20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 13, Platz 1
György Ligeti – Requiem für Sopran, Mezzosopran, zwei gemischte Chöre und Orchester
(Pause)
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 2 c-Moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester »Auferstehungssinfonie«
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Arnold Schoenberg Chor
Staatschor Latvija
Sarah Wegener – Sopran
Gerhild Romberger – Alt
Dirigent – Kent Nagano
Das Ligeti-Requiem stellt das Elphi-Publikum auf eine harte Probe. Dem geneigten Filmfreund und Kubrick-Verehrer bieten sich genug vertraute Anklänge an Stücke wie „Atmospheres“, welches in „2001“ mit seinen unentrinnbar intensiven, scheinbar chaotischen Steigerungen des Stimmengewirrs die Spannung in der Szene der Menschwerdung, des überspringenden Funkens der Erkenntnis, zum regelrecht physischen Erlebnis ausreizt. Weniger cineastisch vorgeprägte Zeitgenossen ohne Ligeti-Sektion im CD-Regal haben es da sicher schwerer. Aber auch so müsste sich dem offenen Ohr die Konzeption des Werks erschließen, die unter anderem auf größtmögliche Kontrastwirkungen abzielt.
Extreme Sprünge in den Gesangslinien, extreme Dynamikunterschiede vom kaum hörbaren Surren zu gewaltigen, ja gewaltsamen Entladungen. Wenn ich mich auf den ersten uninformierten Blick vielleicht zu einer Kritik hinreißen lassen möchte, dann träfe es gerade dieses Beharren auf den Extremen, dem ein wenig der Mittelbau abzugehen scheint. Wie gesagt zumindest nach dem ersten Hören. Andererseits ist die daraus resultierende Extremwirkung, auch in den damit verbundenen Assoziationen, mehr als spannend: Ordnung – Chaos. Nichts – Alles. Intensität durch die An- und Abwesenheit des Klanges.
Auf intensive Eindrücke hatte ich mich auch im Hinblick auf die Darbietung der emotionalen Achterbahnfahrt gefreut, die mir Mahlers Koloss für gewöhnlich bereitet. Leider erwies sich Herr Naganos Lesart als nur bedingt kompatibel mit meinen Vorstellungen und Wünschen. Schon mit den ersten Takten im Schneckentempo wurde klar, dass die Apokalypse uns heute eher gemütlich ereilen würde. Mahler in Zeitlupe kann durchaus funktionieren – siehe Maazels Einspielung mit den Wienern – aber dann muss man eben auch mehr Detailtiefe aus der Partitur herausholen. Naganos Zugang auf Mahler entschärft in meinen Ohren all jene Kontrastwirkungen, gerade hinsichtlich Tempo und Ausdruck, welche diese Musik zu mehr als Musik werden lassen. Als sich der finale, absteigende Lauf des Kopfsatzes beinahe in Zeitlupe vollzog, musste ich unweigerlich schmunzeln – nicht die adäquate Reaktion nach diesem (potenziellen) unerbittlichen Ringen in Tönen. Das darf kein gemächlicher Schlußvorhang sein, eher ein Fallbeil, das herniedersaust.
Und so ging es mehr oder weniger spannungslos bis zum Finale weiter. Wobei, das stimmt nicht so ganz. Nach einem harmlosen zweiten Satz und einer zahnlosen Fischpredigt ließ das Urlicht endlich aufhorchen. Natürlich lag dies nicht zuletzt an Frau Rombergers bekanntermaßen berührender Stimme und Vortrag, aber auch die Begleitung durch Nagano schien durch das Erscheinen des menschlichen Organs beflügelt. Spätestens mit dem unmerklich einsetzenden Chor nahm der Abend dann die zu diesem Zeitpunkt bereits unverhoffte Wendung: Naganos Talent als Chorleiter trat zutage. Man kann es nicht anders sagen, in puncto Gesang kam nun eben jene Differenzierung ins Spiel, die ich bis dahin so schmerzlich vermisst hatte, und den Abend doch noch versöhnlich beschloss – mit einer zumindest kleinen (Wieder-)Auferstehung also, auf das Pult bezogen, und der Hoffnung auf ähnliche Sangesinspiration auch außerhalb der Staatsoper.