19. Februar 2019

Klavierduo Linda Leine & Daria Marshinina.
TONALiSaal Hamburg.

19:30 Uhr, freie Platzwahl















Franz Schubert – Divertissement sur des motifs originaux français, D 823
Igor Strawinsky – Drei leichte Stücke für Klavier zu vier Händen
Fanny Hensel – Drei Stücke zu vier Händen
Maurice Ravel – „Habanera“ und „Feria“ aus „Rapsodie Espagnole“

(Linda Leine, Daria Marshinina – Klavierduo)



Werde ich nicht müde zu betonen, dass ich lediglich über schmale Repertoirekenntnisse der Klavierliteratur verfüge, kam heute noch eine besondere Premiere hinzu: Mein erstes Konzert mit Klavierduo-Beteiligung. Linda Leine und Daria Marshinina machten sich gemeinsam am Flügel daran, ihre neue CD mit Werken zu vier Händen vorzustellen. Der kleine, unscheinbare TONALiSaal im Grindelviertel mag sich einer akustischen Feinbehandlung vielleicht entziehen, die beiden Künstlerinnen wussten aber Kraft ihres ausdrucksstarken Spiels und nicht zuletzt sympathischen Auftretens in den eingestreuten Interviewhäppchen ihre Zuhörerschaft zu begeistern. Hätte ich mir persönlich das Schubert-Divertissement noch mit etwas mehr Kontrast im Anschlag zwischen dramatischen und lyrischen Passagen vorstellen können, hatten mich die Damen spätestens mit dem in glasklarer Brillanz vorgetragenen Strawinsky vollends überzeugt. Dass beide darüber hinaus sehr wohl über alle Nuancen verfügen, die man sich gerade in diesem intimen Rahmen wünschen kann, stellten sie in den weiteren Stücken unter Beweis und beschlossen das kleine aber feine Konzert erst versonnen, dann fulminant mit Ravels Ausblicken in sonnige Gefilde – ein gleich doppelt erfreulicher Abend in der Begegnung dieses erfrischenden Duos.

17. Februar 2019

Berliner Philharmoniker – Yannick Nézet-Séguin.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 2, Platz 13



Claude Debussy – La Mer / Drei sinfonische Skizzen

(Pause)

Sergej Prokofjew – Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100



Die Berliner Philharmoniker und die Elbphilharmonie sind eine Kombination, wie sie exquisiter nicht sein könnte, erst recht unter der gewohnt sensiblen Stabführung Nézet-Séguins. Schon nach den ersten Takten herrscht klangliche Gewissheit darüber, dass dieser Abend etwas ganz Besonderes werden wird. Und tatsächlich ist es eine beispiellose Freude, einen der wohl ausgelutschtesten modernen Klassiker, Debussys Ozeanreigen, in solch vollendeter Aufführung zu jungfräulicher Frische zurückgeführt zu wissen. Nézet-Séguins Mikromodulationen in Klang und Fluß, dazu das in wirklich jeder Beziehung makellose Orchester, lassen die Partitur in einer Transparenz schillern und aufblühen, wie man sie live sonst nur schwerlich erleben kann.

Dabei zeigt sich gerade bei den üblichen „Problemstellen“ die Meisterschaft der Berliner Musiker – butterweiche Hörner, abgestuft bis zum samtigen Hauch, das Gleiche gilt für die Trompeten, welche, ob frei aufspielend oder gedämpft, zum Edelsten gehören, was man akustisch wahrnehmen kann. Und wenn man dann realisiert, dass mit Herrn Pahud und Herrn Mayer gerade zwei der wohl Besten ihres Faches gemeinsam das betörende Flöten- und Oboensolo des dritten Satzes intonieren, könnte das innere Grinsen kaum breiter ausfallen. Beim Dirigat fällt wieder einmal auf, dass Herr Nézet-Séguin den Saal auch bezogen auf die Dynamik absolut im Griff hat. Die Steigerungen sind allesamt wuchtig, dabei allerdings in der Dosierung der Lautstärke minutiös gestaffelt, so dass er sich das volle Volumen tatsächlich bis zum Schluss des Stücks aufsparen kann – mit untrüglicher Wirkung.

Selbige erzielen die Gäste nicht minder mit Prokofjews Fünfter. Ehrfürchtiges Geraune zwischen den Sätzen, in wahre Jubelstürme nach dem Finale kulminierend, zeugen davon, dass man sich in Hamburg auch mit diesem weit weniger gelernten Mammutwerk der überlegenen Qualität der Philharmoniker bewusst ist. Für mich persönlich gehört die Fünfte sicher zu meinen Lieblingssinfonien. Gerade die Sätze eins bis drei, allen voran das herzzerreißende Adagio mit seinen sehrend-schneidenden Streichern (und wie sie heute schnitten!), haben es mir angetan. Mit dem Finale hatte ich meine Probleme, als ich die Sinfonie kennenlernte, mittlerweile habe ich realisiert, wie gut es sich in die formal doch sehr konservative Gesamtstruktur des Werkes einfügt, welches eben keine „Finalsinfonie“ in der Nachfolge Mahlers darstellt, wie es Prokofjews Kollege Schostakowitsch mitunter ebenfalls handhabt. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf dem monumentalen Kopfsatz, der mir mit seinem schubhaft einsetzenden, stetig wiederkehrenden Eingangsthema wie eine einzige, majestätische Introduktion gigantischen Ausmaßes vorkommt. Das Finale fungiert da eher als traditioneller Kehraus, wobei es auch hier die ein oder andere bizarre Überraschung gibt, etwa wenn der Komponist kurz vor dem eigentlichen Fortissimo-Schluss mitten in der Kulminationsphase das Geschehen abrupt für wenige Takte auf kammermusikalisches Maß stutzt, um den finalen Ausbruch um so vehementer im Tutti explodieren zu lassen.

Es wäre müßig, angesichts der Perfektion des Vortrags Einzelleistungen gesondert hervorzuheben – Herr Nézet-Séguin tat gut daran, beim Applaus die Orchesterstimmen jeweils als Gruppe aufstehen zu lassen – das Kollektiv ist der Star. Es war mir eine kaum steigerungsfähige Freude, diese herrliche Musik von einem solch unwiderstehlichem Ensemble in Empfang nehmen zu dürfen. Nehmen Sie sich an Ihren Münchner Kollegen ein Beispiel und kommen Sie recht bald und häufig wieder nach Hamburg – die Elbphilharmonie braucht Orchester wie dieses.

14. Februar 2019

Klavierabend – Daniil Trifonov.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 12, Platz 9



Ludwig van Beethoven – Andante favori F-Dur WoO 57
Ludwig van Beethoven – Klaviersonate Es-Dur op. 31/3
Robert Schumann – Bunte Blätter op. 99 (Auszüge)
Robert Schumann – Presto Passionato (Ursprüngliches Finale
der Klaviersonate Nr. 2 g-Moll op. 22)

(Pause)

Sergej Prokofjew – Klaviersonate Nr. 8 B-Dur op. 84

Zugaben:
Sergej Rachmaninow – Vocalise op. 34/14 / 14 Lieder
Sergej Rachmaninow – Etudes-tableaux op. 33 Nr. 7



Warum sich auf dem Olymp meiner absoluten Lieblingspianisten mittlerweile ausschließlich Russen tummeln, müsste mir mal jemand erklären. Fakt ist jedoch, dass sich mit Herrn Trifonov ein weiterer Landsmann des höchst verehrten Grigory Sokolov und meiner noch recht frischen „Neuentdeckung“ Igor Levit dazugesellt hat, und wie schon seine Kollegen dem Begriff Klavierabend eine neue Bedeutungs- und Intensitätsebene verleiht. Leider fehlen mir als jemand, für den Kammermusik und die Klavierliteratur nicht zum Leib- und Magen-Repertoire gehören, sowohl die interpretatorischen Vergleichsmöglichkeiten als auch die Übung in der Beschreibung des Erlebten, doch fällt dieser Umstand angesichts einer tief empfundenen Sprachlosigkeit eingedenk des Vortrags nicht weiter ins Gewicht.

Spannend: Offenbar ist man auch im Solokonzertbereich immer noch dabei, die für die Elbphilharmonie-Akustik bestmögliche Lösung zu erforschen. Davon zeugen der fehlende Deckel des Flügels und die unorthodox schräge Positionierung desgleichen auf der Bühne. Kompliment an Herrn Trifonov, für den diese Anpassungen sicher ebenfalls eine klangliche Wahrnehmungsumstellung bedeuten. Auf der anderen Seite dürfte es heute akustisch tatsächlich größtmöglich demokratisch zugegangen sein. Selbst die sonst klar benachteiligten zusätzlichen Podiumsplätze sind so durch ihre Nähe zum Solisten eine reizvolle Option – sollte ich für die Zukunft mal im Hinterkopf behalten.

So gab es natürlich aber ohnehin auf meinem Platz, leicht erhöht in der letzten Reihe des Parketts auf einer Art „Loveseat“ nichts zu meckern, sieht man einmal von den Herrschaften schräg hinter mir ab – leider ebenfalls Landsleute des Künstlers – die sich nicht zu benehmen wussten und die erste Hälfte des Konzerts durch permanente Unruhe schmälerten. Glücklicherweise entschloss man sich dazu, nach der Pause den ganz offenbar mißfallenden Klängen fernzubleiben. Vielleicht hatte die Frau Gattin auch einfach – Achtung Klischeefalle – einen weiteren Termin zum Lippenaufspritzen.

Zuerst bildete ich mir ein, dass der Klang ohne Schalldeckel etwas dumpf, wenig brillant sei, aber mit fortlaufendem Konzert und Gewöhnung daran muss ich zugegeben, dass ich auf diese Entfernung einen Flügel wohl kaum habe differenzierter, fein abgestufter klingen hören. Was natürlich in erster Linie das Verdienst des Solisten ist. Daniil Trifonov windet sich dabei an den Tasten, als ab er in den Eingeweiden seinen Arbeitsgerätes kneten wolle, immer wieder durchfährt ihn ein Energieschub, der ihn beinahe von seinem Schemel aufspringen lässt. Was überaus manieriert klingen mag, hat im tatsächlichen Erleben jedoch nichts Aufgesetztes, Effektheischendes, sondern zeigt nichts weniger als eine faszinierende, geradezu symbiotische Verbindung des Musikers mit seinem Instrument als Verlängerung seiner selbst.

Wie er beispielsweise die Steigerung des Trauermarschs in den Schumann-Blättern stetig bis ins Titanische auftürmt, um sie gleichsam organisch wieder vergehen zu lassen – das sind einfache wahre Klangwunder, die sich hier in der alles offenlegenden Akustik des Saales ereignen. Für bestimmte Passagen beim Schumann und später auch in der Prokofjew-Sonate sind Begriffe wie „aberwitzig“ oder „unüberbietbar“ in jedem Falle zu abgegriffen, um die Sogwirkung zu beschreiben, die von diesen fliegenden Fingern ausgeht.

Fazit: Die Zukunft des Klavierspiels ist gesichert.

7. Februar 2019

NDR Elbphilharmonie Orchester – Ingo Metzmacher.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Olivier Messiaen – Trois petites liturgies de la présence divine 

(Pause)

Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 13 b-Moll op. 113 »Babi Jar«

(NDR Elbphilharmonie Orchester, NDR Chor, WDR Rundfunkchor, Mikhail Petrenko – Bass, Cédric Tiberghien – Klavier, Nathalie Forget – Ondes Martenot, Dirigent– Ingo Metzmacher)



Messiaen: Ein unglaubliches Werk beschert ein unglaubliches Klangerlebnis – trotz der ab dem forte schwächelnden Streicher. Metzmacher wieder einmal der Anwalt der Raritäten, die zu Unrecht selten gespielt werden. Dabei ist Messiaen doch von der Harmonik eigentlich sehr eingängig, gerade in den langsamen Abschnitten, zudem ist die klare Struktur der Sätze (ABA) sehr fasslich. Höchstens wenn es sich ballt, wird es „wild“ und vertrackt. Ich bin jedenfalls hin und weg, vor allem vom ruhigen Teil des Finales. Einer der feinsten, delikatesten Hauche von Musik, die ich in diesem Saal bislang hören durfte. Ondes Martenot – die große Geige Messiaens. Klangwirkungen, Klangmischungen, Kontemplation und Ekstase. Der Chor ist der Held des Stückes, skandierend, beschwörend, balsamierend, hysterisierend – himmlisch!

Schostakowitsch: Die Anklage irdischen Leids statt religiöser Verzückung. Hart, bitter, scharf, ironisch gebrochen. Ein Wiedersehen mit Mikhail Petrenko, den ich bei meinem Ausflug nach St. Petersburg (Link) als Boris Godunow am Mariinski kennenlernte. Kommt der Tod in der 14. Sinfonie leise und den Atem erstickend, klagt Schostakowitsch den Schmerz hier immer wieder aus vollen Kehlen und mit äußerster Vehemenz an. Metzmacher lässt Orchester und Chor dementsprechend in den Steigerungen mit einem Höchstmaß an Brutalität agieren, allerdings ohne dabei den Solisten und das dynamische Gefüge in seiner Gesamtheit aus den Augen zu verlieren. Eine gallige, trotzige Erfahrung, die gleichsam erschüttert und gerade im Wechselspiel mit dem Messiaen zum Nachdenken darüber anregt, wie unterschiedlich und persönlich sich der musikalische Umgang mit den letzten Dingen zeigen kann.

5. Februar 2019

Symphoniker Hamburg – Sylvain Cambreling.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 12, Platz 7



Claude Debussy – Le martyre de Saint Sébastien
Textfassung: Martin Mosebach

Symphoniker Hamburg
Europa Chor Akademie Görlitz
Chorleitung – Joshard Daus
Lauryna Bendžiūnaitė – Sopran
Marta Świderska – Mezzosopran
Stine Marie Fischer – Alt
Dörte Lyssewski – Sprecherin
Dirigent – Sylvain Cambreling


Nachdem ich den Nachfolger Tates bereits bei einer Generalprobe in der Laeiszhalle mit seinem neuen Klangkörper erleben konnte, nun also mein erstes offizielles Konzert mit Sylvain Cambreling als neuem Chefdirigenten der Symphoniker Hamburg. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis, denn das erste Mal habe ich Herrn Cambreling vor nicht ganz fünfzehn Jahren in der seinerzeit ebenfalls brandneuen Philharmonie in Luxemburg kennengelernt, ebenfalls mit der Europa Chor Akademie unter Herrn Daus, genauer gesagt in einer Probe zu „Das Augenlicht“ von Anton Webern.

Herr Cambreling scheint seinen Ruf als jemand, der sich auch und besonders für eher selten gespielte Werke der klassischen Moderne einsetzt, mit der Präsentation des rätselhaften Opus Debussys zu bestätigen – wer die akustischen Finessen der Bühnenmusik hier in diesem Saal bestaunen durfte, weiß spätestens nun, warum der Franzose dieses Stück für sein Elbphilharmonie-Debüt auswählte. Ich bin vielleicht nicht der größte Debussy-Freund, aber solchen Klängen kann man sich nur schwer entziehen.

Fast noch verblüffender als das stetig vor sich hin irisierende musikalische Kaleidoskop ist die klangliche Qualität, mit der es die Symphoniker zum Leben erwecken. Meinen tiefsten Respekt für diese Detailarbeit, das sich im Ergebnis definitiv mit jenen Orchestern messen darf, die ich in diesem Saal schon genoß und deren Visitenkarten landläufig deutlich klangvollere Namen zieren. Ich bleibe dabei, Jeffrey Tate hat mit den Symphonikern etwas Außergewöhnliches auf den Weg gebracht, das nun bei Herrn Cambreling glücklicherweise in den richtigen Händen seine Fortführung findet.

Das Stück selbst hinterlässt trotz seines mitunter kryptischen Charakters einen insgesamt sehr zwingenden, fasslichen Eindruck, indem auf die eigentlich vorgesehenen szenischen Anteile verzichtet wird, an deren Stelle eine Erzählerin tritt, welche die einzelnen Musikpassagen miteinander verbindet. Dabei ist der von Martin Mosebach verfasste Text gleichermaßen suggestiv wie plastisch („Es wurde damals zur Leidenschaft: Das Sterben ... Wer andere sterben sah, wurde noch eifriger, endlich selbst auch sterben zu dürfen.“) und regt an nicht wenigen Stellen zum Nachdenken über die Macht (und Funktion) des Glaubens an – am eindringlichsten in der folgendermaßen schließenden Abhandlung über den Götterglauben: „Ein neuer Gott soll uns recht sein – einer unter vielen – viele Götter, die alles bedeuten – die alles Mögliche bedeuten – vielleicht auch überhaupt nichts.“ Inwiefern Mosebach dabei Elemente aus dem Originaltext D’Annunzios verarbeitet, bleibt unklar, ist angesichts der unzweifelhaften Wirkung jedoch auch zu vernachlässigen.

Fazit: Solisten, Chor, Orchester, Dirigat, Rezitation – die exquisite Summe eines vollendeten Ganzen schafft einen berührenden Abend zwischen musikalischer Entdeckungsreise und philosophischer Selbstsuche.