18. September 2016

Orchestre de Paris – Daniel Harding.
Philharmonie Paris.

16:30 Uhr, 1er Balcon, Etage 4, Tür 4B, Platz D45



Robert Schumann – Szenen aus Goethes Faust

Hanna-Elisabeth Müller – Sopran

Mari Eriksmoen – Sopran
Bernarda Fink – Mezzosopran
Andrew Staples – Tenor
Christian Gerhaher – Bariton
Franz-Josef Selig – Bariton
Tareq Nazmi, Bass
Chor des Orchestre de Paris
Kinderchor des Orchestre de Paris


Das ist sie also, die neue Philharmonie von Paris. Falls die Saalakustik tatsächlich den erhofften Vorgeschmack auf die Elbphilharmonie geboten hat, könnte die Ernüchterung 2017 keine kleine sein. Aber lassen wir mal das Konzerthaus im Dorf und warten diesbezüglich ab. Nur eines ist sicher: Nach Paris muss man nicht reisen, um vollendeten Klang zu erleben, zumindest nicht ins Gestühl des ersten Rangs. Relativ distanziert, sehr hallig – was sich insbesondere für die Textverständlichkeit ungewohnt destruktiv erweisen sollte – zudem ohne Bumms im Fortissimo (Ok, Schumann ist hier sicher nicht der Maßstab). Einzelne Instrumente und Soli sind durchaus gut zu orten, leise Passagen entfalten einen gewissen intimen Reiz, das war es dann aber auch schon mit den Vorzügen der Halle. Oder anders: Nichts, was man woanders nicht schon ähnlich oder eben besser gehört hat. Köln bleibt hier sowohl in Bezug auf die Herausarbeitungsmöglichkeiten für Details als auch beim Gesamteindruck eine andere Liga.

Von meinem Platz aus war es jedenfalls äußerst ernüchternd erfahren zu müssen, dass beispielsweise von dem subtilen Vortrag des geschätzten Christian Gerhaher erschreckend wenig den Weg ans Ohr fand, da die Akustik Tiefen offenbar generell schlecht überträgt und der bereits angesprochene Hall die Charakteristika der Stimme verschleierte. Das gilt natürlich gleichermaßen für alle übrigen Sänger, deren durchweg exzellente Leistung durch diese widrigen Umstände je nach Stimmlage mehr oder weniger getrübt wurde. Die Damen und Herr Staples kamen somit besser als das Bariton- und Bass-Segment davon, ideal ist aber in jedem Fall etwas anderes.

Apropos – kleiner Einschub zur Architektur: Über Optik lässt sich sicher streiten. Ich persönlich könnte mir durchaus ansprechendere Formen für ein neues, repräsentatives Konzerthaus vorstellen, als einen gigantischen Chrom-Hundehaufen, den ein eckiges, ebenfalls metallisches Irgendwas bekrönt. Auch die Frage, ob die unzähligen Plättchen, die in den Foyers von der Decke baumeln, als Hingucker oder Staubfänger fungieren, bietet sicher Raum für Diskussionen. Unzweifelhaft ist jedoch, dass bei der Gestaltung des Interieurs die Möglichkeit einer Benutzung durch menschliche Besucher offenbar nur am Rande in Betracht gezogen wurde – Kaum Sitzmöglichkeiten, schon gar nicht da, wo man sie wirklich gebrauchen könnte (in der Bar zum Beispiel), auch das Toilettenbudget scheint für Deckenhänger, verspiegelte Simse und Bodenplatten in der Form dieser Dinger, die das ganze Haus überziehen (Vögel?), draufgegangen zu sein. Immerhin gibt es das Programmheft gratis.

Aber zurück zur Musik. Schumann ist ja nun mal so’n Kollege, der mit angezogener Handbremse komponiert. Mein Eindruck des Stückes heute war allerdings nicht ganz so katastrophal wie seinerzeit in Hamburg (Link). Der Sonnenaufgang, maßgeblich getragen vom wunderbaren Tenor Andrew Staples’, einiges aus der Mitternacht-Episode und Fausts Tod, dazu mehr oder weniger der komplette zweite Teil, da gibt es durchaus Schlimmeres. Nichts zum Ausflippen, aber gute Unterhaltung. Überhaupt verblüffte heute die gänzlich abweichende Faktur des zweiten Teils. Mehr geschlossene Kantate als die lose Szenenfolge, welche die erste Halbzeit beinhaltet. Hat mir insgesamt auch besser gefallen, fasslicher, zielgerichtet. Natürlich darf man während des Hörens nicht darüber nachdenken, was Mahler aus dem Material geholt hat oder wie schillernd der Faust Berlioz’ ist. Es ist einfach nur ein bisschen schade, dass sich Schumann nicht mehr getraut hat. Seine Verfechter werden ihm diese selbst auferlegte Mäßigung und Fokussierung auf schöne, ordentliche Musik ohne Krassheiten oder groteske Züge sicher als Tugend auslegen – von mir aus. Muss ja auch Musik für Verklemmte geben.

Und was war sonst so? Das Orchestre de Paris und sein neuer Chef sind eine sichere Bank, Herr Harding liefert eine äußerst differenzierte, feine Interpretation, die das Zart-Romantische Schumanns ins beste Licht rückte. Auch die Chöre lassen sich nichts zu Schulden kommen. Alles in Allem musikalisch bedingungslos überzeugend, hätte diese Kombination gern unter besseren akustischen Voraussetzungen erlebt. Gut, erwischt – und mit einem spannenderen Werk.

Tief empfundene Herzlosigkeit am Rande: Egal ob in Paris, Hamburg oder auf dem Mond – wer einen Säugling mit in eine Veranstaltung schleppt, die auf rezipierförderliche Stille, zumindest jedoch auf die Abwesenheit von wahrscheinlich Nahrungsaufnahmebereitschaft oder deren Ergebnis signalisierenden Geplärres ausgelegt ist, dem muss man schlicht und einfach ins Hirn geschissen haben. Crétin!