30. August 2019

Königliche Kapelle Kopenhagen –
Thomas Søndergård. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 12, Platz 2



Carl Nielsen – Helios-Ouvertüre op. 17

Edward Elgar – Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85 (Andreas Brantelid – Violoncello)

Zugabe des Solisten:
Alexander Glasunow – Chant du ménestrel op. 71

(Pause)

Modest Mussorgsky / Maurice Ravel – Bilder einer Ausstellung

Zugaben des Orchesters:
Carl Nielsen – Ouvertüre aus Maskarade /
Komische Oper in drei Aufzügen

Hans Christian Lumbye – Champagne-Galop / Champagner-Galopp



Die Königliche Kapelle Kopenhagen ist wirklich ein Top-Orchester – hatte ich so gar nicht auf dem Zettel. Alles in allem war es ein sehr schönes Konzert, umso bedauerlicher, dass wahrscheinlich just der dümmste Moment mir nachhaltig im Gedächtnis bleiben wird. Aber gut, ein volltönendes Handy gerade an der Stelle im „Großen Tor von Kiew“, wenn das Orchester den Anlauf zur finalen Eruption nimmt, ist schon ein ordentlicher Tritt in die musikalischen Kronjuwelen. Sei’s drum, abgesehen davon gab es nichts zu meckern, auch nicht beim Solisten und Dirigat – einfach eine runde Sache.

26. August 2019

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg –
Kent Nagano. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich K, Reihe 5, Platz 18



Felix Mendelssohn Bartholdy – Die erste Walpurgisnacht op. 60

(Pause)

Hector Berlioz – Te Deum op. 22



Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Hamburger Alsterspatzen
Chor der KlangVerwaltung
Franz-Schubert-Chor Hamburg
Hamburger Bachchor St. Petri
Jugendkantorei Volksdorf
Kinder- und Jugendsingschule St. Michaelis
Kinderkantorei Bergstedt und Volksdorf
Cappella Vocale Blankenese
Compagnia Vocale Hamburg
Stimmwerk Hamburg
Vokalensemble conSonanz
Kammerchor Cantico

Annika Schlicht – Alt
Pavel Černoch – Tenor
Thomas E. Bauer – Bassbariton
Dirigent Kent – Nagano


Von der letzten Reihe eines Blockes aus hat man wirklich beste Sicht auf all die alten Säcke, die sich gern über die heutige Jugend aufregen und hier, natürlich ohnehin latent mit der Gerätschaft überfordert, keine Gelegenheit auslassen, während des Konzerts einfach mal dumm rumzuknipsen oder gleich ne Runde mitzufilmen – dabei das umsitzende weiße Resthaar gespenstisch illuminierend. Das allein wäre ja schon für sich eine formidable Ablenkung vom Geschehen auf der Bühne, aber zum Glück hat man das Hörgerät erfunden. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn mir nicht der permanent-penetrante Fiepton aus taubem Ohr einer tauben Nuss, umgeben von offenbar ausnahmslos tauben Nüssen, deren Gehör ebensowenig für diese Frequenzen wie ihr Gemüt für ungestörten Kunstgenuss empfänglich schien, die ganze erste Walpurgisnacht wahrlich zur Höllenfahrt machte.

Womöglich hätte ich noch Gefallen an dieser Musik gefallen, die ich bislang nur vom Tonträger kannte. Wobei, bleiben wir realistisch, dafür ist der gute Mendelssohn Bartholdy einfach zu sehr melodischer Biedermann und Butzenscheiben-Harmoniker. Brav, sauber, nein – porentief rein. Die opulenten Chormassen beeindrucken durch ihre akustische Präsenz und Wucht, weniger mit dem versungenen Material. Von den Solisten gefällt mir der Bariton am besten, Herr Bauer hat definitiv Charakter in der Stimme. Frau Schlicht macht ihre Sache ebenfalls gut, den Tenor des Herrn Černoch empfand ich eher als Schwachpunkt. Ein Vergleich der Interpretation durch Herr Nagano mit jener Harnoncourts von CD fällt heute mangels Konzentration aus. Die Bässe waren sehr präsent, soviel habe ich dann noch zwischen Gift und Galle mitbekommen.

Auch zum Berlioz lässt sich angesichts der miesen Rahmenbedingungen wenig Konkretes festhalten, obgleich selbst das dümmste Akustikhemmnis nicht zu verschleiern vermag, was für ein großartiges, in Ausmaß und Inhalt großes Werk das Te Deum doch ist. Hier musste ich geplättet realisieren, dass eine Einspielung, ich glaube bei mir ist es die mit Claudio Abbado, nur einen absolut unzureichenden Eindruck von den Klangwirkungen wiedergibt, die das Stück freisetzt. Ich kann mich darüber hinaus nicht erinnern, schon mal einer Aufführung mit mehr Choristen beigewohnt zu haben, in der Elbphilharmonie schon mal ganz sicher nicht. Beinahe die gesamte Ebene 13 hinter und neben der Bühne war den schwarz gewandeten Damen und Herren, Mädchen und Knaben vorbehalten. Auch wenn das Stück nicht die Ausdehnung seines Requiems besitzt, verfolgt Berlioz hier doch eine ähnliche Kontrastkonzeption, vielleicht etwas weniger ausgefeilt oder eben noch extremer im Wechselspiel von ganz Feinem und mehrheitlich kolossal Überwältigendem.

Schade, dass das Te Deum angesichts der erforderlichen Ressourcen so selten dargeboten wird, das müsste man sich deutlich häufiger geben können. Allein wie sich Orchester und Orgel ein geheimes Duell darin liefern, wer wohl die satteste Klangwand produzieren könne, die sich in wahre Rauschzustände steigernden Chormassen, dann wieder zeitweise gezähmt zur lieblichen Schar der Engel, die Modernität der Harmonik, die Frische und der Ideenreichtum der Melodik, und wie sich alles schließlich im wahrlich apokalyptisch voranschreitenden „Judex crederis“ krönt – Das Te Deum unterstreicht einmal mehr den Status des progressiven Franzosen als einen meiner absoluten Lieblingskomponisten.

Und wie schon im Finale von Mahlers 2. (Link) muss ich Herrn Nagano ein Kompliment aussprechen: Wenn Chöre ins Spiel kommen, scheint der Chef der Staatsoper in seinem Element. Ein wirklich bewegendes Erlebnis, von allen Beteiligten zur Vollendung getragen.

14. August 2019

National Youth Orchestra of the USA –
Sir Antonio Pappano.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 9



Tyson J. Davis – Delicate tension
Hector Berlioz – Les nuits d’été (Joyce DiDonato – Mezzosopran)

(Pause)


Richard Strauss – Eine Alpensinfonie op. 64

Zugaben:
Edward Elgar – Nimrod aus: Enigma-Variationen op. 36
Gioachino Rossini – Galopp aus: Ouvertüre zu »Guillaume Tell«



Man erlebt es nicht unbedingt alle Tage, dass sich Orchestermitglieder nach getaner Arbeit vor Freude weinend in die Arme fallen – so geschehen bei den jungen Damen und Herren des National Youth Orchestra of the USA nach der mit tosendem Applaus honorierten Herkulesaufgabe der Alpensinfonie und zweier weiterer Zugaben, die das Publikum der Elbphilharmonie zu stehenden Ovationen begeisterten. Doch der Reihe nach. Überraschte das Jugendorchester eingangs mit ganz eigenem Dresscode, bei dem für Männlein und Weiblein gleichermaßen rote Hosen die dunklen Sakkos ebenso komplettierten wie Chucks als bühnenungewohntes Schuhwerk, wurde jedoch schnell klar, dass das Teenager-Kollektiv durchaus auch akustisch in der Lage ist, Akzente zu setzen.

Gleich beim ersten Stück „Delicate tension“ des jungen Komponisten Tyson J. Davis präsentiert Antonio Pappano die volle Sound-Breitseite des Orchesters. Das Werk erinnert entfernt an Bernard Herrmann auf Steroiden und hält allerlei Gewaltiges und Eruptiv-Schillerndes bereit, Alarmsirene inklusive – womit allerdings gleich mal auch ein hübscher Bogen zur straussschen (Wind-)Klang-Maschinerie geschlagen wurde, wenn ich es genauer bedenke. Für mich persönlich folgte mit Berlioz’ „Les nuits d’été“ der erste Höhepunkt des Abends. Wer den Franzosen durch – wohlgemerkt allzu oberflächliche – Beschau seiner Symphonie Fantastique als Mann fürs Grobe und Grelle abgespeichert hat, sollte sich in die Zauberwelt dieses zarten Sommernachtstraumes begeben. Für mich einer der schönsten und berührendsten Liederzyklen überhaupt und wieder einmal eine enorme Inspiration für den großen Herrn Wagner, aber in gewisser Weise auch für meinen geliebten Britten und seine Beiträge zur Gattung. Obgleich ich mich weiterhin nicht hundertprozentig für Frau DiDonatos Stimme erwärmen kann, stellt sie doch hier eindrucksvoll unter Beweis, welche phänomenalen Nuancen sich aus dieser Partitur gewinnen lassen.

Bei der antichristlichen Seelenwanderung nach der Pause legt Pappano dann ein verblüffend flottes Marschtempo an den Tag. So richtig eingeordnet hatte ich diesen Dirigenten bislang nicht wirklich, aber warum auch immer hatte ich ihn gemütlicher eingeschätzt. Umso besser, so kann die existentielle Auseinandersetzung mit der Natur was werden – und sie wurde. Auch wenn uns im Eifer des Gefechts der ein oder andere kleinere, vorwiegend blechbezogene Schaden ereilte, bleibt doch festzuhalten, dass sich der stramme Ritt mehr als gelohnt hat. Manch schöne lyrische Phrase fiel mir in Pappanos Starkstromdirigat ein wenig zu sehr über die Klippen und Grate, aber alles in allem hatte ich eine richtig gute Zeit mit den jungen Wilden.

Zeit zum (Durch-)Atmen gab es dann eh noch im Nimrod genug, bevor man sich mit Rossini Hals über Kopf in den wohlverdienten Beifallsorkan warf. So hinterlässt man bleibenden Eindruck – Gratulation zum Debut!