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10. November 2024

Alexandre Kantorow. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Johannes Brahms – Rhapsodie h-Moll op. 79/1

Franz Liszt – Étude b-Moll »Chasse neige« /
aus: Études d’exécution transcendante S 139
Vallée d’Obermann /
aus: Années de pèlerinage, première année, Suisse S 160

Béla Bartók – Rhapsodie op. 1

(Pause)

Sergej Rachmaninow – Sonate Nr. 1 d-Moll op. 28

Johann Sebastian Bach / Johannes Brahms – Chaconne für die linke Hand /
aus: Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004

Zugabe:
Richard Wagner / Franz Liszt – Isoldes Liebestod aus »Tristan und Isolde« /
Bearbeitung für Klavier S 447'


Alexandre Kantorow – Klavier



Einer der intensivsten Klavierabende, die ich je erleben durfte. Gerade beim Liszt und Rachmaninow, aber auch bei der Bartok-Rhapsodie, die ich vom bloßen Hören nie diesem Komponisten zugeeignet hätte, entfaltet Kantorow einen regelrechten Rausch, zieht den Hörer Woge um Woge in ein Zauberreich der Klänge. Ich weiß nicht wie oft ich an diesem Abend mit einer Mischung aus Verblüffung und Verzückung gedacht habe "Ja, so in etwa muss sich das Publikum seinerzeit bei einer Darbietung Liszts gefühlt haben" – welche Grenzen sind diesem Instrument in solcher Behandlung überhaupt gesetzt? Ich habe selten derart angespannt einem Klavierspiel gelauscht, und das meine ich uneingeschränkt positiv. Gleichermaßen ist es mir selten so leicht gelungen, die Konzentration auf solch komplexe, mir bis auf den Brahms weitgehend unbekannte Musik zu halten, eben weil Kantorow die Intensität nicht einen Takt abflauen lässt.

Welch eine Seelenwanderung in Tönen! Beginnend mit der wunderbaren, bald düster aufwühlenden, bald zart berührenden Brahms-Rhapsodie bis hin zur Bach-Chaconne in der Bearbeitung eben desselben, in der die bewusst gewählte Limitation auf eine Hand zum Ereignis auswächst, gibt es in diesem Recital nicht einen Moment, der nicht die Erkenntnis des Außergewöhnlichen atmet. Als Kantorow seinen Vortrag dann auch noch mit dem Liebestod beschließt, ist es vollends um mich geschehen. Die Motivation, einen Klavierabend zu besuchen, ist sicher bei den geneigten Besuchern verschieden geartet, ich persönlich habe mich heute sehr gern mit dem Gefühl auf den Heimweg gemacht, mich erst einmal erholen zu müssen.

29. März 2024

Parsifal – Axel Kober. Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 5, Platz 156



Klingt schön, wenn im Programmheft von „Bewegender Schlichtheit“ die Rede ist. Mag sein, dass Herr Thalheimer ebendiese mit seiner Regiearbeit angestrebt hat, für mein Empfinden schlug das Pendel heute allerdings gewaltig Richtung Schlichtheit und kaum messbar in bewegende Gefilde aus: Ein reduziertes, von Kreuzsymbolik geprägtes Bühnenbild gepaart mit weitgehender Abwesenheit von Personenregie. Wenn es szenische Anweisungen gibt, sind diese entweder affektiert/übertrieben (Amfortas agiert wie in einem schlechten Stummfilm, Klingsor als Meat Loaf Verschnitt), platt (Klingsors Dödelspeer-Geste), unverständlich/verkopft (Kundry mit Pistole) oder schlichtweg störend (Kundrys Schreibschmieraktion torpediert den Dialog Gurnemanz/Parsifal – und ihre eigentlichen szenischen Einsätze nimmt sie nicht wahr – Parsifals Fußwaschung und -Salbung; ihre eigene Taufe). Oft scheinen die Akteure nicht wirklich zu wissen, was sie mit all der reduzierten Leere anfangen sollen. Man schmiegt sich an die Wände, man geht langsam rückwärts vom aktuellen Protagonisten weg. Warum ist Parsifal am Ende als Clown geschminkt? Der Regisseur schreibt im Programmheft, der Namensgeber sei am Ende überfordert – warum? Und weshalb geht Gurnemanz an Krücken – muss man sich um Herrn König Sorgen machen? Fragen über (brotlose) Fragen.

Musikalisch war es ein guter Abend, aber gut reicht in diesem Falle natürlich nicht. Das Orchester sehr schön, aber Kober insgesamt zu statisch, wenig Fluss, geschweige denn der Sog, welcher mich sonst etwa spätestens beim Aufbruch zur Burg, allemal beim Ritus in Hypnose versetzt – wo bleiben Trance und Ekstase? Auch die Sänger tragen ihren Teil zum ordentlichen Eindruck bei, wo das musikalische Herz das Außerordentliche ersehnt. Es ist nicht leicht. Doch auch wenn dieser Abend, der für mich der letzte mit Axel Kober als GMD in Düsseldorf gewesen sein wird, nicht der erhoffte krönende Abschluss wurde, dominiert Dankbarkeit über Jahre des Wirkens, die die Deutsche Oper am Rhein zu einer meiner liebsten Adressen werden ließen. Sein Nachfolger (und dereinst der Nachfolgebau) werden sich an vielen wohligen Erinnerungen messen lassen müssen.


Parsifal – Richard Wagner 
Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text vom Komponisten

Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Michael Thalheimer
Bühne – Henrik Ahr
Kostüme – Michaela Barth
Licht – Stefan Bolliger
Chor – Gerhard Michalski
Dramaturgie – Bettina Auer, Anna Grundmeier

Parsifal – Nikolai Schukoff
Gurnemanz – Hans-Peter König
Kundry – Sarah Ferede
Amfortas – Bogdan Baciu
Klingsor – Joachim Goltz
Titurel –Luke Stoker
Erster Gralsritter – Andrés Sulbarán
Zweiter Gralsritter – Žilvinas Miškinis
1. Knappe – Bogdana Bevziuk
2. Knappe – Verena Kronbichler
3. Knappe – Jakob Kleinschrot
4. Knappe – Johannes Preißinger
Blumenmädchen 1/1 – Elena Sancho Pereg
Blumenmädchen 1/2 – Mara Guseynova
Blumenmädchen 1/3 – Alexandra Yangel
Blumenmädchen 2/1 – Alexandra Steiner
Blumenmädchen 2/2 – Anke Krabbe
Blumenmädchen 2/3 – Katarzyna Wlodarczyk
Stimme aus der Höhe – Katarzyna Wlodarczyk

Chor und Herren-Extrachor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

10. September 2023

Bayerisches Staatsorchester – Vladimir Jurowski. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Richard Wagner – Vorspiel zu »Tristan und Isolde« WWV 90
Alban Berg – Konzert für Violine und Orchester »Dem Andenken eines Engels« (Vilde Frang – Violine)

(Pause)

Richard Strauss – Eine Alpensinfonie op. 64
Zugabe:
Richard Wagner – Vorspiel zum 3. Akt zu »Die Meistersinger von Nürnberg« WWV 96



Tristan: erster Eindruck sehr langsam, in der weiteren Entwicklung aber absolut zwingend, ja soghaft. Volltreffer, auch aufgrund des abgeänderten Schlusses – eine Art Mini-Liebestod für den Konzertgebrauch?

Berg: Frang gewohnt sensibel und zart, Eindruck insgesamt stark, am besten im intimen Schluss.

Strauss: Licht und Schatten im Gebirge. Dynamikprobleme? Fortissimo entfaltet nicht so recht Druck? Interpretation evtl. nicht flexibel genug, zu strikt/steif? Unterm Strich aber dennoch (wie immer) ein Erlebnis.

Zugabe: Meistersinger Vorspiel 3. Akt – Wahnmonolog instrumental als Statement gegen den Krieg ohne Worte. Sehr innig und warmherzig vorgetragen.






15. März 2023

San Francisco Symphony – Esa-Pekka Salonen. Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung mit Ivana Rajic,
20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Steven Stucky – Radical Light
Samuel Barber – Konzert für Violine und Orchester op. 14 (Johan Dalene)
Zugabe: Eugène Ysaÿe – Sonate e-Moll op. 27/4 für Violine solo

(Pause)

Esa-Pekka Salonen – Nyx für Orchester
Béla Bartók – Suite aus »Der wunderbare Mandarin« Sz 73
Zugaben:
Jean Sibelius – Valse triste / aus der Schauspielmusik zu »Kuolema« op. 44
Richard Wagner – Vorspiel zum 3. Aufzug aus »Lohengrin« WWV 75



Die Einführung brachte außer einer kurzen Vorstellung der Werke und der Erkenntnis, dass die Saalakustik bei der Beschallung durch die Deckenlautsprecher leider kein Selbstläufer ist, ein kurzweiliges Interview mit dem Soloposaunisten des Orchesters, das einige Einsichten ins Orchesterleben und die Arbeit mit Salonen bot.

Dummerweise hab ich mir wieder keine Notizen gemacht, aber ich weiß noch, dass mir das Konzert und gerade auch die Kombination der (eher "modernen") Werke sehr gefallen hatte. Sowohl das Stück von Stucky als auch Salonens Eigenkomposition ließen nicht allein die Qualität des Orchesters zu Tage treten, sondern wussten schon beim ersten Hören durch ihr Material in den Bann zu ziehen. Mit dem Barber hingegen bin ich überraschenderweise nicht direkt warm geworden, womit ich so nicht gerechnet hätte. An der Interpretation Salonens oder dem Vortrag des vorzüglichen Solisten wird es definitiv nicht gelegen haben. 

Im "Wunderbaren Mandarin" glänzte Salonen wieder einmal mit ordentlich Schmackes und trieb die Recken aus San Francisco in ekstatische Regionen. Die beiden Zugaben hat er häufiger im Gepäck – zunächst den zwischen Melancholie und Wirbel changierenden Walzer, dann als glänzenden Abschluss die strahlenden Blechsalven des Wagnerschen Jubelvorspiels. Die Elphi bebt, die Elphi dankt.


23. Januar 2023

Netherlands Philharmonic Orchestra – Lorenzo Viotti. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Richard Wagner – Siegfried-Idyll E-Dur WWV 103
Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester B-Dur
KV 595 
(Maria João Pires)

Zugabe:
Wolfgang Amadeus Mozart – Adagio / aus: Sonate für Klavier F-Dur
KV 300k

(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Zugaben:
Wolfgang Amadeus Mozart – Ave verum corpus / Motette KV 618
Johannes Brahms – Ungarischer Tanz Nr. 5 g-Moll


Wagner: Orchester sehr schön, vielleicht nicht in jeder Beziehung überragend – Streicher toll, Bläser gut. Viotti mit sehr breitem Tempo, aber vor allem sehr, sehr zartem Ansatz. Beginn traumhaft hingehaucht, ebenso den Schluß ins Nichts verschwindend. Zwischendurch auch nicht lahm, hatte alles schon seinen Sinn. Was für ein Stück. Martha-Momente.

Mozart: es tut mir Leid, es hat keinen Zweck, es ist eine einzige Quälerei. Die Melodik lässt mich im besten Falle gleichgültig, oftmals aber eher abgestoßen zurück, die Harmonik hart unterfordernd bis einlullend – bin wieder mehrfach weggeknackt. Das schafft nur Mozart – auch ne Leistung. Dabei gibt es schon Abwechslung, aber keine interessante. Und diese zermürbenden Wiederholungen von Dingen, die meine Geduld schon beim ersten Hören strapazierten. Pires mit schön zartem Anschlag, doch was bringt es bei dem Material. Drei Sätze Zeit schinden. Kolossal unbefriedigend.

Brahms: Die Zweite entschädigt für das snoozefest vor der Pause, obgleich ich sie schon berührender erlebt habe. Aber was soll man erwarten, wenn selbst der Dirigent auf die üblichen Programmheft-Gemeinplätze verweist und die Sinfonie in seiner kleinen Anmoderation (machte er vor allen Stücken) als durchweg „heiter“ einstuft. Ist mir ein Rätsel, wie die Ambivalenz, das teilweise bittersüß Wehmütige, Zweifelnde, angesichts eines meinetwegen insgesamt als gelöst zu bezeichnenden Grundtones am Ohr vorbeigehen kann. Egal, bei Mahlers 4. ist der Fall ja ähnlich gelagert.

In der ersten Zugabe überrascht das Orchester mit seinen Chor-Qualitäten, ein ungarischer Tanz fungiert wieder mal als Rausschmeisser. Nett wars.

1. November 2022

Münchner Philharmoniker – Philippe Jordan. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Robert Schumann – Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 »Rheinische«

(Pause)

Richard Wagner – Siegfrieds Rheinfahrt / aus der Oper »Götterdämmerung« WWV 86D
Trauermarsch und Schlussgesang der Brünnhilde / aus der Oper »Götterdämmerung« WWV 86D (Camilla Nylund)



Schumann: Für gewöhnlich sind meine Favoritensätze 1 und 4, heute kam es Dank Jordan anders: 1. Satz irgendwie schleppend, obwohl es nicht am Tempo lag – Artikulation nicht meins, nicht kantig, grimmig genug, zu wenig Kontraste im Ausdruck und in der Dynamik, Orchesterklang seltsam dumpf. Ganz anders 2. Satz (dem ich sonst wenig abgewinnen mag) – Rubatoansatz funktioniert prima, transparent, Dynamikregulation, Facetten – alles top. Ebenso 3. Satz: auch hier Feinregulation, toller Streicherklang (!?). 4. Satz schon dicht und stimmig, aber hier wieder zu wenig düster, grimmig, nur getragen, insgesamt aber ok. 5. Satz erst wieder ähnlich lasch wie der erste, dann zum Endspurt wacht Jordan auf und zeigt, was möglich gewesen wäre: Wahnsinnsantritt, Explosion, spritzig – ich kapiers nicht, warum nicht gleich so?

Wagner: Nicht meine, aber eine sehr stimmige Interpretation. Sonnenaufgang wahnsinnig schön herausgebildet. Jordan ist mir unter dem Strich etwas zu kultiviert. In den Extremen, den Ausbrüchen muss man auch mal den Solti rauslassen, sonst knallt es nicht. Bzw. es kann halt nicht nur halb knallen – ganz oder gar nicht. Jordan nimmt Rücksicht auf Nylund, hält sich aber generell mit dem Fortissimo zurück, bleibt damit weitgehend transparent. Nylund schöne Stimme, vielleicht kein Monsterorgan aber so ist es mir lieber. Highlights: Trauermarsch Spannungsbogen von Anfang bis zu den Ausbrüchen (die eben nicht von Solti-Kaliber sind). Artikulation ist hier auch ein Thema, faszinierend, was zum Orgasmus führt und was knapp doch nicht. Blech super sattelfest, könnte aber schwärzer, Solohorn schön.

Tolles Gespräch mit Herrn rechts über Klassik, Kinder und HiFi.

7. März 2020

Persimfans Orchester – „Ocean of Sounds”.
Konzertsaal Sarjadje Moskau.

19:00 Uhr, Amphitheater Mitte, Reihe 2, Platz 15
 


Richard Wagner – “The Rhinegold” ouverture
Claude Debussy – “La mer”. Three symphonic sketches for orchestra
Toru Takemitsu – “Rain Tree”, for three percussion instruments

(Pause)

Kevin Volans – “Atlantic Crossing” Concerto №2 for piano and orchestra
(Russian premiere)
John Luther Adams – “Dark Waves” For orchestra and electronic sounds
(Russian premiere)



Wer sich ernsthaft immer noch fragt, wozu ein Orchester – zumindest ab einer bestimmten Größe –idealerweise einen Dirigenten in Anspruch nimmt, bekam diese Frage heute eindrucksvoll beantwortet. Nichts gegen die Ambition der ausführenden Künstler, aber wenn man sieht, was die Mitglieder des Persimfans Orchester alles unternehmen, um die Abwesenheit eines Organisators am Pult zu kompensieren (von der Interpretation der Werke einmal ganz abgesehen), frage ich mich viel eher, warum man es sich denn künstlich so schwer machen muss.

Die Musiker sitzen zum einen kreisförmig zueinander, um überhaupt halbwegs zusammenzubleiben, was dem Klangbild äußerst abträglich ist. Schade, denn so ließ sich heute die akustische Qualität des nagelneuen Saales leider nicht bestimmen. Zum anderen wirkt es fast schon rührend, andauernd mit anzusehen, wie sich immer wieder Einzelne hervortun, um ihren Kollegen mehr oder weniger unsubtil Einsätze mitzugeben. Was in einem Kammerorchester noch (technisch) funktionieren mag, mutet hier ein wenig wie der Kampf gegen Windmühlen an. Dass dabei, ich hatte es bereits angedeutet, auch die interpretatorische Güte auf der Strecke bleibt, davon zeugen ein breiiges Rheingold-Vorspiel und ein Debussy, in dem nicht allein die Wellen drunter und drüber gehen – Schiffbruch mit Ansage.

Den Rest des Programms dann mit modernen/zeitgenössischen Werken zu bestreiten, mag diesen Mangel angesichts der wohl nur entsprechenden Liebhabern bekannten Stücke etwas verschleiern, ändert jedoch nichts an meiner Einschätzung, dass hinter der Ausrichtung des Persimfans Orchester leider viel Konzept bei herzlich wenig Ertrag steckt. Der abschließende herzliche Beifall im mäßig besuchten Auditorium zeugte davon, dass sich nicht wenige mit dem Experiment zufrieden zeigten – ich persönlich werde mir diesen Versuchsaufbau sicher kein zweites Mal geben.

20. Januar 2020

Münchner Philharmoniker – Valery Gergiev.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Claude Debussy – Le martyre de Saint Sébastien /
Sinfonische Fragmente /
Fassung für Sinfonieorchester von Désiré-Émile Inghelbrecht

(Pause)

Richard Wagner – Tristan und Isolde / Zweiter Aufzug

Münchner Philharmoniker


Martina Serafin – Sopran
Yulia Matochkina – Mezzosopran
Andreas Schager – Tenor
Miljenko Turk – Bariton
Mikhail Petrenko – Bass
Dirigent – Valery Gergiev


Der Zahnstocher-Maestro ist zurück mit einem weiteren Riesenprogramm: Zwar nicht das komplette Martyrium des Sebastian, aber zumindest die sinfonische Essenz daraus, fungiert heute lediglich als Klangfarben-Mischübung, um nach der Pause den gesamten zweiten Tristan-Akt auf die Bühne der Elbphilharmonie zu hieven. Dabei hatte der mir bis dato unbekannte Debussy an gleicher Stelle in der halbszenischen Präsentation durch die Hamburger Symphoniker (Link) bereits vor nicht ganz einem Jahr mein Interesse geweckt. Dass den Franzosen Wagner, insbesondere der Parsifal, ungeachtet aller späteren Äußerungen, nicht ganz kalt gelassen haben kann, wurde seinerzeit und heute wieder ohrenkundig.

So gehören die vier rein orchestralen Abschnitte zum Beeindruckendsten und Schönsten aus dem mir bekannten sinfonischen bzw. programmmusikalischen Schaffen Debussys – für mich persönlich angesichts der subtilen Komplexität, harmonischen Kühnheiten und Bandbreite der Stimmungen von morbide bis transzendental weitaus spannender als die ungleich häufiger gespielten Werke des Komponisten. Gergiev und seine Philharmoniker bleiben dabei ihrer Extraklasse treu, der Maestro bestätigt einmal mehr meinen Eindruck, ein besonderes Händchen für Nuanciertes, Fließendes zu besitzen.

Bezogen auf Orchesterleistung und vor allem Dirigat lässt sich diese exemplarische Qualität ebenso nach der Pause beim Tristan feststellen. Gergiev macht gleich ordentlich Tempo und portraitiert das hitzige Zusammentreffen der Liebenden wahrlich als elektrisierenden Rausch. Hier werden keine Gefangenen gemacht. Überhaupt sind die Geschlossenheit und immersive Kraft der Interpretation dieses riesigen Akt-Marathons bemerkens- und bewundernswert. Das ist keine Selbstverständlichkeit – das Schlimmste, was diesem nicht enden wollenden Konversationsstück passieren kann ist, dass es auseinanderfällt und dann langatmig wird.

Gleichzeitig steht selbst die beste Interpretation, die mitreißendste Orchesterleistung letztlich im Dienste, die Fixpunkte eben dieser Konversation bestmöglich zu unterstützen – das namensgebende (Sänger-)Paar. Brangäne ist eine berührende Rolle in ihrer Zerrissenheit als gleichzeitige Mahnerin und Komplizin, aber wenn man nach der Aufführung feststellen muss, dass Frau Matochkinas Stimme vom Ausdruck und Timbre her jene der beiden Hauptpartien übertroffen hat, ist das nicht das Beste Zeichen.

Ich schätze Herrn Schager sehr für sein klares, strahlendes Forte. Im Lied von der Erde, ebenfalls unter Gergiev, (Link) hätte ich mir die Tenorpartie kaum besser denken können, so kraftvoll, ja teilweise regelrecht scharf gegen das Schicksal ansingend. Für den Tristan, gerade den zweiten Akt und seine überirdische Zauberwelt der „Nacht der Liebe“, besitzt Schager jedoch nicht die nötige Wärme und Verletzlichkeit in der Stimme. Gleiches möchte ich zumindest in Teilen auch der insgesamt tadellos agierenden Frau Serafin unterstellen.

Es hat sich heute wieder bewahrheitet, dass diese Partitur mit seinen Partien nicht nur auf inhaltlicher, philosophischer Ebene Übermenschliches zu behandeln sucht, sondern dabei in gewisser Weise unmenschliche Wege geht, gehen muss. Auch Mikhail Petrenko ist erfahrungsgemäß ein wunderbarer Bass – wenn man jedoch ein- (oder gar zweimal) René Pape als König Marke erleben durfte, ist man wohl zeitlebens für diese Rolle verdorben.

Womit ich wieder einmal im Reich der Gedankenspiele angekommen wäre. Gibt es sie überhaupt – die ideale Isolde, den idealen Tristan? Hat es sie je gegeben? Wie sehr verklärt man Windgassen, Nilsson & Co. im heimischen Tonträger-Mausoleum? Ich weiß es nicht. Was ich weiß bzw. feststellen muss, dass ich mich bereits live dieser Utopie einer Vollendung des Vollendeten durchaus näher gefühlt habe, sei es in München (Link), sei es in Bayreuth (Link).

Inwiefern die Lebendigmachung des Stoffes auf der ihm angestammten Opernbühne dazu beigetragen haben mag, lässt sich nachträglich kaum bemessen. Das ist auch unerheblich. Was zählt ist, dass auch an diesem heutigen Abend das Versprechen gegeben wurde, das Bestmögliche im Dienste eines der größten Werke überhaupt zu geben. Darüber lässt mich auch seine („nur“) teilweise Einlösung mit der alles andere als einfach zu greifenden Mischung aus Verzückung und Verwundung in meinen Sessel sinken.

23. April 2019

Orgel pur – Isabelle Demers.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Inspiration Venedig

Johann Sebastian Bach – Concerto a-Moll BWV 593
Andrea Gabrieli – Un gai berger aus »Canzoni alla francese«
Richard Wagner / Edwin Henry Lemare – Vorspiel und Liebestod aus »Tristan und Isolde«

(Pause)

Jean Guillou – Concerto d-Moll nach Vivaldi
Tomaso Albinoni – Triosonate d-Moll op. 1/1
Igor Strawinsky – Drei Tänze aus Petruschka
(Bearbeitung für Orgel von Isabelle Demers)

Zugabe:
George Thalben-Ball – Variations on a Theme by Paganini



Thomas Cornelius weiß einfach, wie man eine Einführung macht – in launigem Plauderton erfolgt die durchaus unterhaltsame Vorstellung des Instruments. Grundlegendes über den Aufbau, die Register, die Einsatzmöglichkeiten. Und weil er diese Art des Orgel-Crashkurses offenbar vor jedem Konzert der Reihe gibt, um vor allem Neulingen eine Druckbetankung zu liefern, variiert er den Schluß der Präsentation und stellt als Bonus für die Abonnenten jeweils eine besondere Pfeifenart und ihre Wirkungsweise vor.

Es folgt ein kurzes Gespräch mit der Organistin des Abends. Es geht um Hamburg als Orgelstadt (die Hauptkirchen und ihre Instrumente), sowie den Umstand, dass sich das Programmtitel stiftende Venedig weniger mit solch einem Titel rühmen darf. Der Grund dafür ist ebenso interessant wie verblüffend: Die Entwicklung der Orgel in Italien endete Mitte des 17. Jahrhunderts. Bezüge des Programms werden angesprochen, wobei Frau Demers erfrischend unverblümt klarstellt, dass es ihr in erster Linie darum ging, möglichst viele Facetten der Elphi-Orgel zeigen zu können. Sie lobt den warmer Klang, und gibt augenzwinkernd zu, dass sie als Orgel-Begeisterte die Realität der von ihr wohl gewöhnlich bespielten US-Konzertsäle nicht unbedingt als Maßstab sieht.

Randnotiz: Während sich der Saal vor dem eigentlichen Konzert langsam füllt, kann man wieder einmal ein besonders knuffiges Eumel-Verhalten studieren: Man „testet“ die Akustik mit einem Klatschen oder Schnalzen. Da erkennt man gleich den Klang-Experten.

Zu den Stücken. Bach: klein und fein. Gabrieli: hier legt Frau Demers eine irre Geläufigkeit an den Tag – ein erstes Ausrufezeichen. Wagner: Das Schwellwerk ermöglicht auf beeindruckend organische Weise ein crescendo/decrescendo, die Steigerungen zeigen hier auch im stufenweisen Zünden ihre Wirkung. Frau Demers absolut Wagner-geeignet, Timing, Phrasierung, alles passt. Nach der Pause geht es virtuos weiter, bis man sich schließlich beim Strawinsky ebenso ungläubig wie geflasht fragt, was man denn bitte noch alles aus diesem Instrument hervorzulocken vermag – nur damit einem die folgende, irrwitzige Pedalorgie der Paganini-Variationen darauf prompt eine Antwort gibt, welche die Zuhörer offenen Mundes oder von Ohr zu Ohr grinsend mit tosendem Applaus honorierten.

6. Dezember 2018

Klavierabend – Igor Levit.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, 1. Rang rechts, Loge 8, Reihe 2, Platz 6


Johannes Brahms – Ciaconna aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 
von Johann Sebastian Bach
Ferruccio Busoni – Fantasia nach J.S. Bach BV 253
Robert Schumann – Geistervariationen Es-Dur WoO 24

(Pause)

Franz Liszt – Feierlicher Marsch zum heiligen Gral aus »Parsifal« 

(Wagner) S 450
Ferruccio Busoni – Fantasie und Fuge über den Choral
»Ad nos, ad salutarem undam« S 259 von Franz Liszt (Meyerbeer)

Zugabe: Schumann?



Die ebenso verblüffende wie traurige Erkenntnis des Abends: Das Publikum in der Laeiszhalle ist (mittlerweile?) ebenso von ignorantem Pack durchsetzt wie die dafür oft von mir gescholtene Kundschaft der Elbphilharmonie. Wow, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet – die mieseste Atmosphäre, die ich seit langem in einem Konzert, selbst und vor allem auch Soloabend, zu erleiden hatte. Die ganze Klaviatur (!) der Asozialitäten und Unmusikalismen in geballter, komprimierter Form bereits bis zur Halbzeit weidlich ausgereizt. Huster im Sekundentakt, ach was, regelrechte pulmologische Exzesse, vom verendenden Röcheln bis zur schleimgeballten Eruption, ein vollendet durchgehaltener Klingelton, später ein weiteres pianissimo-zerschneidendes Handy-Signal, diverses Lehnengeballer und strategisch günstigst platziertes Gedönsfallenlassen, abgerundet durch alle Feinheiten der nervösen Zappelphillipperei in besonders ruhigen Momenten – all dies machten den von Dante sträflich ausgelassenen Kreis der Hölle durch akustische Folter perfekt, der dummerweise von der uneingeschränkt beeindruckenden pianistischen Leistung untermalt wurde, die ich mir nach München (Link) von Igor Levit erhofft hatte.

Jener hatte eine Werkauswahl im Gepäck, welche ich mir in ihrer programmatischen Wucht nicht beeindruckender hätte erträumen können. Gerade für mich als Opern-Freak im Allgemeinen und Busoni-Fan im Besonderen war diese Zusammenstellung ein Geschenk, bzw. hätte es werden können, wenn, ja wenn ... Umso frustrierender, da der Vortrag des Russen an diesem Abend kaum zu toppen sein dürfte. Und welch eine Leistung, in diesem Banausenmoloch als Solist alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen zu lassen – sieht man von Levits fassungslosem Kopfschütteln ab, als ein weiteres Handy das Verklingen eines Werkes jäh durchschnitt. Was könnte man heute nicht alles über pianistische Feinheiten fabulieren, über die überlegene Technik und Ausdruckskraft Levits ins Schwärmen geraten, doch leider ist mir heute ganz und gar nicht zum Schwärmen, denn zum Kotzen zumute. Dieses Publikum ist wirklich eine Schande für Hamburgs Kulturszene.

These: Die Elbphilharmonie bringt mehr Menschen in klassische Konzerte, auch in die Laeiszhalle, aber leider die falschen. Das hat gar nichts mit „Erfahrung“ oder „Überforderung“ zu tun – auch wenn ich noch nie im Sternerestaurant gespeist hab, komme ich als an die Gebräuche der allgemeinen Koexistenz herangeführter Mensch nicht auf die Idee, die Füße auf den Tisch zu legen. Wer sich beim Klavierabend nicht ruhig zu verhalten weiß, ist nicht weniger asozial und gehört je nach „Leiden“ entweder ins Lungensanatorium, die Nervenheilanstalt oder gleich zum Silbereisen. Immer wieder verblüffend: beim virtuosen Flügelgedonner des Liszt/Busoni/Meyerbeer-Finales wird seltsamerweise nicht mehr gehustet – da ist dem Künstler dann die Aufmerksamkeit selbst des letzten Akustik-Analphabeten gewiß.

Es war aber auch alles am Start. Eines der Highlights war zweifellos ein alter Klassiker: der Bonbonauswickler in Zeitlupe. Durchaus mit inhaltlichen Bezügen zur dadurch geschändeten Parsifal-Weihfestspiel-Verzückung – zum Raum wurde hier die Zeit, wenn auch ein grundweg hässlich eingerichteter. Ansonsten wie gesagt das Hauptproblem des Abends eine akustische Dichtung in der Nachfolge Liszts, frei nach Strauss: Tod und Verwesung. Allerdings fast noch schlimmer als jene Hustinettenbären sind die, die sich darüber hörbar echauffieren (um dann selbst sein Programmheft lautstark fallen zu lassen und nach ihm rumzusuchen), oder der verhinderte Kulturattaché hinter mir, der zwar um das Privileg weiß, in einer Probe einen leeren und somit stillen Saal genießen zu dürfen, trotzdem selbst aber die dummen Husterer als seines Zeichens dümmste Sau im Stall gut hörbar kommentiert.

Ab einem gewissen Zeitpunkt – man hat erkannt, das es zwecklos ist, dem musikalischen Fortgang konzentriert Folge leisten zu wollen – nimmt man verbittert aber leise (!) ganz neue Möglichkeiten der Instrumentation wahr. Das Handyfernorchester beispielsweise. An Mahlers Wirken ohrenscheinlich angelegt, funktioniert es doch gewissermaßen umgedreht: erst laut im Saal, dann ein einzelner trockener Schicksals-Hammerschlag der Sitzlehne, dann langsam beim Raustraben aus dem Saal verlöschend, nach dem Zufallen der Türe noch eine Weile von draußen zu vernehmen, jetzt leise, aber durchaus noch prägnant – ein Ton gewordenes Symbol für die Erinnerung an die gute alte (respektvolle) Zeit, die es so wahrscheinlich doch nie gab.

Einschub Funkuhren: Welcher Musikliebhaber kann eine Funkuhr besitzen, also so ein Ding, welches zu jeder vollen Stunde das Signal einer weiteren (überstandenen?) Stunde von sich gibt. Ich werde es wohl nicht mehr verstehen.

Wahrscheinlich sind das ganz wichtige Menschen, die immer und überall über alles informiert sein müssen, zur Not auch per Piepton. Überhaupt gehen scheinbar nur ganz wichtige Menschen ins Konzert, zumindest sind es solche, die ihre eigene Existenz klar über jene der anderen Beteiligten stellen. Wie der Herr, der in seinem Hustenanfall zumindest anstandshalber (aber natürlich doch ohne Anstand – knallende Lehne muss sein!) den Saal verlässt. Jedoch wenig später, die Loge in gleißendes Licht hüllend, selbige wieder betritt, erst hinten stehend, um dann schließlich doch bei laufendem Konzert seinen Platz an der Sonne in der ersten Reihe wieder einzunehmen, den er mit seiner Störung mehr als verwirkt hat. Das Ego der Leute. Ich, ich ich. Das gleiche Bild nach dem Konzert an der Garderobe: (Hauptsächlich alte) Menschen ohne Benehmen, die zur Mantelausgabe drängeln, als ginge gleich der letzte Zug ins Paradies. „Lassen Sie mich durch, ich bin Ar ... mleuchter!“

Dabei hätten diese armseligen Kulturtouristen doch ganz ergriffen oder beseelt nach Hause schweben müssen, wenn sie ein aufnahmefähiges Herz dafür besäßen, was Herr Levit da heute für sie veranstaltet hat. Für mich war der Abend – trotz der katastrophalen Umstände – nichts weniger als eine Wiedererstehung des Virtuosenkonzerts, vielleicht im Geiste Liszts – die Faszination des Virtuosen, bei der es aber um mehr geht als Technik und Artistik am Flügel – die Architektur der Überwältigung, durchaus mit dem Element der physischen Einwirkung und Berauschung, im Lauten wie im Leisen, im Schnellen wie im Langsamen, im Klingenden wie im Unhörbaren. Bestimmte einzelne Momente, das Wissen um die Möglichkeit dieser Intensität, trösten ein wenig darüber hinweg, ihre vollständige Einlösung heute nicht erfahren zu haben.

25. November 2018

Götterdämmerung – Axel Kober.
Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Orchestersitz links, Reihe 5, Platz 153



Gutrune als Fixerbraut, Gunther als Edel-Alki und dann lässt sich Siegfried am Gibichungenhof auch noch ganz ohne Amnesie-Drink den doch ach so in ewiger Minne zu Brünnhilde entflammten Kopf verdrehen – das sind natürlich für den geneigten Erz-Wagnerianer unhaltbare Zustände, Sakrilegien am heiligen Hort Richard’schen Kulturgutes.

Ein einzelnes, schwachbrüstig-empörtes „Buh“ als Lautmeldung zu Gutrunes Griff zum Heroinbesteck zeugte von dieser Geisteshaltung eines eher überschaubaren Auseinandersetzungswillens mit den angeblich so heiß geliebten und verinnerlichten Klassikern. In mir lässt jenes irritierende Geräusch eher eine Mischung aus Mitleid und Fassungslosigkeit aufkommen und ist akustische Bestätigung dessen, dass Dietrich Hilsdorf und sein Team mit dieser Götterdämmerung, wie schon in den vorangehenden Teilen der Tetralogie, einiges richtig gemacht haben, mehr noch, auch inszenatorisch einen Ring zu schmieden wussten, der Wagners Riesenwerk ins Mark durchleuchtet und für mich persönlich spätestens mit diesem Schlussstein Referenzcharakter erreicht hat.

Es ist doch nicht so schwer: Gutrune ist halt verzweifelt am Hofe ihres Schwächling-Bruders – hier als Säufer dargestellt – und will folgerichtig bei ihrem ersten Auftritt gleich wieder abtreten und sich wie Rose in Titanic über die Heckreiling des Rheindampfers stürzen, der die Gibichungenhalle gibt. Überhaupt inszeniert Hilsdorf den Rhein gleich als Wink an die Oper am Rhein mit, inklusive Düsseldorfer Brücke (und Duisburg-Panorama?) Die Nornen am Rhein, oder: draußen nur Kännchen. Mit dem Kellner wird sich der Kreis bzw. Ring am Ende schließen.

Doch bis dahin gibt es noch eine Menge zu reflektieren. So erliegt Siegfried nicht dem Trank, sondern schlicht seinen Trieben. Das ergibt insofern Sinn, wenn man sich den Text später in der Rheintöchterszene einmal auf der Zunge zergehen lässt – Fremdgehen scheint auch hier kein Problem für den jungen Tunichtgut. Für Sex mit den Nixen hätte er den Ring bereitwillig abgegeben, erst ihre Warnungen und vor allem Drohungen entfachen seinen Trotz und besiegeln sein Schicksal. Sehr gut inszeniert und gespielt auch, wie Siegfried zu Beginn Gutrune gebannt folgt, die sich ihm verführerisch im Führerhaus entzieht, bis sie schließlich den Vorhang vielsagend zuzieht.

Und es kommt noch dicker für den hehrsten Helden. Kein Umkehrtrank, sondern schlicht Alkohol lässt Siegfried auf der Jagd wieder die Wahrheit sagen. Die Idee, dass Tränke bei Wagner eventuell nur als Bild oder Vehikel fungieren, ist vielleicht nicht neu (Vgl. den Liebestrank in Tristan und Isolde: Nur ein Depp merkt nicht, dass da schon vorher was ging), aber in dieser an tragischer Komik oder komischen Tragik kaum zu steinernen Szene bissig und böse umgesetzt.

Aber wer kommt schon gut weg in dieser Oper, Pardon, Bühnenfestspiel. Heute teilweise gar Bühnenkarneval. Und Karneval ist bekanntlich mitunter eine brutale Angelegenheit, fragen sie mal die Soldaten, die als Zeugen bei Siegfrieds Bier-Beichte dabei waren. Oder Alberich. Selbst sieht er sich als Einflüsterer Hagens und erliegt damit dem gleichen Marionettentrugschluss wie sein Erzfeind Wotan: „Für mich gewinn ich den Ring ...“ tönt der besäuselte Spross nach Vatis Abgang, oh weh.

Unter Siegfrieds Trauermarsch wird schließlich jedes Deutschland als Flagge zu Grabe getragen, doch die letzte ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit? Hilsdorf zieht mit dieser Götterdämmerung alle Register, am Ende schießt er mit den Botho-Strauß-Zeilen vielleicht eine Spur über das Ziel hinaus. Nicht inhaltlich, sondern die Aufnahmefähigkeit selbst gewillter Zuschauer wie mich betreffend.

Der rheinische Ring bleibt sich übrigens bis in Details der Ausstattung treu. Auch heute umrahmt die Bühne wieder die der an Varieté erinnernde Stuckrahmen mit Glühlampenreihen – bei der grünen Fee leuchtet er entsprechend gefärbt oder simuliert mit zwei Birnen, grün und rot, eine Rhein-Schleuse. Alles fließt. Nicht zuletzt die Musik.

Axel Kober und das delikate Dirigat. Bei Steigerungen mitunter sehr schnell, gar ungewohnt (vgl. das Rheinfahrt-Geschmetter oder die Hagen-Chorstellen), aber immer organisch und fesselnd. Dazu ein Top-Ensemble, aus dem ich nach vier fantastischen Abenden wirklich niemanden mehr hervorheben möchte. Auch wenn dies, so grüble ich, wohl mein erster Komplett-Ring war, so habe ich doch bereits genug Ring-Segmenten beigewohnt um klar sagen zu können, dass der Deutschen Oper am Rhein sowie insbesondere Herrn Hilsdorf und seinem Team etwas ganz Besonderes gelungen ist, an dem sich künftige Eindrücke werden messen lassen müssen. Vielen Dank für diese Reise.


Götterdämmerung
Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“
Musik und Text – Richard Wagner

Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung –Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Volker Weinhart
Chor –Gerhard Michalski
Mitarbeit Regie – Ilaria Lanzino, Dorian Dreher
Dramaturgie –Bernhard F. Loges, Anna Grundmeier

Siegfried – Michael Weinius
Gunther – Bogdan Baciu
Alberich – Michael Kraus
Hagen – Hans-Peter König
Brünnhilde – Linda Watson
Gutrune – Sylvia Hamvasi
Walraute – Katarzyna Kuncio
1. Norn – Susan Maclean
2. Norn – Sarah Ferede
3. Norn – Morenike Fadayomi
Woglinde – Anke Krabbe
Wellgunde – Kimberly Boettger-Soller
Floßhilde – Ramona Zaharia
Mannen – Bo-Hyeon Mun, Domg-In Choi, Volker Philippi

Chor und Extrachor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

7. Juli 2018

NDR Jugendsinfonieorchester – Stefan Geiger.
Elbphilhamonie Hamburg.

19:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 11



Richard Strauss – Wiener Philharmoniker Fanfare 
Louis Spohr – Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 2 Es-Dur op. 57 (Gaspare Buonomano)

(Pause)

Richard Wagner – Der „Ring“ ohne Worte – zusammengestellt von Lorin Maazel



Ich muss sagen, dass Maazels Arrangement viel besser funktioniert, als ich im Vorwege angenommen hatte – auch und gerade weil er auf diverse „Schlager“ aus dem Ring verzichtet. Einige der beliebtesten Gesangsnummern, wie etwa Siegmunds „Winterstürme“ oder Siegfrieds „Schmiedelied“, das nur angerissen wird, haben nicht den Weg in die chronologische Zeitraffer-Tetralogie-Synthese gefunden, wodurch der Leitmotiv-Medley-Charakter erfreulich gedämpft und die symphonische Geschlossenheit unterstützt wird.

So findet sich, eingerahmt vom Rheingold-Vorspiel und der kompletten Schlussszene der Götterdämmerung nicht unbedingt das eingängigste Material, aber eben jenes, das die Verwandtschaft der vier Opern und die musikalische Entwicklung innerhalb dieser verblüffend anschaulich transportiert. Kein „Best of“, sondern eine wirklich sinfonische Reise vom Rhein zurück in den Rhein. Natürlich dürfen populäre orchestrale Perlen wie der Walkürenritt, das Waldweben oder Siegfrieds Trauermarsch nicht fehlen, aber gerade am Beispiel des wohl bekanntesten Auszugs aus dem Ring, besagtem Ritt der Walküren, lässt sich in dieser zeitlich kompakten Anordnung Wagners Entwicklungsarbeit auch für eher ungeübte Ohren nachvollziehen – deutet sich das bekannte Thema beispielsweise bereits Ende des Rheingolds in Donners reinigendem Gewitter an, begleitet es die Auftritte und Abgänge Wotans und ist letztlich doch untrennbar mit der hehrsten Walküre Brünnhilde verbunden, auch wenn sie bereits längst sterblich geworden ist und ihrem Siegfried in den Tod folgt.

Maazel ist ebenfalls weise genug, nicht jedes Akt- oder gar Werkfinale in die Partitur zu stopfen. Wenn es dramaturgisch passt, nutzt er z.B. den pfeilschnellen ersten Walküren-Aktschluss als Zäsur, ansonsten leitete er zumeist vor der eigentlichen Schlussklimax zum nächsten Teil über. Ein weiterer Grund, auf allzu „ariose“ Höchepunkte zu verzichten, liegt wahrscheinlich in dem Wissen darum, dass sich Gesang nur unbefriedigend durch die Übertragung an Orchesterstimmen ersetzen lässt, glücklicherweise verfügt das sinfonische Gerüst der Tetralogie Dank Wagner über derart viele Schichten, so daß es auch einmal spannend ist, ihren Reichtümern ohne die Textebene nachzuspüren. Wunderschön beispielsweise eine Passage im Gotterdämmerungsteil – ich tippe auf die Unterredung Siegfrieds mit den Rheintöchtern, obwohl ich nicht firm im letzten Teil des Ringes bin – meine erste Live-Götterdämmerung steht noch aus.

Alles in allem eine wunderbare Arbeit des hochgeschätzten Dirigenten Maazel, sowohl für Wagnerianer und solche, die, von der Vorstellung mehrstündiger Opernabende eingeschüchtert, so dennoch ihre Liebe zu dieser unglaublichen Musik entdecken können. Das Dirigat von Herrn Geiger fand ich übrigens gar nicht mal schlecht, wenn sich auch hier der Vergleich mit einem Maazel oder gar Solti verbietet. Das Jugendorchester des NDR liefert solide Arbeit, stößt jedoch immer wieder an seine Grenzen was Ausdruck, Zusammenspiel und Technik an sich angeht – gerade beim Blech muss man da Gnade vor Recht ergehen lassen. Die Strauss-Fanfare als Lippenlockerungsübung und das Spohr-Konzert waren nicht wirklich der Rede wert, obwohl Herr Buonomano mit stupender Virtuosität und makelloser Phrasierungskunst – allein dieses Legato im zweiten Satz! – begeisterte.

Fazit: ein wunderbarer Abend mit unschlagbarem Preis-Leistungsverhältnis.

29. April 2018

Siegfried – Axel Kober. Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Parkett links, Reihe 7, Platz 235



Es ist nun schon über fünf Jahre her, dass ich den Start des Hilsdorf-Rings in Düsseldorf mit dem Rheingold erleben durfte, mehr als vier Jahre seit dem Siegfried, dessen Besprechung ich seinerzeit dummerweise immer weiter vor mir hergeschoben hatte. In noch dümmerer Weise ohne damals Notizen gemacht zu haben, so dass mir nun, im Jahre 2022 nur die Gewissheit geblieben ist, dass dieser Teil der Düsseldorfer Tetralogie seinen Geschwistern in nichts nachstand. Das Bild des sterbenden Fafner ist nur einer von vielen starken Eindrücken, die davon in meiner Erinnerung weiterhin Zeugnis ablegen: Ein stählernes Maschinenungetüm, dessen Kessel sich öffnet und aus dem der Sänger tödlich getroffen hervorkriecht. Der Dampfllug als Fafners Hülle und Gefängnis – der Rußverschmierte hat all die Jahre nur besessen, aber nichts gewonnen. Oder kurz gesagt: Ich weiß nicht mehr so viel, aber eines weiß ich noch: es war ein großartiger Abend.


Richard Wagner – Siegfried
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Bernhard F. Loges

Siegfried – Michael Weinius
Mime – Matthias Klink
Der Wanderer – Simon Neal
Alberich – Michael Kraus?
Stimme des Fafner – Thorsten Grümbel
Erda – Susan Maclean
Brünnhilde – Linda Watson
Stimme des Waldvogels – Elena Sancho Pereg
Düsseldorfer Symphoniker

31. März 2018

Die Walküre – Axel Kober. Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 8, Platz 255



Nach dem grandiosen Rheingold (Link) nun Teil zwei der Hilsdorf-Tetralogie in Düsseldorf. Das Fazit vorweg: Der Rheinoper-Ring schmiedet sich ebenso stimmig und stark fort, wie er begonnen hat.

Ein Einheitsbühnenbild, das aktweise variiert wird. Hundings Hütte eine Art industrielle Halle – quadratische Fenster, Gitterdecke, die Esche ist eine rechteckige Säule mit Rindenstruktur, in der Nothung als Kleiderhaken für Hundings Mantel dient. Wahrscheinlich hat sich der Hausherr auch an dem Altmetall in seinem Heim abgemüht, um es dann schließlich in dieser Form in den Alltag zu integrieren. Des weiteren komplettieren ein Herd, ein Esstisch etc. das Ambiente, nach rechts führt eine Tür ins Séparée. Zwei auffällig zentral postierte Waffenkisten wecken Interesse – Siegmund sucht gleich mal vergeblich die verheißene Waffe darin. Eine Tür im Hintergrund wird für Schlüsselszenen genutzt, etwa beim Mondschein, der von dort hineinflutet oder bei Frickas dramatischem Auftritt im 2. Akt.

In selbigem scheint sich die Bühne insbesondere durch höhere Fenster zu unterscheiden, zudem säbelt ein (zu diesem Zeitpunkt noch zu dechiffrierendes) Rotorblatt die (Welt-)Esche bedeutungsschwer darnieder und schafft die Verbindung zum dritten Akt. Dort liegt – eine Anspielung auf Coppolas Verwendung des Walkürenritts in Apocalypse Now – ein havarierter Bell-Helikopter inmitten der Szenerie, die eine Mischung aus Walkürenfelsen und Walhall-Einblick gewährt: An einer Bar sorgen die Schildjungfern für das Wohl diverser gefallener Krieger (hier ganz und gar unheldisch als träge, bleiche Zombies dargestellt), wobei neben dem Ausschank von Met durchaus noch weitere sinnliche Freuden im Jenseits winken, wie die reizvolle Bekleidung der Damen unter ihren Militärmänteln vermuten lässt.

Wie schon im Rheingold wartet die Inszenierung neben einer stets inspirierten und plausiblen Personenregie, welche aus Sagengestalten Menschen macht, mit einer Vielzahl intelligenter Einfälle auf, die allesamt Ausdruck einer tiefen, ernsthaften Beschäftigung des Teams mit dem Stoff sind. So ist Hunding durch seinem Karabiner von vornherein Siegmund mit Schwert überlegen – das Eingreifen Wotans gegen den Willen seiner Frau wird dadurch aus seiner Sicht noch einmal dringlicher. Siegmund nippt erst zögerlich vom Trank Sieglindes, schließlich befand er sich ja gerade eben noch auf der Flucht vor Feinden (Interessant übrigens, dass sich das Paar – wie ein nicht minder bekanntes anderes bei Wagner – ebenfalls bei einem lauschigen Getränk näher kommt). Schließlich tauschen Siegmund und Sieglinde gar die Kleider – ein starkes Symbol für die Tatsache ihrer bewusst wahrgenommenen (auch geschwisterlichen) Einheit, welche sie ja nicht von der körperlichen Vereinigung abhält. Generell muss wieder lobend erwähnt werden, wie einstiegsfreundlich die Regiearbeit doch ist, alle elementaren Hinweise werden ausinszeniert, ungeachtet aller Interpretation bzw. Kommentierung des Stoffes ist die Handlung glasklar aufgezeigt.

Der 2. Akt ist bezüglich der Personenregie besonders interessant. Die „Schachfiguren“ (Siegmund, Sieglinde, Hunding) sind in der Halle der Götter zugegen, reagieren auf das Gesagte. Hunding sucht quasi an Frickas Rockzipfel Sühne, Siegmund reagiert fassungslos auf die Kunde, dass Wotan Wälse und somit sein Vater ist usw.. Dabei sind selbst die Kostüme nah am Text gearbeitet – es laufen schließlich Kriegsvorbereitungen (Alberich/Wotan), Wotan entsprechend in Uniform mit Feldmantel, Siegmund durch den Mantel sein Abbild („Ich knete mir nur Knechte“), passend dazu die Walküren-Outfits: Blutrotes Abendkleid mit stilisierten Harnisch-Elementen plus Feldmantel darüber. Die arme Fricka hat über die Machenschaften ihres Gatten bereits graue Haare bekommen, ist jedoch davon unbeeindruckt die bestimmende Macht des Aktes. Toll, wie gerade dieser extrem textlastige Teil des Werkes durch das famose Spiel der Darsteller wie im Fluge vergeht – kein Konversationsstück, sondern wahres (Beziehungs-)Drama.

Der sturmumtoste Walkürenfelsen wird durch ein Lichtgewitter des omnipräsenten Bühnenrahmens illuminiert, der sich als Konstante durch den Hilsdorf-Ring zu ziehen scheint. Der Abschied zwischen Wotan und Brünnhilde verfehlt auch heute nicht seine rührende Wirkung, projizierter Feuerzauber inklusive.

Beim Dirigat Kobers fällt sofort eingangs und dann immer wieder im Verlauf die flotte Gangart auf, dabei allerdings nicht zu lärmig bei den dynamischen Höhepunkten, sehr differenziert. Das Orchester vielleicht nicht immer perfekt aber klangschön. Akustisch fand ich den Rangplatz intensiver, was angesichts der Platzierung fast schon über dem Orchestergraben kein Wunder ist.

Zu den Sängern: Corby Welch als Siegmund ohne das letzte Quäntchen Schmelz (Winterstürme), aber definitiv der Partie gewachsen im Wechselspiel von Lyrik und Kraft (Nothung!). Elisabeth Strid eine sehr überzeugende Sieglinde – eine schöne Stimme. Linda Watson: eine sichere Bank als Brünnhilde, krass auch der Unterschied zu den übrigen Walküren, dennoch bin ich tonträgertechnisch latent verdorben. Simon Neal mit Top-Organ und Autorität. Einfach auch ein guter Darsteller – stimmlich und agierend, die ganze Tragik der Rolle ausfüllend: der Weltenlenker als armes Würstchen. Sami Luttinen als Hunding gut aber nicht kolossal, Frau Morloc eine respekteinflößende Göttergattin.

So kann es weitergehen!


Richard Wagner – Die Walküre
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Bernhard F. Loges
Spielleitung – Dorian Dreher

Siegmund – Corby Welch
Hunding – Sami Luttinen
Wotan – Simon Neal
Sieglinde – Elisabet Strid
Brünnhilde – Linda Watson
Fricka – Renée Morloc
Helmwiege – Josefine Weber
Gerhilde – Jessica Stavros
Ortlinde – Katja Levin
Waltraute – Katarzyna Kuncio
Siegrune – Zuzana Šveda
Rossweisse – Maria Hilmes
Grimgerde – Katharina von Bülow
Schwertleite – Evelyn Krahe

Düsseldorfer Symphoniker

12. Dezember 2017

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen – Paavo Järvi.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich  Q, Reihe 2, Platz 31


Richard Wagner – Waldweben / Aus: Siegfried WWV 86 C
(Arrangement von Hermann Zumpe)
Sergej Prokofjew – Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 63 
(Viktoria Mullova)
Zugabe: Misha Mullov-Abbado – Brazil

(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Zugaben:
Johannes Brahms – Ungarischer Tanz Nr. 3 F-Dur
Johannes Brahms – Ungarischer Tanz Nr. 10 F-Dur


Mein erstes Konzert hinter dem Orchester – gar nicht so übel. Der typisch duftige Klang, den man mit zunehmender Höhe erlebt, funktioniert auch aus dieser Perspektive. Allerdings macht sich von hier aus bisweilen eine Dominanz der Bläser bemerkbar, die gerade im Brahms das klassische sinfonische Gefüge, welches in der Regel von den Streichern getragen wird, teilweise auf den Kopf stellt – weiter unten sollte man wirklich nicht sitzen, es sei denn, man möchte bewusst beim Bläserapparat ganz dezidiert einen Blick unter die Haube bzw. die Ventile riskieren.

Trotzdem sind feinste Klangmischungen erlebbar – gleich im Waldweben erweisen sich Järvi und sein Orchester als ideale Fürsprecher des Delikaten. Das Prokofjew-Konzert hat mich auf den ersten Blick nicht so angemacht, trotz vieler interessanter Klangwirkungen (z.B. Trompeten plus Solistin). Da schien mir das erste Konzert, welches ich vor kurzem an gleicher Stelle erleben durfte, auf Anhieb spannender (Link). Mullova tadellos, sieht man einmal von leicht befremdlichen Koordinations-Schockmomenten ab (Das Ab- und wieder Anmontieren der Schulterstütze im laufenden Betrieb führte zu einer unfreiwilligen Hatz, bei der sie ihren Einsatz knapp verpasste, wobei Järvi netterweise wartete. Ebenso mutete die Dämpfer-Jonglage gleichsam riskant an). Generell bestätigt sich der Eindruck, dass der Saal Geiger nicht so glänzen lässt, eine gewisse Distanz ist nicht zu leugnen, zumindest auf diese Entfernung. Wobei es sich bei der Zugabe handelte, konnte ich angesichts der Äußerung Richtung Parkett nicht vernehmen – zaubern kann die Akustik halt auch nicht. Glücklicherweise wird das Programm in der Regel im Nachhinein noch auf der Elbphilharmonie-Seite um die Zugaben ergänzt, so konnte ich nachlesen, dass es sich dabei um ein Stück ihres Sohnes handelte.

Nun zu Järvi: Der Mann der kleinen Gesten (was für ein Kontrast zu Frau Hannigan gestern) – so kontrolliert sein Dirigierstil anmutet, so effektiv wie effektvoll ist er. Die Kammerphilharmonie Bremen lässt die Bezeichnung Kammerorchester nicht als Einschränkung gegenüber auf die reine Musikerzahl bezogen „großen“ Orchestern erscheinen, sondern definiert die Gattung mit vorbildlicher Transparenz und Flexibilität ohne dabei auch nur einen Funken Power zu vermissen. Und um Power ging es dann auch nach der Pause: Das war ohne Zweifel der knackigste, kompromissloseste Brahms, den ich je gehört habe. Wenn man ein Stück wie dieses, das man aufgrund seiner Allgegenwart im Konzertbetrieb wie seine Westentasche zu kennen glaubt, in derart neuem Licht präsentiert bekommt, ist das wahrhaftig ein elektrisierendes Erlebnis. Järvi bringt den Brahms, den ich von Solti erwartet hätte (nur dass Soltis Brahms tatsächlich eine eher bedächtige Angelegenheit ist) – schnelle Tempi, peitschende Leidenschaft, die mit inniger Romantik alterniert – Kontraste bis zum Abwinken. Hinzu kommt die Qualität des Orchesters, die sich nicht allein in traumhaften Streichern, sondern exzellenten Bläsern und saftigem Schlagwerk bemisst. So sollten die Solohornstellen klingen, so hört sich ein erhabener Posaunensound an! Dieser Klangkörper als Residenzorchester, und die leidige Suche nach hanseatischer Weltklasse hätte sich erledigt.

Als Zugabe gibt es noch zwei Ungarische Tänze, die das Bremer Brahms-Konzept nahtlos weiterführen – Elan, Verve, Frische, aber immer auch Eleganz, kein plumpes Gepolter. Und natürlich wählt man hier nicht die ausgenudelten Vertreter als Rausschmeißer, sondern zwei nicht so häufig gespielte Tänze. Brahms als Überraschungsgast, vertraut-unvertraut – eine Druckbetankung, die die Innovationskraft des Bekannten feiert.

3. Oktober 2017

Parsifal – Kent Nagano.
Staatsoper Hamburg.

16:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 12, Platz 17



Nachdem ich es aufgrund elbphilharmonischer und sonstiger Engpässe im Kalender erst zum letzten Aufführungstermin in der Premierenspielzeit dieser Neuinszenierung geschafft habe, oszillieren zwei Befindlichkeiten auf dem Heimweg in mir: Wie dumm, nicht jede Gelegenheit wahrgenommen zu haben, solch eine Schatzkammer voll inszenatorischer Auseinandersetzung mit meiner Lieblingsoper (Lieblingsbühnenweihfestspiel hat aufgrund mangelnder Bühnenweihfestspieldichte im Musiktheaterbetrieb einen eher ernüchternden Klang) durchstöbern zu dürfen. Und gleichzeitig wie tröstlich, ja bevorfreudigend, dass diese Produktion in Zukunft (das will ich doch schwer hoffen!) die Repertoirepläne dieses Hauses bereichern wird. „Aber der Wilson-Parsifal war doch so schön!“ Ja, war er. Und ganz ohne Tiefgang sicher auch nicht, aber, um es mal überspitzt festzuhalten: ästhetisch rumstehen war gestern, ab heute geht es ans Eingemachte.

Der Dank für diese besondere Erfahrung gebührt zweifellos Achim Freyer, der das Gesamtkunstwerk seinerseits als Gesamtkunstwerker durchleuchtet. Aufgrund der Vielzahl der Eindrücke nehme ich diesmal mit einer ungefilterten stichwortartigen Sammlung derselben vorlieb.

1. Aufzug

Die Abwesenheit der Farbe; Licht als stimmungsgebendes Element – Grün (Wasser), Rot (Blut, Wunde); Der Gral als Kind mit Babykopf, faszinierend, aber auch verstörend, nicht fasslich; das Leuchten der Gralsritter-Lampen wird rot aufgeladen

Eine dienliche Inszenierung – z.B. wird der Inhalt von Gurnemanz Erzählungen bildlich umgesetzt (Amfortas Versagen, Klingsors Selbstentmannung ... (der Schirm!))

Die Berufe der Gralsritter; Der Schwan als rotes Tuch plus ein paar Federn, die herunterrieseln

Die Geste bei der Erkenntnis des Todes der Mutter – nicht Wissen, Trauern, Verzweiflung. Stilisiertes, Theaterarbeit, nicht Realismus

Musikalisch: mehr Oratorium denn religiöser Rausch, im Kultus fein, doch mir fehlt der Sog, das Unerbittliche – Nagano ist mir zu objektiv


2. Aufzug

Der Tod ist auch hier zu Gast

Klingsor: Klingsors Spiegelungen, Tablet und Knallbonbons, Tand, der Zauberer, der vergrämte Popanz, abgewiesen

Blumenmädchen, Ballons, bunte Kugeln, Projektionen, Leuchtelemente, Rundungen, Versuchungen, kindlich – Klingsor mit den Ballons, bis (über)erotisch, Gummipuppenassoziationen, Pornografie? Lustdienerinnen, Verderberinnen; Was ist Sünde?

Parsifal liegt in Kundrys Schoß / Kundry bettet sich in Parsifals Schoß

Der Speer, abstrakt, Blut, Wunden, Kampf, Krieg, die Ritter, die von Parsifal verwundet werden; Klingsors Wunde unter der übergroßen Krawatte – das Feigenblatt des Versagens


3. Aufzug

Es schneit

Alles da: Krone, Fußwaschung und Salbung ...

Ist der Tod ein Gralsritter?

Wieder eindringliche Gesten – Unwissenheit, Verzweiflung (Herzeleide), Labung (Kundry)

Karfreitagszauber: die musikalische und textliche Bezugnahme auf die Blumenmädchen wird von Freyer genial aufgegriffen – bunte Kreise, Projektionen, von Parsifal und Kundry zum Schwingen gebracht

Am Ende löst sich die Spirale auf; gibt es ein Entrinnen? Worte fliegen herein:„Mensch, Hoffen, Licht, Tod, Ruhe, Erlösung“ ... „Anfang“ bleibt stehen;

Die Decke – ein Spiegel, Spiegelungen, Glanz, Erlösung /Auflösung


Fazit: ungeachtet der unbestreitbaren musikalischen Güte dieses Abends bleibt die Inszenierung der alles bestimmende Faktor einer Produktion, welche das Unmögliche möglich zu machen scheint: eine stringente Erzählung mit einfachsten, ja geradezu archaischen Bildern, die gleichzeitig jene Offenheit der Rezeption zulässt, welche dieses rätselhafte, wunderbar-widersprüchliche Werk bei jedem Erleben aufs Neue mit Ahnungen auf Antworten belohnt, deren Fragen jeden (mit-)fühlenden Menschen berühren sollten.


Richard Wagner – Parsifal
Musikalische Leitung – Kent Nagano
Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht – Achim Freyer
Lichtgestaltung – Sebastian Alphons
Video – Jokob Klaffs / Hugo Reis
Dramaturgie – Klaus-Peter Kehr
Chor – Eberhard Friedrich
Mitarbeit Regie – Sebastian Bauer
Mitarbeit Bühnenbild – Moritz Nitsche
Mitarbeit Kostüm – Petra Weikert
Spielleitung – Tim Jentzen
Produktionsassistenz – Eike Mann
Musikalische Assistenz – Volker Krafft

Amfortas – Wolfgang Koch
Titurel – Tigran Martirossian
Gurnemanz – Kwangchul Youn
Parsifal – Andreas Schager
Klingsor – Vladimir Baykov
Kundry – Claudia Mahnke
1. Gralsritter – Jürgen Sacher
2. Gralsritter – Denis Velev
Knappen – Alexandra Steiner, Ruzana Grigorian, Sergei Ababkin, Sascha Emanuel Kramer
Blumenmädchen (1. Gruppe) – Athanasia Zöhrer, Hellen Kwon, Dorottya Láng
Blumenmädchen (2. Gruppe) – Alexandra Steiner, Gabriele Rossmanith, Nedezhda Karyazina
Stimme aus der Höhe – Katja Pieweck

12. August 2017

Tristan und Isolde – Christian Thielemann.
Festspielhaus Bayreuth.

16:00 Uhr, Türe IV links, Reihe 17, Platz 13



Immer wieder faszinierend, wie sich so ein Opernabend – bzw. in Bayreuther Maßstäben Operntag – doch entwickeln kann. War die musikalische Qualität gleich ab Beginn der Aufführung über jeden Zweifel erhaben, erfuhr die szenische Umsetzung Akt für Akt eine ungeheure Steigerung der Intensität. Es mag auch der ebenso redseligen wie statischen Anlage des ersten Aufzuges geschuldet sein, dass, innerhalb eines Bühnenbild gewordenen Escher-Zitats, welches sinnbildlich und konkret das Zueinanderfinden der beiden Titelpartien bis kurz vor Aktschluss verhindert, die dialogfixierte Handlung etwas schwer in Gang kommt. Interessant hierbei: Tristan und Isolde streben von Anfang an zueinander, werden jedoch von ihren jeweiligen Dienern resolut davon abgehalten. Die Sache ist also klar, nur die äußeren Umstände verhindern vorerst den Drang des Paares, an die gemeinsamen Geschehnisse in Irland anzuknüpfen. Demzufolge ist es nur konsequent, dass der Liebestrank nicht getrunken, sondern im entsprechenden Moment vergossen wird. Der vorgebliche Gifttrank ist nur der Auslöser für beide, im Angesicht des sicher geglaubten Todes die Fesseln der gesellschaftlichen Zwänge abzulegen und dem inneren Trieb nachzugeben. Das zögerliche Hin-und Herreichen des Tranks, bei dem die erst zufälligen, dann immer länger werdenden Berührungen der Hände zunehmend an Zärtlichkeit gewinnen, gehört zu den stärksten Eindrücken dieses szenisch doch insgesamt etwas unmotiviert empfundenen ersten Aufzugs. Vielleicht gehörte auch eine gewisse Gewöhnungsphase dazu, die teils heftig agierende, jedoch stumme Darstellerin und "ihre" Stimme von der Seite der Bühne im Kopf in Einklang zu bringen.

Ab dem zweiten Aufzug waren sowohl diese Diskrepanz als auch etwaige letzte Zweifel an der Regiearbeit verflogen. Katharina Wagner verortet den rauschhaften Sog der gemeinsamen Liebesnacht tiefenpsychologisch motiviert in einem Gefängnishof, das Paar beäugt von Marke selbst und seinen Schergen, die die Szene teils mit Suchscheinwerfern von einer Art Wehrgang aus beleuchten. Das Bild des Gefängnisses, aus dem es kein Entrinnen gibt, verbunden mit der permanenten Gefahr des Entdecktwerdens, ist eine ebenso einfache wie zwingende Umsetzung der Innenwelt der Liebenden. Während Kurwenal verzweifelt versucht, einen Ausweg aus dem Kerker zu finden und scheitert, nutzen Tristan und Isolde die Gegebenheiten, um ihre "Nacht der Liebe" trotz aller Widrigkeiten wahr werden zu lassen. Haben sich beide zu den berühmten Zeilen noch ein sternbesetztes kleines Zelt geschaffen, dass sie vor dem verhassten Licht der Scheinwerfer, letztlich des verhassten Tages schirmt, zerreißt Tristan schließlich das Tuch. Zur musikalischen Vorwegnahme der finalen Verklärung Isoldens, dem "So starben wir um ungetrennt ...", stehen beide fest nebeneinander in der Mitte des Gefängnishofs, die Gesichter im Dunklen, nur die Silhouetten illuminiert, während im Hintergrund die schemenhaften Projektionen einer Frau und eines Mannes langsam aber sicher miteinander verschmelzen. Was sich niedergeschrieben vielleicht kitschig ausmacht, gehört zweifellos zu den anrührendsten Momenten, derer ich je in einem Theater beiwohnen durfte. Interessantes Ausstattungsdetail: Sämtliche Elemente des Verließes bestehen aus Bögen, die beispielsweise als trügerische Sprossen einer Leiter, oder als folterinstrumentartige Anordnungen von Metallringen Einsatz finden, die das Paar umschließen, und an dem sie sich schließlich in gegenseitigem Einvernehmen ihre Pulsadern auftrennen. Die Rückkehr Markes macht deutlich, dass Katharina Wagner die Figur fernab der gängigen, zwischen onkelig und treudoof changierenden Lesart sieht – der König ist hier ein zynischer Sadist, der sich das Spiel in Ruhe angesehen hat, um es nun nach seinen Spielregeln zu beenden. So reicht er am Ende des Akts dem zögernden Melot das Messer, mit dem dieser den knieenden Tristan rücklings niedersticht.

Die szenische Gestaltung des dritten Aktes wiederum gehört zum Sublimsten, was auf einer Bühne möglich ist. Die Umsetzung der wahnhaften Fieberschübe Tristans als stetig variierte Vision seiner Geliebten, die jedesmal schlaglichtartig erscheint, nur um sich auf alle nur erdenklich grausame Weisen ihm wieder zu entziehen, ist in seiner radikal-artifiziellen wie suggestiven Ausformung ebenso genial wie erschütternd. Jede neue Lichtpyramide birgt eine weitere blau gewandete, gesichtslose Frauengestalt, die dem Sehnen Tristans doch nichts als ein Trugbild ist. Einmal versinkt die Figur vor seinen Augen wie in Treibsand, eine weitere zerfällt wie eine Puppe, das Antlitz einer anderen füllt sich mit Blut – der Albtraum seines Todeskampfes hat viele Gesichter und doch nur eines. An einer Stelle reißt Tristan die leblose Hülle in Fetzen, so wie sie es beide gemeinsam im ersten Akt mit dem Brautschleier gemacht hatten. Von all dem nehmen Kurwenal und sein weiteres Gefolge keine Notiz, sie harren unbewegt an seinem Kranken- , vielmehr Totenbette aus. Vielleicht sind die Grabkerzen ein Indiz, dass ihr Held die ganze Zeit zu ihren Füßen liegt, sein Ringen die Schwelle des Todes gar schon vor Isoldes Ankunft überschritten hat. Die letzte Musik mag Isolde gehören, die Tristan noch einmal der verlogenen, von Marke angeordneten Staatstraueraufbahrung entreißt und ihn, von ihren Händen geführt, für einen Moment den Anschein des Lebendigen verleiht, doch das letzte Wort hat der König, wenn er seine Gemahlin mit festem Griff von der Leiche seines "besten Freundes" wegzerrt – Der Traum ist vorbei, die Realität als folgsames Weib an seiner Seite beginnt.

Als ich den Besetzungszettel der heutigen Aufführung auf dem sonnenbeschienenen Vorplatz des Theaters studierte, verfinsterte sich unvermittelt meine Miene: Ein Tristan, ein Marke – aber zwei Isolden, die in stimmlicher und szenischer Arbeitsteilung die Partie gestalten. Das kann ja heiter werden. Etwa acht Stunden später kann ich es bei Rindsroulade und Kloß im Goldenen Löwen immer noch kaum glauben, welche musikalischen Sternstunden da gerade durch mich hindurch gegangen sind, den Zustand beseelter Dankbarkeit initiiert haben. Ricarda Merbeth verleiht der Isolde jene stimmliche Präsenz und Qualität des Ausdrucks, wie sie für diese emotionale Verausgabung unerlässlich ist, Stephen Gould gibt einen Tristan mit schier unerschöpflichen Reserven, bei dem jedoch ungeachtet aller dynamischen Ausbrüche, vor allem der berserkerhaften Abbildung der Fieberkurve des dritten Aktes, die intimen, zarten Momente auch als solche angelegt sind – beachtliche Feinheiten für solch eine große Stimme. Von den Nebenrollen setzen sich Christa Mayer als Brangäne mit volltönendem, reichem Timbre und der unvergleichliche René Pape als teuflischer Marke mit himmlischem Bass-Balsam am meisten in der Erinnerung fest, wobei die Besetzung keine Schwachstellen kennt. Ungeachtet dieser akustischen Wonnen erwächst das eigentliche musikalische Ereignis den Tiefen des Bayreuther Grabens, von wo Christian Thielemann das Festspielorchester zu einer bedingungslos ekstatischen Leistung antreibt, wie sie nur schwer zu toppen sein dürfte. Zwischen wollüstiger Raserei und fragilster Verklärung des Augenblicks geht dieser Tristan aufs Ganze – nicht abreißen wollender Jubel und stilles Erfülltsein nach dem letzten Vorhang.


Richard Wagner – Tristan und Isolde
Musikalische Leitung – Christian Thielemann
Inszenierung – Katharina Wagner
Bühne – Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert
Kostüm – Thomas Kaiser
Dramaturgie – Daniel Weber
Licht – Reinhard Traub
Chor – Eberhard Friedrich

Tristan – Stephen Gould
König Marke – René Pape
Isolde – gesungen von Ricarda Merbeth, gespielt von Petra Lang
Kurwenal – Iain Paterson
Melot – Raimund Nolte
Brangäne – Christa Mayer
Ein Hirt – Tansel Akzeybek
Ein Steuermann – Kay Stiefermann
Junger Seemann – Tansel Akzeybek

Der Festspielchor
Das Festspielorchester

16. Juli 2017

Das Rheingold – Axel Kober.
Opernhaus Düsseldorf.

15:00 Uhr, 1. Rang links, Reihe 1, Platz 216



Dass die Oper Düsseldorf eine äußerst lohnenswerte Adresse unter den Bühnen Deutschlands darstellt, hatte ich nach diversen Ausflügen an den Rhein verinnerlicht. Dass ich hier allerdings ein Rheingold erleben würde, welches sich in jeder Beziehung vor Bayreuther Ansprüchen nicht zu verstecken braucht, ja für mich persönlich die Referenz definieren sollte, an der sich fortan andere Inszenierungen und musikalische Umsetzungen dieses Werkes werden messen lassen müssen, hätte ich dann doch nicht unbedingt erwartet. Herr Hilsdorf startet mit dieser Regiearbeit einen Ring, dessen Fortsetzung ich schon jetzt entgegenfiebere, Herr Kober und seine Kollegen im Graben sowie auf der Bühne versorgen die Produktion mit höchster Qualität für Ohr und Herz.

Dabei zeichnet sich der Regieansatz weder durch ungeahnte Innovationen, noch eine revolutionäre Deutung aus, vielmehr schafft es Hilsdorf, das Ringen um Reichtümer und Macht ebenso konsequent und textsensibel wie packend abzubilden. Gut, ein nicht zu unterschätzender Kniff besteht anfangs darin, Loge vom Strippenzieher im Hintergrund zum Initiator der Ereignisse zu erheben, indem er Alberich den Rheintöchtern persönlich zuführt. Ansonsten folgt die Inszenierung der bewährten Dechiffrierung der nur oberflächlich betrachtet mythischen Welt mit ihren Göttern, Zwergen und Riesen als Abbild einer kapitalistischen Gesellschaft. Menschliches Streben nach Geld und Macht trifft auf die ebenso menschliche Sorge um Machterhalt.

Das Ganze verortet Hilsdorf in einem Salon des ausgehenden 19. oder beginnenden 20. Jahrhunderts, die Ausgestaltung der Charaktere erfolgt nach einem einfachen wie plausiblen Muster: Die Rheintöchter als Animierdamen, die Alberich – dem Kostüm nach wie auch sein Bruder eine Art Judenkarikatur – den Kopf verdrehen und demütigen, bis wir ihn nach dem Raub des Goldes als Großindustriellen wiedersehen, der über ein Heer rußverschmierter Kohlekumpel gebietet. Wobei der edle Zwirn nur bedingt die Wurzeln des Neu-Magnaten verhehlen kann, den weiterhin ein schleppender Gang und verwachsene Haltung als Versehrten kennzeichnen. Ganz im Gegenteil zu den Herrschaften, die den Zirkel der Götter bilden, allesamt die unantastbare Dekadenz und Blasiertheit in Person – das Großbürgertum beehrt den Salon. Wotan mit Sonnenbrille, Schal und Trenchcoat, mehr Dandy als (Gott-)König, der Rest des Gefolges in ähnlich unbunter Aufmachung. Allein Freias roséfarbenes Kleid unter dem Mantel ist vielleicht schon Indiz für die emotionale Wandlung, die sie durch Fasolts Zuneigung erfahren wird. Die Riesen schließlich komplettieren als grobe Handwerker in Kluft das hierarchische System, in dem Loge als windiger Halbgott tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt.

Über Fragen der Kostümierung hinaus gelingt es dem Regieteam jedoch, das zutiefst Menschliche der Motivationen und Handlungen aller Beteiligten in glaubhaften, entlarvenden Interaktionen der Darsteller herauszustellen. Ein Beispiel für diese sehr aus dem Blick für Details operierende Personenregie geben die beiden ungebetenen Besucher Alberichs, wenn sie ihm den zuvor von Mime in Hass auf seinen übermächtigen Bruder zertrampelten Hut scheinbar beiläufig präsentieren, natürlich mit den damit verbunden geäußerten Zweifeln an der Unumstößlichkeit seiner Macht. Alberich reagiert ebenso verdutzt wie verunsichert, eine äußerst subtile Art, die Einleitung der Übertölpelung des Tyrannen zu visualisieren, welche letztlich durch die Reizung seines Egos zum Erfolg gelangt. Dass Freia für Fasolt nach der gemeinsamen Zeit in Riesenheim mehr als ein Faustpfand darstellt, kann man der innigen, überraschend ungrobschlächtigen Musik entnehmen, mit der Wagner ihn bedacht hat, wenn er über die Geisel spricht, aber auch an Freia ihrerseits scheint die Episode nicht spurlos vorübergegangen sein – noch lange bleibt ihr Blick auf dem von seinem Bruder Ermordeten haften, während Fafner den Hort zusammenrafft. 

Generell muss man aber auch sagen, dass diese szenischen Details so gut funktionieren, weil das gesamte Ensemble darstellerisch einen erstklassigen Eindruck macht. Gerade die großen Partien wie Alberich, den Michael Kraus mit wahrhaft dämonischem Furor gibt, oder Simon Neals Wotan zwischen Arroganz und Entscheidungsschwäche, tragen durch ihre Präsenz und Spielintelligenz viel dazu bei, dem Begriff "Musikdrama" Leben einzuhauchen, aber die eigentliche Stärke der Produktion besteht darin, dass sich diese darstellerische Qualität bis in die Nebenrollen fortsetzt. Es ist fast schon bedauerlich, wie wenig Mime im Rheingold zu tun hat – ich will doch schwer hoffen, dass wir Cornel Freys Verkörperung des von seinem Bruder geknechteten, nervlich vollkommen zerrütteten Schwarzalben im Düsseldorfer Siegried wieder erleben werden. Oder die Rheintöchter – hier ein ausgesprochen sinnliches, erotisches Dreieck, zwischen dessen Schenkeln Alberich glaubhaft Verführung und Abweisung erfährt.

Ganz davon zu schweigen, dass allein schon die stimmlichen Reize von Frau Krabbe, Frau Kataeva und Frau Zaharia sowie deren zauberhafte Kombination bereits zu Anfang andeuten, dass dies auch und nicht zuletzt ein Rheingold großer Stimmen ist. Größe nicht allein und unbedingt bezogen auf Volumen, sondern auf die musikalische Einlösung charakterlicher Erfordernisse. Der süße Wohlklang der Rhein-Sirenen, der die Brücke von Wagner zu schönsten Koloraturen in Belcanto-Manier schlägt, ohne jedes Schrille und Forcierte. Die lupenreine Deklamation Freys – stimmliches Mime-Method-Acting. Schön ebenso die Abgrenzung zu den anderen beiden Tenorpartien – Norbert Ernst als Loge gesanglicher, aber immer noch mit viel Charakter in der Stimme, der Froh Ovidiu Purcels gemäß der Rolle eher fein und edel. Die beiden Riesen-Bässe mit der nötigen Wucht und latenten Aggression, aber eben im Falle Fasolts/Bogdan Talos in Gedanken an Freia auch mit der nötigen Wärme und Schmelz. 

Simon Neals Wotan ist stimmlich irgendwo zwischen der "Was kostet die Welt"-Mentalität eines Mandryka und Waschlappen angelegt – was in diesem Falle durchaus als Kompliment gemeint ist. Schließlich gibt es zum Ende der Oper durchaus Momente, in denen der kräftige Bariton die Autoritäts-Muskeln des Göttervaters spielen lässt. Dennoch besetzt das sängerische Epizentrum des Werks, wie so oft, Alberich, bzw. Michael Kraus – volltönend, radikal, der von Hass getriebene, von All- zu Ohnmacht verdammte Weltenzertrümmerer. Sein aus der totalen Niederlage formulierter Fluch, mit dem er den Ring fortan belegt, geht bei Kraus wirklich durch Mark und Bein. In Szenen wie diesen wird aber auch deutlich, was für ein großartiger Wagner-Dirigent Herr Kober ist und wie glücklich man sich schätzen kann, dass er mit den Düsseldorfer Symphonikern über einen Klangkörper verfügt, der alle Nuancen der Partitur organisch und differenziert umzusetzen weiß. Krawall kann jeder, Sog und Suggestion, Dramatik und Druck zu entwickeln, ist die große Kunst. Von der ursprünglich quellenden Natur des Rheins über die transparente, erhabene Klangwelt "auf Bergeshöhen", hinunter in die auskomponierte Zeche Niebelheim und zurück – diese Musik ist so reich an Farben und Stimmungswechseln, dass eine Umsetzung wie die heutige sprachlos macht.

Noch mal zurück zur Inszenierung: Was mir neben den bereits genannten Vorzügen besonders gut an der Regie gefällt, ist der Umstand, dass trotz der (plausiblen) Abstraktion des Handlungsraumes alle für das Verständnis relevanten Schlüsselmomente und -Elemente als solche Verwendung finden. Sicher, das Rheingold, welches die Nixen besingen, während sie ich offensichtlich dem Absinth-Rausch hingeben, wird als helles Leuchten außerhalb der Salonfenster "nur" angedeutet – aber weitaus poetischer und unreal begehrenswerter, als es ein Klumpen Gold auf dem Spielkartentisch vermocht hätte. Dass Alberich durch das Fenster steigt, um es zu rauben, ist zudem ein starkes Bild für die Ungeheuerlichkeit seiner Tat. 

Darüber hinaus ist die Inszenierung gerade auch für den Ring-Erstkontakt nur zu empfehlen: Tarnhelm, Drachen- und Krötenverwandlung, Ring, Hort – alles da, dienlich und im besten Sinne bühnenwirksam umgesetzt. Die Loren der Niebelungen-Minenarbeiter, die die Wände des Salons durchbrechen, die riesige Drachenklaue, die das Dach durchschlägt, die zahlreichen Ab- und Auftritte hinter, unter und inmitten der Tische mit ihren bodenlangen Decken, die vor neugierigen Blicken schützen – all das sind Ausprägungen eines liebevoll-altmodischen Theaterzaubers, der überrascht, irritiert, zum Schmunzeln animiert. Genau wie der bunte Glühbirnenrahmen, der am Schluß den Einzug der Götter über die Regenbogenbrücke paraphrasiert – kein Special Effect im Dienste eines plumpen Realismus, sondern das, was Theater, und nennt man es auch Handlung, Musikdrama oder Bühnenfestspiel, ausmacht: Eine Geschichte in uns Zuschauern zum Erzählen zu bringen.


Richard Wagner – Das Rheingold
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Völker Weinhart
Dramaturgie – Bernhard F. Loges

Wotan – Simon Neal
Donner – Torben Jürgens
Froh – Ovidiu Purcel
Loge – Norbert Ernst
Fricka – Renée Morloc
Freia – Sylvia Hamvasi
Erda – Susan Maclean
Alberich – Michael Kraus
Mime – Cornel Frey
Fasolt – Bogdan Talos
Fafner – Thorsten Grümbel
Woglinde – Anke Krabbe
Wellgunde – Maria Kataeva
Floßhilde – Ramona Zaharia

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

29. Juni 2017

Staatskapelle Berlin – Daniel Barenboim.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr, Ebene 12 D, Reihe 3, Platz 4



Richard Wagner – Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 9 d-Moll



Die Staatskapelle Berlin und ihr Chef mit einem absoluten Traumprogramm im Gepäck. Glücklicherweise war die Atmosphäre im Saal, abgesehen von einigen offenbar unvermeidlich-unverbesserlichen Hust-Trampeltieren, erfreulich konzentriert. Mein erster Gedanke beim Tristan-Vorspiel: Mensch Daniel, warum so schleppend? Barenboim gestaltet, behutsam, expressiv, aber eben auch sehr, sehr langsam. Musste ich mich dran gewöhnen. Kann man aber schon machen, wenn man solche Streicher hat. In Sachen Klang ist die Staatskapelle wirklich eine Wucht, obgleich auch hier keine unfehlbaren Musikmaschinen sitzen, wie sich vor allem später im Bruckner zeigen sollte.

Aber noch läuft Wagner, Woge für Woge, Welle für Welle wächst das zum Zerreißen angespannte Streben nach musikalischer Auflösung, emotionaler Erlösung. Diese entfesselt Barenboim in Isoldens Verklärung dann im Kontrast zum Vorspiel in fast eilendem Drängen. So ergibt das langsame Tempo des Beginns durchaus Sinn. Die Chromatik schraubt und schraubt sich in immer sehnsuchtsvoller verästelte Höhen, die Tränen rinnen, Wagner, der alte Seelenverdreher, hat es wieder einmal geschafft.

Und dass, obwohl mir Barenboims Konzeption zumindest auf den ersten Blick gar nicht mal so nahe steht. Aber das Wichtigste: Der Mann HAT ein Konzept. Wie er die sich mischenden Orchesterstimmen differenziert verwebt, an- und abschwellen lässt, ist alles andere als der Standartzugang. Immer wieder nimmt er im Verlauf der Entwicklung die Dynamik zurück, um die Spannung zu halten, die Stufen des Verlangens werden bei ihm nicht vulgär zur Schau gestellt, sondern behalten ihre nervös-kontrollierte Erwartung bis zur Entladung.

Im Bruckner zeigt sich Barenboim nicht weniger als Freund nuancierter Binnengestaltung. Gerade im ersten Satz fällt auf, wie er die einzelnen Abschnitte für sich gesondert behandelt, vor allem Tempokontraste im Kleinen realisiert. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob dadurch der Fluß insgesamt ein wenig leidet, letzten Endes stellt sich diese Lesart aber als probates Mittel heraus, gerade das Blockhafte, Registerhafte in der Struktur Bruckners, auch im Vergleich zum treibsandigen Wagner, anschaulich und mitreißend herauszustellen.

Und wie bereits beim Tristan ist es auch hier der eigenständige, dunkle Klang der Staatskapelle, welcher die Umsetzung auf ein Spitzenniveau hebt. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass sich tatsächlich relativ viele kleine Unsauberkeiten, namentlich im Blech, einschleichen. Kiekser und Ansatzprobleme von Horn und Trompete, auch bei Soli, sind natürlich generell kein seltenes Phänomen, gerade beim blechlastigen Bruckner, aber wenn ein Orchester über solch eine klangliche Qualität und Präsenz des Blechs an sich verfügt, sind das erst recht Marginalien. Regelrecht verliebt habe ich mich in die Posaunen und Tuba – schwärzer, markerschütternd-drohender geht es kaum. Und dann wieder seidig-edel im Choral, überhaupt ist die gesamte Blechbatterie von den Trompeten bis zu den Wagnertuben im Verbund eine Macht.

Die traumhaften Streicher hatte ich ja bereits erwähnt. Fein und edel die hohen Vertreter, mit einer dunklen Note, die Celli bei Bedarf herrlich zupackend und knackig, die Bässe (heute wieder links auf der Bühne innerhalb der deutschen Aufstellung platziert) schön sonor und präsent. Und auch das Holz ist von erlesener Güte, gerade die Flöten im Adagio sehr zart und innig. Seltsamerweise habe ich im Vergleich dazu die Solo-Oboe ein wenig hart wahrgenommen – vielleicht lag es aber wiederum an meinem Platz, der sich ja schon mehrfach als äußerst direkt und schonungslos im Wahrnehmungsergebnis erwiesen hat. Eben mehr Seziertisch als die Zaubermischung auf 13 E, trotzdem speziell bei solchen Spitzenorchestern sehr lehrreich.

Aber zurück zu Barenboims Bruckner. Dominiert den ersten Satz ein mannigfaltiges Repertoire an Stilmitteln wie starke Ritardandi, generelle Kontrastwirkungen in Tempo und Dynamik, verblüfft das Scherzo mit kompromissloser, rhythmischer Härte, gepaart mit einem äußerst flotten Tempo. Auch hier ist der Kontrast zum Nebenthema und gesanglichen Trio nicht zu verachten. Das Adagio wiederum gerät unter Barenboim zu der intimen Seelenwanderung, die Bruckner als letzte vollendete Äußerung seines Glaubens in Tönen manifestiert hat. Es ist müßig, wieder einmal sogenannte Programm- gegen (angebliche) absolute Musik auszuspielen, die Stimmungen und vor allem Stimmungswechsel, die Bruckner hier realisiert, sind für jeden Hörer, der mit dem Verstand und dem Herzen aufnimmt, ganz sicher mehr als die Nebenwirkungen höchster kompositorischer Meisterschaft.

Wenn nach der letzten Steigerung, unwidersprüchlich umklammert von dem mahnenden Machtwort des vollen Blechs aus tiefster Tiefe, sich in der Folge eine einzelne Oboe einsam, scheu, zweifelnd, doch nicht ohne Hoffnung langsam hervortastet, um schließlich in der wohlig-seligen Gewissheit des Satzschlusses aufzugehen, wie unter eine warme Decke, dann ist dies in meinen Ohren mehr Bekenntnis denn handwerkliche Konsequenz. Am Ende muss jeder für sich entscheiden, wie man solche Musik wahrnimmt, für mich hat der auskomponierte Platz auf der Wolke, gerade vor dem biografischen Hintergrund Bruckners, nichts Belächelnswertes.