31. März 2018

Die Walküre – Axel Kober. Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 8, Platz 255



Nach dem grandiosen Rheingold (Link) nun Teil zwei der Hilsdorf-Tetralogie in Düsseldorf. Das Fazit vorweg: Der Rheinoper-Ring schmiedet sich ebenso stimmig und stark fort, wie er begonnen hat.

Ein Einheitsbühnenbild, das aktweise variiert wird. Hundings Hütte eine Art industrielle Halle – quadratische Fenster, Gitterdecke, die Esche ist eine rechteckige Säule mit Rindenstruktur, in der Nothung als Kleiderhaken für Hundings Mantel dient. Wahrscheinlich hat sich der Hausherr auch an dem Altmetall in seinem Heim abgemüht, um es dann schließlich in dieser Form in den Alltag zu integrieren. Des weiteren komplettieren ein Herd, ein Esstisch etc. das Ambiente, nach rechts führt eine Tür ins Séparée. Zwei auffällig zentral postierte Waffenkisten wecken Interesse – Siegmund sucht gleich mal vergeblich die verheißene Waffe darin. Eine Tür im Hintergrund wird für Schlüsselszenen genutzt, etwa beim Mondschein, der von dort hineinflutet oder bei Frickas dramatischem Auftritt im 2. Akt.

In selbigem scheint sich die Bühne insbesondere durch höhere Fenster zu unterscheiden, zudem säbelt ein (zu diesem Zeitpunkt noch zu dechiffrierendes) Rotorblatt die (Welt-)Esche bedeutungsschwer darnieder und schafft die Verbindung zum dritten Akt. Dort liegt – eine Anspielung auf Coppolas Verwendung des Walkürenritts in Apocalypse Now – ein havarierter Bell-Helikopter inmitten der Szenerie, die eine Mischung aus Walkürenfelsen und Walhall-Einblick gewährt: An einer Bar sorgen die Schildjungfern für das Wohl diverser gefallener Krieger (hier ganz und gar unheldisch als träge, bleiche Zombies dargestellt), wobei neben dem Ausschank von Met durchaus noch weitere sinnliche Freuden im Jenseits winken, wie die reizvolle Bekleidung der Damen unter ihren Militärmänteln vermuten lässt.

Wie schon im Rheingold wartet die Inszenierung neben einer stets inspirierten und plausiblen Personenregie, welche aus Sagengestalten Menschen macht, mit einer Vielzahl intelligenter Einfälle auf, die allesamt Ausdruck einer tiefen, ernsthaften Beschäftigung des Teams mit dem Stoff sind. So ist Hunding durch seinem Karabiner von vornherein Siegmund mit Schwert überlegen – das Eingreifen Wotans gegen den Willen seiner Frau wird dadurch aus seiner Sicht noch einmal dringlicher. Siegmund nippt erst zögerlich vom Trank Sieglindes, schließlich befand er sich ja gerade eben noch auf der Flucht vor Feinden (Interessant übrigens, dass sich das Paar – wie ein nicht minder bekanntes anderes bei Wagner – ebenfalls bei einem lauschigen Getränk näher kommt). Schließlich tauschen Siegmund und Sieglinde gar die Kleider – ein starkes Symbol für die Tatsache ihrer bewusst wahrgenommenen (auch geschwisterlichen) Einheit, welche sie ja nicht von der körperlichen Vereinigung abhält. Generell muss wieder lobend erwähnt werden, wie einstiegsfreundlich die Regiearbeit doch ist, alle elementaren Hinweise werden ausinszeniert, ungeachtet aller Interpretation bzw. Kommentierung des Stoffes ist die Handlung glasklar aufgezeigt.

Der 2. Akt ist bezüglich der Personenregie besonders interessant. Die „Schachfiguren“ (Siegmund, Sieglinde, Hunding) sind in der Halle der Götter zugegen, reagieren auf das Gesagte. Hunding sucht quasi an Frickas Rockzipfel Sühne, Siegmund reagiert fassungslos auf die Kunde, dass Wotan Wälse und somit sein Vater ist usw.. Dabei sind selbst die Kostüme nah am Text gearbeitet – es laufen schließlich Kriegsvorbereitungen (Alberich/Wotan), Wotan entsprechend in Uniform mit Feldmantel, Siegmund durch den Mantel sein Abbild („Ich knete mir nur Knechte“), passend dazu die Walküren-Outfits: Blutrotes Abendkleid mit stilisierten Harnisch-Elementen plus Feldmantel darüber. Die arme Fricka hat über die Machenschaften ihres Gatten bereits graue Haare bekommen, ist jedoch davon unbeeindruckt die bestimmende Macht des Aktes. Toll, wie gerade dieser extrem textlastige Teil des Werkes durch das famose Spiel der Darsteller wie im Fluge vergeht – kein Konversationsstück, sondern wahres (Beziehungs-)Drama.

Der sturmumtoste Walkürenfelsen wird durch ein Lichtgewitter des omnipräsenten Bühnenrahmens illuminiert, der sich als Konstante durch den Hilsdorf-Ring zu ziehen scheint. Der Abschied zwischen Wotan und Brünnhilde verfehlt auch heute nicht seine rührende Wirkung, projizierter Feuerzauber inklusive.

Beim Dirigat Kobers fällt sofort eingangs und dann immer wieder im Verlauf die flotte Gangart auf, dabei allerdings nicht zu lärmig bei den dynamischen Höhepunkten, sehr differenziert. Das Orchester vielleicht nicht immer perfekt aber klangschön. Akustisch fand ich den Rangplatz intensiver, was angesichts der Platzierung fast schon über dem Orchestergraben kein Wunder ist.

Zu den Sängern: Corby Welch als Siegmund ohne das letzte Quäntchen Schmelz (Winterstürme), aber definitiv der Partie gewachsen im Wechselspiel von Lyrik und Kraft (Nothung!). Elisabeth Strid eine sehr überzeugende Sieglinde – eine schöne Stimme. Linda Watson: eine sichere Bank als Brünnhilde, krass auch der Unterschied zu den übrigen Walküren, dennoch bin ich tonträgertechnisch latent verdorben. Simon Neal mit Top-Organ und Autorität. Einfach auch ein guter Darsteller – stimmlich und agierend, die ganze Tragik der Rolle ausfüllend: der Weltenlenker als armes Würstchen. Sami Luttinen als Hunding gut aber nicht kolossal, Frau Morloc eine respekteinflößende Göttergattin.

So kann es weitergehen!


Richard Wagner – Die Walküre
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Bernhard F. Loges
Spielleitung – Dorian Dreher

Siegmund – Corby Welch
Hunding – Sami Luttinen
Wotan – Simon Neal
Sieglinde – Elisabet Strid
Brünnhilde – Linda Watson
Fricka – Renée Morloc
Helmwiege – Josefine Weber
Gerhilde – Jessica Stavros
Ortlinde – Katja Levin
Waltraute – Katarzyna Kuncio
Siegrune – Zuzana Šveda
Rossweisse – Maria Hilmes
Grimgerde – Katharina von Bülow
Schwertleite – Evelyn Krahe

Düsseldorfer Symphoniker

28. März 2018

Armenian State Symphony Orchestra – Sergey Smbatyan.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 4, Platz 9


Eduard Hayrapetyan – Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 4
(Narek Haknazaryan)
Zugabe: Katalanisches Lied „Bird Song“

(Pause)

Aram Chatchaturjan – Sinfonie Nr. 2
Zugaben:
Aram Chatchaturjan – Walzer aus „Maskerade“
Aram Chatchaturjan – Säbeltanz aus „Gayaneh“



Chatjaturjans – oder Khatchaturians, wie ich vor der Wikipedia-Konsultation immer dachte – zweite Sinfonie habe ich durch eine Aufnahme der Wiener Philharmoniker aus den 60ern kennengelernt, bei der der Komponist selbst den Taktstock führt. Der martialische Beginn wird auf dieser CD noch verstärkt, da die Glockenschläge aufgrund überforderter Mikrofonie die Lautsprecher jedesmal zum Klirren bringen. Der alarmartige Start der Sinfonie, die gleich aus dem Stand den dynamischen Vollausschlag vollzieht, hat die Tontechniker seinerzeit wohl doch kalt erwischt. Die heute erlebte Expositions-Explosion fällt unter Live-Bedingungen akustisch vollendet, dabei keineswegs weniger aufrüttelnd aus und markiert den beglockten Startschuss zu einer knappen Stunde Sinfonik höchster Meisterschaft in mustergültiger Darbietung.

Das armenische Staatsorchester – vor nicht allzu langer Zeit dem Status als Jugendorchester entschlüpft – erweist sich als Spitzenklangkörper, der unter der Leitung seines Gründer zu Höchstem gewillt und befähigt ist. Sergey Smbatyans Interpretation weicht in diversen Punkten von jener Chatchaturjans ab – aber keinesfalls zum Schlechteren. Gleich zu Anfang gibt es dafür ein besonders anschauliches Beispiel: Im Kopfsatz nimmt er das markante, folkloristisch anmutende Thema, welches auftritt, nachdem sich das erste Beben beruhigt hat, deutlich schneller als der Komponist selbst, erzielt damit aber einen zwingenderen Übergang zur darauf folgenden Hatz, die Holzbläser-Glissandi einleiten, welche Smbatyan ebenfalls viel schneller und energischer in die Höhe schnellen lässt. Vereinfacht könnte man festhalten, dass die Tempokontraste bei Smbatyan um einiges schärfer ausfallen, generell ist seine Lesart geprägt von Verve und Feuer. Dies kommt gerade den stark rhythmisch geprägten Passagen der Sinfonie zugute, in denen die Armenier sich unter seiner Stabführung teilweiße regelrecht in einen Rausch wirbeln – ohne es dabei an Präzision vermissen zu lassen, wohlgemerkt. Virtuosität im Dienste tänzerischen Taumels.

Aber es sind nicht allein die wieselflinken Haken, die Chatchaturjans Musik live naturgemäß besonders beeindruckend schlägt, welche meine tiefe Verehrung für dieses Werk begründen – da wären zuvorderst noch sein melodischer wie harmonischer Reichtum und die ganze, makellose, satzübergreifende Konzeption zu nennen. Vom wuchtig-grimmigen Kopfsatz, über das atemlos wuselige Allegro (grandios hier der Einsatz des Klaviers) zum gravitätischen Zentrum des Ganzen, dem sich bis ins Monumentale windenden Trauermarsch des berührenden Andante, um mit einem erschütternden Finale zu schließen, dessen Ambivalenz und nachdenklichen Ausklang nur der oberflächlichste Zuhörer mit regimetreuem Jubel oder gar einer Apotheose verwechseln kann. Diese Sinfonie steht ihnen Schwestern von Schostakowitsch und Prokofjew um keinen Deut nach – nur dass sich das leider in den Spielplänen nicht niederschlägt. Die gewählten Zugaben, Chatchaturjans Walzer aus „Maskerade“ und der offenbar unvermeidliche Säbeltanz hingegen reduzieren diesen großartigen Komponisten auf das gefällig Populäre, dabei gibt es noch so viel Spannenderes von ihm zu entdecken. Bezeichnend, dass der Säbeltanz dann auch das am schwächsten vorgetragene Stück des Konzerts war. Bei dem angeschlagenen, aberwitzigen Tempo überschlug man sich fast, zum ersten und einzigen Mal zeigte die Integrität des Klangkörpers kurz Risse und lief Gefahr, unter die eigenen Hufe zu geraten.

Mit ungleich feinerem Florett wurde da die Uraufführung des Cellokonzertes vor der Pause ausgefochten. Das Werk Hayrapetyans, dem Solisten laut Einführung als komponierte Charakterstudie auf dem Leib geschneidert, war aufgrund seiner komplexen Struktur innerhalb der einsätzigen Form vielleicht nicht sofort fasslich, erlag jedoch ebenso nicht der Gefahr, das Publikum mit einem Folklorekompott à la Armenien abzuspeisen, sondern vielmehr ernste, tiefsinnige Musik zu vermitteln. „Schwerpunkt Kaukasus“ ist das aktuelle Festival überschrieben, wie schön, dass sich offenkundig mehr als Völkerschau-Allüren dahinter verbergen. Wie passend geriet da die Zugabe Haknazaryans: ein Volkslied, das dem Idiom nach armenischer nicht sein könnte – und aus Katalonien stammt.

24. März 2018

Bayerisches Staatsorchester – Kirill Petrenko.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4


Johannes Brahms – Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102

Zugabe: Johan Halvorsen – Passacaglia für Violine und Violoncello (im Original Viola) über ein Thema von Georg Friedrich Händel

(Julia Fischer – Violone, Daniel Müller-Schott – Violoncello)

(Pause)

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky – „Manfred“-Sinfonie in vier Bildern h-Moll op. 58



Das Leben ist nicht immer fair – Hamburg hat die Elphi, München drei Weltklasseorchester. Nun müssen sich die im famosen Nationaltheater beheimateten Damen und Herren des Bayerischen Staatsorchester sicher nicht über häusliche Unzulänglichkeiten beklagen, wie ihre Münchner Kollegen, die in der Schatulle Herkulessaal oder im akustischen schwarzen Loch Gasteig ihre Heimspiele austragen. Dennoch wird man auch als Opernorchester die Vorzüge (und Herausforderungen) eines Saales auf der Höhe der Technik, wie er aktuell in der Bayerischen Hauptstadt erst in Absichtserklärungen und Plänen vorliegt, bei seiner Tourneeplanung berücksichtigt haben. Und die eigene Neugierde wahrscheinlich auch.

Aber was auch immer Herrn Petrenko und sein Orchester dazu bewogen haben mag, auf dem Weg gen Carnegie Hall einen Zwischenstopp in Hamburg einzulegen, ich bin ihnen dafür zutiefst dankbar. Höchste Qualität in jeder Beziehung wurde geboten. Wurde der Energietransfer des mit überbordender Vitalität und Kraft präsentierten Brahms-Doppelkonzertes nicht zuletzt von dem Traumsolistenpaar Fischer/Müller-Schott garantiert, deren langjährige musikalische wie freundschaftliche Verbundenheit in einem Maximum an Symbiose und auf blindem Vertrauen fußenden Powerplay resultiert, durchwirkt Petrenkos hochemotionale Lesart die Gesamtwirkung dieses Meisterwerkes ganz entscheidend.

Und spätestens im sinfonischen Seelengemälde nach der Pause offenbart sich der unbändige Gestaltungswille sowie die geniale Umsetzungsfähigkeit des abseits des Pultes so ruhig, fast schüchtern wirkenden Russen. Sein Rheingold in Bayreuth hat mich schwer beeindruckt, seine Frau ohne Schatten in München schier weggepustet, und auch heute zeigt sich wieder kristallklar, wieso dieser Mann für die höchsten Aufgaben bestimmt ist und man sich in Berlin schon jetzt kaputtfreuen darf. Auf der anderen Seite ist es für mich derzeit unvorstellbar, dass sein Posten am Münchner Nationaltheater dann tatsächlich ein Ende finden könnte – solch eine perfekte Verbindung darf man doch um Himmels Willen nicht lösen.

Dieser Mann dirigiert wahrlich mit dem Herzen, das sieht man und – viel wichtiger – das hört man. Wie sich sein verzücktes Lächeln auf den Ausdruck der Streicher auswirkt, wie er mit einem kurzen, harten Schnaufer das letzte Quäntchen Wucht aus den Fortissimo-Passagen herauskitzelt – dabei ist sein Dirigat selbst unglaublich organisch, ein einziger harmonischer Fluß, den zu betrachten allein schon ein Erlebnis darstellt. Präzise Technik verbunden mit beinahe erzählerischer Qualität im Mimisch-Gestischen. Kein affiges Getue, sondern gelebte Musik. Dass er seine Ideen dazu mit solch einem Traumklangkörper umsetzen darf, macht natürlich das berauschende Ergebnis erst möglich. Ich werde mir diesen Rausch auch in Zukunft bei Herrn Petrenko abholen, ob in Berlin, in München, oder bei einer hoffentlich baldigen Wiederauflage dieses umwerfenden Gastspiels.

Nachtrag zu Tschaikowsky: auch wenn ich sicher nicht der erste bin, dem dies auffällt, waren die Parallelen zwischen Tschaikowskys Werk und dem ebenfalls Byron-affinen Berlioz, insbesondere natürlich zu dessen Symphonie Fantastique, für mich als Erst-Live-Hörer verblüffend. Angefangen bei dem in jedem Satz wiederkehrenden Leitmotiv (vgl. idée fixe bei Berlioz) bis hin zu Setting-Überschneidungen, die wiederum Ausdrucks-, sogar Intstrumentations-Déjà-vus beinhalten (z.B. Pastorale 3. Satz – 3. Satz bei Berlioz: Szene auf dem Lande oder orgiastisches Bacchanal 4. Satz / Hexensabbat-Finale bei Berlioz). Nicht, dass das die Wirkung des Stückes schmälern würde, eher interessant, wie sehr Tschaikowsky nach Berlioz klingen kann, wenn er Programmmusik schreibt (verblüffend: hier der 2. Satz mit der glitzernden Alpenfee-Welt, dort Berlioz’ Queen Mab aus „Romeo und Julia“), ist mir in den Balletten oder ähnlichem aus seiner Feder bislang nie aufgefallen. Musik als Entdeckungsreise – das liebe ich.

22. März 2018

NDR Elbphilharmonie Orchester – Krzysztof Urbański.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Wojciech Kilar – Orawa für Streichorchester
Sergej Prokofjew – Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
(Frank Peter Zimmermann – Violine)

(Pause)

Antonín Dvořák – Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70


Das letzte Konzert des NDR-Abos D, heute eher eines der Sorte für den kleinen Musikhunger zwischendurch. Nicht besonders lang das Programm, nicht besonders nachhaltig die Wirkung. Der Kilar mit einem eingängigen Streicherstückchen zwischen Minimal Music-Repetitionen und Balanescu Quartett-Feeling. Da fand ich die vor etwa einem Jahr ebenfalls durch Urbański und den NDR präsentierte sinfonische Dichtung aus der Feder des von mir für seinen Dracula-Soundtrack verehrten Polen deutlich spannender.

Spannung ist auch das Stichwort für das Violinkonzert, bzw. das Fehlen derselben bei der Interpretation durch Solist und Orchester. Was schrieb ich noch nach der Erstanhörung des Werkes im September (Link) an gleicher Stelle? Nervös-expressiv? Schroff? Heute eher eine geleckte, gediegene Angelegenheit. Nachträglich gebührt umso mehr Respekt Salonen und seinen Philharmonia-Kollegen – und es ist schlicht verstörend, was Pekka Kuusisto ganz im Gegensatz zum eigentlich geschätzten Frank Peter Zimmermann an Funken und Feuer aus der Partitur geschlagen hat. So habe ich das Konzert heute kaum wiedererkannt – die „schönen Stellen“, Vorboten des „Romantikers“ Prokofjew, fielen wieder auf, aber das ganze Gerüst darum blieb unwirklich blass.

Womit die nächste unrühmliche Überleitung geschaffen wäre, um die Präsentation des erhofften Highlights des Programms, des sinfonischen Energiebündels von Dvořák, traurig-treffend zu charakterisieren. Eignet sich die siebte Sinfonie wie kaum ein anderes „traditionelles“ Werk dazu, rhythmischen Furor zu entfesseln, war davon heute wenig zu spüren. Der laschen, harmlosen Lesart Urbańskis möchte ich nur ein Wort entgegenstellen: Kubelik. Einfach mal reinhören und vergleichen – ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Überhaupt Urbański: Der erste Gastdirigent des NDR mag auf den ersten Blick wie der Prototyp des jungen, dynamischen Pultlöwen erscheinen, bemisst man allerdings seine Wirkung abzüglich des seltsam affektierten, ja bisweilen unangenehm theatralischen Auftretens, bleibt nicht viel mehr als ein stylischer Bettvorleger übrig. Den Taktstock wie eine Peitsche über die Schulter ausholend geschlagen, eine Feldherrengeste hier, ein süßliches Schwelgen da – angesichts des mangelnden Effektes auf die Gestaltung einfach unerträglich. Einfachste Tempokontrastpotenziale werden verschenkt, von der harmlosen Artikulation ganz zu schweigen. Dvořák zum Abgewöhnen. Das Gros des Publikums ist dennoch begeistert und bejubelt den feschen Dirigenten und das Hausorchester – man ist genügsam im NDR-Fanclub.

Mein Abo-Fazit: Vier Konzerte, die den weiten Weg des Ensembles zur postulierten Weltspitze schonungslos offenlegen. Das Trockenobst Hengelbrock kapitulierte, die dirigierende Reiswaffel Gilbert steht in den Startlöchern, flankiert vom 1. Gastposterboy. Mir bleibt nur auf interessante Gastdirigenten zu hoffen und auf ein Entwicklungswunder – wo und durch wen das auch immer herkommen soll. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

11. März 2018

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks –
Bernard Haitink. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich N, Reihe 4, Platz 28 


Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem 
(Camilla Tilling – Sopran, Hanno Müller-Brachmann – Bassbariton, Chor des Bayerischen Rundfunks) 


Während der ewig jugendliche Mitneunziger Herbert Blomstedt schon immer zu meinen ausgesprochenen Lieblingsdirigenten zählt, die ich gern in meinem CD-Player sowie auch in Person zu Gast habe und oder besuche – so letztmalig 2017 in Berlin (Link) – hat sein an Jahren und Ruhm fast bzw. mindestens ebenbürtiger Kollege aus den Niederlanden kaum eine Rolle in meiner Interpretengalerie gespielt. Zwar hatte ich immer mal wieder in die ein oder andere Haitink-Aufnahme reingehört, allerdings ohne dass dabei ein zwingendes Verlangen aufgekommen wäre, sich eingehender mit diesem Dirigenten zu beschäftigen, geschweige denn gezielt Konzerte mit ihm aufzusuchen – bis heute.

Ein Gastspiel mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist stets einen Besuch wert – mit seinem Chef Mariss Jansons ein Pflichttermin – da kann man ruhig mal probieren, wie sich der bekannte unbekannte Maestro mit diesem Deluxeorchester schlägt. Und was soll ich sagen, entweder habe ich tatsächlich zumindest live eine große Dirigentenkarriere verpennt oder es hat heute einfach alles in Kombination mit Brahms und den Bayern gepasst. In jedem Fall im Ergebnis ein „Deutsches Requiem“, das unter die Haut ging. Gleich der Beginn mit unglaublich zart einsetzendem Chor ein Gänsehautmoment. Die Ausbrüche des zweiten Satzes habe ich bezogen auf die Dynamik live noch nie so differenziert gestaffelt erlebt – sicher auch begünstigt durch die atemberaubende Transparenz der Saalakustik, aber in ihrem energischen Gestus eben alles andere als eine Altherrenangelegenheit.

Besonders interessant wurde es für mich aber ab dem dritten Satz, denn gegenüber einem von mir gewöhnlich wahrgenommenen Spannungsabfall präsentierte sich das Werk unter Haitinks Leitung geschlossen und qualitativ homogen wie noch nie. Keine „schönen Stellen“ hier und dort, sondern ein zwingender Spannungsbogen bis zum Schluss. Umso verblüffender, da das Requiem in seiner Gesamtheit eigentlich nicht zu meinen Favoriten gehört. Und zudem verwunderlich, da mich die beiden Solisten nicht restlos überzeugten, was Timbre und Ausdruck betrifft. Makellos hingegen die Leistung des Chores – der Bayerische Rundfunk setzt auch hier Maßstäbe.

Fazit: ich bin heilfroh, diese Gelegenheit ergriffen zu haben – besser spät als nie.

6. März 2018

Klavierabend – Grigory Sokolov.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, 1. Rang rechts, Loge 3, Reihe 1, Platz 1


Joseph Haydn – Klaviersonate (Divertimento) Nr. 32
op. 53 Nr. 4 in g-Moll Hob. XVI:44
Joseph Haydn – Klaviersonate (Divertimento) Nr. 47
op. 14 Nr. 6 in h-Moll Hob. XVI:32
Joseph Haydn – Klaviersonate Nr. 49
op. 30 Nr. 2 in cis-Moll Hob. XVI:36

(Pause)

Franz Schubert – Vier Impromptus für Klavier D 935 – op. 142 (posth.)
6 Zugaben


Mein absoluter Lieblingspianist macht es heute besonders spannend. Die Website des Veranstalters schweigt sich noch eine Stunde vor dem Konzert über das Programm aus – „... wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben ...“ kennt man schon, heute lüftet sich das Geheimnis erst im Eingangsfoyer der Laeiszhalle: Haydn und Schubert, so so. Wobei es ja keine wirkliche Rolle spielt, was Herr Sokolov zu spielen gewillt ist. Die Vorzüge des Klavierliteratur-Laien hatte ich bereits bei einem seiner vorangehenden Gastspiele gepriesen, obwohl persönliche Präferenzen auch in diesem Metier nicht von der Hand zu weisen sind. Sollte man zumindest meinen. Joseph Haydn steht bei mir zwar generell höher im Kurs als der Branchenliebling aus Salzburg, kommt bei der musikalischen Selbstverpflegung aber ebenfalls kaum zur Anwendung. Umso verblüffender, wie viel mir die drei Sonaten – in der unnachahmlichen Fürsprache durch den Solisten – gesagt haben, wie leicht der Zugang zu ihnen heute gelang.

Bei Weltklassepianisten gibt es immer wieder diese Momente, in denen das Unerhörte aufblitzt, das sprachlos Machende, das ihr Klavierspiel von dem anderer hervorragender Vertreter ihres Fachs unterscheidet. Bei Sokolov herrscht dieser Moment vom ersten bis zum letzten Tastendruck. Heute traten all die bereits in anderen Konzerten vielgepriesenen Vorzüge noch einmal mit Macht in Erscheinung. Die zum Greifen spürbare Anspannung und Konzentration, welche ein enorm fokussiertes, intensives Erleben erzwingt. Der beispiellose Facettenreichtum in Bezug auf Dynamik, Artikulation, diese wahnwitzige Bandbreite des Anschlags. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der er einen Fluß aus Läufen oder Trillern hingießt. Und nicht zuletzt die Überzeugungskraft seiner Interpretation, die auch bei der ersten Begegnung eine beispiellose Vertrautheit aus den Werken abstrahlen lässt.

Während beim Haydn noch das Staunen über diese unerwartet „clevere“ Musik überwog, gelang es Sokolov mit den Schubert-Stücken die tiefsten Tiefen in Musik gegossener menschlicher Empfindung auszuloten – erschütternd ist eine schwache Umschreibung. Die abschließenden sechs Zugaben – eine Mischung aus fast schon obligatorisch verwendeten und neu aufgenommenen Stücken – bilden für sich genommen den Kosmos dieses großen Künstlers ab: Perfektion, Anmut, Ernsthaftigkeit, Ekstase.

1. März 2018

Winterreisen – Goerne / Hinterhäuser /
Kentridge. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 3, Platz 6



Franz Schubert – Winterreise D 911

Matthias Goerne – Bariton
Markus Hinterhäuser – Klavier
William Kentridge – Visualisierung, Regie
Sabine Theunissen – Bühne
Greta Goiris – Kostüme
Hermann Sorgeloos – Licht
Snezana Marovic – Videomontage
Kim Gunning – Videoprojektion


Matthias Goerne. Das erste Mal, dass ich auf diesen Ausnahmekünstler aufmerksam wurde, ist jetzt auch schon 15 Jahre her – auf der Einspielung der Wunderlieder Mahlers mit dem Concertgebouw Orchester unter Chailly definierte er seinerzeit (und bis heute) für mich, was einen Sänger von einem stimmlichen Charakterdarsteller unterscheidet. Dieser Facettenreichtum, diese verinnerlichte Außenwerdung der Worte in Gesang, der ganz gemäß dem Mahler’schen Postulat mehr transportiert, als es die Noten vermögen. Und wie anders als der so gerühmte Thomas Hampson, das Dandy gewordene Manifest des parfümierten Schöngesangs. Ich liebe schöne Stimmen, aber Schönheit ohne Tiefe ist oftmals frustrierender als jeder schiefe Ton.

Bei Herrn Goerne sind nun alle Vorzüge, die ein Bariton für die Gattung Lied mitbringen kann, auf das Vollkommenste vereint. Eine profunde, sonore Tiefe, die Autorität wie Wärme zu vermitteln im Stände ist, kombiniert mit einer Höhe, die immer wieder so zart, ja verletzlich, scheu und rein klingt, als spotte sie der allgemeinen Musiktradition, die Engel gern mit Sopranen oder Knabenstimmen besetzt. Eine bis ins Nuancierteste aussteuernde Phrasierungskultur und -Intelligenz liefert im Zusammenspiel mit einer Flexibilität, wie sie bei einer Stimme dieses Volumens selten ist, das permanente Potenzial, höchste Erwartungen noch zu übertreffen.

Wenn dann noch mit Schuberts Winterreise einer der berührendsten Liederzyklen überhaupt gegeben wird, könnte fast unter den Tisch fallen, dass mit William Kentridges visueller Begleitung heute ebenfalls die Arbeit eines bildenden Künstlers auf dem Programm steht, den ich seinerzeit seit langem verehre. Fernsehdokumentationen, Ausstellungen in Hamburg, Berlin und bei der Documenta sowie nicht zuletzt seine „Drawing Lessons“ im Hamburger Schauspielhaus mit der krönenden, abendfüllenden Oper „Refuse The Hour“ (Link) haben mich Kentridge, seinen individuellen Stil und Themenhorizont lieben gelernt.

Seine Umsetzung – größtenteils präexistente, neu arrangierte Segmente aus seinem filmischen Schaffen, die auf die Bühne projiziert werden – ist aufgrund ihrer kontextuellen Neuanbindung zwar weitgehend abstrakt, liefert jedoch einen wahren Fluß aus frei assoziierten Illustrationen der Lieder und ihrer Texte, der ganz ohne allzu konkrete Verbildlichungen eine ungeheuer stimmige Atmosphäre schafft. So geben die umherwirbelnden schwarzen Papierschnipsel, aus denen Kentridge gern wechselnde Schattenrisse werden und vergehen lässt, dem Wind der „Wetterfahne“ ein Gesicht, die stetig abrollenden Stanzlöcher der Rolle eines mechanischen Klaviers werden zu den fallenden „gefror’nen Thränen“. In seltenen Fällen gibt es auch deutliche Parallelmontagen, etwa mit dem animierten Vogel und seinem Flügelschlag zu „Die Krähe“. In wenigen Momenten interagiert der Sänger selbst deutlich mit den Filmsequenzen, beispielsweise wenn er sich unter eine Dusche stellt, indem er in den Lichtkegel des Projektors tritt.

Alles in allem gewinnt Kentridge dem Zyklus mit seiner Arbeit eine auch visuell äußerst stimulierende Ebene ab, die weit über das dekorative Element hinausgeht, seinerseits den Sog der eisigen Wanderung beschwört, die Gesamterfahrung intensiviert. Ich hoffe auf weitere Projekte dieser Art.