde augenscheinlich kaum in Anspruch genommen – das hätte ich mir schlimmer vorgestellt.

So, jetzt ist es auch mal gut, schließlich stand heute eine der kontrastreichsten, packendsten, aufwühlendsten Opern des 20. Jahrhunderts auf dem Programm. Zudem galt es dem neuen musikalischen Leiter des Theaters Bremen nach dem Abschied des sehr geschätzten Markus Poschner einen ersten Besuch abzustatten. Von Yoel Gamzou hörte ich das erste Mal vor einigen Jahren im Zuge der Berichterstattung über seine Fassung von Mahlers unvollendeter Zehnten – die ich bislang aber noch nicht studiert habe. Nun also Chef in der hanseatischen Nachbarschaft. Sein Dirigat heute würde ich als differenziert bezeichnen, und hatte seine stärksten Momente in besonders einfühlsamen und gerade leisen Passagen. Allein für den hauchzarten und doch spannungsgeladenen Streicherklang nach Katerinas letztem Monolog hätte sich die Anreise schon gelohnt. Die vielen gewaltigen, gewaltsamen Ausbrüche und Steigerungen der Partitur nimmt Gamzou mit ordentlich Schmackes, dennoch wollte sich trotz teils bestialischer Lautstärke im Saal für mein Empfinden nicht immer der erforderliche Druck dahinter entwickeln. Manche Stelle schien mir tatsächlich im Bestreben um Agilität regelrecht überhastet – Geschmackssache. Das teilweise ob der Riesenbesetzung in Proszeniumsnischen ausgelagerte Bremer Orchester präsentierte sich jedenfalls auf gewohnt hohem Niveau.

Ähnliches gilt für das Gesangsensemble, wobei es manchem Sänger angesichts der Klangmassen doch etwas an Durchschlagskraft mangelte. Mit Chris Lysack kann ich auch in dieser Rolle nicht viel anfangen. Nach seinem für mich enttäuschenden Grimes (Link), nehme ich ihm den Macho Sergej, dessen Virilität (der Mann mit dem großen Presslufthammer, schon klar, Herr Petras) ja durchaus eine faszinierende, wenn auch unheilvolle Anziehungskraft auf Katerina ausübt, weder stimmlich noch darstellerisch ab. Seinem Tenor fehlt es an Schmelz einerseits, Autorität andererseits, sein Auftreten ist eher linkisch denn vor Selbstbewusstsein strotzend. Luis Olivares Sandoval als Schäbiger bringt da deutlich mehr street credibility mit – warum singt er eigentlich nicht den Sergej, sein Werther an diesem Hause war mehr als beeindruckend. Von den Herren macht heute Patrick Zielke eindeutig die beste Figur – und dass, obwohl er den abstoßendsten Charakter der Handlung verkörpert. Sein Boris bringt genau die richtige Mischung aus Oligarchen-Terror und unterschwelliger, triebhafter Bedrohung mit sich, ein Unmensch mit mächtigem Organ. Jedoch erst Nadine Lehner in der Titelpartie erhebt diesen Abend – wieder mal – auf schwindelerregendes Intensitätsniveau. Nach der Gouvernante in Brittens Turn of the Screw (Link) und der Charlotte in Gounods Werther (Link) eine weitere Darbietung voll sängerdarstellerischer Hingabe. Die letzten Gedanken der Katerina über das tiefe Wasser des Sees – todtraurig, in ihrer brüchigen Intensität den Atem raubend.

Armin Petras´ Inszenierung siedelt die Geschehnisse in einer Industriestadt in der russischen Einöde an, weitere Aktualisierungsbezüge bestehen in der Verwendung einiger projizierter Zitate der politischen Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa, die als Mitglied der Band Pussy Riot zur Haft im Straflager verurteilt wurde. Alles in allem eine sehr auf Realismus fokussierte Regiearbeit, die den öden Alltag in schmutzig-rauen Bildern (Video des peitschenden Regens, gekachelte Arbeiter- und Waschräume) sowie biederer Enge (Wohnzimmer) beschwört. Vieles funktioniert, manches weniger. Live-Kamera und im Vorwege ausgenommene Szenen, die auf einer die obere Hälfte des Bühnenbildes dominierenden Leinwand eingespielt werden, erweitern den begrenzten Raum der Drehbühnenkompartimente (Hochzeitsvorbereitungen) oder schaffen Momente beklemmender Subjektivität, etwa bei der Bestrafung Sergejs – inmitten der dicht gedrängten, johlenden Meute sehen und hören wir nur den Schäbigen mit einem Wasserschlauch auf ihn einschlagen, das Opfer bleibt außerhalb des Bildkaders, den Blicken verborgen.

Das erste Kräftemessen zwischen Sergej und Katerina verkommt dagegen zur harmlosen Rangelei, das geht eindeutig besser. Die Entsorgung von Boris Leiche in einer Mülltonne ist zwar für einen derben Scherz gut, lässt jedoch den eigentlichen Witz bei der Wiederentdeckung durch den Schäbigen verpuffen, der im abgeschlossenen Keller das Versteck für einen ganz besonders edlen Tropfen vermutet. Die wenigen inhaltlichen Eingriffe eröffnen mir nicht unbedingt einen fundamental neuen Zugang zum Werk, muss ja auch nicht. Die Rolle der Aksinja wurde zu einer Art Leidensgenossin, ja Seelenverwandten (man schließt Blutsschwesternschaft) Katerinas erweitert, die seherische Fähigkeiten zu besitzen scheint, wenn sie beispielsweise im Lager versucht, die Demütigung durch Sergej abzuwenden. Die Figur der Lagerinsassin Sonjetka wiederum ist schon von Anbeginn präsent. Ich weiß allerdings nicht, inwiefern es dem Ganzen hilft, sie bereits hier als Frau zu etablieren, die den Männern für Geld/Gefälligkeiten sexuell zu Diensten ist. Einmal Nutte, immer Nutte – oder was soll mir das sagen? So wirkt der aus existenzieller Not (Tod durch Erfrieren) abgeleitete Pakt mit Sergej im Lager plötzlich seltsam lapidar.

Manches hat sich mir auch einfach gar nicht erschlossen, warum zum Beispiel der Geist des Boris einen Eisblock (?) mit sich herumträgt und ihn an seinen Sohn weiterreicht oder warum dieser einen ganzen Altar für seinen verblichenen Vater installiert. Wofür steht das tanzende Kinderpaar – für das Verhältnis von Mann und Frau an sich? Unschuld? Ganz zum Schluß reißt Katerina ihre Rivalin nicht mit in den Tod – beide fassen sich an den Händen und springen gemeinsam. Ein letztes Plädoyer für die Solidarisierung der unterdrückten Frauenfiguren in diesem Stück?

Fazit: Auch wenn ich nicht mit allem mitgehe, eine zweifellos ausgeklügelte, ambitionierte Produktion, die das Werk nachhallen lässt.


Dmitri Schostakowitsch – Lady Macbeth von Mzensk
Musikalische Leitung – Yoel Gamzou
Regie – Armin Petras
Bühne – Susanne Schuboth
Kostüme – Karoline Bierner
Film – Rebecca Riedel
Chor – Alice Meregaglia
Licht – Norman Plathe-Narr
Dramaturgie – Isabelle Becker
Dramaturgische Beratung – Malte Ubenauf

Katerina Ismailowa – Nadine Lehner
Sergej – Chris Lysack
Boris Timofejewitsch Ismailow / Geist – Patrick Zielke
Sinowi Borissowitsch Ismailow / Lehrer – Alexey Sayapin
Aksinja – Hanna Plaß
Der Schäbige – Luis Olivares Sandoval
Sonjetka – Ulrike Mayer
Pope – Christoph Heinrich
Polizeichef – Loren Lang
Mühlenarbeiter / Polizist – Daniel Ratchev
Tanzende Kinder – Adelina Mazakow, Michael Nuss

Chor des Theater Bremen
Bremer Philharmoniker