10. August 2013

Das Rheingold – Kirill Petrenko.
Festspielhaus Bayreuth.

18:00 Uhr, Parkett links, Türe I, Reihe 1, Platz 6



Eigentlich stünde dem Pathos der Festspiele jetzt ein vor Inbrunst triefendes Seelenbekenntnis zur ersten Empfängnis der Bayreuther Weihen gut zu Gesicht. Meine Pilgerfahrt zu Wagner – sowas halt. Nur gingen diesem ersten offiziellen Kartenglück bereits zwei nicht minder offiziell vollzogene Besuche am grünen Hügel voraus, die ich dem Einsatz guter Geister zu verdanken habe, die an dieser Stelle noch einmal frei nach alter Schwanentradition bedankt seien.

Heute also der Vorabend des neuen Jubiläums-Rings in der Inszenierung von Frank Castorf. Ich bin kein großer Kritikenleser, aber der Buh-Shootout zur Premiere hatte sich dann doch bis zu mir herumgesprochen. Klar, Bayreuth ist natürlich ein spezielles Pflaster, vor allem auch für die Regie, da einerseits die Erwartungshaltung von Publikum und Presseauge, überhitzt durch die Verbrämung von Historie und „Tradition“ sowie herbeibefohlenem Weltgeltungsanspruch, kaum Konsenzbefriedigung erfährt, dieser Ort andererseits durch seinen Nimbus fundamentalistische Gutmeiner und Teilzeit-Bewahrer des Wagner’schen Erbes magisch anzuziehen scheint. Und ich wäre der Letzte, der dies nicht verstünde. Bei Wagner kenne auch ich keine Verwandten. Unter „epochal“ läuft nix. Sicher, es gibt denkbar entspanntere Herangehensweisen an Angelegenheiten der Freizeitgestaltung – aber was an Wagner ist schon entspannt?

Doch zurück zum Castorf und seinem Ring. Ich hab die Empörung nicht verstanden. Jedenfalls nicht beim Rheingold, welches mangels Ringvollversorgung als alleiniger Zertifizierungsgegenstand in Sachen Hügeltauglichkeit herhalten muß. Auf mich wirkt diese Inszenierung zwar wenig erbaulich – jedoch insgesamt weitgehend plausibel. Oder anders formuliert: Kein Grund zur Aufregung. Castorf gestaltet die Ränkespiele bei Götterns und Co. als mafiösen Streifen à la Scorsese oder mehr noch Tarantino – inklusive Kamerateam auf der Bühne. Warum nicht, sind es ja nicht unbedingt die edelsten Motive der Beteiligten, die den Fortgang der Handlung prägen.

Die Interpretation der Rollen mag daher nicht jedermanns Geschmack treffen, innerhalb dieser Konzeption ist ihre Charakterisierung aber vollkommen nachvollziehbar. Wotan als schmieriger Boss, der mit Fricka und Freia das Bett teilt (Cocktails für alle!), Froh und Donner als Möchtegerngangster, deren Drohungen niemand wirklich ernst nimmt, Loge ein windiger Hispanic-Checker, der mit dem Feuer spielt und das – Witz komm raus – auf einer Tankstelle. Und die Darsteller machen ihre Sache gut, so daß es immer wieder starke Augenblicke gibt. Besonders gelungen und konzeptkonform fällt beispielsweise die Verhandlung zwischen Wotan und den Riesen aus. Es macht schon Spaß mitzuerleben, wie die Szene erst von der brodelnden Gewaltbereitschaft der beiden tumben Mechaniker-Proleten dominiert wird, die sich jeden Moment an der schmucken Untertürkheimer Karosse Wotans zu entladen droht, bis die schlichten Gemüter angesichts des möglichen großen Coups plötzlich hellhörig werden – fast schon eine Standardsituation aus dem Gangster-Genre.

Insgesamt löst die Inszenierung vieles auf recht unkonventionelle, vielleicht vulgäre, aber meist nachvollziehbare Weise. Fricka, die aus dem Kidnapping durch die Riesen als Sexpüppchen in hautengem Lack wiederkehrt oder die Rheintöchter als Damen des leichten Gewerbes, die Alberich mit billiger Masche am Pool um den Verstand bringen. Anderes, wie die Verwandlungen Alberichs durch den Tarnhelm ist einfach gut gemacht und entsprechend wirkungsvoll. Über Details läßt sich natürlich streiten. Das Rheingold eine goldene Heizfolie? Eine Bobbycar-Ente bindet Alberich? Geschenkt. Und manches kapiert man halt auch gar nicht. Die Nibelheimszene ist insgesamt kryptisch, was sollen die angebundenen Zwerge zu Beginn? Die Regenbogenfahne bei Mime? Später der bizarre Handlangertrupp Wotans? Und warum dreht der Wirt am Ende durch? Egal.

Letztendlich bleibt es die bekannte Geschichte der Hatz nach Macht, Gold – oder eben Öl oder was sonst noch als Analogie taugen mag. Wirklich umgehauen hat mich Herrn Castorfs Sicht zwar nicht, aber da gab es andernorts sicher Produktionen, die mir eher ein Buh entlockt hätten. Cool bleiben, Bayreuth. Immerhin durfte man gute Darsteller und Sänger von vorbildlicher Textverständlichkeit erleben, dazu den unvergleichlichen Mischklang des herrlichen Orchesters (minimale Wackler), welcher trotz moderater Endlautstärke absolut druckvoll das Ohr umschmeichelt und zu guter Letzt eine musikalische Leitung durch Kirill Petrenko, die vor allem die feinen Stellen der Partitur aufwertet. Das Glitzern des Rheingoldes, das ganz leise und verschlagen intonierte Tarnhelm-Motiv. Ohne dabei auf ein äußerst wirkungsvolles Nibelheim-Gehämmer und ein knackiges Finale verzichten zu müssen. Aber gut, man ist halt verwöhnt, zumal in Bayreuth, wo man vielleicht noch mehr als andernorts weiß, daß früher sowieso alles besser war.


Richard Wagner – Das Rheingold
Musikalische Leitung – Kirill Petrenko
Inszenierung – Frank Castorf
Bühnenbild – Aleksandar Denić
Kostüme – Adriana Braga Peretzki
Licht – Rainer Casper
Video – Andreas Deinert, Jens Crull

Götter
Wotan – Wolfgang Koch
Donner – Oleksandr Pushniak
Froh – Lothar Odinius
Loge – Norbert Ernst

Göttinnen
Fricka – Claudia Mahnke
Freia – Elisabet Strid
Erda – Nadine Weissmann

Nibelungen
Alberich – Martin Winkler
Mime – Burkhard Ulrich

Riesen
Fasolt – Günther Groissböck
Fafner – Sorin Coliban

Rheintöchter
Woglinde – Mirella Hagen
Wellgunde – Julia Rutigliano
Floßhilde – Okka von der Damerau

Das Festspielorchester