6. Juli 2019

Pique Dame – Aziz Shokhakimov.
Opernhaus Düsseldorf.

19:30 Uhr, Orchestersitze links, Reihe 5, Platz 155 



So, so, da hat Frau Steier auf den letzten Metern doch noch ihre romantische Seite offenbart. Zu den sehrenden Klängen des Schlusses setzt der Geist Lisas dem soeben dahingeschiedenen Hermann in einer ebenso selbstbewussten wie berührenden Geste behutsam seine Hornbrille wieder auf, Chiffre ihrer erst im Tod wahrhaft verbundenen Außenseiter-Existenzen. Und ich hatte schon befürchtet, dass die Regisseurin an einer unheilbaren Pathos-Phobie leidet, die es ihr unmöglich macht, all jene Momente, in denen „die großen Gefühle“ aufwallen, ohne ironische Brechung zu präsentieren. Zu viel Misstrauen vor Emotion kann auf der Opernbühne zum Problem werden, oder in diesem Fall eine vom Start weg faszinierende, unbestreitbar intelligente und bis ins kleinste Detail mit liebevollem Ideenreichtum und handwerklicher Raffinesse gespickte Inszenierung um Haaresbreite an einer uneingeschränkt nachhaltigen und nachhallenden vorbeischrammen lassen.

Wie schon bei ihren Trojanern in Dresden (Link), lässt mich die Regiearbeit trotz (bzw. auch wegen) der Vielzahl an Gelungenem nach dem letzten Vorhang damit hadern, ob nicht doch noch mehr drin gewesen wäre. Wobei ich die Konzeption diesmal insgesamt viel geschlossener, zielgerichtet, vor allem verständlich empfand und meine Einwände, vielmehr Bedenken, ausnahmslos jene Szenen berühren, in denen die Regie das bereits angedeutete Stilmittel Humor zur Pathosbrechung einsetzt. Ich bin da selbst ein bisschen hin und hergerissen. Einerseits verstehe ich schon, dass manche Episode inhaltlich oder von der Wortwahl aus heutiger Sicht für den Betrachter arg aus der Zeit gefallen wirkt, wie etwa die inbrünstig schmachtende und gleichzeitig in Richtung Vernunftehe durchdachte Liebeserklärung Jeletskis an seine Braut. Ihn während dieser – musikalisch wunderschönen – Arie als blasierten Popanz darzustellen, der sein (theoretisch) intimes Geständnis als übertrieben effektvollen und in peinlicher Theatralik vor der versammelten Gesellschaft vollzogenen Auftritt „performt“, unterstellt ihm einerseits Kalkül (was man sicher so lesen kann), zerstört jedoch definitiv den Reiz der Musik, aus der nun mal in erster Linie Güte und Anteilnahme spricht.

Es gibt in dieser Regiearbeit immer wieder diese Momente, in der Frau Steier, deren außerordentliches Gespür für skurrile, witzige Details ich bereits in Dresden schätzte, für mein Empfinden einfach eine Spur – oder auch mehr – drüber ist. Die Szene mit den Freundinnen der Braut ist eine einzige Slapstickeinlage mit dem ganzen Geschenkegezicke und Draufrumgetrampel. Fragt sich, ob angesichts des Klamauks rüberkommt, dass ja tatsächlich auf etwas herumgetrampelt wird, nämlich auf Lisas unsicherer Gefühlslage, die durch Paulines „Romanze“ in dunkle Gefilde gedrängt wird. Ein anderes Beispiel für das von mir der Regie unterstellte Fremdeln mit dem Material stellt der Auftritt der Zarin dar. Auch wenn man für das Erscheinen einer echten Monarchin in der (sonst prima für mich funktionierenden) Hollywood-Verortung der Handlung eine probate Übertragung braucht, lässt mich die von Hermann zu erleidende Zwangs-Verkleidung doch leider weniger auf sein empfundenes Leid als auf den Schabernack-Effekt konzentrieren.

Stark ist die Inszenierung immer dann, wenn sie die emotionale Fallhöhe des Werkes ernst nimmt und intensive Bilder dafür findet. Der einzelne Indianerjunge in einer Gesellschaft aus lauter Cowboys – das Sehnen und Scheitern Hermanns in einem Motiv. Oder wie traumhaft umsichtig das Schäferspiel in die Hollywood-Party integriert wurde – um am Ende nur noch deutlicher zu machen, dass die Liebe nach dem Maskenball sehr wohl den Weg ins reiche und nicht ins reine Bett findet. Besondere Beachtung verdient die Ausgestaltung der Rolle der alten Gräfin. Von Hanna Schwarz mit einer Aura der Autorität und gleichsam des Vergangenen und Vergänglichen (Beauty-Behandlung durch die Dienerinnen) ausgestattet, wird die scheinbar kalte, harte Fassade im Umgang mit Hermann um eine ungewohnt verletzliche, sehnsüchtige Facette erweitert. Die Beischlafszene – ob Traum oder Wahn Hermanns – trägt auf wehmütig-verstörende Weise dem Umstand Rechnung, dass die Gräfin Zeit ihres Lebens mit „den Waffen einer Frau“ ihre Ziele erreichte, am Ende wohl aber auch nur auf der Suche nach Liebe gewesen sein mag, die ihr jedoch aufgrund des „Kartenfluchs“ verwehrt bleiben musste.

Musikalisch war es ein zwingender Abend. Sängerisch am eindringlichsten sicher auch hier die Leistung von Frau Schwarz, gerade in den nachdenklich-fragilen, Nahe der Auflösung befindlichen Momente. Aber auch die übrige Besetzung hinterließ einen geschlossenen Eindruck, gerade auch in den kleineren Rollen, wie etwa den Sängern des Schäferspiels. Die Hauptakteure, das unglückliche Nicht-Paar, wussten darstellerisch wie sängerisch zu überzeugen, Frau Strid hatte mir ja bereits als Sieglinge gut gefallen (Link). Dmitry Lavrov hatte in der angesprochenen Arie seinen musikalischen Gipfelpunkt zu bestehen und meisterte diese Aufgabe mit profundem Schmelz. Ein stimmlicher Ausfall wie der des nurmehr agierenden, durch Herrn Anderzhanov an der Seitenrampe vokal gedoubelten, Beniamin Pops ist für den Fluss einer Inszenierung immer hinderlich, fiel angesichts des geringen Umfangs der Rolle nicht allzu sehr ins Gewicht. An Dirigat und Orchesterleistung gab es – wie eigentlich immer in Düsseldorf – nichts zu meckern.

Fazit: Knapp vorbei inszeniert ist leider eben doch immer noch vorbei, so dass es heute bei einem intensiven und anregendem Abend blieb, der durchaus ein wahrhaft nachhallender hätte werden können.


Pique Dame
Oper in drei Akten
Musik – Pjotr I. Tschaikowsky
Text – Modest I. Tschaikowsky nach der gleichnamigen Novelle von Alexander Puschkin

Musikalische Leitung – Aziz Shokhakimov
Inszenierung – Lydia Steier
Bühne – Bärbl Hohmann
Kostüme – Ursula Kudrna
Licht – Stefan Bolliger
Chor – Gerhard Michalski
Kinderchor – Justine Wanat
Dramaturgie – Mark Schachtsiek

Hermann – Sergej Khomov
Graf Tomski / Slatogor – Alexander Krasnov
Fürst Jeletzki – Dmitry Lavrov
Die Gräfin – Hanna Schwarz
Lisa – Elisabet Strid
Polina / Milowzor – Maria Boiko
Mascha / Prilepa – Daria Muromskaia
Tschekalinski – Johannes Preißiger
Surin – Beniamin Pop (szenisch)/Baurzhan Anderzhanov
Tschaplitzki – Andrés Sulbarán
Narumow – Andrei Nicoara
Zeremonienmeister – Bohyeon Mun
Der Aufsteiger – Philipp Vorjohann
Das Kind – Feras Al-Husseini
Klavierspielerin – Laura Poe

Chor der Deutschen Oper am Rhein
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Statisterie der Deutschen Oper am Rhein 
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