9. November 2013

Konzerthausorchester Berlin – Iván Fischer.
Konzerthaus Berlin.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, 1. Rang Mitte rechts, Reihe 1, Platz 10/11



Leonard Bernstein – Drei Tanzepisoden aus dem Musical „On the town“
Leonard Bernstein – Serenade nach Platos „Symposion“ für Violine, Schlagzeug, Harfe und Streichorchester (Ning Feng – Violine)

(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 4 (Lucy Crowe – Sopran)



Iván Fischer hatte ich erstmalig 2010 mit dem Budapest Festival Orchestra in Hamburg gehört, unter anderem mit Strawinskys Feuervogel-Suite. Hatte mir sehr gut gefallen, so daß ich positiv gestimmt zur Stippvisite an seine neue Wirkungsstätte nach Berlin reiste, zumal auch das Programm Anlass zur (Vor-)Freude bot.

Mögen die drei Tanzepisoden zwar vielleicht den „typischen“, will sagen den populären Bernstein charakterisieren, so schlägt mein Herz doch ungleich mehr für den „ernsten“ Bernstein, vor allem für seine Sinfonien – und ab heute auch für seine Serenade. Gleich die ersten Takte der Solovioline evozieren mit ihrem nachdenklichen Gesang eine unglaublich dichte Stimmung, die, aufgegriffen vom Orchester, den Auftakt eines intensiven Werkes bildet, das sich durchaus als Alternative zu den gängigen Violinkonzertklassikern anbietet. Tänzerische Passagen, Versonnenes, Dramatisches, Liebliches, Virtuos-Treibendes – an Abwechslung mangelt es den fünf Sätzen sicher nicht. Obwohl ich keine Vergleichsmöglichkeiten habe, schienen mir Interpretation und Ausführung durch Fischer, sein Orchester und den Solisten keine Wünsche offen zu lassen.

Bei Mahlers 4. Sinfonie hingegen konnten die hohen Erwartungen (wahrscheinlich gerade wegen besagter Vergleichsmöglichkeiten) nicht zur Gänze erfüllt werden. Fesselnd und spannend in den lebendigen Passagen, konnte der Spannungsbogen in den ruhigen Teilen, beispielsweise im weit ausholenden Adagio, leider nicht entsprechend der ihnen innewohnenden Intensität aufrecht erhalten werden. So verfehlte selbst der große Durchbruch im Adagio weitgehend seine Wirkung, der gleißende Ausblick verpuffte. Auch der vierte Satz vermittelte wenig Himmlisches, obwohl Frau Crowes Stimme eigentlich eben jene zart-naive Färbung besitzt, um das paradiesische Treiben zu besingen (Bereits 2010 konnte ich mich davon bei einem Händel-Programm mit Rolando Villazon überzeugen). Woran es letzten Endes haperte, ist mir selbst ein Rätsel. Nun denn, es kann halt nicht immer klappen.

Bei anschließenden Nachgespräch erwies sich Herr Fischer dann noch als sympathischer Gesprächspartner. Man plauderte unter anderem über Parallelen und Gegensätze der Komponisten- und Dirigentenpersönlichkeiten Bernstein und Mahler.

22. Oktober 2013

Soiré & Salon. Mahler becomes Art.
Kunsthalle Hamburg.

18:30 Uhr, freie Platzwahl


Gustav Mahler – Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“
Scheiden und Meiden, Rheinlegendchen, Ablösung im Sommer, Urlicht

(Pause)

Gustav Mahler – Kindertotenlieder

(Pause)

Gustav Mahler – Rückert-Lieder

(Nadja Stefanoff – Mezzosopran, Karen Schulze-Koops – Klavier)



Ein Liederabend in der Galerie der Gegenwart. Sektempfang, das Konzert selbst in einem relativ kleinen Durchgangsraum. In den Pausen Vorträge über die Auseinandersetzung des Malers R.B. Kitaj mit Gustav Mahler in seinen Bildern.

Der Abend gehört ganz Nadja Stefanoff, die ich bereits in Bremen beim „Rosenkavalier“ (Link) und in „Mahagonny“ (Link) als Teil jeweils großartiger Besetzungen bewundern durfte. Hier in Hamburg nun volle Konzentration auf ihre wundervolle Mezzo-Stimme, ideal für Mahler in Klangfarbe(n) und Ausdruck. Besonders das „Urlicht“, die Kindertotenlieder und das äußerste Sensibilität fordernde „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ werden durch Frau Stefanoffs Ausnahmetalent zu tief empfundenen Höhepunkten.

Mahler fasziniert, ob Künstlerkollegen oder Musikliebhaber – heute Abend wurde diese Faszination aufs Neue lebendig.

13. Oktober 2013

Liederabend – Daniel Behle.
Laeiszhalle Hamburg, Kl. Saal.

11:00 Uhr, Mittelparkett links, Reihe 1, Platz 1 (nach der Pause: Platz 2)



Ludwig van Beethoven – An die ferne Geliebte, op. 98
Benjamin Britten – Hölderlin-Fragmente, op. 61
Daniel Behle – 5 Lieder nach Ringelnatz (Uraufführung)

(Pause)

Richard Strauss – 8 Lieder: „Ständchen“ op. 17, Nr. 2, „Herr Lenz“ op. 37, Nr. 5, „Ich liebe Dich“ op. 37, Nr. 2, „Freundliche Vision“ op. 48, Nr. 1, „Ruhe meine Seele“ op. 27, Nr. 1, „Caecilie“ op. 27, Nr. 2, „Heimliche Aufforderung“, op. 27, Nr. 3, „Morgen“ op. 27, Nr. 4

Zugaben:
Richard Strauss – „Breit über mein Haupt dein schwarzes Haar“ op. 19, Nr. 2, „Wie sollten wir geheim sie halten“ op. 19, Nr. 4, „Zueignung“ op. 10, Nr. 1

(Alexander Schmalcz – Klavier)



Einer eher seltenen Erscheinung – dem singenden Komponisten – bzw. komponierenden Sänger als Interpret eigener Werke, konnte man am Sonntag in der kleinen Laeiszhalle begegnen. Etwas verdutzt nehme ich zur Kenntnis, daß Herr Behle sich nicht nur dem vorzüglichen Vortrag der Gattung Lied, sondern auch dessen Erweiterung verschrieben zu haben scheint. Ein reflexhaftes, augengerolltes „Sänger, bleib bei Deinen Stimmbändern“ entkräfteten Komponist und Komposition auf dem Fuße.

Ich brauche kein Geheimnis daraus machen, daß die Lieder Brittens, Strauss’ oder Mahlers nach dem Ersteindruck der Behle’schen Kompositionen nicht um ihre vorderen Startpositionen in meinem persönlichen Songcontest bangen müssen, aber der kleine Ringelnatz-Zyklus wußte zu gefallen. Dabei ist Behle weder Schlagerbarde noch mikrotonaler Klangschrauber, der Musik in homöopathischen Spurenelementen verabreicht, seine Lieder sind Liedgut im besten Sinne, mit Melodie und harmonischer Raffinesse. „Es ist besser so“ beispielsweise berührt mit einer Mischung aus gespreiztem Ausdruck und zerbrechlicher Lyrik, am Schluss nimmt die Klavierbegleitung das „Lachen“ illustrativ auf, ohne in die Falle einer Plattheit zu tappen. Hinzu kommt der glückliche Umstand, daß Behle nun mal zweifellos einen Spitzentenor für die Uraufführung gewinnen konnte – dem Vortrag der Weisen seiner „Kollegen“ tat dies naturgemäß auch keinen Abbruch. Aber davon konnte man sich ja bereits bei früherer Gelegenheit überzeugen (Link).

Fazit: Ein weiterer gelungener Abend, dem Daniel Behle in mehr als gewohnter Weise seinen exquisiten Stempel aufgedrückt hat.

5. Oktober 2013

Radio Filharmonisch Orkest – Jaap van Zweden.
Concertgebouw Amsterdam.

14:15 Uhr, Podium Nord, Reihe 13, Platz 14 (nach der Pause: Balkon Nord, Reihe 3, Platz 10)



Nikolai Rimski-Korsakow – Ouvertüre „Russische Ostern“, op. 36
Henri Dutilleux – Correspondances (Barbara Hannigan – Sopran)

(Pause)

Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 5



Ein Orchester klingt nur so gut wie sein Saal, so sagt man ja. Was in Hamburg gern als ein Argument für den Bau der Elbphilharmonie aufgegriffen wird, um sie der betagten Dame Laeiszhalle zwecks akustischer Stadtaufwertung an die Seite zu stellen, stellt die noch deutlich ältere holländische Schwester eindrucksvoll unter Beweis. Wohlgemerkt, ich bin ein großer Freund der Laeiszhalle, aber in puncto Hörerlebnis setzt die Amsterdamer Schuhschachtel wahrlich Maßstäbe. Dies wird selbst auf den hinterletzten Plätzen im sichtminimierenden Schatten der Orgel unmittelbar klar, obwohl man sich hier im Rücken des Orchesters einfindet. Transparenz, Klarheit, Fülle, eine angenehme Nachhallzeit – Eigenschaften, die nach dem strategischen Platzwechsel in der Pause zum rechten Balkon vollends ihre Wirkung entfalten. Woran liegt’s? Ich bin leider kein Akustik-Experte, aber es fällt auf, dass es angesichts eines Raumes dieser Größe (vergleichbares Platzangebot wie in der Laeiszhalle) nur einen Rang und somit enorme „Kopffreiheit“ gibt. Das Orchester wiederum drückt sich nicht in der hintersten Ecke herum, sondern ragt mitsamt des Podiums zu Füßen der Orgel relativ weit in den Saal hinein. Keine Ahnung, vielleicht entziehen sich diese Beobachtungen auch jeglicher Relevanz und der Kasten ist einfach mit Old Amsterdam gedämmt. Man – zumindest ich – weiß es nicht.

Aber ich weiß ganz sicher, daß ich wiederkommen werde, wiederkommen muß, um weitere vollendete Konzerte wie dieses zu erleben. Gleich das russische Osternest zu Beginn erweist sich als runde Sache der Güteklasse Fabergé. Bis zur finalen Steigerung entströmt dem Orchester allerlei Feines, Glanzvolles, Mitreißendes und weckt die Lust auf ein wiederholtes Hören. Der Dutilleux im Anschluß hat mich vor allem in seiner Zugänglichkeit überrascht. Subtil, mitunter spröde und fordernd – ganz gewiß. Aber sicher nicht kalt lassend, in seiner verwunschenen Zerbrechlichkeit mir Britten nicht unähnlich – und somit spontan sympathisch. Leider wurde der Nachteil eines Platzes hinter den Interpreten jetzt spätestens bei Frau Hannigan unüberhörbar: Von ihrer bekanntermaßen wunderbaren, irisierenden Stimme erreichte nur ein gedämpftes, indirektes und häufig vom Orchester überdecktes Maß das nördliche Podium. Im Nachhinein betrachtet aber wirklich der einzige Wermutstropfen des Konzerts. Und dann kam Schostakowitsch.

Und wie er kam. Natürlich hätte ich bei meinem Besuch im Concertgebouw gern auch sein weltberühmtes Namensvetterorchester auf der Bühne gewußt, aber ganz ehrlich: Viel besser als Jaap van Zweden mit dem Radio Filharmonisch Orkest kann man ein Pfund wie Schostakowitschs Fünfte nicht unters Volk bringen. Ein Energietransfer sondergleichen, ohne Abstriche auch zapffertig für die Abfüllung auf Tonkonserve geeignet – einfach Stecker rein und gut. Leider gab es an diesem Tag wohl keinen Mitschnitt. Auf ihm hätte sich Beeindruckendes befunden: Sagenhafte Streicher, die gleich ab den ersten Takten Gewissheit darüber herstellen, daß hier Großes auf die Hörerschaft zukommt, kompromisslos in Schönheit und Wucht gleichermaßen. Dazu sattes Blech und edles Holz, welches vor allem auch in den zarten Soli (dritter Satz!) das Herz zum Schmelzen bringt. Ach was ließe sich noch alles an Facetten besingen und Höhepunkten preisen, aber ich belasse es diesmal bei einem knappen, aber nicht minder in Begeisterung gezogenem Fazit: Die Hütte klingt bombig und die Herren und Damen auf dem Podium wußten diesem Umstand eindrucksvoll zu nutzen.

12. August 2013

Tannhäuser – Axel Kober.
Festspielhaus Bayreuth.

16:00 Uhr, Parkett links, Türe II, Reihe 3, Platz 16



Die Miniwagner sind auch heute wieder ein beliebtes Fotomotiv, vornehmlich als widerspruchlos-williger Schnappschußkumpel der Festivalbesucher, die sich abwechselnd freudig mit ihnen ablichten. Gern auch in „ulkigen“ Posen. Fotos sind generell hoch im Kurs. Eine Busladung Theaterbeschauer ergießt sich Stunden vor der eigentlichen Aufführungszeremonie auf den Vorplatz des Festspielhauses. Wenn es schon mit der Karte nicht geklappt hat, dann jedenfalls schnell noch ein Foto. Ein Andenken an die Wagnerstätte. Aber wahrscheinlich ging es den munteren Butterfahrern – zumindest heute – gar nicht um musiktheaterliche Genüsse, als vielmehr um die Befriedigung ganz normaler, gesunder, touristischer Triebe. Dumm nur, daß ich Tropf, der der Traube mild und leise lächelnd nachsah, zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, welch ungleich sinnstiftendere Beschäftigung ich in der nicht ergriffenen Chance zur Mitreise mit jenem Bus fahren lies, gegenüber dem Trauerspiel, das unter der Ägide des Herrn Baumgarten folgen sollte.

Schade. So viel Mühe und Wollen und alles umsonst. Man versteht es nicht, man will es nicht verstehen – ich möchte es nicht. Ich möchte keine Vorlesung besuchen, sondern eine Aufführung. Ergebnis: Der erste Akt lässt mich ziemlich kalt – trotz hoher musikalischer Qualität. Kerl näselt sich einen zurecht, hat aber den benötigten Stahl, Breedt auch gut, sofern man das in dem unfreiwillig komischen Venusberg überhaupt mitbekommt, Venus ist von Tannhäuser schwanger, Kaulquappen und kopulierende Nummern-Urmenschen im Käfig. Öde, langweilig, uninspiriert, wenig rauschhaft, null sinnlich. Texteinblendungen. Wieviel Rausch braucht der Mensch? Meiner Meinung nach mehr, als es diese Inszenierung gestattet.

Was soll dieses Baumstammdingens der Jagdgesellschaft? Und dann wird es mit dem Flaschenzug nach oben geholt – warum auch immer. Büßer gehen in die Holzkisten? Der Landgraf (Günther Groissböck) ein stimmlicher Lichtblick – wie schon als Fasolt toll! Nagy auch. Bisschen kränklich geschminkt? Die ganze Sängerschar sehr homogen. Hirte schön! Die Akustik ist wirklich top für die Sänger, so klar, man versteht fast jedes Wort. Das Orchester mit Dampf, aber nie übertönend. Sehr fein, seidig. Beginn bei offener Bühne, Texte, die niemand liest. Gedankenfetzen. Kunst-Bla Bla. Arbeit – Kunst. Aha. Warum ist der Hirte besoffen?

Was mit am besten an der Inszenierung gefällt? Dieser Haken am Seilzug, der jedesmal quietschend heruntergelassen wird, um irgend einen unwichtigen Plunder nach oben zu befördern. Auf den ist jedenfalls Verlass, im Gegensatz zur Aussage oder Intention der Regie. Klar, wenn man schon mal so ne Riesenbühne über zwei, drei Ebenen hat, will man das auch nutzen. Da kann man Eimer oder allerlei Holzkram nach oben bugsieren. Vielleicht hätte der Baumgarten gleich ne Baustelle oder besser noch das Regallager eines Baumarktes bespielen sollen. Weiß der Teufel, aber ist doch schön. Manche Männer stehen ja auch auf Miniatureisenbahnen oder so.

Elisabeth hat ne Macke und nervt mit Stummfilmgesten, Wolfram ist ein Häufchen Spacken, das keiner ernst nehmen kann. Venus natürlich auf der Wartburg dabei. Voll schlau, ist ja auch in der Musik drinne zu hören dranne. Und bitte noch viel mehr Texteinblendungen, damit ich ALLES mitbekomme, was sich der Herr Baumgarten so gedacht hat, bzw. das bekommt man ja nicht mit, aber so Andeutungen, Ansätze, Anstöße ... Also irgendwie voll kritisch und künstlerisch und allumfassend auf jeden Fall. Ich sag auch immer: keine einfachen Wege gehen.

Gott, turnt das ab. Was labert der immer von Drogen und Rausch und präsentiert doch nur nen Volkshochschulkurs dissoziative Gedankendiarrhö. Schade für die guten Sänger, Nylund sehr zart, Kerl manchmal etwas eng aber mit Stahl und Kraft. Landgraf Bombe! Aber es nützt nichts. Da hab ich was Besseres zu tun, um es mal von Provokateur zu Provokateur zu sagen. Gepflegt Kacken gehen zum Beispiel, um im Bild zu bleiben. Die Kopulationsszenen sind einfach schlecht. Porno geht anders. Am Ende Hölle light aus der Galerie der alten Meister.

Die Inszenierung der Unverständlichkeiten: Überall nichtssagende Handlungen, Rüben? schälen, Treppe putzen, Gerätschaften bedienen. Was soll der Schmuck, den Elisabeth erst an- und am Schluss wieder ablegt? Die Rolex-Braut. Was hat das Kind der Venus mit Tannhäusers Erlösung zu tun? Das Wagner Zitat am Ende „Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig“ kommt wie eine Rechtfertigung für den Experimentierkastencharakter der Inszenierung daher. Unfertig ist diese allemal, das kann ich bestätigen.

Nagy doch nicht so richtig lieblich beim Abendstern. Kerl stimmgewaltig, muss aber bei der Romerzählung zum Teil von akustisch ungünstigen Positionen aus singen. Geht Elisabeth ins Gas? Konnte ich nicht erkennen, war ne Säule davor – wohlgemerkt aus bester Sicht in Reihe drei. Aber als visionärer Regisseur kann man sich schließlich nicht um alles kümmern, das ginge ja in Richtung professionelles Handwerk. Die entsündigten Pilger sind ein Trupp Putzroboter? Dirigiert wurde auch: Kober gut aber ohne den letzten Kniff, siehe gestern.

Das Fazit, nüchtern betrachtet: Weniger Applaus als Lohengrin. Richtig wäre gewesen: No soup for Baumgarten! Dazu die Regie gewordene Binsenweisheit des Tages: Wer’s nicht kann, soll’s lieber lassen. Oder blumiger: Hirnfick befriedigt nicht – und befruchtet schon gar nicht.


Richard Wagner – Tannhäuser
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Sebastian Baumgarten
Bühnenbild – Joep van Lieshout
Kostüme – Nina von Mechow
Licht – Franck Evin
Video – Christopher Kondek
Dramaturgie – Carl Hegemann
Chor – Eberhard Friedrich

Hermann, Landgraf von Thüringen – Günther Groissböck
Tannhäuser – Torsten Kerl
Wolfram von Eschenbach – Michael Nagy
Walther von der Vogelweide – Lothar Odinius
Biterolf – Thomas Jesatko
Heinrich der Schreiber – Stefan Heibach
Reinmar von Zweter – Martin Snell
Elisabeth, Nichte des Landgrafen – Camilla Nylund
Venus – Michelle Breedt
Ein junger Hirt – Katja Stuber
Vier Edelknaben – Beate Gartner, Anja Ulrich, Kirsten Obelgönner, Johanna Dur

Das Festspielorchester
Der Festspielchor

11. August 2013

Lohengrin – Andris Nelsons.
Festspielhaus Bayreuth.

16:00 Uhr, Parkett links, Türe II, Reihe 5, Platz 17



Heute verlasse ich in regelrechter Verzückung das Festspielhaus. Grund dafür ist neben musikalischer Güte vor allem eine Inszenierung, wie ich sie in ästhetischer Perfektion und dramaturgischer Kraft kaum je erlebt habe. Hans Neuenfels gebührt der Ruhm, diesen Abend zu etwas ganz Besonderem, ja Magischem erhoben zu haben. Wen diese Inszenierung kalt läßt oder gar abstößt, muß schon unter einer schweren Wahrnehmungsstörung leiden oder schlichtweg mit totaler Theaterblindheit geschlagen sein, so deutlich tritt hier das Bühnenwunder zutage. Aber was schwülste ich groß herum, schließlich gibt es von dieser Produktion einen Mitschnitt, der jedem geneigten Zweifler zumindest einen Abglanz der Live-Wirkung bieten sollte. Also lassen wir es gut sein für heute.

Nur das eine: Inszenierungskritiken bzw. Ablehnung sind eigentlich in den meisten Fällen lediglich eine Ablehnung der Ausstattung. Ein Lohengrin ohne Nachen, womöglich gar im Anzug? Nein Danke! Die braven Brabanter als Ratten? Undenkbar! Gegen Reaktionen wie diese ist per se erst mal nichts einzuwenden, sind sie doch allenfalls Ausdruck eines konservativen Geschmacks in Bezug auf Bühnenbild und Kostümierung. Mit der eigentlichen Regiearbeit und etwaiger Kritik daran hat dies meiner Ansicht nach jedoch nur am Rande zu tun. Sicher, Bühnenwirkung entsteht durch die Summe der Teile, aber mich persönlich interessiert doch deutlich mehr, wie Motivation und Handeln der Figuren vermittelt werden, als die Frage, ob Lohengrin zwingend in silberner Rüstung aufzutreten hat. Interessant wird es allerdings dann, wenn einem ernsthaft an der inhaltlichen Umsetzung der alten Regieanweisungen gelegen ist. Hans Neuenfels scheint jemand zu sein, der diesen Fragen nachspürt. Und für meine Begriffe darauf Antworten findet, die die Kraft haben, ein altbekanntes Werk wie zum ersten Mal vor unseren Augen erstehen zu lassen, den Kern zu treffen, zu berühren.

Den tosenden Applaus und erdbebenartiges Getrampel im Ohr gehe ich zu Fuß durch die Bayreuther Stille zum Hotel. Am nächsten Morgen bescheinigt man mir an der Rezeption, der wohl besten Lohengrin-Aufführung dieser Spielzeit beigewohnt zu haben. Qualität spricht sich eben doch herum.


Richard Wagner – Lohengrin
Musikalische Leitung – Andris Nelsons
Inszenierung – Hans Neuenfels
Bühnenbild und Kostüme – Reinhard von der Thannen
Licht – Franck Evin
Video – Björn Verloh
Dramaturgie und Regie-Mitarbeit – Henry Arnold
Chor – Eberhard Friedrich

König Heinrich – Wilhelm Schwinghammer
Lohengrin – Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant – Annette Dasch
Friedrich von Telramund – Thomas J. Mayer
Ortrud – Petra Lang
Der Heerrufer des Königs – Samuel Youn
1. Edler – Stefan Heibach
2. Edler – Willem Van der Heyden
3. Edler – Rainer Zaun
4. Edler – Christian Tschelebiew
Edelknaben – Kitty de Geus, Anja Ulrich, Zuzanna Foremska, Johanna Dur
Edeldamen – Sharona Applebaum, Cosima Henseler, Stefanie Dasch, Gisela Pohl, Theresa Derksen- Bockermann, Jessica Leary, Gabriele Neugebauer, Christine Hallereau, Raquel Luis, Dörte Rohlfing, Alice Rath, Ina Gasciarino

Das Festspielorchester
Der Festspielchor

10. August 2013

Das Rheingold – Kirill Petrenko.
Festspielhaus Bayreuth.

18:00 Uhr, Parkett links, Türe I, Reihe 1, Platz 6



Eigentlich stünde dem Pathos der Festspiele jetzt ein vor Inbrunst triefendes Seelenbekenntnis zur ersten Empfängnis der Bayreuther Weihen gut zu Gesicht. Meine Pilgerfahrt zu Wagner – sowas halt. Nur gingen diesem ersten offiziellen Kartenglück bereits zwei nicht minder offiziell vollzogene Besuche am grünen Hügel voraus, die ich dem Einsatz guter Geister zu verdanken habe, die an dieser Stelle noch einmal frei nach alter Schwanentradition bedankt seien.

Heute also der Vorabend des neuen Jubiläums-Rings in der Inszenierung von Frank Castorf. Ich bin kein großer Kritikenleser, aber der Buh-Shootout zur Premiere hatte sich dann doch bis zu mir herumgesprochen. Klar, Bayreuth ist natürlich ein spezielles Pflaster, vor allem auch für die Regie, da einerseits die Erwartungshaltung von Publikum und Presseauge, überhitzt durch die Verbrämung von Historie und „Tradition“ sowie herbeibefohlenem Weltgeltungsanspruch, kaum Konsenzbefriedigung erfährt, dieser Ort andererseits durch seinen Nimbus fundamentalistische Gutmeiner und Teilzeit-Bewahrer des Wagner’schen Erbes magisch anzuziehen scheint. Und ich wäre der Letzte, der dies nicht verstünde. Bei Wagner kenne auch ich keine Verwandten. Unter „epochal“ läuft nix. Sicher, es gibt denkbar entspanntere Herangehensweisen an Angelegenheiten der Freizeitgestaltung – aber was an Wagner ist schon entspannt?

Doch zurück zum Castorf und seinem Ring. Ich hab die Empörung nicht verstanden. Jedenfalls nicht beim Rheingold, welches mangels Ringvollversorgung als alleiniger Zertifizierungsgegenstand in Sachen Hügeltauglichkeit herhalten muß. Auf mich wirkt diese Inszenierung zwar wenig erbaulich – jedoch insgesamt weitgehend plausibel. Oder anders formuliert: Kein Grund zur Aufregung. Castorf gestaltet die Ränkespiele bei Götterns und Co. als mafiösen Streifen à la Scorsese oder mehr noch Tarantino – inklusive Kamerateam auf der Bühne. Warum nicht, sind es ja nicht unbedingt die edelsten Motive der Beteiligten, die den Fortgang der Handlung prägen.

Die Interpretation der Rollen mag daher nicht jedermanns Geschmack treffen, innerhalb dieser Konzeption ist ihre Charakterisierung aber vollkommen nachvollziehbar. Wotan als schmieriger Boss, der mit Fricka und Freia das Bett teilt (Cocktails für alle!), Froh und Donner als Möchtegerngangster, deren Drohungen niemand wirklich ernst nimmt, Loge ein windiger Hispanic-Checker, der mit dem Feuer spielt und das – Witz komm raus – auf einer Tankstelle. Und die Darsteller machen ihre Sache gut, so daß es immer wieder starke Augenblicke gibt. Besonders gelungen und konzeptkonform fällt beispielsweise die Verhandlung zwischen Wotan und den Riesen aus. Es macht schon Spaß mitzuerleben, wie die Szene erst von der brodelnden Gewaltbereitschaft der beiden tumben Mechaniker-Proleten dominiert wird, die sich jeden Moment an der schmucken Untertürkheimer Karosse Wotans zu entladen droht, bis die schlichten Gemüter angesichts des möglichen großen Coups plötzlich hellhörig werden – fast schon eine Standardsituation aus dem Gangster-Genre.

Insgesamt löst die Inszenierung vieles auf recht unkonventionelle, vielleicht vulgäre, aber meist nachvollziehbare Weise. Fricka, die aus dem Kidnapping durch die Riesen als Sexpüppchen in hautengem Lack wiederkehrt oder die Rheintöchter als Damen des leichten Gewerbes, die Alberich mit billiger Masche am Pool um den Verstand bringen. Anderes, wie die Verwandlungen Alberichs durch den Tarnhelm ist einfach gut gemacht und entsprechend wirkungsvoll. Über Details läßt sich natürlich streiten. Das Rheingold eine goldene Heizfolie? Eine Bobbycar-Ente bindet Alberich? Geschenkt. Und manches kapiert man halt auch gar nicht. Die Nibelheimszene ist insgesamt kryptisch, was sollen die angebundenen Zwerge zu Beginn? Die Regenbogenfahne bei Mime? Später der bizarre Handlangertrupp Wotans? Und warum dreht der Wirt am Ende durch? Egal.

Letztendlich bleibt es die bekannte Geschichte der Hatz nach Macht, Gold – oder eben Öl oder was sonst noch als Analogie taugen mag. Wirklich umgehauen hat mich Herrn Castorfs Sicht zwar nicht, aber da gab es andernorts sicher Produktionen, die mir eher ein Buh entlockt hätten. Cool bleiben, Bayreuth. Immerhin durfte man gute Darsteller und Sänger von vorbildlicher Textverständlichkeit erleben, dazu den unvergleichlichen Mischklang des herrlichen Orchesters (minimale Wackler), welcher trotz moderater Endlautstärke absolut druckvoll das Ohr umschmeichelt und zu guter Letzt eine musikalische Leitung durch Kirill Petrenko, die vor allem die feinen Stellen der Partitur aufwertet. Das Glitzern des Rheingoldes, das ganz leise und verschlagen intonierte Tarnhelm-Motiv. Ohne dabei auf ein äußerst wirkungsvolles Nibelheim-Gehämmer und ein knackiges Finale verzichten zu müssen. Aber gut, man ist halt verwöhnt, zumal in Bayreuth, wo man vielleicht noch mehr als andernorts weiß, daß früher sowieso alles besser war.


Richard Wagner – Das Rheingold
Musikalische Leitung – Kirill Petrenko
Inszenierung – Frank Castorf
Bühnenbild – Aleksandar Denić
Kostüme – Adriana Braga Peretzki
Licht – Rainer Casper
Video – Andreas Deinert, Jens Crull

Götter
Wotan – Wolfgang Koch
Donner – Oleksandr Pushniak
Froh – Lothar Odinius
Loge – Norbert Ernst

Göttinnen
Fricka – Claudia Mahnke
Freia – Elisabet Strid
Erda – Nadine Weissmann

Nibelungen
Alberich – Martin Winkler
Mime – Burkhard Ulrich

Riesen
Fasolt – Günther Groissböck
Fafner – Sorin Coliban

Rheintöchter
Woglinde – Mirella Hagen
Wellgunde – Julia Rutigliano
Floßhilde – Okka von der Damerau

Das Festspielorchester

7. Juli 2013

Jan Vogler und Freunde.
Festspielhaus Baden-Baden.

11:00 Uhr, Parkett Mitte, Reihe 6, Platz 15



Joseph Haydn – Klaviertrio G-Dur Hob. XV:25 „Zigeunertrio“
Erwin Schulhoff – Fünf Stücke für Streichquartett
Antonín Dvořák – Klavierquintett A-Dur op. 81


(Moritzburg Festival Ensemble: Benjamin Schmid – Violine, Mira Wang – Violine, Lars Anders Tomter – Viola, Jan Vogler – Violoncello, Antti Siirala – Klavier)



3,50 für ne Cola, dazu 1,50 für die Garderobe – das riecht nach Rekord in deutschen Landen. Passt ja auch irgendwie zu diesem Haus, das zumindest in der Anzahl der Sitzplätze unzweifelhaft den Branchenprimus gibt und auch sonst eher die Devise „Klotzen, nicht kleckern“ zu leben scheint. Apropos, filigran ist jetzt übrigens nicht die erste Vokabel, die mir beim Anblick des Kubus auf der Zunge lag, der sich da an den alten Bahnhof gewanzt hat. Nein, ok, das ist jetzt schon eine Spur zu schnodderig formuliert. In der an Klötzen nicht gerade armen Historie moderner Klotzarchitektur gibt es durchaus Unansehnlicheres. Man hatte Geld, das kommt schon rüber.

Stil hatte man auch, zumindest hier und da, denkt man sich, während man sich durch die menschenleeren, lichtdurchfluteten Ebenen Stockwerk um Stockwerk gen obersten Rang vorarbeitet. Menschenleer, weil heute kleine Besetzung den großen Saal bespielen wird. Kammermusik in der Riesenhalle, weshalb auch nur ein Teil des Hangars zur Platznahme freigegeben ist. Und daher hält sich auch außer dem ketzerischen Verfasser dieser Zeilen kein vernünftiger Mensch in den oberen, von einer Buchung ausgeschlossenen Gefilden auf – von etwas hier und da scheu um die Ecke lukendem Personal einmal abgesehen.

Trotzdem hat es schon einen gewissen Charme, gerade hier lustzuwandeln. Die weitläufigen Foyers, die endlosen Gänge zu den Logen, die bis zur nächsten ausgewachsenen Vorstellung eingemotteten Gastronomiestationen, alles wirkt so natürlich noch kahler und unwirklicher, als ohnehin durch die nüchterne Architektur evoziert. Der Gedanke an prunkvolle Opernhäuser inmitten kautschukspendender Amazonasurwälder kommt mir in den Sinn. Warum auch immer. Der Vergleich hinkt, schließlich liegt Baden-Baden weder im Urwald, noch hat man den Bau aus Jux und Dollerei gerade hier platziert. Das Festspielhaus ist die einzige Bühne Deutschlands, die ohne Subventionen auskommt und sich zu einem Großteil durch Kartenverkäufe finanziert, sagt das Internet meines Vertrauens.

Es geht hier um Geld, das suggerieren Ambiente und kurschattige Lage. Aber in gleichem Maße um Qualität. Auch dafür steht das Ambiente, vor allem jedoch der Spielplan des Hauses. In einer Art Ahnengalerie begrüßt bereits im Gang zwischen Alt- und Neubau die programmatisch versammelte Creme de la Creme der Klassikwelt mit gewinnendem Lächeln die Besucher. Nimmt man eines der Magazine zur Hand, die in mehreren Display-Reihen das omnipräsente Antlitz der Netrebko ziert, stellt sich beim Blättern eine gänzlich süffisanzfreie Beeindruckung ein. Und ich will ganz ehrlich sein. Der Grund für meinen Besuch war im Vorwege weder meine mäßig ausgeprägte Ader für Kammermusik noch die mir bekannten und geschätzten Herren Schmid und Vogler, sondern einfach die Neugierde auf dieses Haus, die ich mit einem kurzen Halt auf dem Weg zurück in den Norden zu befriedigen suchte. Oder anders ausgedrückt: Muß man ja mal gesehen haben und es lief halt keine Götterdämmerung als Vormittagsmatinee.

Derart banausisch nahm ich im Parkett Platz – und erlebte das wahrscheinlich beste Kammermusikkonzert meines bisherigen Konzertbesucherlebens. Wobei der Zusatz Kammermusik ausdrücklich nicht als Einschränkung zu verstehen ist, im Gegenteil. Bereits während der Darbietung suchte ich euphorisiert all die Superlativ-Momente zwecks späterer schriftlicher Huldigung en Detail gedanklich zu fixieren — leider trägt die Tatsache, daß mittlerweile das neue Jahr mir faulem Hund beim Schreiben über die Schulter schaut, eher wenig dazu bei, sich jetzt gleichsam minutiös in ausschmückender Augenzeugenziselierung zu ergehen. Das ist Pech. Ein großes Glück hingegen war ohne Frage die Teilnahme an diesem Konzertleckerbissen. So ist dann folgerichtig ein Wort in meiner Erinnerung daran hängen geblieben: Qualität.

Ich höre mir Haydn an – ich kann für gewöhnlich mit Haydn nicht viel anfangen – aber die schiere Qualität des Vortrages, der Technik und vor allem der Interpretation (soweit ich das überhaupt mangels Vergleichsmöglichkeiten beurteilen kann), die immense Spielfreude dieser Ausnahmekünstler auf der Bühne, begeistern mich zumindest für die Dauer eines Klaviertrios für den gediegenen Österreicher. Daß mein Herz grundsätzlich eher Dvorak oder Schulhoff zufliegt, ändert daran nichts, dennoch ist es immer wieder eine spannende Erfahrung, durch mitreißende Fürsprecher vermeintlich Fernes ganz nah zu spüren.

Von Schulhoff kannte ich bis dato nur die Musik der Tanzgroteske „Die Mondsüchtige“, die Fünf Stücke für Streichquartett nun folgen dem ersten Eindruck hochinteressanter, packend expressiver Musik. Auch wenn das Quartett ihn, anders als die Groteske, nicht im Namen trägt, ist Tanz doch in allen Sätzen das prägende Element – Die erfrischend „moderne“, mitunter verwunschen-sperrige Faktur hat es mir dabei absolut angetan. Ein weiteres Kompliment an die Programmgestaltung für diesen kammermusikalischen Paradies- (oder doch eher Nacht-)Vogel im Zentrum der Abfolge, wobei manch skeptischer Seitenblick meiner Nachbarn vielleicht nahelegt, daß ihnen sein Schnabel nicht ganz so hold gewachsen deuchte wie mir. Aber beim Dvorak war man sich dann wieder einig: schön war’s!

Selbiges galt auch für das entspannte wie kurzweilige Künstlergespräch, das sich an das Konzert anschloss und bei dem die Musiker über Programm, Persönliches und zukünftige Pläne Rede und Antwort standen.

Fazit: Ein schönes Gefühl, wenn man sich bei einem Zwischenstopp wider Erwarten ganz angekommen weiß.

6. Juli 2013

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny –
Johannes Knapp. Theater Freiburg.

19:00 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, 1. Rang Mitte, Reihe 1, Platz 23



Heute also ins Theater Freiburg. Der Anblick der Fassade stimmt ein wenig traurig – ein versehrter Torso, von hässlichen Zweckanbauten eingepfercht, dem man anstelle seiner ursprünglichen Schmuckfassade ein in rührender Bescheidenheit verschandelndes Dachhütchen verpasst hat. Dafür gibt es zu beiden Seiten der Auffahrt gelebtes Hipstertum: Urban Gardening im Ländle! Aber schließlich gedenke ich hier weder einzuziehen noch zu gärtnern, so daß wir uns dem musikalischen Ertrag des Besuchs zuwenden können.

Jener fiel angesichts des enormen Potenzials des Stückes und der drei Knaller-Erlebnisse in Berlin, Augsburg (Link) und Bremen (Link) leider etwas mau aus, obwohl man auch nicht von einem schlechten Abend sprechen kann. Orchester und Dirigat nicht ganz zwingend, wenig spritzig, z.T. unpräzise und nicht immer zusammen, die Stimmen ok, mehr aber auch nicht. Begbick diesmal als Volldramatische, Jenny in der Intonation etwas wacklig, dazu arg leise, die Akustik insgesamt sehr direkt, laut, durchaus mit Dampf.

Höhepunkte ergaben sich in erster Linie aus der Inszenierung bzw. darstellerischen Einzelenergieleistungen, beispielsweise bei der intensiven Steigerung von Jims verzweifelter Erkenntnis „Aber etwas fehlt!“ (Nebenbei bemerkt auch ein passendes Motto für den ganzen Abend) oder der endzeitlichen Stimmung im Angesicht des drohenden Hurrikan – und hier wieder speziell durch Jim, der die Ängstlichen verlacht. Nein, die Inszenierung ist nicht schlecht, hält im Gegenteil eine Fülle schlüssiger Einfälle und Umsetzungen bereit. Äußerst kreativ beispielsweise der Einsatz von pfeilförmigen, klappbaren Elementen, die je nach Bedarf mal als Auto, Haus, Schiff, Flasche, Waffe oder auch Gerichtspult dienen. Auch daß es sich beim letztlich alles bestimmenden Geld hier schlicht um Konfetti handelt, mit dem sprichwörtlich und buchstäblich um sich geschmissen wird, ist ein weiteres Beispiel für diese einfachen aber zündenden Ideen. Die Szene mit der zitierten „Ewigen Kunst“ trieft, in Kronleuchter-Romantik getaucht, den Flügel mitsamt Pianistin zentral auf der Bühne platziert, nur so vor Ironie.

Leider scheint die Regie der humoristischen Wirkung des Stücks an manch anderer Stelle nicht recht zu vertrauen – und greift immer wieder in die Klamauk-Schublade. Das schrill Groteske bietet sich durchaus an, da sprechen wir dann aber von einer anderen Tonalität als dem slapstickartigen Ineinandergerenne der Gauner oder ähnlichen Holzhammer-Einlagen. Auch nicht zuletzt deshalb ergibt die Summe der Teile heute Abend kein begeisterndes Ganzes. Natürlich ist das mit dem Humor so eine Sache. Geschmackssache, um genau zu sein. Beim großen Fressen leibhaftige Kinder an Kälber statt zur traurigen Weise des Jack O´Brien verspeisen zu lassen, ist sicher wenig subtil, illustriert dafür aber die Radikalität der Szene äußerst effektvoll. Auch der Kindertanz als Bild für den Liebesakt folgte diesem Prinzip der fokussierenden Irritation, wohingegen die Umsetzung von Boxen und Saufen eher klassisch ausfielen.

Wie gesagt, letztlich bot die Inszenierung solides Handwerk, jedoch von der Intensität her deutlich zu wenig, um dem Abend einen Ruf als Ereignis von bleibendem Eindruck zu verschaffen. Oder um im Bild des im Stile einer Fluggesellschaft uniformierten Begbick-Anhangs zu bleiben: In dieser Form konnte das Stück leider nur bedingt die Flug- bzw. Fallhöhe erreichen, die ihm erwiesenermaßen sonst vergönnt ist. Und dennoch freue ich mich darauf, dem Werk erneut auf anderer Bühne zu begegnen. Schließlich sind um uns herum bislang wenig Anzeichen auszumachen, die auf Aktualitätseinbußen der Netzestadt-Geschehnisse hindeuten würden. In diesem Sinne: Neue Chance dem Scheitern, neues Glück dem Unglück.


Kurt Weill – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Musikalische Leitung – Johannes Knapp
Regie – Tom Ryser
Bühne und Kostüme – Stefan Rieckhoff
Licht – Markus Bönzli
Chor – Bernhard Moncado
Dramaturgie – Dominica Volkert

Begbick – Anja Jung
Fatty – Christoph Waltle
Dreieinigkeitsmoses – Ks. Neal Schwantes
Jenny – Sally Wilson
Jim Mahoney – Roberto Gionfriddo
Jack O´Brien – Fausto Reinhart
Bill – Alejandro Lárraga Schleske
Joe – Frank Schneiders
Tobby Higgins – Fausto Reinhart
Schauspielerin – Melanie Lüninghöner
Pianistin – Julia Vogelsänger

Philharmonisches Orchester Freiburg
Opernchor des Theater Freiburg
Statisterie des Theater Freiburg

5. Juli 2013

Der Fall des Hauses Usher – Markus Huber.
Theater Pforzheim.

19:40 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Eingang Mitte links, Reihe 6, Platz 154


















Man wartet ja mitunter auf die dollsten Sachen. Verspätete Solisten, Dirigenten, die im Eifer der letzten Probe die Zeit aus den Augen verlieren, einmal war gar eine verkantete Bühnenmechanik der Grund dafür, daß sich der Vorhang zum Tristan erst nach einer ganzen Weile erhob. Heute reichte eine einzelne Klarinette – nebst ihrem Betätiger natürlich – dazu aus, den Untergang der Ushers noch etwas weiter hinauszuzögern. Gut, wenn man da einen sympathischen GMD in Diensten hat, der die Wartezeit einfach mit einer druckreifen, ergänzenden Erläuterung zur Musik des Werks überbrückt. Die offizielle Einführung, an die sich die Hiobsbotschaft anschloß, hielt wiederum die Regisseurin der Produktion, da die geplante Rednerin durch Heiserkeit ausfiel. Das mit dem Improvisieren funktioniert also schon mal in Pforzheim.

Das mit dem Inszenieren geht auch in die richtige Richtung. Lediglich einige etwas übertriebene Aktionen der Darsteller streifen den Einflussbereich der unfreiwilligen Komik. Nun ja, nicht jeder Sänger war eben auch Lee Strasberg-Schüler. Insbesondere Herr Francke als Roderick könnte es hier und da eine Spur subtiler angehen, damit nervöse Gespanntheit und Wahnsinn nicht in Karikatur abgleiten. Am stärksten wirkte auf mich hingegen das eher zurückhaltende Spiel der Madeline-Darstellerin Franziska Tiedtke, die nicht allein mit ihrer Stimme die beiden Herren zu becircen und schließlich gespenstisch heimzusuchen wußte. Ein vielsagender Blick, ein Lächeln, das plötzlich erstirbt, eine anmutige und gleichsam fordernde Geste, viel mehr braucht es nicht, um die unwirklich faszinierende Erscheinung der verführerischen Schwester Gestalt werden zu lassen. Die Vorgabe des Komponisten, sie den Vokal „A“ als einzige verbale Äußerung singen zu lassen, trägt natürlich darüber hinaus entsprechend dazu bei, diesem Charakter ganz und gar nicht fasslich begegnen zu können.

Damit wären wir schon bei der Musik. Als großer Freund der Glassschen Filmmusik ist mir hingegen verschwindend wenig von seinem „klassischen“ Œuvre bekannt. Doch direkt von Beginn an begegnet man den vertrauten, repetitiven Klängen und Mustern, die kennzeichnend für diese in erster Linie atmosphärische Musik sind. Ganz ehrlich: Insgeheim hegte ich im Vorfeld ja die ketzerische Befürchtung, ob pausenloses, meditatives Intervallgeorgel wirklich auch Musiktheater tragen könne, oder ob es zwangsläufig darauf hinauslaufen müsse, zu Tode gedudelt zu werden. Aber zu früh geunkt – Herr Glass läßt sich doch so Einiges einfallen, um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen.

Das Dutzend Musiker, welches als Kammerensemble den Graben bevölkert, erweckt eine Partitur, die reich an Abwechslung in Bezug auf Struktur und Einsatz der klanglichen Mittel ist. Die einzelnen Szenen sind durch eine breite Palette an Tempi und Ausdruckszuständen klar strukturiert und in greifbare Abschnitte portioniert. Die Instrumentation wartet mit einer Fülle verschiedener Klangfarben auf, von relativ ungewöhnlichen Einzelstimmen (vor allem die oft solistisch eingesetzte Gitarre fällt hier auf), über interessante Kombinationen (beispielsweise die Verbindung von Flöte mit Synthesizerklängen), bis hin zum Gong-beschwerten Tutti.

Auch gerade das Zusammenspiel mit den Gesangsstimmen ist nicht ohne Reiz, fallen diesen doch neben eher rezitativischer Handhabung immer wieder auch Schlüsselmomente an Lyrik und Emotion zu. Ausladende Kantilenen im landläufigen Sinne sucht man vielleicht vergeblich, aber das Material dürfte mit seiner Mischung aus eingängiger Simplizität und interessanten harmonischen Wendungen insgesamt weit weniger sperrig als manch andere neuzeitliche Schöpfung sein.

Noch einmal zurück zur Inszenierung: Die Bühne gibt eine eher abstrakte Ahnung des alten Gemäuers, liefert mit den abgehängten Möbeln jedoch gleichzeitig ein passendes Bild für das nahende Ende von Dynastie und Anwesen. Die Sturmszene mit den wehenden Laken und baumelndem Kronleuchter gerät vielleicht eine Spur zu simpel, dafür ist die ebenfalls einfache Idee, Madelines Sarg durch eine schlichte Klappe im Bühnenboden darzustellen, auch für die Handlung von Vorteil, da ihr Grab somit als latente „Bedrohung“ inmitten des Geschehens verortet bleibt. Die Andeutung einer Dreiecksbeziehung erscheint in dieser Inszenierung durchaus plausibel, die Projektionen und Kinderdarsteller unterstreichen das Gefühl, daß die drei Hauptdarsteller schon seit ihrer Jugend ein Geheimnis verbindet. Besonders reizvoll empfinde ich die Vorstellung, ob besagte Kinder nur Williams Träume heimsuchen, gleichsam Visionen, oder nicht doch eine nächtliche Manifestation des Geschwisterpaares zeigen – es scheint in dieser Produktion ohnehin von Anfang an unklar, welche Protagonisten zu welchem Anteil tatsächlich noch in dieser Welt beheimatet sind. Der überdeutliche Vampirzüge aufweisende Arzt und der statuenhafte Diener bilden da keine Ausnahme.

Ich bleibe dabei: Insgesamt eine gute Gelegenheit dieses Werk kennenzulernen und dem Komponisten einmal abseits der Kinoleinwand zu begegnen. Schön, daß sich das Theater Pforzheim dieser Aufgabe widmet, erst Recht, da ich ein inneres Kopfschütteln nicht verhehlen kann, wenn ich hinter mir Perlen der musikalischen Toleranz höre wie: „Wir hatten ja noch einen Gutschein, aber unsere Nachbarin meinte, das täte sie sich nicht an“ oder: „Das stehen wir heute durch“ und last but not least: „Meditativ, so so, naja – im Zweifel werden wir geweckt“. Manche Menschen gehen also tatsächlich zum Leiden oder Schlafen ins Theater. Wenn dafür Geld da ist, scheint es den Leuten wohl noch nicht allzu schlecht zu gehen. Glücklicherweise relativierte der herzliche Schlußapplaus solcherlei engstirnige Zuckungen und bestätigte die Anstrengungen des Hauses, etwas Besonderes auf die Beine zu stellen.


Philip Glass – Der Fall des Hauses Usher
Musikalische Leitung – GMD Markus Huber
Inszenierung – Bettina Lell
Bühne und Kostüme – Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf
Video-Art – Christian Paulo
Licht – Peter Halbsgut
Dramaturgie – Doreen Röder

William – Aykan Aydin
Roderick Usher – Markus Francke
Madeline Usher – Franziska Tiedtke
Arzt – Benjamin-Edouard Savoie
Diener – Axel Humbert

Kinderstatisterie des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim


30. Juni 2013

Eine florentinische Tragödie / Der Zwerg –
Jonathan Darlington.
Opernhaus Düsseldorf.

14:30 Uhr Einführung, 15:00 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 2, Platz 49



Doppeltes Fiasko in Düsseldorf. Was ist denn bitte so schwer daran, in die Birne zu bekommen, daß man Werken, die sich eh nur alle Jubeljahre mal in den Spielplan verirren, mit verschwurbelten Hirnwichsinszenierungen keinen Gefallen tut? Da kann man die funkelndsten Perlen heben, in solcher Schale wird man die Herzen des Publikums schwerlich für Raritäten selbst dieser Güte erwärmen. Und dabei gehören Zemlinskys Einakter doch zu den bekannteren Stiefkindern des Opernbetriebs. Ich fasse es einfach nicht, wie man es so in den Sand setzen kann – aber hey, das letzte Mal waren die beiden hier ja schließlich auch erst in den Zwanzigern zu erleben – klar, man möchte die Stücke nicht verramschen.

Doch ei der Daus, genau das ist der Deutschen Oper am Rhein mit dieser Produktion im Handstreich gelungen. Und das beileibe nicht durch Misstöne aus Graben oder Kehlen, mitnichten (aber das Musikalische verkam heute gezwungenermaßen zur Randnotiz), es reichte einfach der zwiefache Rein- bzw. Ausfall der Gesellen Klimo und Karaman, um Zemlinsky zumindest für die aktuelle Generation Düsseldorfer den Garaus zu machen. Äußerst schade, zumal die musikalische Qualität der Rheinoper auch heute seinen Teil zu einem potenziellen Gesamtgelingen beitrug.

Frau Klimos Inszenierung der florentinischen Tragödie ist nichts als ein Verbrechen am dramatischen Gehalt des Stückes. Selten habe ich eine Regie erlebt, die so brutal gegen den natürlichen inhaltlichen und musikalischen Fluß arbeitet. Ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich ernsthaft auf Werk, Musik und Aussage einlassen wollen. Statt einer Regie, die den Zuschauer auf seinem Weg begleitet und vielleicht auch leitet, sieht man sich mit Westentaschenpsychologie und Bildern konfrontiert, die man ohne entsprechenden Hintergrund schwerlich versteht, zusammengezwängt in ein Traummäntelchen, unter dem man sich herrlich kryptisch auszutoben getraut.

Es ist doch ganz einfach: All die symbolüberfrachteten, artifiziellen Winke mit Zaunpfählen sind nicht nur überflüssig, weil sie die vor allem in der Musik angelegte Tiefe(npsychologie) nur ankratzen oder im Zweifel verzerrt vermitteln, sondern versperren vielmehr den Zugang und verwandeln das Stück in eine kolossale Nervensäge. Es ist mir schlicht und ergreifend scheißegal, warum Simone ein Glas auf dem Regenschirm trägt, was Bardis Schattenspielgesten zu bedeuten haben oder welchem Volkshochschulkurs Traumdeutung das wechselseitige symbolische Verspeisen entstammt (Leider hatte ich meinen Freud- und Magritte-Pschyrembel grad nicht zur Hand). Die szenische Krücke des Harlekins hilft da auch nicht weiter. Er bringt halt die dämlichen Hüte und anderes Spielzeug – was soll’s. Da kann das Orchester zum Finale den Triumph Simones und das Erstarken von Biancas Lust noch so aufrauschen lassen – übrigens mit wunderbar sonor krönendem tiefen Blech – Der Gesamteindruck nuckelt entnervt an seiner Seifenblasenpfeife und seufzt leise: Klamauk.

Von diesem grausamen Bauchladen der Lächerlichkeit geerdet, ereilte mich nach der Pause die nächste Enttäuschung, die im Nachhinein betrachtet vielleicht sogar noch bitterer ausfiel, weil Herr Karaman auch hier in Ansätzen das Talent aufblitzen ließ, daß mich teilweise schon bei „Billy Budd“, vollends jedoch bei „The Turn of the Screw“ (Link) in den Bann geschlagen hatte. Auch hier die eine Variation der gleichen Frage: Warum so kompliziert? Warum nimmt man diese Geschichte, um eine ganz andere zu erzählen? Das Argument, welches bei Wagner gern als Feigenblatt für Mumpitz-Regie herhalten muß, die klassische Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte habe sich schließlich mittlerweile totgelaufen, dürfte hier etwas schwach auf der Brust daherkommen ... die Zwanziger, wir erinnern uns. Was also mag Herrn Karaman anstelle von Übersättigung getrieben haben, NICHT „Der Zwerg“ zu inszenieren, sondern „Skandal im Mädchenheim“? Ich überlege kurz, Moment ... Und dann fällt es mir wieder ein: Wurscht! Ich wollte ja den Zwerg sehen, und so heißt es: Thema verfehlt.

Spätestens wenn der Zwerg am Ende in rührendster Anflehung der Prinzessin förmlich vergeht, sie möge das Gesagte zurücknehmen, ist die Regie ein einziger Tritt zwischen die Beine der Partitur. Mein Mitleid für notgeile Priester hält sich überraschenderweise in Grenzen. Ach, es ging der Regie hier gar nicht darum, Mitleid zu erwecken, sondern vielmehr ... STOPP – es interessiert mich nicht für fünf Pfennig, warum Herr Karaman diesen „Kunstgriff“ tat, er hätte aus meiner Sicht einfach seinen verdammten Job machen sollen. Zu engstirnig? Zu konservativ? Ganz und gar nicht, nur ungemein enttäuscht, daß hier ein Theatermensch nicht an das immense szenisch-dramatische Potenzial dieses Märchens geglaubt hat, und etwas „Eigenes“ daraus machen mußte. Von mir aus hätte die Sache auch auf einem Schulhof im hier und heute als Mobbing-Drama oder meinetwegen auch auf dem Mond spielen können, wäre man beim Kern geblieben. Eigen- und Fremdwahrnehmung, der Umgang mit Gefühlen, Sehnsüchten und auch Zurückweisung – wir sprechen hier schließlich nicht von einem überkommenen spanischen Hofzeremoniell, sondern – wie eigentlich immer, wenn es ans Eingemachte geht – vom rein Menschlichen, Überzeitlichen.

Und nochmal: Doppelt, dreifach bedauerlich ist es, weil Herr Karaman und sein Team ihr Handwerk schon verstehen. Dafür muß ich nicht in Erinnerungen an die faszinierend bedrückende Umsetzung der inneren und äußeren Dämonen in „The Turn of the Screw“ schwelgen, auch die aktuelle Produktion spielt rein „technisch“ unzweifelhaft in der ersten Liga. Das morbide, kunstvoll ausgeleuchtete, trotz seiner Strenge flexibel eingesetzte Bühnenbild; die intelligente Personenregie, insbesondere in den Chorszenen virtuos, die Akteure je nach Situation sinnhaft staffelnd und akzentuierend; bis hin zur fast poetischen Choreografie der sich spiegelnden Clara und Ghita – all diese Elemente zeugen von großer Meisterschaft und Liebe zum Detail, daß man ins Programmheft beißen möchte, so schade ist das. Aber es hilft ja nichts. Bleibt nur zu hoffen, daß Herr Karaman sein Talent in Zukunft wieder an Stoffen erproben kann, die ihm aus sich selbst heraus Inspiration zuführen.

So bleibt für Zemlinsky leider zweimal das Fazit: Ein ganz mieser Bauchklatscher am Rhein.


Alexander Zemlinsky – Eine florentinische Tragödie
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Barbara Klimo
Bühne – Veronika Stemberger
Kostüme – Frank Bloching
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Hella Bartnig

Guido Bardi – Corby Welch
Simone – Anooshah Golesorkhi
Bianca – Janja Vuletic
Harlekin – Ronaldo Navarro

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker


Alexander Zemlinsky – Der Zwerg
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Immo Karaman
Bühne und Kostüme – Nicola Reichert
Licht – Volker Weinhart
Chor – Christoph Kurig
Dramaturgie – Hella Bartnig

Donna Clara – Sylvia Hamvasi
Ghita – Anke Krabbe
Der Zwerg – Raymond Very
Don Esteban – Stefan Heidemann
Die erste Zofe – Elisabeth Selle
Die zweite Zofe – Alma Sadé
Die dritte Zofe – Iryna Vakula
Die erste Freundin – Jessica Stavros
Die zweite Freundin – Luiza Fatyol

Damenchor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

Symphoniker im Foyer – Matinee.
Opernhaus Düsseldorf.

11:00 Uhr, freie Platzwahl



Franz Schubert – Sonate Nr. 15 C-Dur D 840 für Klavier

Hugo Wolf – Vier „Mignon-Lieder“
Mignon I: „Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen“
Mignon II: „Nur wer die Sehnsucht kennt“
Mignon III: „So lasst mich scheinen, bis ich werde“
Mignon: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“

(Pause)

Franz Schubert – Trio B-Dur D 898 für Violine, Violoncello und Klavier

(Sarah Ferede – Mezzosopran, Martin Schäfer – Violine, Gilad Kaplansky – Violoncello, Stephen Harrison, Laura Poe, Ville Enckelmann – Klavier)



Musikalisches Vorglühen in Düsseldorf vor dem nachmittäglichen Hauptgang. Noch leicht im Schwitzkasten der Müdigkeit, musiziert man eher gepflegt an meiner Aufmerksamkeit vorbei. Trotzdem: Frau Ferede weiß mit ihrem klaren, weichen Mezzo auch den Sonntagsmorgenmuffel zu betören – eine schöne Stimme!

28. Juni 2013

Hindemith-Einakter – Andreas Hotz.
Theater Osnabrück.

19:30 Uhr, Parkett rechts, Reihe 4, Platz 83



Es ist schon mal nicht so richtig schlau, mit dem Niederschreiben von Eindrücken so lange zu warten, bis selbige bereits beinahe drei Jahre zurückliegen. Richtig dumm wird es aber dann, wenn man sich „damals“ keine Notizen gemacht hat. Nicht. Eine. Einzige. Pech gehabt, aufgeschoben ist nicht – auch ein dummer Spruch. Wollen wir doch mal sehen, welche Erinnerungen sich noch so rekonstruieren lassen.

Die an einen rundum gelungenen Abend in erster Linie mal. Gut, das kann jeder behaupten, klingt versöhnlich und schon ist man glimpflich raus aus der Nummer. War aber tatsächlich so. Nach dem ersten Besuch des Osnabrücker Theaters zur Operngala (Link), war dies der angestrebte Test unter Repertoirebedingungen. Von Hindemiths Opern hatte ich bis dato nur „Mathis der Maler“ und „Cardillac“ live erlebt und lieben gelernt, Osnabrück sollte diese Zuneigung nun um gleich drei Kapitel auf einmal ausbauen.

Deren erstes, „Mörder, Hoffnung der Frauen“, ist mir als radikale, alles andere als sentimentale Betrachtung der Konstellation Mann und Frau im Gedächtnis geblieben, die sich vielleicht nicht unbedingt als Abendempfehlung fürs erste Date aufdrängt. Die Verlegung des zweiten Werks, „Das Nusch-Nuschi“, in die frivolen Auswüchse einer Betriebsfeier, war in seiner bissig-satirischen, entlarvenden Wirkung das szenische Prunkstück des Abends. Wobei auch der Abschluß, „Sancta Susanna“, mit seiner klaustrophobischen Inszenierung der unheilvollen Mutter-Tochter-Drangsal eine schlüssige Überführung des geistlichen Inhalts ins Privat-Säkulare bot.

Eine schlüssige Einzelkritik der Mitwirkenden entbehrt nach all der Zeit leider jegliche Grundlage, dennoch wird es seine Gründe gehabt haben, daß dieser Besuch bei mir auch musikalisch äußerst positiv abgespeichert ist. Mein Fazit aus der Zeitmaschine daher: Dreimal Hindemith in Osnabrück – eine dreifach sehens- und hörenswerte Produktion.


Paul Hindemith – Drei Einakter
Musikalische Leitung – Andreas Hotz
Inszenierung – Jochen Biganzoli
Bühne – Wolf Gutjahr
Kostüme – Katharina Weissenborn
Choreografie – Günther Grollitsch
Choreinstudierung – Markus Lafleur
Dramaturgie – Ulrike Schumann

Mörder, Hoffnung der Frauen

Der Mann – Daniel Moon
Die Frau – Lina Liu
Erster Krieger / Dritter Krieger – Mark Hamman
Zweiter Krieger – Genadijus Bergorulko
Erstes Mädchen – Susann Vent
Zweites Mädchen – Almerija Delic
Drittes Mädchen – Marie- Christine Haase

Das Nusch-Nuschi

Mung Tha Bya, Kaiser von Burma / Ein Bettler – Mark Sampson
Ragweng, der Kronprinz – Silvio Heil
Feldgeneral Kyce Waing / Der Zeremonienmeister – Genadijus Bergorulko
Henker / 1 . Herold – Daniel Moon
Susulü, der Eunuch des Kaisers – Ulrich Enbergs
Tum tum – Mark Hamman
Kamadewa / 2. Herold – Daniel Wagner
Die vier Frauen des Kaisers
Bangsa – Lina Liu
Osasa – Marie-Christine Haase
Twaise – Almerija Delic
Ratasata – Susann Vent
1. Bajadere – Marie-Christine Haase, Radoslava Yordanova
2. Bajadere – Kathrin Brauer, Susann Vent
Zwei dressierte Affen – Stefan Kreimer, Andreas Schön
Richard Wagner – Peter Kovacs
Asiatisches Vorspiel – Chihiro Meier-Tejima, Jong-Bae Bu, Mario Lee, Ji-Seong Yoo

Sancta Susanna

Susanna – Lina Liu
Klementia – Almerija Delic
Alte Nonne – Eva Gilhofer

Chor und Extra-Chor Herren des Theaters Osnabrück
Osnabrücker Symphonieorchester

16. Juni 2013

Der Rosenkavalier – Christian Thielemann.
Semperoper Dresden

16:45 Uhr Führung, 18:00 Uhr, 4. Rang, Sektion R4MI, Reihe 1, Platz 32



Nicht per Rosenkavalier-Sonderzug, sondern in gänzlich unfestlicher Regionalbahn geht es von Chemnitz zur Uraufführungsstätte an die Elbe. Diesmal keine Zeit für Sandsteinromantik und Canaletto-Blick, dafür umso mehr Vorfreude auf eine luxuriöse Besetzung und die Thielemannsche Wunderharfe. Eine kleine Führung durch die ehrwürdigen Hallen sorgt für die nötige Einstimmung. Leider eine etwas oberflächliche Angelegenheit, will sagen man tapert nicht wie in der Lindenoper auch durch die Eingeweide von Bühnenbereich, Garderobe oder Fundus, sondern bleibt hübsch im Stucco lustro- und Scagliola-Glanz der ohnehin zugänglichen Räumlichkeiten. Dafür gab’s auch hier ne Menge Hintergründe und Anekdoten von der netten Dame.

Als mit typisch germanischen Nörgelgenen Geschlagener ist dieses Haus natürlich ein Ort schier zum Verzweifeln – man findet keine Schwachstelle. Optisch, atmosphärisch, künstlerisch ... doch halt, einen Kritikpunkt konnte ich doch in mühevoller Kleinarbeit isolieren: Die Brezeln sind zu trocken! Echt jetzt. So! Nimm dies, Semperoper, Hain der Makellosigkeit! ... Nein, nein, es ist müßig zu bohren – die Qualität, die ich hier unter dem güldenen Kronleuchter mit den spiegelverkehrten Sachsen-Wappen genießen durfte, verdient ohne wenn und aber das altmodische Gütesiegel Weltklasse. Da knirscht der Pfeffersack mit den Zähnen, da ehrfürchtet der Wahl-Hanseat.

Auch vor einer Regie, so unprätentiös und gleichzeitig so klar und fesselnd, wie man es sich nur träumen kann. Ein neuerlicher Beleg, daß eine klassische Umsetzung, die „nur“ das vorhandene Textbuch inszeniert, alles andere als ein Ausdruck von Einfallslosigkeit sein oder gar Langeweile zur Folge haben muß. Schon allein die visuelle Ausgestaltung des Vorspiels der Oper – Das Paar kommt von Fest und Liebe berauscht nach Hause und teilt das Bett bis zum Morgengrauen – ist eine Miniatur inszenatorischer Raffinesse. Das lebendige Spiel der Darsteller, der Lichtwechsel zum Sonnenaufgang – das macht alles Sinn und sieht dabei auch noch verdammt gut aus. Was man im Folgenden der ganzen Aufführung bescheinigen kann.

Und wenn sich dann zu dramaturgisch-visuellem Glanz ein entsprechendes auditives Vergnügen gesellt, entfaltet sich daraus eine Wirkung, die den Bereich des Unwiderstehlichen eröffnet. Frau Schwanewilms sorgt als Marschallin – so zart, so fein, so mild, so edel, oder einfach: himmlisch – in Kombination mit Thielemanns subtiler Führung und dem Samt der Staatskapelle für Momente, im Augenblick ihrer Entstehung als so kostbar empfunden, daß mir auch noch die dickste Portion Pathos bei der Nacherzählung und Einordnung mager erscheint. Oder: Wohl dem, der Euphorie sucht und sie tatsächlich findet.

Mit welcher Intensität und Wärme Frau Schwanewilms die Selbstreflektion der „Resi“ über sich und die Zeit rüberbringt – wobei diese Leistung eigentlich wenig mit „rüberbringen“, als vielmehr mit „sein“ zu tun hat – das geht einfach zu Herzen. Und dann dieses Pianissimo – traumhaft! Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch die verblüffend präsente Akustik im 4. Rang – faszinierend, welche Feinheiten es in diesem herrlichen Saal hinauf bis unters Gebälk schaffen!

Elīna Garanča als Octavian und Anna Prohaska als Sophie komplettierten das makellose Terzett-Personal, wobei mir die Berliner Kombination Kozená/Prohaska noch etwas mehr zusagte. Geschmackssache. Peter Rose wie gewohnt souverän. Generell tut seine Interpretation dem Ochs ausgesprochen gut, weil er die Rolle über das belächelbar Tölpelhafte hinaus mit etwas unberechenbar Linkischem, fast schon Dämonischen anfüllt, wodurch der Baron-Bauer deutlich mehr ernsthafte Gefahr für das junge Glück ausstrahlt. Und das besondere Nebenrollen-Bonbon: Kein Geringerer als Bryan Hymel schmachtete zum Lever.

Fazit: Nach den wunderbaren Abenden in Bremen (Link) und Berlin (Link) nun schon die dritte Rosenkavalierbegegnung der Spitzenklasse in Folge. Dreimal anders, dreimal erfüllend – mal sehen, wie lange diese Serie hält.


Richard Strauss – Der Rosenkavalier
Musikalische Leitung – Christian Thielemann
Inszenierung – Uwe Eric Laufenberg
Bühnenbild – Christoph Schubinger
Kostüme – Jessica Karge
Chor – Paolo Assante

Die Feldmarschallin, Fürstin Werdenberg – Anne Schwanewilms
Der Baron Ochs auf Lerchenau – Peter Rose
Octavian, ein junger Herr aus großem Haus – Elīna Garanča
Herr von Faninal, ein reicher Neugeadelter – Martin Gantner
Sophie, seine Tochter – Anna Prohaska
Jungfer Marianne Leitmetzerin, die Duenna – Irmgard Vilsmaier
Valzacchi, ein Intrigant – Thomas Ebenstein
Annina, seine Begleiterin – Helene Schneiderman
Ein Sänger – Bryan Hymel
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin – Kenneth Robertson
Ein Notar – Mathias Henneberg
Der Haushofmeister bei Faninal – Tom Martinsen
Ein Tierhändler – Mert Süngü
Ein Wirt – Dan Karlström
Eine Modistin – Nadja Mchantaf
Ein Polizeikommissar – Peter Lobert
Ein Hausknecht – Hans-Ulrich Ohse
Kellner – Markus Hansel, Klaus Milde, Andreas Heinze, Andreas Burghardt
Die adligen Waisen – Elisabeth Zharoff, Norma Nahoun, Barbara Senator
Leopold, Sohn des Ochs – Dirk Wolter
Die Lerchenauischen – Alexander Födisch, Michael Wettin, Thomas Müller, Mirko Tuma, Werner Harke, Holger Steinert
Die Lakaien der Marschallin – Jun-Seok Bang, Norbert Kleese, Ingolf Stollberg, Matthias Beutlich
Der kleine Mohr – Leonardo Cruz

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Mitglieder der Komparserie
Mitglieder des Kinderchores

15. Juni 2013

Vasco de Gama (L’Africaine) – Anja Bihlmaier.
Opernhaus Chemnitz.

17:30 Uhr Einführung, 18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 65



Nach Chemnitz fahre ich ausgesprochen gern. Das Auge ruht auf dem schmucken Theaterplatz mit seinem imposanten Triptychon, ein nettes kleines Hotel liegt nur einen Katzensprung entfernt – so läßt es sich leben. Natürlich auch bzw. in erster Linie, weil Gewissheit herrscht, daß man hier darüber hinaus künstlerisch auf seine Kosten kommt.

Nach einer überaus sympathisch vermittelten, leicht und locker frei vorgetragenen Einführung finde ich mich in gespannter Erwartung im Saal ein, wo erst mal ein seltener wie unbeabsichtigter dramaturgischer Effekt an mein verdutztes Ohr dringt: Der sakrale Teil besagten Triptychons meldet sich zu Wort – man läutet zur Messe. Als das kurze Ständchen durch St. Petri verklungen ist, liegt meine volle Aufmerksamkeit wieder auf dem faszinierenden Schwanengesang Meyerbeers.

Die Akustik ist auch bei leerer Bühne sehr gut, es ergeben sich schöne Hallwirkungen, beispielsweise anfangs in den intimen Passagen der Inès (Guibee Yang, deren Goldkehlchen bereits in „Die schweigsame Frau“ (Link) bezaubern durfte – kristallin und doch zu Herzen gehend), wenn die Orchesterbegleitung jeweils für kurze Zeit verstummt. Überhaupt lauscht man dieser Besetzung mit Wonne.

Ein erfreuliches Déjà-vu stellt sich beim Auftritt des Nélusko ein, der wie schon in der Würzburger Produktion dieses Werkes (Link) vom stimmgewaltigen Adam Kim gegeben wird. Ein schönes Organ! Und das nicht allein bezogen auf die Präsenz, nein auch das Timbre stimmt. Besonders stark die wehmütige Klage des mehr als in Treue zugeneigten Sklaven, als er die Vermählung Vascos mit seiner Herrin realisiert. Eben jene Sélika schien mir anfänglich etwas herb, zu wenig sinnlich, doch Claudia Sorokina steigerte sich mehr und mehr – vor allem auch ihr intensives Spiel gestaltete die Rolle der Königin, die ihren Stolz als Sklavin unterdrücken muß, insgesamt betrachtet überaus glaubhaft.

Bernhard Bechtold geht die ernste Rolle des Vasco mit dem gleichen Elan an, der ihn schon als unbeschwerten Henry Morosus auszeichnete. Sein Tenor ist sehr schön, generell eher dunkel gefärbt, dabei aber hell und klar in der Höhe, durchaus mit Schmelz. Am besten strahlt er dennoch in den kräftigen, zupackenden Passagen – die irisierende Lyrik der berühmten Arie „Land, so wunderbar!“ läßt auch dieses vorzügliche Organ an seine Grenzen stoßen. In jedem Fall bietet Bechtold Ausdruck und Intensität, stimmlich wie darstellerisch – ein Sympathieträger durch und durch.

Ganz im Gegensatz zu Don Pédro, dessen dramaturgisch bedingte, undankbare Ausgestaltung als Arsch vom Dienst Kouta Räsänen mit dem erforderlichen Habitus absolviert. Nicht zu vergessen bei aller Lackafferei: Der Mann hat eine prima Stimme – sehr sonor, ein bißchen nasal, sehr druckvoll. Rolf Broman schließlich überzeugte in seiner Doppelrolle als christliche wie heidnische Oberkutte mit volltönendem Bass, Vascos Freund brachte sehr glaubhaft den inneren Zwiespalt zwischen Pédro (Befehl) und Vasco (Herz) zum Ausdruck.

Auch die Inszenierung macht diesen „Vasco“ zu einem mitreißenden Erlebnis. Die Bühnenbilder sind gleichsam reduziert wie prägnant, beispielsweise Vascos Kerker mit der Erdball-Nische, die wunderbar sein Dilemma zwischen Eingesperrtsein und Entdeckerdrang visualisiert, oder später die fließend-pulsierende Dschungelprojektion – Exotik, Rausch und Vergiftung verschwimmen. Ein Detail der Ausstattung hat mich allerdings etwas ratlos hinterlassen: Der gläserne Sklavenschaukasten, in dem Sélika und Nélusko vorgeführt werden, ist mit Manzanillo-Kasten identisch, der für die Königin am Ende den Tod bedeutet. Soll diese Parallele vielleicht andeuten, daß alles Leid der „Wilden“ letztendlich auf die „Zivilisation“ zurückzuführen ist?

Kontrastierend zu den eher schlichten Kulissen, fallen die Kostüme umso prächtiger aus, wobei sie eher 19. Jahrhundert, also die Zeit der Entstehung der Oper atmen, als die der historischen Vorlage. Auffällig: Es gibt viele scheinbar nebensächliche, aber sinnvolle Tätigkeiten, die die Szenen mit Leben füllen. Vasco hantiert eifrig mit Sextant und Karten, Sélika bringt – wie es sich für eine Dienerin gehört – Stühle und Tee, die Matrosen exerzieren und schrubben das Deck.

Generell läßt die Personenregie die Figuren sehr authentisch und somit involvierend interagieren. Der Inquisitor wird mit Handkuss begrüßt, das ganze Kartenlesen und Prüfen während der Ratsszene, schließlich die Abstimmung und Vascos wütende Reaktion, wenn er den Tisch samt Kreuz umwirft (welche die harte Verurteilung umso glaubhafter macht), um nur ein paar Beispiele aus dem ersten Akt zu nennen. Ok, Ende des dritten Aktes ist auch ein bisschen Mummenschanz bei der Enterszene dabei, aber unterhaltsam ist auch dies.

Weitere Schlaglichter einer interessanten, durchdachten Regie: Nélusko lehrt die Matrosen das Fürchten (Das Einhaken und „Schunkeln“ illustriert die Wellenbewegung), die Projektion des Meeres, eine stimmungsvolle Lichtregie – erst sehr drastisch bei leerer Bühne, später mit Farb- und Temperaturwechsel (Purpurorgie in Indien), die intelligente Staffelung der Choristen (Das Paar Sélika/Vasco umringend, Nélusko auch optisch in seinem Gram ausschließend).

Der Eifer Vascos läßt in Sélika die Hoffnung auf Liebe entflammen, diese Liebe findet im Ballett visuellen Ausdruck. Kombiniert mit dem Bild des pulsierenden, wallenden Waldes (wiederum ein Anklang an die Wellen des Meeres), welches dann bei Sélikas Todesrausch erneut aufgegriffen wird. Eckige Gesten, eingefrorene Bewegung, puppenhaftes Spiel kennzeichnen ihr Sterben. Schließlich erscheint Vasco Sélika noch einmal „real“ auf der Bühne, im Tod erfüllt sich ihr Traum – wenn auch nur als weiterer Traum.

Musikalisch ist das Werk ein wahres Füllhorn von Schönheiten, abwechslungsreich, packend, anrührend – eben so, wie ich Meyerbeer bislang kennengelernt habe. Allein das Chorfinale der Oper ist ein Hammer, der mit elektrisierender Harmonik zuschlägt. Spätestens mit diesem Finale werden auch die Parallelen zu Berlioz’ Trojanern offenkundig, nicht nur formal, sondern vor allem inhaltlich (Die Liebe zwischen der exotischen Königin und dem geliebt-verhassten Fremden, schließlich der Freitod Sélikas/Didos). Wobei ich ausdrücklich vermeiden möchte, die - zumindest der (Teil-)Uraufführung nach (bei der Entstehungszeit verhält es sich anders herum) - vermeintlich jüngere, indische Afrikanerin gegen ihre nordafrikanische Schwester auszuspielen oder umgekehrt. Zwei große Opern bleiben für sich und gemeinsam groß – oder in diesem Zusammenhang besser: Grand.

Zu Dirigat und Orchester braucht es übrigens nicht viele Worte: Verve, Technik, Sensibilität – in Chemnitz stimmt das Gesamtpaket. Womit gleichzeitig mein Fazit für diese Produktion gefunden wäre.

12. Juni 2013

Buchvorstellung – Sabine Meyer.
Edel AG Hamburg.

19:30 Uhr, Freie Platzwahl.



Zufälle gibt’s – Nachdem mich bereits die letzte von mir besuchte Veranstaltung unter Edel-Schirmherrschaft in der Villa Jako (Link) überraschend an den Ort vergangener Ereignisse brachte, sorgte nun der Firmensitz jenes Unternehmens für ein identisches Déjà-vu: Hier wie dort hatte ich vor Jahren jeweils beruflich zu tun, beide Orte fungierten dabei unabhängig voneinander als Kulissen für verschiedene Fotoproduktionen.

Heute ging es jedoch nicht um Vermögensanlage oder Herrenmode, sondern einzig und allein um Frau Meyer und ihre neue Biografie, verfasst von Margarete Zander, die auch die Moderation der kleinen Gesprächsrunde übernahm. Musikalisch gerahmt wurde die Unterhaltung von zwei Mendelssohn-Stücken, deren Mitmusiker – ihr Mann Reiner Wehle und der Pianist Christian Ruvolo – ebenso zu Wort kamen.

Nachdem das erste Konzertstück für Klarinette, Bassetthorn und Klavier mit improvisiertem Schlüsselbundsolo eines umherirrenden Wachmanns verklungen war, konnte man anhand vieler kleiner Schlaglichter auf den Werdegang der Künstlerin einen guten Einblick in Intention und Tonalität der Veröffentlichung gewinnen. Verschiedene Themen wie musikalische Förderung bzw. Methodik beim Musikunterricht, ihre Karriere, aber auch Persönliches zu Familie und Wegbegleitern wurde auf informative wie unterhaltsame Art angesprochen. Der Eindruck, der sich einstellt, zeichnet das Bild einer sympathisch zurückhaltenden, bescheidenen Musikliebhaberin und -Vermittlerin, frei von Distanz oder gar Starallüren. Klingt vielleicht ein bißchen wie die offizielle Pressemitteilung zum Buch, kam aber eben so rüber.

Schön, wenn jemand so in seinem Wirken aufgeht und dabei noch andere erfreut wie Frau Meyer durch ihre Kunst, die sie mit dem zweiten Konzertstück als musikalische Verabschiedung den Zuhörern mit auf den Heimweg gab. Fazit des Abends: Eine rundum gelungene Vorstellung in doppeltem Sinne.

9. Juni 2013

Der Ring des Polykrates / Violanta – Roland Techet.
Theater Augsburg.

14:30 Uhr Einführung, 15:00 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 14


Große Erwartungen in Augsburg: Gleich zwei Erstbegegnungen an einem Abend mit Werken aus der Feder des geschätzten Tonsetzers. Und auf Korngold ist Verlass. Kommt „Der Ring des Polykrates“ noch als heitere Vorspeise daher, hinterläßt „Violanta“ gleich nach dem ersten Erleben einen starken, aufwühlenden Eindruck, der den Weg zur „Toten Stadt“ eindrucksvoll aufzeigt. Wie schon beim „Mahagonny“ vor zwei Jahren bestätigte sich, daß man Augsburg beruhigt in seine Saisonplanung einbeziehen kann, sowohl musikalisch als auch insbesondere szenisch wurde ich wieder nicht enttäuscht.

Der Ring des Polykrates kommt als harmloses Lustspiel mit den beliebten Zutaten Intrige, Eifersucht und Liebesbeweis daher, das durch die Inszenierung allerdings eine weiterführende Lesart erfährt. Natürlich findet auch hier das junge und das ältere Glück wie vorbestellt nach kleinen Turbulenzen zusammen. Die eingebrachten Bezüge zum ersten Weltkrieg nehmen dem Stück allerdings einiges von seiner unbeschwerten Komik, sind angesichts der Entstehungszeit der Oper aber durchaus nachvollziehbar und rücken den glückseligen Mikrokosmos bei Kapellmeisters in ein elitäres, weltflüchtiges Licht. Der alte Freund ist hier weniger Intrigant und Störenfried als vielmehr lästiger Vorbote von Umwälzungen, die den auch im Bühnenbild angelegten goldenen Käfig der Glückskinder bedrohen. Der Rausschmiss des „Übeltäters“ erhält somit eine kaltherzige Note, die zum Nachdenken anregt, jedoch von Korngold für seine Komödie sicher so nicht beabsichtigt war. Besondere Erwähnung verdient die Ausnahmestimme von Sophia Christine Brommer, die mit ihrem lieblichen Gesang das Ohr verwöhnte und den Hauptpartien beinahe die Schau stahl.

Der eigentliche musikalische Leckerbissen folgte dann nach der Pause mit besagter „Violanta“, ein Werk das den Vergleich beispielsweise zu den wunderbaren Zemlinsky-Einaktern absolut aushält. Inhaltlich und von der Anlage gibt es Parallelen zur ein Jahr später uraufgeführten „Florentinischen Tragödie“ und auch zur Straussschen „Salome“, insbesondere was das auf die weibliche Hauptrolle fixierte Finale angeht. Komponierter Rausch und Sinnlichkeit in einem düsteren, schwer lastenden Gesamtgefüge zeigen Korngolds Mittel musikalischer Opulenz und Raffinesse bereits hier auf höchstem Niveau. Das Theater Augsburg trägt diesem Anspruch mit einer konzentrierten Umsetzung Rechnung, wie man sie sich für eine Erstbegegnung wünschen kann.

Orchester, Chor und Solisten beweisen sich dabei in einer stimmungsvollen Inszenierung, die das innere Ringen der Hauptpersonen konsequent in den Mittelpunkt rückt. So schaffen Regie und Bühnenbild auch ohne naturalistisches Dekor mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre, die zwischen der lustvollen Ausgelassenheit des Karnevals und stetiger Todesahnung pendelt. Das Bild des goldenen Käfigs wird wieder aufgegriffen und betont die Gemeinsamkeit beider Stücke, sich mit innerem und äußerem Glück auseinanderzusetzen. Von den Sängern bildet hier ohne Frage Sally Du Randt in der Titelpartie den Fixstern, um dessen Glanz sich die übrigen gelungenen Leistungen gruppieren. Frau Du Randt verfügt dabei über eben jene stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten, die zentrale Ambivalenz der Figur zwischen unterdrückter und überströmender Sinnlichkeit und Lust glaubhaft zu verkörpern. 

Am Ende stehen die wohlige Gewissheit eines gelungenen Opernbesuches und der freudige Eintritt eines „neuen“ Vertreters in den eigenen Bekanntenkreis großer Werke.


Erich Wolfgang Korngold – Der Ring des Polykrates / Violanta
Musikalische Leitung – Roland Techet
Inszenierung – Markus Trabusch
Bühne – Volker Hintermeier
Kostüme – Su Bühler
Licht – Kai Luczak
Choreinstudierung – Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek
Dramaturgie – Katharina John

Der Ring des Polykrates

Wilhelm Arndt, Hofkapellmeister – Niclas Oettermann
Laura, dessen Frau – Sally du Randt
Florian Döblinger, Paukist und Notenkopist – Christopher Busietta
Lieschen, bei Laura bedienstet – Sophia Christine Brommer
Peter Vogel, Wilhelms Freund – Giulio Alvise Caselli

Violanta

Simone Trovai, Hauptmann der Republik Venedig – Stephen Owen
Violanta, seine Gattin – Sally du Randt
Alfonso, Sohn des Königs von Neapel – Ji- Woon Kim
Giovanni Bracca, ein Maler – Niclas Oettermann
Bice – Sophia Christine Brommer
Barbara, Violantas Amme – Kerstin Descher
Matteo – Giulio Alvise Caselli
1. Soldat – Gabor Molnar
2. Soldat – Daniel Holzhauser
1. Magd – Susanne Simenec
2. Magd – Stephanie Hampl

Opernchor, Extra-Chor und Statisterie des Theaters Augsburg
Augsburger Philharmoniker

8. Juni 2013

Katja Kabanova – Arne Willimczik.
Theater Regensburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 11



Eines schönen Tages kam ich im Foyer eines mir wohlbekannten Hauses in der Schlange zur Pausenbrezel mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der mir mehr oder weniger ungefragt seine Ansichten über gebührliches Verhalten in Oper und Konzert kundtat. Während sich die Weißweinprozession langsam gen Tresen schob, eröffnete er mir, daß er in langen Jahren des Studiums des Publikums einen Vergehenskatalog angelegt habe, in dem alle kleinen und großen Sünden der Besucherkaste Eingang gefunden hätten – gewissermaßen ein Standardwerk des schlechten Benehmens.

Mit einer Mischung aus anerzogener Höflichkeit und latentem Interesse folgte ich – auch in Ermangelung einer spannenderen Alternative als Warteschlangenbestandteil – seinen leicht wirren, jedoch von Enthusiasmus geprägten Ausführungen, so daß man am Ende von Kurzvortrag und Pause nicht umhin kam, Mail-Adressen zwecks weiterer Vertiefung auszutauschen. Die daraufhin erhaltenen Beobachtungen und Gedanken zu ebenso beliebten wie gängigen Publikumssünden gedenke ich nun zukünftig in loser Folge meinen eigenen Berichten beizufügen, um zumindest ein kleines Schlaglicht auf den jahrzehntelangen Einsatz des mysteriösen Herrn für ungetrübten Kunstgenuss zu werfen und seiner Arbeit ein Mindestmaß an Würdigung angedeihen zu lassen, obwohl ich mich ausdrücklich von der teils rüden Ausdrucksweise distanzieren möchte.


Konzertsünde Nr. 1: Der gemeine Konzerthusten.

Als Klassiker unter den Konzertsünden erfreut sich der Husten in den Sälen landauf landab ungebrochener Beliebtheit. In unterschiedlichen Abstufungen, beispielsweise als halb unterdrückter Solistenschreck, ausladend produziertes Zwischensatzstakkato oder auch ungeniert vorgetragener Pianissimo-GAU, ob geröchelt oder aus voller Seele bzw. Schleimbevorratung hinausgeschleudert, ist er trotz seines mannigfaltigen Auftretens vor allem Eines – überflüssig. Merke: Es geht auch ohne. Immer. Wer etwas anderes behauptet, hat sich und seine Konzentration nicht im Griff und sollte sein Konzertengagement grundlegend überdenken. Anders ausgedrückt: Der Husten ist das Ventil der Unmusikalischen.

Konzertsünde Nr. 2. Das dreiste Gelaber.

Die verbale Verfehlung des Gelabers, je nach Region auch als Geschwätz, Gebabbel, Gesülze, Geplapper, Gewäsch oder Gefasel bekannt, ist ebenso ärgerlich wie vermeidbar, zumal hier fadenscheinige Ausreden, wie sie noch in der Erduldung des Hustens schwächere Geister vielleicht durchgehen lassen mögen, von vornherein ein mutwillig kunstfeindliches Gemüt entlarven. Dabei ist es einerlei, ob es sich um eine Frage („Geht es schon los?“) oder Aussage („Es geht los!“), eine Äußerung des Mißfallens („Wie lange geht das denn noch?“), der Zustimmung („Das könnte immer so weitergehen!“) oder das häufig anzutreffende Phänomen handelt, bei dem schlichte Gemüter irgendeine belanglose Erkenntnis direkt absondern müssen („Schau mal – da geht einer.“). Es spielt keine Rolle, welche Intention und welcher Informationsgehalt der akustischen Entleerung zugrunde liegt – man erspare sie sich und den übrigen Besuchern und hebe sich Perlen wie „Das ist Mozart!“ (In einem Mozart-, besser noch in einem Haydnkonzert) oder „Ein schönes Kleid hat die Isolde“ für das Expertendinner NACH der Darbietung auf.

Fortsetzung folgt.


Ach ja, und dann war ich an diesem Wochenende zum ersten Mal in Regensburg. Ein hübsches Theater, ein ehrwürdiger Saal, der im Gegensatz zum ursprünglich eingeplanten Passau trotz launischer Donau das Sitzen auf trockenen Polstern ermöglichte, dazu eine runde Produktion von Janáčeks „Katja Kabanova“, die ich also hier in der Oberpfalz kennenlernen sollte.

Die Tatsache, daß man auch nach zwei- bis dreimaliger Lektüre der Handlung im Programmheft immer noch nicht so recht verstanden hat, wer mit wem und überhaupt, läßt entweder auf eine tierisch komplizierte Handlung, ein dürftiges Gedächtnis bzw. Leseschwäche beim Autor dieses Blogs oder aber mittelschwere Probleme beim Memorieren slawischer Namen schließen – Letzteres konnte letztendlich als Hürde identifiziert werden. Aber eigentlich liegt der Fall auch hier – wie so oft – ebenso einfach wie tragisch: Die, die zusammen sollen, wollen nicht und die die zusammen wollen, dürfen nicht. Man kennt das.

Die Inszenierung von Frau Fassbaender, deren stimmliches Wirken ich leider nicht mehr live erlebt habe, mir aber durch manch herrliche CD ans Herz gewachsen ist, hat mir ausgesprochen zugesagt. Die Wesenszüge der einzelnen Charaktere kommen deutlich zur Geltung – etwa der zögerliche, schwache Tichon, die herrschsüchtige, auf ihren Sohn offenbar mit mehr als Mutterliebe fixierte Kabanicha oder die von Sehnsucht getriebene Katja. All die Figuren mit ihren Hoffnungen, Ängsten, Wünschen, irrlichtern im stetigen Fluss der doppelten Drehbühne, wie von den Wellen der omnipräsenten Wolga getrieben. Verschiedene Lichtsituationen lassen den Strom immer wieder anders erscheinen, mal erinnert das Bild an ein Werk Gerhard Richters, mal scheint Caspar David Friedrich Pate gestanden zu haben, schließlich geraten die Wellen durch Projektion in Bewegung.

Die Sorgen und Nöte der Menschen wirken auf mich fast nebensächlich, beiläufig; der Wissenschaftler macht seine Experimente als Repräsentant einer neuen Zeit, die Tradition in Frage stellend. Doch wie steht es mit der Tradition der Unterdrückung? Weniger im großen Ganzen als unter dem Brennglas persönlicher Schicksale? Sind auch hier neue Erkenntnisse, Fortschritte zu erwarten? Katjas Schicksal wirkt eher wie eine Störung denn als Aufbruch der Tradition, ein unerwartetes Kräuseln auf der seit Gezeiten ruhig dahinfließenden Wolga. Ihr Selbstmord bestürzt, wird jedoch durch den bigotten Schlußkommentar der Kabanicha seltsam relativiert.

Vielleicht ist es diese Form von Realismus, dem Pathos eher fern, der mir die Oper auch musikalisch – zumindest nach dem ersten Durchhören – eher sperrig und distanziert erscheinen läßt. Der Funke will jedenfalls erst mal nicht so recht überspringen, obwohl ich generell der Tonsprache Janáčeks sehr zugetan bin. An der Inszenierung dürfte es wie gesagt nicht gelegen haben. Kommt Zeit, kommt Erkenntnis.


Leoš Janáček – Katja Kabanova
Musikalische Leitung – Arne Willimczik
Inszenierung – Brigitte Fassbaender
Bühne und Kostüme – Dorit Lievenbrück
Licht – Martin Stevens
Choreinstudierung – Alistair Lilley
Dramaturgie – Eva Maskus

Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, ein Kaufmann – Mario Klein
Boris Grigorjewitsch, sein Neffe – Arturo Martín
Marfa Ignatjewna Kabanova (Kabanicha) – Clarry Bartha
Tichon Iwanytsch Kabanov, ihr Sohn – Roman Payer
Katja, seine Frau – Michaela Schneider
Wanja Kudrjasch – Cameron Becker
Varvara, Pflegetochter im Hause Kabanov – Vera Egorova
Kuligin, Freund von Kudrjasch – Matthias Wölbitsch
Glascha – Elena Lin
Fekluscha – Angelika Hircsu

Philharmonisches Orchester Regensburg
Opernchor des Theaters Regensburg
Statisterie und Kleindarsteller

25. Mai 2013

Philharmonia Orchestra – Esa-Pekka Salonen.
Laeiszhalle Hamburg.

19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16



Edgar Varèse – Amériques

(Pause)

Igor Strawinsky – Le sacre du printemps



Ich glaube an dem Tag, da ich ein Programmheft zum Sacre in Händen halten werde, das einmal NICHT den (kalkulierten) „Jahrhundertskandal“ seiner Uraufführung thematisiert, bringe ich zum Dank eigenhändig irgendein heidnisches Opfer dar. Vielleicht nicht gerade eine tanzende Jungfrau, wahrscheinlich eher eine quasselnde Nebensitzerin (dazu später mehr), oder etwas in der Art.

Mein Respekt gilt erst mal Herrn Matuschek für die Handschrift seiner Einführungen. Schon beim Bostridge/Britten Liederabend (Link) war mir diese positiv aufgefallen. Zahlreiche Bild- und Tonbeispiele, ein interessanter, ungewöhnlicher Einstieg (im Falle von Britten ein erhellender Folksong-Vergleich), dazu ein lockerer aber keineswegs seichter Vortrag. Und heute also: Der Skandal. Oder besser: Der kalkulierte, inszenierte Skandal. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich bin der turbulenten Farce, bei der ein Störenfried aus dem Publikum die einleitende Fagottkantilene der Solistin auf der Bühne barsch zu stören suche, um dann seinerseits von erbosten Nebenleuten angegangen zu werden, absolut auf den Leim gegangen. Da war gleich Leben in der Bude, eine Mischung aus Peinlich- und Fassungslosigkeit machte sich breit. Meine Hochachtung für diesen Wachmacher! Die Einführung als solche war eine wirkliche Bereicherung, indem Matuschek beispielsweise mittels grafischer Umsetzung bestimmter Stellen der Sacre-Partitur deren komplexe Struktur zumindest punktuell nachvollziehbar zu machen suchte. So was könnte ich mir stundenlang zu Gemüte führen.

Dergestalt geht es aber offenbar nicht jedem, der sich mit solch einem rein „modernen“ Programm konfrontiert sieht – so zumindest deutete ich das grotesk ablehnende Verhalten der Dame zu meiner Rechten, das mir den Genuß eben jenes Sacre unmöglich machte. Unablässiges Aufstöhnen, ja lautes Hereinreden bis hin zu Klatschen (!?) während der Aufführung – sollte sich das Motto des Skandals nun verselbständigt haben? Mein Hinweis an die Dame beim Verlassen des Saales, ihr Gebaren habe das Konzerterlebnis jetzt nicht unbedingt bereichert, wurde zuerst ignoriert, dann von ihrem Gatten (der im Laufe der Darbietung zumeist abwesend mit den Schuhen klapperte, wenn er nicht gerade seine Begleitung zur Mäßigung rief, und so dem rhythmischen Element der Komposition eine ganz neue Note verlieh) umso beherzter mit einem Griff an meinen Arm aufgenommen: Was mir denn einfiele, seine Frau derart anzusprechen, wo sie doch – Zitat: „etwas dement“ sei.

Man mag mich für einen Unmenschen halten, daß ich dieser Logik daraufhin widersprach, aber vielleicht ist es meiner Kaltherzigkeit oder Respektlosigkeit geschuldet, daß ich in diesem Fall auf einer gänzlich anderen Einschätzung des Tatbestandes Respektlosigkeit beharre. Und ganz allein blieb ich mit dieser Meinung dann auch nicht, wie sich bei einem Gespräch an der Garderobe herausstellte. Es will mir einfach nicht einleuchten, mit welchem Recht man es sich herauszunehmen getraut, das Interesse von etwa zweitausend Konzertbesuchern der individuellen Verfassung unterzuordnen. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob der Grund für die anhaltende Störung Demenz, ein permanent schreiendes Baby oder ein ordinärer Schnupfen ist, wenn er dazu führt, daß die Person den Saal zusammenhustet oder –niest. Bestimmte Dinge gehen einfach nicht, so tragisch es im Einzelfall dann sein mag. Leid tut mir in dieser Posse nur die alte Dame, die in eine Veranstaltung geschleppt wird, die sie im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich weder aufgenommen, geschweige denn genossen hat.

Und zu genießen gab es eine Menge, soviel habe ich dann doch noch mitbekommen. Schließlich gastierte mit der Truppe aus London eines der besten Orchester überhaupt auf der erweiterten Bühne der Laeiszhalle. Jene war insbesondere für Varèse zwingend erforderlich, um Gerät und Künstler immer noch in Ölsardinenschichtung unterzubringen. Das Philharmonia Orchestra gehört zu meinen ausgemachten Lieblingen. Die Kombination aus virtuoser Perfektion und einem etwas spröden, fast rauchigen Charakter macht es ebenso stimulierend wie unverwechselbar. Die Energie, die es unter dem kantigen, treibenden Dirigat Salonens entfacht, konnte ich glücklicherweise nun schon zum dritten Mal auf mich wirken lassen – naja, bis auf die heutige Sabotageaktion, aber das hatten wir ja schon. Jede Instrumentengruppe für sich liefert Referenzwerte an Klang und Technik, im Zusammenspiel erlebt man die Vereinbarkeit von Urgewalt und Sinnlichkeit.

In Frage gestellt werden konnte heute allenfalls das dynamische Konzept Salonens, das vor allem bei Amériques die Schmerzgrenze der Laeiszhallenakustik aus- und überreizte – aber was hat man schließlich bei solch einem Berserker-Stück auch in Reihe 5 verloren. Wohlgemerkt: Die Verhältnisse und Kontraste der Lautstärken, bezogen auf den Aufbau der Komposition sowie die Konsequenz in der Umsetzung waren bestechend, nur vielleicht nicht ganz ohrgerecht für einen Saal dieser Bauart. Und das aus dem Munde eines unverbesserlichen Krawalljunkies wie mir!

Aber noch einmal: ob laut, ob leise, das Orchester ist eine Wucht. Schneidende Streicher, geschmeidig-agiles Holz, unerbittliches Schlagwerk, majestätisches Blech. Und immer wieder – Feinheiten. Allein die Wirkung der silbrig flüsternden Trompeten der Introduktion des zweiten Sacre-Teils, die Illusion einer fernen und doch sehr präsenten Klage schaffend – nur ein Beispiel unter vielen. Die Qualität des Vortrages machte den Abend besonders frustgesättigt, schließlich weckt solch hoher Besuch entsprechende Vorfreude und schürt Erwartungen, deren Eintreten heute einer Verschwendung gleichkam. Fazit: Dumm gelaufen.

PS: Wer immer noch glaubt, das erlauchte Klassikpublikum habe mit schnöden Erfindungen wie Fußball nichts am kulturell breitkrempigen Hut, hätte sich nach dem Konzert mal im Brahmsfoyer einfinden sollen. Sehr lustig und als Frustbewältigung besser geeignet als gedacht. Relativiertes Fazit: Zweimal ganz großes Kino mit britischer Beteiligung – London empfiehlt sich als Gast UND Gastgeber. Meine Hochachtung.