20:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 6, Platz 1
Johannes Brahms – Vier Balladen op. 10
Johannes Brahms – Sonate Nr. 2 fis-Moll op. 2
(Pause)
Johannes Brahms – Sonate Nr. 3 f-Moll op. 5
Zugaben:
Frédéric Chopin – Mazurka g-Moll op. 24/1
Frédéric Chopin – Mazurka C-Dur op. 24/2
Frédéric Chopin – Mazurka b-Moll op. 24/4
Krystian Zimerman ist schon so ne Marke, zumindest eilt ihm der Ruf des Künstlerkauzes voraus, dessen Konzerte rar gesät und im Härtefall auch mal durch Abbruch gefährdet sind, wenn es nicht nach seinem sensiblen Gusto läuft. Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der Herr Intendant höchstpersönlich vor dem Solisten die Bühne betritt und noch einmal inständig bittet, von Knipsereien oder gar Mitschnittversuchen tunlichst Abstand zu nehmen. Nachdem der Saal dann lichttechnisch mit der höchsten Muckeligkeitsstufe versehen ist, tritt eine imposante Figur mit schneeweißem Schopf und ebensolchem Barte schnellen Schrittes ans Piano und beginnt nach knapper Verbeugung das Spiel.
Und wie! Sollte Herr Zimerman tatsächlich der Exzentriker sein, für dessen Existenz ich selbst bislang nur sekundäre Quellen anzuführen vermag – heute präsentierte sich mir eher ein freundlich, ja verschmitzt dreinblickender Herr, der es kaum abwarten zu können scheint, die Menschen mit seiner Kunst zu erfreuen und statt ritualisiertem Verbeugungszeremoniell beim Applaus lieber flugs eine weitere Zugabe nachlegt – all seine realen oder angedichteten Eigenheiten seien ihm mehr als gegönnt, angesichts eines Vortrags, der die Einlösung, vielmehr Übertreffung aller pianistischen Hoffnungen bereithält. Was würde ich darum geben, diesen Brahms auf Tonträger gebannt zu wissen, was angesichts der Tatsache, dass Zimerman seine eigene Einspielung aus den 80ern für nicht mehr verkaufenswert erachtet, einen besonderen Reiz hätte.
So aber bleibt zumindest das flüchtige Ereignis der beigewohnten Wiedergabe im Konzertsaal. Und auch wenn das konkrete Erlebnis, die Fülle an beeindruckenden, elektrisierend aufgenommenen Einzelheiten verblassen mag, so bleiben doch das dankbare Gefühl sowie die wohlige Gewissheit, einmal mehr zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Zimermans Brahms ist von einer solchen Finesse, vereint zarteste Versonnenheit (2. und 4. Satz der dritten Sonate) mit unbändiger, vitaler Explosivität, den sinfonischen Gehalt der Sonaten auf das Intensivste, Innerlichste, Imposanteste auslotend. Glücklicherweise überträgt sich diese extreme Spannung auch weitgehend auf die Atmosphäre im Saal – von dem ein oder anderen dumm platzierten Huster einmal abgesehen, lauscht man verblüffend andächtig dem pianistischen Wunder. Geht doch.
Spätestens mit den Zugaben wird dann offensichtlich, wie sehr das Publikum ihren Zimerman liebt, ja wahrscheinlich schmerzlich vermisst hat (der letzte Hamburger Auftritt liegt fast zehn Jahre zurück). Aber wie auf so vieles im Leben trifft wohl auch hier die Westentaschenphilosophie zu: Die Verabreichung des Höchsten ist nur in kleinen Dosen ratsam. Schließlich heißt es nicht ohne Grund nicht: Alltag, verweile doch ... Ein Hoch auf Perfektionisten wie Herrn Zimerman, der uns weiterhin sehnen lässt.