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11. Oktober 2023

Orgel pur. Iveta Apkalna, Benjamin Appl,
Martynas Levickis. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8




Claudio Monteverdi – Domine, ad adiuvandum me festina
(Bearbeitung für Bariton, Akkordeon und Orgel)
Tu se’ morta, mia vita, aus: L’Orfeo
(Bearbeitung für Bariton und Akkordeon)

Arne Nordheim – Flashing

Philip Glass  Etüde Nr. 6

John Dowland – Flow, My Tears F II/6
(Bearbeitung für Bariton und Akkordeon)

Antonín Dvořák – Wolken und Dunkel ist um ihn her,
aus: Biblische Lieder op. 99
Der Herr ist mein Hirte, aus: Biblische Lieder op. 99

Johann Sebastian Bach – Ich habe genug, Arie aus: Ich habe genug BWV 82
(Bearbeitung für Bariton und Orgel)

(Pause)

Franz Schubert – Der Tod und das Mädchen D 531
(Bearbeitung für Bariton, Akkordeon und Orgel)

Lionel Rogg – La femme et le dragon
aus: Deux visions de l’apocalypse

Veli Kujala
Photon für Orgel und Akkordeon

Anonymus
Im schönen Wiesengrunde / aus: Russische Lieder und Tänze

Alfreds Kalninš
Liedertag / Volkslied aus Lettland

Friedrich Glück – In einem kühlen Grunde op. 60/3

Jazeps Vitols – Bikeris mironu sala, op. 34/3 / Volkslied aus Lettland

Johann Abraham Peter Schulz / Max Reger – Der Mond ist aufgegangen

Anonymus – Stok ant akmenėlio / Volkslied aus Litauen
Teka Saulė / Volkslied aus Litauen

(Benjamin Appl – Bariton, Martynas Levickis – Akkordeon, Iveta Apkalna – Orgel)



Auch wenn der Titel der Aboreihe "Orgel pur" diesmal nicht so recht passte, gab es heute sicher keinen Grund für Beschwerden – wurde er doch von gleich drei hervorragenden Solisten gestaltet: Zu Frau Apkalna, wie gewohnt als Beherrscherin der Königin der Instrumente, gesellten sich Herr Levickis mit seiner handlichen Ausgabe eines luftbefeuerten Tasteninstruments und der Bariton Benjamin Appl, über den mir erst kürzlich nur das Beste zugetragen wurde. Das Dreigestirn gestaltete dann auch einen vielschichtigen, gleichsam abwechslungsreichen wie anregenden Konzertabend, dem mit der gebotenen Innigkeit zu folgen leider nicht jedem Elphi-Besucher vergönnt war – schon verblüffend, wenn es nicht mal nach der ausdrücklichen Bitte des Sängers, man möge die abschließende Liedabfolge nicht durch Applaus unterbrechen, für diverse schlichte Gemüter einfach nicht machbar war, ihren Klatschjuckreiz unter Kontrolle zu halten. 

22. März 2018

NDR Elbphilharmonie Orchester – Krzysztof Urbański.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Wojciech Kilar – Orawa für Streichorchester
Sergej Prokofjew – Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
(Frank Peter Zimmermann – Violine)

(Pause)

Antonín Dvořák – Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70


Das letzte Konzert des NDR-Abos D, heute eher eines der Sorte für den kleinen Musikhunger zwischendurch. Nicht besonders lang das Programm, nicht besonders nachhaltig die Wirkung. Der Kilar mit einem eingängigen Streicherstückchen zwischen Minimal Music-Repetitionen und Balanescu Quartett-Feeling. Da fand ich die vor etwa einem Jahr ebenfalls durch Urbański und den NDR präsentierte sinfonische Dichtung aus der Feder des von mir für seinen Dracula-Soundtrack verehrten Polen deutlich spannender.

Spannung ist auch das Stichwort für das Violinkonzert, bzw. das Fehlen derselben bei der Interpretation durch Solist und Orchester. Was schrieb ich noch nach der Erstanhörung des Werkes im September (Link) an gleicher Stelle? Nervös-expressiv? Schroff? Heute eher eine geleckte, gediegene Angelegenheit. Nachträglich gebührt umso mehr Respekt Salonen und seinen Philharmonia-Kollegen – und es ist schlicht verstörend, was Pekka Kuusisto ganz im Gegensatz zum eigentlich geschätzten Frank Peter Zimmermann an Funken und Feuer aus der Partitur geschlagen hat. So habe ich das Konzert heute kaum wiedererkannt – die „schönen Stellen“, Vorboten des „Romantikers“ Prokofjew, fielen wieder auf, aber das ganze Gerüst darum blieb unwirklich blass.

Womit die nächste unrühmliche Überleitung geschaffen wäre, um die Präsentation des erhofften Highlights des Programms, des sinfonischen Energiebündels von Dvořák, traurig-treffend zu charakterisieren. Eignet sich die siebte Sinfonie wie kaum ein anderes „traditionelles“ Werk dazu, rhythmischen Furor zu entfesseln, war davon heute wenig zu spüren. Der laschen, harmlosen Lesart Urbańskis möchte ich nur ein Wort entgegenstellen: Kubelik. Einfach mal reinhören und vergleichen – ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Überhaupt Urbański: Der erste Gastdirigent des NDR mag auf den ersten Blick wie der Prototyp des jungen, dynamischen Pultlöwen erscheinen, bemisst man allerdings seine Wirkung abzüglich des seltsam affektierten, ja bisweilen unangenehm theatralischen Auftretens, bleibt nicht viel mehr als ein stylischer Bettvorleger übrig. Den Taktstock wie eine Peitsche über die Schulter ausholend geschlagen, eine Feldherrengeste hier, ein süßliches Schwelgen da – angesichts des mangelnden Effektes auf die Gestaltung einfach unerträglich. Einfachste Tempokontrastpotenziale werden verschenkt, von der harmlosen Artikulation ganz zu schweigen. Dvořák zum Abgewöhnen. Das Gros des Publikums ist dennoch begeistert und bejubelt den feschen Dirigenten und das Hausorchester – man ist genügsam im NDR-Fanclub.

Mein Abo-Fazit: Vier Konzerte, die den weiten Weg des Ensembles zur postulierten Weltspitze schonungslos offenlegen. Das Trockenobst Hengelbrock kapitulierte, die dirigierende Reiswaffel Gilbert steht in den Startlöchern, flankiert vom 1. Gastposterboy. Mir bleibt nur auf interessante Gastdirigenten zu hoffen und auf ein Entwicklungswunder – wo und durch wen das auch immer herkommen soll. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

20. Mai 2017

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks –
Mariss Jansons. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 13 Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

(Pause)

Thomas Larcher – A Padmore Cycle / Fassung für Tenor und Orchester
(Mark Padmore – Tenor)
Maurice Ravel – La Valse

Zugaben:
Franz Schubert – Moments musicaux, D. 780 (op. 94) Nr. 3
(Fassung für Streichorchester)
Antonín Dvořák – Slawischer Tanz op. 72, Nr. 7 C-Dur


Nach einem Konzert wie diesem fällt es mir schwer, mein breites Grinsen wieder abzustellen. Freude und Genugtuung. Über die Eindrücke, die mir ein Orchester von Weltrang, wie es die bayerischen Gäste wieder bewiesen haben, in diesem Saal und ganz speziell auf diesem traumhaften Platz bescheren kann. Über Klangwirkungen, die ich in ihrer Intimität, Transparenz und Plastizität so noch nie in all den Jahren als Klassik-Groupie erfahren habe. Als wäre mir fast über Nacht ein neues Paar Ohren gewachsen. Und wissen Sie, was das Beste an diesem akustischen Wunderwerk ist? Dass man NICHT auf jedem Platz gleich hört. Anders: Gestern ist mir der eigentliche Hauptvorzug des Saales erst bewußt geworden. Ein Wechsel zur Pause von 13 E Mitte/Mitte zu 13 E links, erste Reihe ergab, dass selbst ein paar Meter Luftlinie einen signifikanten Unterschied ausmachen. Was im ersten Augenblick für Irritation sorgen könnte, beinhaltet jedoch tatsächlich ein Riesenpotenzial: Die Möglichkeit, den optimalen Platz gemäß der individuellen Hörvorlieben wählen zu können, und zwar in denkbar feinsten Abstufungen. Klar, aktuell ist das angesichts anhaltenden Hypes und Komplettauslastung natürlich eine recht theoretische Option, aber allein ihre Existenz elektrisiert mich. Bislang hatte ich die Unterschiede der akustischen Eindrücke auf weit auseinander liegenden Plätzen getestet und dabei noch keinen schlechten gefunden (Nein, direkt hinter oder neben dem Orchester habe ich erst mal ausgelassen, da ich zwar mittlerweile an akustische Wunder, aber immer noch auch an die Physik glaube). "Besser" oder "schlechter" hat da, wie bei allen Sinneserfahrungen, logischerweise ganz viel mit individuellem Geschmack zu tun – das Tolle an der Elbphilharmonie ist, dass sie mir eine enorme Bandbreite liefert, innerhalb derer man Klang auf höchstem Niveau an sein Ohr gelangen lassen kann. Darf´s ein bisschen direkter sein? Kein Problem, ein paar Reihen weiter vorn sieht die Welt schon ganz anders aus. Sie stehen eher auf möglichst homogenen Mischklang, ohne dabei auf Durchhörbarkeit verzichten zu wollen? Ab nach oben! Es mag durchaus Konstellationen geben, bei denen die "billigen Plätze" beispielsweise dem Parkett überlegen sein können. Irgendwann, wenn sich das ganze Elphi-Fieber ein wenig gelegt hat, wird es mir eine wahre Freunde sein, all diese Nuancen bei unterschiedlichsten Besetzungen genau zu erforschen.

Doch erst mal zurück ins Hier und Jetzt, wo das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Mariss Jansons ähnlich eindrucksvoll wie ihre Wiener Kollegen im Januar (Link) aufgezeigt haben, wofür diese Halle erbaut wurde – Weltspitzenklang. Eigentlich hatte ich mich am meisten auf "La Valse" gefreut, aber bereits mit dem Schostakowitsch war es um mich geschehen. Perfekte Ausgewogenheit zwischen den einzelnen Stimmgruppen. Die Streicher ungemein präsent und von edelstem Timbre. Die Violinen regelrecht schneidend, an den Stellen, wo sie sich entsprechend Gehör zu verschaffen haben – bei Jansons kommt der Eindruck, daß die hohen Streicher ab dem Forte leicht in die Defensive geraten, keine Sekunde auf. Im Gegenteil. Auch spannend: Die zweiten Violinen sind, "trotz" der Amerikanischen Aufstellung, also direkt neben den ersten verortet, sehr schön einzeln und im Dialog herauszuhören. Die tiefen Streicher, vor allem die Bässe, wirken verblüffender Weise etwas weniger sonor, als ich es in diesem Saal gewohnt bin – keine Ahnung, ob das am Material oder der Abstimmung liegt. Das Blech für seinen Teil agiert unter Jansons angenehm zurückhaltend, besser gesagt perfekt in das große Ganze integriert, um dann an den dynamischen Kulminationspunkten mit überwältigender Klangpracht und -Fülle über dem Fortissimo zu thronen. Wohlgemerkt: darüber thronend, es nicht zukleisternd. Auch in den extremsten Eruptionen der Sinfonie ist der Klang gleichzeitig transparent UND präsent – das ist es, was ich an diesem Platz so liebe. Die Streicher, das Holz, selbst einzelne Facetten wie die des Flügels, bleiben erfahrbar und formen im Schlagwerk- und Blechgewitter Kulminationen von geradezu körperlicher Anschaulichkeit. Stellvertretend für die außergewöhnliche Qualität, die jeder einzelne Musiker dieses Klangkörpers zu besitzen scheint, sei auf das Oboensolo eingangs des dritten Satzes hingewiesen. Phrasierung, die ganze innige, sensible Gestaltung des Themas – diese einzelne Passage besitzt wie die gesamte Aufführung der Sinfonie Referenzcharakter. Auch die Sinfonie selbst hatte ich gar nicht derart mitreißend und berührend im Gedächtnis. Es müssen halt nicht immer die Siebte oder Fünfte sein, auch das hatten die Wiener seinerzeit unter Beweis gestellt ­– um eine weitere Parallele dieser beiden Ausnahmekonzerte zu benennen.

Ebenfalls bezeichnend, dass in beiden Fällen die Gunst der Stunde dazu genutzt wurde, programmatisch einen Abend jenseits ausgetretener Klassikpfade zu begehen. Waren es im Februar Webern und Hartmann, die manchem Gelegenheitshörer oder Traditionalisten einiges abverlangten, trug diesmal das Stück Larchers zur Entmusealisierung bei. "A Padmore Cycle" – benannt nach dem Solisten und in dessen Kehle komponiert – entpuppte sich als wahres Klangexperimentierfeld für Stimme und Orchester und dabei gleichzeitig als ein fesselndes Werk zwischen scharfer Expressivität und Passagen überraschend vertrauter und umarmender Tonalität. Teilweise musste ich an eine Art "Britten 2.0" denken, weniger vom Idiom, als vom Konzept des Zyklus her. Wobei der Einsatz der in höchstem Maße Britten-prädestinierten Tenorstimme Padmores wahrscheinlich auch diesen Gedanken angeregt haben mag. Edler, feiner ist ein Tenor kaum denkbar. Subtilste Nuancen, noch dazu in extrem hoher Lage, Fragilität und Seele. Die Stimme als lebendiger Charakter. Und Larcher scheint sein Handwerk zu verstehen, deckt Padmore trotz des Riesenorchesters nie zu, lässt ihn nur bis zu einem gewissen Grad mit in dynamische Steigerungen einsteigen, überlässt das Fortissimo dann dem Instrumentarium. Natürlich auch eine Frage des Dirigates, bei Jansons aber perfekt austariert. Ferner eine Wohltat: die verwendeten "Spezialsounds" von Akkordeon, Äußerungen des Klaviers bei gehaltenen Saiten bis hin zum Ölfass als Perkussionselement durchdringender Härte, treten nie zum Selbstzweck zutage, sondern sind nahtlos in den vielschichtigen Klangkosmos eingebettet. Glücklicherweise wurde das Konzert aufgezeichnet, so dass ich den Schönheiten dieser Arbeit noch wiederholt auf den Grund gehen kann. Eine Stelle ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, die Worte Padmores dazu: "Und beim Weggehen schmilzt aus den Augen der Schnee."

Mit dem letzen Programmpunkt, Ravels "La Valse", demonstrierten Dirigent und Orchester noch einmal, welch ideale Kombination hier zu bewundern war. Technische Brillanz und Klangfarbenreichtum werden erst durch Jansons Gestaltung vollends zum erfüllenden Erlebnis. Es ist eine Wonne zu sehen und zu hören, wie er die Ambivalenz des Stückes mit einer sehr aus dem Rubato kommenden Lesart unterstreicht. Die stetigen, kleinen Tempomodifikationen geben dem schattenhaften, verzerrten Abbild eines Walzers etwas extrem Nervöses, Unberechenbares. Gleichzeitig bleiben Schmelz und Schwung der von Ravel zitierten, dekonstruierten Sphäre aufgrund der hinreißend sinnlich aufspielenden Streicher erhalten. Eine ordentliche Portion Schizophrenie trägt untrüglich zum Gelingen des Werkes bei. Die Kontraste zwischen mehr erinnerter als tatsächlicher Melodienseeligkeit und harschen Ausbrüchen, die im seltsam kanalisierten, domestizierten Furor des Finale schließlich ihr abruptes Ende finden, all das wurde von den Münchnern als perfekt-unperfekte Ausgabe dieser nicht ganz rund laufenden Walzermaschine atemberaubend umgesetzt. Allein die Gestaltung der sich mit aller Macht ausdehnenden und jeweils jäh abreißenden Tutti-Schläge der Schlussphase ergab Klanggebilde, die man regelrecht hätte greifen können. Das SOdBR in der Elbphilharmonie – ein Naturereignis.

Mit der ersten Zugabe, Schuberts Moment musicaux Nr. 3 in einer Fassung für Streichorchester, scheint Jansons die neue Halle noch einmal auf ihre feine Resonanz abzuklopfen – sein verschmitztes Grinsen, nachdem sich die letzten zarten Töne in den Saal verströmen, scheint Zufriedenheit, vielleicht selbst ein bisschen Überraschung angesichts der delikaten Akustik, zu signalisieren. Als finaler Rausschmeißer beschließt ein furios um die Ohren gepfefferter Slawische Tanz von Dvořák dieses phänomenale Konzert. So wehmütig der Umstand stimmt, dieses Orchester nur als Gast in der Hansestadt zu wissen, so startet mit dem heutigen Tag bereits die Vorfreude auf drei weitere Chancen, es hier in der kommenden Spielzeit wieder erleben zu dürfen.

3. April 2016

Hamburger Symphoniker – John Axelrod.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 12, Platz 5/6



Kurt Weill – Suite aus der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“
Aaron Copland – Konzert für Klarinette, Streicher, Harfe und Klavier
(Sebastian Manz – Klarinette)
Zugabe: George Gershwin – Walking the Dog
(Sebastian Manz – Klarinette)

(Pause)

Antonin Dvořák – Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der neuen Welt“



Es geht durchaus auch mal ohne den Chef – das ist die Erkenntnis des heutigen, großartigen Konzertabends mit den Hamburger Symphonikern. Diesmal oblag es John Axelrod als energisch zu Werke gehendem Gast, die bewährten Vorzüge meines Hamburger Lieblingsorchesters zur Geltung zu bringen. Dem Amerikaner gelang es, Kraft seiner federnd-straffen, dabei jederzeit umsichtig-differenzierten Herangehensweise, sowohl die eher selten in Konzertgefilden anzutreffenden Stücke vor der Pause, als auch das altbekannte Dvořáksche Dickschiff frisch und mitreißend zu präsentieren.

So unumstößlich die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ zu meinen Favoriten gehört, hatte ich mir von der daraus entnommenen Suite im Vorwege doch mehr erhofft. Die unverbundene Abfolge zweifellos prägnanter, allerdings jeweils sehr knapp behandelter Episoden ermöglicht allenfalls einen schlaglichtartigen Einblick in diese großartige, reichhaltige Partitur, deren Heterogenität in solcher Darreichungsform weniger für Abwechslung, sondern eher für eine gewisse kurzatmige Zusammenhanglosigkeit sorgt. Erst die Umsetzung des Finales im letzten Satz nimmt sich die nötige Zeit, um die Energie musikalischer Entwicklung auch in Miniaturform auszuleben. Interessant aber die Bearbeitung an sich, in der die Gesangs- und damit in der Regel auch Melodiestimmen den Bläsern übertragen wurden – mit Ausnahme des Alabama-Song-Themas, welches die Violinen intonieren. Die Darbietung selbst ließ, ungeachtet der für mich gewöhnungsbedürftigen Form, keine Wünsche offen.

Das gleiche gilt für das, allerdings in jeder Hinsicht formvollendete, Klarinettenkonzert Coplands, bei dem sich zum bestens aufgelegten Klangkörper Herr Manz mit seinem überragenden Spiel gesellte. Jenes sollte gleichermaßen für den gesanglichen, nachdenklich-ruhigen Fluss des ersten, mit seinem ein wenig an Mahler erinnernden Seufzermotiv, als auch für die vertrackte, von Jazz-Elementen durchzogene Hatz des zweiten Satzes die ideale Sprache anführen. Schade, daß Coplands Werke, seine Sinfonik wie auch seine Kammermusik, hierzulande in den Programmen rar gesät sind – zählen sie für mich doch zum Schönsten, das die klassische Musik des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Die ebenso schelmisch durch den sympathischen Hannoveraner angekündigte wie umgesetzte Gershwin-Zugabe bestätigte den wahrlich aufhorchen lassenden Eindruck des Solisten.

Alles andere als gewöhnlich gestaltete Axelrod dann in der zweiten Konzerthälfte das Gewohnte. Durchweg flotte Tempi, die auch das Largo nicht der Gefahr einer schwulstigen Verkitschung aussetzten, sondern edel und erhaben zu fließen gestatteten, kamen einer erfreulich knackigen, forsch drängenden Interpretation zugute. Genau die Herangehensweise, die Dvořáks rhythmische Vitalität und melodischen Erfindungsreichtum am besten zur Geltung bringt. Süße Melodien brauchen keinen Zuckerguss, Romantik keinen Schmalz. Was nicht heißen soll, dass man das Largo nicht auch weitaus langsamer dirigieren kann – es braucht halt, wie immer, ein entsprechendes Gesamtkonzept. Die Konzeption Axelrods jedenfalls brachte diesen Klassiker regelrecht zum Strahlen. Wucht gepaart mit Präzision, ausgekostete Spannungsbögen, schließlich eine fulminante Entladung im Finale, welche buchstäblich mitriss.

Das beste Konzept am Pult trägt ohne engagierte Musiker keine Früchte. Natürlich bin ich immer wieder in freudiger Erwartung, wenn interessante Gastspiele namhafter Orchester in der Hansestadt anstehen, an Abenden wie diesen verlasse ich die Laeiszhalle allerdings in der wohligen Gewissheit, meine musikalische Versorgung durchaus auch allein mit den Hamburger Symphonikern bestreiten zu können. Was die Elbphilharmonie ab dem nächsten Jahr zu meinem Seelenheil beitragen wird, steht, bei aller Vorfreude, noch in den Sternen – auf das Residenzorchester der Laeiszhalle ist heute Verlass und wird es bleiben.

17. Dezember 2015

Hamburger Camerata – Gustav Frielinghaus. Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 11, Platz 1



Johan Sebastian Bach – Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050
Géza Frid – Divertimento für Streichorchester op. 11
Johan Sebastian Bach – „Jauchzet Gott in allen Landen“ Kantate für Sopran, Trompete, Streicher und Basso continuo BWV 51

(Pause)

Antonín Dvorák – Romanze für Violine und Orchester f-Moll op. 11
Antonín Dvorák – Streicherserenade E-Dur op. 22
Zugabe: Franz Schubert – Salve Regina in A-Dur, D 676

(Gustav Frielinghaus – Violine und Leitung, Katharina Persicke – Sopran, Henrik Wiese – Flöte, Christoph Semmler – Trompete, Albrecht Schmid – Cembalo)



Was genau qualifiziert eigentlich ein Konzert zum „Festlichen Weihnachtskonzert“? Der Umstand, daß es kurz vor Weihnachten stattfindet? Ein besonders festliches Programm (wobei dann noch eine Definition für „festlich“ ausstünde)? Der beherzte Einsatz von Solotrompete, am besten in einem Stück von Bach – wenn sich schon aus kapazitären Gründen der Einsatz des beinahe obligatorischen Weihnachtsoratoriums verbietet? Ok, ok, blöde Frage, blöder Einstieg. War nur so eine Überlegung, ob es nicht vielleicht mal interessant wäre, ein solches Konzert derart programmatisch zu schnüren, daß es von einem roten Weihnachtsfaden ebenso ungewöhnlich wie zwingend – dabei gern auch festlich – zusammengehalten wird, wie man es von manch ambitionierten Konzeptionen der laufenden Saison kennt (vgl. „Song of Night“ (Link)).

Aber genug davon. Auf der Habenseite steht ein angenehmer Abend hoher musikalischer Güte, abwechslungsreich und stimmungsvoll. Die Hamburger Camerata zeigt sich einmal mehr als Klangkörper, dem man seine Ohren getrost anvertrauen darf. Einzig auf interpretatorische Feinheiten, wie sie mich noch im letzten Konzert begeisterten, musste heute in Ermangelung eines entsprechenden Gestalters am Pult verzichtet werden. Nicht, daß der Konzertmeister die Sache nicht zusammenzuhalten wußte, nur hätte die Ausführung insgesamt hier und da noch etwas nuancierter und somit spannender ausfallen können, gerade auch weil das Programm selbst eher konventionellen Charakters war.

Sämtliche Solisten zeigten eine tadellose Leistung, mir persönlich ist insbesondere das virtuose Spiel des Cembalisten während der Kadenz in soghafter Erinnerung geblieben. Frau Persicke besitzt eine schöne Stimme, deren Volumen und Timbre allerdings in einem Stück wie dem als krönende Zugabe gewählten Salve Regina mit seinen langen Bögen und innigen Momenten, der ganzen Anforderung an Phrasierung überhaupt, deutlich besser zur Geltung kommen, als im wendigen Koloraturgalopp der Kantate.

Fazit: Ende gut, alles gut. Auf ein musikalisches 2016!

4. Juni 2015

City of Birmingham SO – Andris Nelsons.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, 1. Rang links, Loge 4, Reihe 1, Platz 3

Richard Wagner – „Karfreitagszauber“ (Parsifal)
Richard Wagner – „Amfortas, die Wunde“ (Parsifal, 2. Aufzug)
Richard Wagner – „Nur eine Waffe taugt“ (Parsifal, 3. Aufzug)
Richard Wagner – Lohengrin, Vorspiel zum 3. Akt
Richard Wagner – „Höchstes Vertrauen hast Du mir schon zu danken“
(Lohengrin, 3. Akt)
Richard Wagner – Gralserzählung (Lohengrin, 3. Akt)

Zugabe: Richard Wagner – „Winterstürme wichen dem Wonnemond“
(Die Walküre, 1. Aufzug)

(Klaus Florian Vogt – Tenor)

(Pause)

Antonín Dvořák – Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70

Zugabe: Antonín 
Dvořák – Slawischer Tanz Nr. 2, e-Moll op. 72


Dem City of Birmingham Symphony Orchestra gebührt seit eh und je ein Ehrenplatz in den Tiefen heimischer CD-Regale, errungen durch die Referenzeinspielung der Sinfonien Sibelius’ unter Simon Rattle. Hatte dessen Nach-Nachfolger Nelsons beim letzten von mir besuchten Gastspiel noch eine Arbeitsprobe des schwerblütigen Finnen im Gepäck (Link), bot heute deutsch-böhmische Repertoirepflege die Grundlage für die Zeichen des Abschieds – Nelsons zieht es weiter gen Boston. Nach Triumphen in Bayreuth und an den übrigen ersten Adressen der klassischen Musikwelt scheint Birmingham mittlerweile vielleicht doch eine Spur zu gediegen für die Ambitionen des lettischen Kometen.

Ambitionen sind überhaupt ein gutes Stichwort. Viel deutlicher als üblicherweise trennen sich für mich beim heutigen Konzert die aus einer bestimmten Erwartungshaltung gespeisten Eindrücke in klar separierte Bereiche, das Triumvirat Dirigent, Orchester und Solist als einzelne Facetten erleb- und beurteilbar werden lassend. Das kann auf ein starkes Qualitätsgefälle der Beteiligten hindeuten, ist diesmal aber vielmehr Ausdruck einer Kombination, die meine persönlichen Vorlieben nicht zur Gänze bedient. Die Geschmäcker sind halt verschieden.

Das Orchester ist sicher kein schlechtes (etwas anderes zu behaupten könnte angesichts meiner Kolportage von 2012 natürlich auch leicht als Wankelmut ausgelegt werden – wobei, einen gewissen Zug der Unberechenbarkeit sieht doch insgeheim jeder gern an sich), aber für den Wagner’schen Rausch fehlt mir einfach eine gewisse Opulenz der Klangfarben. Die Streicher ziemlich herb, man könnte auch stumpf sagen, die Holzbläser mit Ausnahme der Soloklarinette relativ unsensibel, das Blech sattelfest, aber auch hier ohne den letzten Nachdruck – zusammenfassend ergibt sich daraus für mich ein eher neutrales, böse formuliert etwas unspannendes Gesamtbild des Klangkörpers.

Dabei folgen die Damen und Herren den ausgefeilten Anweisungen ihres Noch-Chefs weitgehend mit der nötigen technischen Finesse – von kleinen Aussetzern wie dem verpatzten Horneinsatz zu Beginn der Dvořák-Sinfonie einmal abgesehen. Dennoch drängte sich bei mir der Eindruck auf, daß Nelsons für das, was ihm – jedenfalls bei Wagner – konzeptionell so vorschwebt, doch besser ein anderes Orchester mitgebracht hätte, Abschiedstour hin, Abschiedstour her.

Nelsons Wagner ist in jedem Fall ein organischer, ungemein differenzierter, fein ziselierter, gleichsam ein Wagner der großen fließenden Bögen. Beschwörend mäandert sich der Maestro mit raumgreifenden Gesten durch die Partitur, sucht auch mimisch unentwegt den Kontakt zu den einzelnen Stimmgruppen, mit der Linken nahezu pausenlos nachregulierend, Dynamik und Fluß gestaltend, in besonders delikaten Momenten ganz ohne Taktstock mit beiden Händen formend – Das Orchester als Tonklumpen.

Und zu eben dieser hochsensiblen, dem schillernd-somnambulen Mischklang des Parsifal nachforschenden Lesart will in meinen Ohren der durch und durch bodenständige Sound der Engländer so gar nicht passen. Ein Bild wird mir dabei – so isoliert wie ungerecht die Beobachtung sein mag – hängen bleiben: Nelsons, wie er, nachdem er bei einem für seine Begriffe offenbar viel zu forschen Holzbläsereinsatz zu Beginn des ruhigen Mittelteils des Vorspiels zum dritten Akt Lohengrin blitzartig mehrmals herunterzuregeln sucht und schließlich den Finger vielsagend ans Ohr legt.

Wobei sein Ansatz weit davon entfernt ist, in Schönheit zu sterben. Spätestens besagtes Vorspiel offenbart den Elan, der von dem zu Recht hoch gehandelten Letten ausgeht – ohne dabei jedoch in extreme Schärfe oder Brutalität umzuschlagen. Das Vulgäre scheint Nelsons Sache nicht, der das Feuer offenbar immer noch mit einer gewissen Eleganz zu bändigen weiß. „Rund“ ist so eine gern bemühte, etwas hilflose Vokabel, die mir für diesen Stil aber wie gemacht zu sein scheint.

Womit wir zum einen wieder bei Geschmack und damit verbunden bei der einzigen Einschränkung dieser Meisterleistung am Pult angekommen wären: Sicher verblendet von der nostalgischen Verklärung der Einspielung unter Rafael Kubelik, ist mir Nelsons Dvořák fast schon eine Spur zu rund. Oder anders herum ausgedrückt, mir fehlte – zumindest in den ersten beiden Sätzen – jenes derbe, mitunter schroffe, fast schon bockige Moment, mit dem Kubelik dies Füllhorn melodischer und rhythmischer Einfälle vor der Latz zu knallen pflegt. Im Laufe der Sätze 3 und 4 verflüchtigte sich dieser Eindruck jedoch zusehends. Den mitreißenden Final-Sog mit einem schlichten „fulminant“ abzuspeisen, hieße, einer außergewöhnlichen Leistung Ungerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Fehlt schließlich noch die dritte Kraft im Bunde, der Solist des Abends. Über Klaus Florian Vogt könnte ich jedesmal ein Buch schreiben – mache es jedoch so gut wie nie. Auch über seinen kürzlich bewunderten Paul an der Staatsoper (Link) habe ich nicht viele Worte verloren, obwohl – oder gerade weil – er mich zwischen Ehrfurcht und Verzückung zurückließ. Dennoch: Es gibt in meinen Augen nur zwei Herren, die den lyrischen Kern der Wagner-Partien in dieser Qualität und Tiefe auszuloten vermögen – und ich wähle den anderen. Trotzdem fiebere ich Vogts Darbietung als Johannes in Schmidts „Das Buch mit Sieben Siegeln“ hier in Hamburg entgegen. Denn noch einmal: Die Geschmäcker sind halt verschieden.

10. Januar 2014

NDR Sinfonieorchester – Juraj Valčuha.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 9, Platz 9



Zoltán Kodály – Tänze aus Galánta
Franz Liszt – Klavierkonzert Nr. 2 (Jean-Yves Thibaudet)
Zugabe: Franz Liszt – Consolation Nr. 3

(Pause)

Antonín Dvořák– Der Wassermann
Richard Strauss – Der Rosenkavalier Konzertsuite


Wäre ich ein Anhänger der Tradition, dem neuen Jahr mit persönlichen Vorsätzen zu begegnen, würde ich meine Liste nach diesem Abend vielleicht um den Eintrag ergänzen: „Möglichst nur noch Konzerte wie dieses hier besuchen“. Nun bin ich weder ein Freund von an den Jahresstart gebundenen Vorsätzen noch der Illusion verhaftet, man könne den „Erfolg“ seiner Konzert- und Opernbesuche planen – doch bin ich nicht minder erfreut über den fulminanten Start in mein musikalisches 2014.

Ein wunderbares Programm aus bekannten Werklieblingen und auf Anhieb zündenden Neuentdeckungen, dargeboten von einem NDR Sinfonieorchester in Bestform, unterstützt von einem Solisten der Extraklasse, aufs Fesselndste animiert durch ein Dirigat, das wahrhaft aufhorchen ließ. Aber der Reihe nach.

Gleich mit dem Kodály war klar, daß hier und heute nichts schiefgehen würde. Klangpracht, Spielfreude und insbesondere die fein herausgearbeiteten Dynamik- und Tempowechsel der verschiedenen Tänze bzw. deren Abschnitte vermittelten vom Start weg größte Souveränität – eben jene Kombination aus Leichtigkeit und Konzentration, die den Spannungsbogen gleichermaßen straff und geschmeidig hält.

Herr Valčuha scheint seinen Teil dazu beigetragen zu haben. Guter Mann. Den sollte man schleunigst wieder einladen. Ob Kodály, Liszt, Dvořák oder Strauss – alles gelang wunderbar transparent und differenziert ohne es bei Bedarf an Schmiss mangeln zu lassen. Ein teilweise sehr organischer, individueller Umgang mit dem Tempo fiel mir besonders positiv auf. Ich würde es als sparsam dosiertes Rubato bezeichnen, das den Fluß nie störte, sondern im Gegenteil bestimmten Passagen besonderes Augenmerk und mehr Wirkung verlieh.

Vor allem in der Rosenkavalier-Suite trat dann Valčuhas Talent zutage, im doch relativ kleinteiligen Potpourri-Wechselbad die jeweilige Stimmung der verschiedenen Szenen aus der Oper – von silbriger Verzauberung bis Walzer-Überschwang – binnen kürzester Zeit aufleben zu lassen. Ich müßte mich schon sehr täuschen, wenn jemand, der solch ein inniges Terzett mit rein orchestralen Mitteln auszuspinnen in der Lage ist, Ähnliches nicht auch in Gänze mit Ensemble vom Orchestergraben aus zu bewerkstelligen vermöchte.

Ein weiterer Vater des Erfolges findet sich in Jean-Yves Thibaudet, der im Liszt-Konzert mit atemberaubenden Girlanden und auftrumpfendem Verve einerseits sowie entrückt zarter Tastenbehandlung andererseits eine vollendete Interpretation krönte. Glücklicherweise gab er dann mit der Consolation Nr. 3 eine Zugabe, die gerade für seinen butterweichen Anschlag wie gemacht schien.

Der Dvořáksche Wassermann war mir bis dato noch nicht begegnet, die sinfonische Dichtung hat jedoch auf Anhieb – unter anderem durch das wiederkehrende prägnante Hauptmotiv – nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Auch ohne die zugrunde liegende Geschichte zu kennen, konnte man Dank des farbig-plastischen Vortrages einer Szene in Musik beiwohnen und deren Handlungsverlauf einem illustrativen Stimmungsbarometer gleich imaginieren.

Fazit: Eine durch und durch erstklassige Angelegenheit.

7. Juli 2013

Jan Vogler und Freunde.
Festspielhaus Baden-Baden.

11:00 Uhr, Parkett Mitte, Reihe 6, Platz 15



Joseph Haydn – Klaviertrio G-Dur Hob. XV:25 „Zigeunertrio“
Erwin Schulhoff – Fünf Stücke für Streichquartett
Antonín Dvořák – Klavierquintett A-Dur op. 81


(Moritzburg Festival Ensemble: Benjamin Schmid – Violine, Mira Wang – Violine, Lars Anders Tomter – Viola, Jan Vogler – Violoncello, Antti Siirala – Klavier)



3,50 für ne Cola, dazu 1,50 für die Garderobe – das riecht nach Rekord in deutschen Landen. Passt ja auch irgendwie zu diesem Haus, das zumindest in der Anzahl der Sitzplätze unzweifelhaft den Branchenprimus gibt und auch sonst eher die Devise „Klotzen, nicht kleckern“ zu leben scheint. Apropos, filigran ist jetzt übrigens nicht die erste Vokabel, die mir beim Anblick des Kubus auf der Zunge lag, der sich da an den alten Bahnhof gewanzt hat. Nein, ok, das ist jetzt schon eine Spur zu schnodderig formuliert. In der an Klötzen nicht gerade armen Historie moderner Klotzarchitektur gibt es durchaus Unansehnlicheres. Man hatte Geld, das kommt schon rüber.

Stil hatte man auch, zumindest hier und da, denkt man sich, während man sich durch die menschenleeren, lichtdurchfluteten Ebenen Stockwerk um Stockwerk gen obersten Rang vorarbeitet. Menschenleer, weil heute kleine Besetzung den großen Saal bespielen wird. Kammermusik in der Riesenhalle, weshalb auch nur ein Teil des Hangars zur Platznahme freigegeben ist. Und daher hält sich auch außer dem ketzerischen Verfasser dieser Zeilen kein vernünftiger Mensch in den oberen, von einer Buchung ausgeschlossenen Gefilden auf – von etwas hier und da scheu um die Ecke lukendem Personal einmal abgesehen.

Trotzdem hat es schon einen gewissen Charme, gerade hier lustzuwandeln. Die weitläufigen Foyers, die endlosen Gänge zu den Logen, die bis zur nächsten ausgewachsenen Vorstellung eingemotteten Gastronomiestationen, alles wirkt so natürlich noch kahler und unwirklicher, als ohnehin durch die nüchterne Architektur evoziert. Der Gedanke an prunkvolle Opernhäuser inmitten kautschukspendender Amazonasurwälder kommt mir in den Sinn. Warum auch immer. Der Vergleich hinkt, schließlich liegt Baden-Baden weder im Urwald, noch hat man den Bau aus Jux und Dollerei gerade hier platziert. Das Festspielhaus ist die einzige Bühne Deutschlands, die ohne Subventionen auskommt und sich zu einem Großteil durch Kartenverkäufe finanziert, sagt das Internet meines Vertrauens.

Es geht hier um Geld, das suggerieren Ambiente und kurschattige Lage. Aber in gleichem Maße um Qualität. Auch dafür steht das Ambiente, vor allem jedoch der Spielplan des Hauses. In einer Art Ahnengalerie begrüßt bereits im Gang zwischen Alt- und Neubau die programmatisch versammelte Creme de la Creme der Klassikwelt mit gewinnendem Lächeln die Besucher. Nimmt man eines der Magazine zur Hand, die in mehreren Display-Reihen das omnipräsente Antlitz der Netrebko ziert, stellt sich beim Blättern eine gänzlich süffisanzfreie Beeindruckung ein. Und ich will ganz ehrlich sein. Der Grund für meinen Besuch war im Vorwege weder meine mäßig ausgeprägte Ader für Kammermusik noch die mir bekannten und geschätzten Herren Schmid und Vogler, sondern einfach die Neugierde auf dieses Haus, die ich mit einem kurzen Halt auf dem Weg zurück in den Norden zu befriedigen suchte. Oder anders ausgedrückt: Muß man ja mal gesehen haben und es lief halt keine Götterdämmerung als Vormittagsmatinee.

Derart banausisch nahm ich im Parkett Platz – und erlebte das wahrscheinlich beste Kammermusikkonzert meines bisherigen Konzertbesucherlebens. Wobei der Zusatz Kammermusik ausdrücklich nicht als Einschränkung zu verstehen ist, im Gegenteil. Bereits während der Darbietung suchte ich euphorisiert all die Superlativ-Momente zwecks späterer schriftlicher Huldigung en Detail gedanklich zu fixieren — leider trägt die Tatsache, daß mittlerweile das neue Jahr mir faulem Hund beim Schreiben über die Schulter schaut, eher wenig dazu bei, sich jetzt gleichsam minutiös in ausschmückender Augenzeugenziselierung zu ergehen. Das ist Pech. Ein großes Glück hingegen war ohne Frage die Teilnahme an diesem Konzertleckerbissen. So ist dann folgerichtig ein Wort in meiner Erinnerung daran hängen geblieben: Qualität.

Ich höre mir Haydn an – ich kann für gewöhnlich mit Haydn nicht viel anfangen – aber die schiere Qualität des Vortrages, der Technik und vor allem der Interpretation (soweit ich das überhaupt mangels Vergleichsmöglichkeiten beurteilen kann), die immense Spielfreude dieser Ausnahmekünstler auf der Bühne, begeistern mich zumindest für die Dauer eines Klaviertrios für den gediegenen Österreicher. Daß mein Herz grundsätzlich eher Dvorak oder Schulhoff zufliegt, ändert daran nichts, dennoch ist es immer wieder eine spannende Erfahrung, durch mitreißende Fürsprecher vermeintlich Fernes ganz nah zu spüren.

Von Schulhoff kannte ich bis dato nur die Musik der Tanzgroteske „Die Mondsüchtige“, die Fünf Stücke für Streichquartett nun folgen dem ersten Eindruck hochinteressanter, packend expressiver Musik. Auch wenn das Quartett ihn, anders als die Groteske, nicht im Namen trägt, ist Tanz doch in allen Sätzen das prägende Element – Die erfrischend „moderne“, mitunter verwunschen-sperrige Faktur hat es mir dabei absolut angetan. Ein weiteres Kompliment an die Programmgestaltung für diesen kammermusikalischen Paradies- (oder doch eher Nacht-)Vogel im Zentrum der Abfolge, wobei manch skeptischer Seitenblick meiner Nachbarn vielleicht nahelegt, daß ihnen sein Schnabel nicht ganz so hold gewachsen deuchte wie mir. Aber beim Dvorak war man sich dann wieder einig: schön war’s!

Selbiges galt auch für das entspannte wie kurzweilige Künstlergespräch, das sich an das Konzert anschloss und bei dem die Musiker über Programm, Persönliches und zukünftige Pläne Rede und Antwort standen.

Fazit: Ein schönes Gefühl, wenn man sich bei einem Zwischenstopp wider Erwarten ganz angekommen weiß.

25. November 2012

Die Schneekönigin – David T. Heusel.
Opernhaus Halle.

15:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 13



Zwischenstopp in Halle. Auch ganz nett hier. Ein Café in Opernnähe verkürzt die Wartezeit bei durchwachsenem Wetter. Heute also Ballett – eine Inszenierung des hiesigen Ballettchefs, der im Anschluß an die Aufführung noch zu einer kleinen Nachbesprechung mit Ensemblemitgliedern lud.

Orchester und Dirigat wissen zu überzeugen, vor allem die Streicher klingen sehr gut. Die Akustik scheint mir gut, generell ist die musikalische Komponente mehr als brauchbar. Nicht zuletzt auch aufgrund der umsichtigen Verarbeitung und Verzahnung der Dvořák- und Schostakowitsch-Bruchstücke zu einem stringenten Fluß im Dienste der Handlungsentwicklung. Verblüffend: Ein bestimmter Abschnitt – wohl von Schostakowitsch – klang in meinen Ohren regelrecht nach einer Schwanensee-Kopie – aus welchem Werk mag das wohl stammen und welche Funktion nimmt es dort ein?

Bis auf ein, zwei technische Probleme lief die Vorstellung reibungslos. Einmal verhakte sich der Schlitten der Königin auf der Bühne und vereitelte ihren schwungvollen Abgang, zum anderen – und vielleicht nicht ungefährlich – versagte die Schnürboden-Aufhängung einer überdimensionalen Blüte, die dann mit einem Ruck einige Schrauben-Pollen auf die (belebte!) Bühne regnen lies.

Die Inszenierung an sich wartete mit starken Momenten auf – etwa die Steigerung zum Ende des ersten Aktes oder der unheilvolle Tanz der Schneekönigin mit ihren Sklaven – dennoch hat mir persönlich der ganz große Bogen gefehlt, der alle einzelnen Einfälle und Szenen zusammengehalten hätte. Zwischendurch war ich immer wieder nicht wirklich bei der Sache, zudem kam das Ende für meine Begriffe sehr unvermittelt. Und der brave Bursche hat die Episode als Eis-Schoßhündchen wohl doch nur mit Gefrierbrand überstanden. Naja, ich hätte den Herrn Regisseur ja darauf ansprechen können – hab’s dann aber gelassen. Miesmacher nach getaner Arbeit braucht eh kein Mensch.

Wobei das Hallenser Publikum sich generell eher frostig zeigte. Man wußte nicht so recht, wann und was zu beklatschen, Ankommer waren weniger die zauberhaft sensibel dargebotenen Passagen, sondern eher wenn es laut und bunt wurde auf der Bühne. Auch der Schlußapplaus wirkte irgendwie bemüht, unstimmig, zäh. Kann natürlich auch Einbildung gewesen sein.

Ganz und gar keine Einbildung war leider die nervige Familie hinter mir. Kinder im Theater. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, etwas Nettes, Verständnisvolles zu schreiben. Sowas in der Richtung: Die Kinder sind die Zukunft der Oper. Nur: Dazu fehlt mir der Nerv. Selbiger ist mir nämlich im dummdreisten Gebrabbel desinteressierter Blagen, deren bildungsbürgerliche Eltern ihrem Sproß geflissentlich die Handlung beipulen müssen, ohne zu realisieren, daß wir uns gerade nicht im Telekolleg Gefährliches Halbwissen befinden, abhanden gekommen. Dann doch lieber den ganzen Verein in Würde aussterben lassen. Oder Tablettenabgabe bei Einlaß. Ach was weiß denn ich.

Fazit: Ich hab noch vergessen, den Spruch „sich freuen, wie ein Schneekönig“ unterzubringen – nun denn, es war gut aber man muß ja auch nicht übertreiben.


Die Schneekönigin – Ballett von Ralf Rossa
Musik von Antonín Dvořák und Dmitri Schostakowitsch
Musikalische Leitung – David T. Heusel
Choreografie und Inszenierung – Ralf Rossa
Bühne und Licht – Matthias Hönig
Kostüme – Heike Becker

Die Schneekönigin – Michal Sedláček
Kay – Zdenko Galaba
Gerda – Hyona Lee
Die Fee im Garten – Markéta Šlapotová
Die Krähe – Dalier Burchanow
Die Hure – Denise Dumröse
Das Räubermädchen – Paloma Figueroa
Die Mutter – Johanna Raynaud
Prinz und Prinzessin – Andriy Holubovskyy, Marion Schwarz
Freunde von Kay und Gerda – Tobias Almási, Jonathan dos Santos, Pietro Chiappara

Staatskapelle Halle