20:00 Uhr, Etage 13, Bereich I, Reihe 4, Platz 3
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 7
Als eifriger Programmheftleser und -sammler hat man es ja nicht leicht, liest man doch jahrein, jahraus mehr oder weniger die gleichen Anmerkungen und Anekdoten zu den Werken, gerade wenn es sich um die altbekannten Evergreens der Klassik handelt (Ja, als Verfasser derselben steht man sicher vor dem gleichen Problem). Nun gehört Mahlers Siebte vielleicht nicht unbedingt zu seinen am häufigsten gegebenen Sinfonien, aber auch hier kann man ganz ohne hellseherische Fähigkeiten vorhersagen, was im Begleittext thematisiert werden wird. Zumindest das „problematische“ Finale muss zwingend zur Sprache kommen, gern auch mit dem hinrissigen Adorno-Zitat vom „schlechten Jasager“, das Mahler die Fähigkeit zu ehrlich positiv gehaltenen Finalsätzen abspricht. Gut, Adorno hat auch eine Menge anderen Stuss in geschliffene Worte verpackt, sei es seine „Interpretation“ des Naturlaut-Beginns von Mahlers 1. Sinfonie oder seine Fehleinschätzung in Bezug auf Sibelius. Umso erfreulicher, dass in dem vorliegenden Programmheft mal ein anderer Ansatz zur „Ehrenrettung“ Mahlers verfolgt wird. Keine Ahnung, in wiefern das neu ist, aber den Jubel und Überschwang des Finales mit karnevaleskem Humor in Verbindung zu bringen, ist endlich mal eine stimmige Einordnung des Gehörten. Ich persönlich habe nie verstanden, wie man sich an dem „Bruch“ – ich möchte eher von Kontrast sprechen – zwischen den vorangegangenen Sätzen und dem Finale stören kann. Es muss nicht immer Apotheose sein, um den düster-nachdenklichen, teilweise aber auch eher sentimental-verträumten Elementen der Kopf- und Mittelteile etwas entgegenzusetzen – das Finale als Kehraus der brütenden, zweifelnden Gedanken.
Jansons und seine Münchner sind mir mittlerweile zu lieben Vertrauten geworden, deren Besuche jedesmal aufs Neue Spitzenklasse definieren. Man kann sich ganz auf die Interpretation konzentrieren, weil man in puncto Ausführung ohnehin nichts zu befürchten hat. Auch wenn mein Platz heute, gewissermaßen eher neben dem Orchester, nicht unbedingt ein ideales Klangerlebnis ermöglichte, war es doch eine Wohltat, diese großartige Sinfonie in all ihren Facetten und Details erneut erkunden zu dürfen. Zu Jansons Interpretation selbst kann ich gar nicht viel sagen, eine besonders extreme Lesart ist das sicher nicht, aber es fühlt sich einfach alles richtig bei ihm an. Klang und Technik des Orchesters tun ihr übriges, die Pforten zum Mahlerschen Kosmos weit aufzustoßen. Sei es die monumentale Konzeption des Kopfsatzes, oder die spätestens mit der zweiten „Nachtmusik“ einsetzende somnambule Stimmung, aus der wir im sich „zu Tode feiernden“ Finale gerissen werden – dieses Werk hält mindestens ebenso viel Berührendes, Feines, Intimes wie ihre sinfonischen Schwestern bereit. Schade, dass sie so selten aufs Programm genommen wird. Die heutige Aufführung hat diesen Mangel gerade durch ihre Makellosigkeit gezeigt.
30. April 2018
18. April 2018
Orgel pur – Jean Guillou. Elbphilharmonie Hamburg.
19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8
Jean Guillou – Improvisationen
Modest Mussorgski – Bilder einer Ausstellung / Bearbeitung für Orgel von Jean Guillou
(Pause)
Jean Guillou – La Révolte des Orgues op. 69 / für neun Orgeln und Schlagwerk
Zugaben:
Jürgen Geiger – Ständchen zum 88. Geburtstag von Jean Guillou
Johann Sebastian Bach / Marcel Dupré – Sinfonia aus der Kantate „Wir danken dir Gott, wir danken dir“ BWV 29
(Jean Guillou, Martin Baker, Roberto Bonetto, Winfried Böning, Bernhard Buttmann, Thomas Dahl, Jürgen Geiger, Roman Perucki, Juan de la Rubia – Orgel, Hélène Colombotti – Schlagwerk, Johannes Skudlik – Dirigent)
Wenn man den Abend seines 88. Geburtstags damit verbringt, in einer fremden Stadt im Ausland ein Konzert zu geben, muss man wirklich für die Musik leben. Die Orgelmusik, um genau zu sein, denn bei dem reizenden alten Herrn Guillou scheint sich wahrlich alles um die Königin der Instrumente zu drehen. In der Einführung teilt er seine Vision mit uns: eine modulare Orgel, die er am liebsten im Wald spielen würde. Oder vielleicht am Meer. Ebenso spannend wie amüsant Guillous Ausführungen zu seiner Paradedisziplin, der freien Improvisation: Das Thema selbst müsse nicht interessant sein, es komme einzig auf den Moment und die Ideen an, die ihm spontan kämen. Wer allerdings den Einfall zu seiner Komposition „Die Revolte der Orgeln“ hatte – ob er selbst oder der Dirigent Johannes Skudlik – das weiß er nicht mehr und lacht dabei herzlich.
Nachdem bereits der Moderator des Einführungsinterviews das Publikum zu einem Geburtstagsständchen animiert hatte, kam der Rest des Auditoriums auf den gleichen Gedanken, als Guillou die Bühne betrat, um sich dann abermals für den warmen Empfang zu bedanken. Das Konzert begann, wie in der Einführung angekündigt, mit einer Improvisation über zwei Themen, die dem Organisten erst am Spieltisch in einem versiegelten Umschlag übergeben wurde, um seine Spontanität tatsächlich auf die Probe zu stellen. Guillou stellte zuerst beide Themen einzeln vor – der Beginn der berühmten Melodie des Finalsatzes aus Brahms 1. Sinfonie und ein sehr einfaches Thema, das mir nichts sagte – um sie dann in seinem Stil zu verarbeiten. Nicht unbedingt leichte Kost für ungeübte Ohren.
Ganz anders hingegen seine Bearbeitung der Bilder einer Ausstellung, voller orchestraler Effekte und opulenter Ausschmückungen eher der Versuch einer Überbietung der Ravel-Version denn Übertragung des Klavierzyklus auf die Orgel. Definitiv beeindruckend, dennoch leider in seinem Schwierigkeitsgrad immer wieder die Hände seines Schöpfers an seine Grenzen und darüber hinaus bringend. Die Phrasierung mitunter verschwimmend, in schnellen Passagen kämpft Guillou hörbar mit der Geläufigkeit, verspielt sich des Öfteren, manche Läufe kommen dann allerdings wieder wie am Schnürchen. Die Transkription ist sehr virtuos (im großen Tor gehen bei all dem Gewusel fast das Hauptthema und die zwingende Harmonik der Vorlage unter), aber in jedem Fall facettenreich und passend (z.B. beim Ochsenkarren-Crescendo). Am Ende musste ich mir halt viel im Kopf zusammenbasteln, wie er es wohl eigentlich spielen wollte. Dreimal musste Herr Guillou beim Assistenten, der die Partitur bereithielt, spicken – trotzdem meinen größten Respekt vor dieser kolossalen Geistesleistung des beinahe Neunzigjährigen.
Für die Revolte der Orgeln nach der Pause wurden fünf kleine Orgeln um das Hauptmanual auf der Bühne postiert, dazu noch drei weitere auf den oberen Rängen verteilt. Das Werk selbst konnte ich zumindest nach dem ersten Hören nicht so recht greifen. Zu Guillous Kompositionsmerkmalen zählen repetitive Elemente, verzierungsartige Strukturen, das Ganze ist nicht melodiös, aber auch nicht komplett atonal. Echowirkungen, bei denen die Teilorgeln aufeinander reagieren, finden sich ebenso wie Passagen, in denen sich die einzelnen Instrumente ergänzen – der modulare Aspekt, der in der Einführung angesprochen wurde, scheint hier schon ansatzweise verwirklicht.
Zwei Zugaben rundeten das Konzert ab: Zuerst gaben die Mitorganisten ihrem Mentor das dritte Ständchen des Abends – eine Improvisation über „Happy Birthday“ ala Guillou – nicht ohne humoristische Wirkung, dieser musikalische Kontrast. Und ganz zum Schluß haut der gute alte Mann selbst noch einen raus: Nach all den Glückwünschen erwidert Guillou mit Bachs „Wir danken Dir Gott, wir danken Dir“. Und hier werden die alten Hände plötzlich wieder jung – die Orgel spielt ihn! Ein wahrhaft furioses, bewegendes Finale.
14. April 2018
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen – Paavo Järvi.
Elbphilharmonie Hamburg.
20:00 Uhr, Etage 13, Bereich I, Reihe 2, Platz 5
Franz Schubert –
Ouvertüre C-Dur „im italienischen Stil“ D 591
Ausgewählte Lieder in Orchesterbearbeitungen:
An Silvia D 891 (Bearbeitung: Alexander Schmalcz)
Des Fischers Liebesglück D 933 (Schmalcz)
Das Heimweh D 456 (Schmalcz)
Ganymed D 544 (Schmalcz)
Die Forelle D 550 (Benjamin Britten)
Alinde D 904 (Schmalcz)
Zugabe: Abendstern D806
(Matthias Goerne – Bariton)
(Pause)
Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944 „Große C-Dur-Sinfonie“
Zugabe:
Ludwig van Beethoven – Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ op.43
Wer ist dümmer – das Paar, das die falschen Plätze eingenommen hat oder jenes, das verdutzt bei den Erstbesetzern abblitzt, während der Dirigent bereits die Bühne betritt? Last Minute mag für Malle funktionieren, in der Elbphilharmonie steht man dann da wie bestellt und nicht abgeholt. Glück für das Depp-Quartett, dass der erste Programmpunkt nur fünf Minuten dauert, und man danach vom freundlichen Saalpersonal bedient wird.
Schubert macht den Rossini, das ist ein nettes Stückchen zum Eingrooven, wobei ich bezweifle, dass dieses famose Orchester wirklich erst auf Betriebstemperatur kommen muss, um seinen feinen, transparenten Klang zur Entfaltung zu bringen. Der Chef am Pult löst die italienische Esprit-Aufgabe mit federnder Eleganz und klarer Kante – typisch Järvi eben.
Die anschließenden Orchesterlieder ermöglichen das nächste Treffen mit der wahrscheinlich schönsten Baritonstimme des Planeten. Meine letzte Eloge auf Matthias Goerne (Link) liegt erst etwas mehr als einen Monat zurück, und ich habe meiner Schwärmerei heute nichts hinzuzufügen, außer der abermaligen Feststellung seiner Einzigartigkeit. Die Bearbeitungen der Lieder funktionieren übrigens wunderbar, Järvi und sein Ensemble stellen der überirdischen Stimme zarteste Orchesterminiaturen zur Seite in denen die Musiker auch solistisch zu überzeugen wissen – etwa im Lied „Heimweh“, in dem erst Englischhorn, dann Viola und schließlich Querflöte die sehsüchtige Weise aufnehmen. Mit der Zugabe – Abendstern – breiten Goerne und seine Begleiter noch einmal die Summe dessen vor den Zuhörern aus, was die Kunstform Lied so ergreifend macht: Intimität und Intensität – ganze Welten komprimiert in Minuten.
Mit dem ersten butterweichen Horneinsatz ist nach der Pause sofort klar, dass Järvi und seine Truppe auch den sinfonischen Teil des Abends veredeln werden. Offenbart die „Große C-Dur“ immer wieder die Vorbildfunktion Beethovens für Schubert, etwa in den laut-leise Effekten zu Beginn oder dem pochenden Dreiermotiv im Finale sowie dessen generellem, stürmischem Charakter, ist es weit interessanter, den Eigenheiten Schuberts in diesem Werk nachzugehen, die wiederum ihrerseits Einfluss auf die Fortentwicklung der Sinfonik hatten. Insbesondere für Bruckner muss sein Landsmann wirklich prägend gewesen sein, immer wieder fühle ich mich im Werk des jung Verstorbenen an die Arbeit des spät Berufenen erinnert. Namentlich der sicher mit der Ausdehnung der Sätze, aber ebenso ihrem strukturellen Aufbau verbundene Effekt, von einem Plateau auf das nächste gehievt zu werden, tritt schon bei Schubert zu Tage.
Welche Steigerung wohnt doch dem zweiten Satz inne, und wie Atem raubend wird diese aufgelöst – mit einem Flüstern nach der Eruption. Dynamische Kontrastwirkungen scheinen Järvi besonders zu liegen, sein Kammerorchester entfesselt dabei Energien und erzielt Wirkungen, die sich in der Wahrnehmung absolut mit „ausgewachsenen“ Orchestern messen lassen können. Es kommt eben bei dem subjektiv wahrgenommenen Bumms – wie bereits oft beobachtet – nur bedingt auf die reine Lautstärke an, sondern auf die Summe vieler Faktoren, darunter der Umgang mit Lautstärkeverhältnissen oder die Artikulation. Schade, dass ich an dieser Stelle gedanklich nochmal gegen den NDR nachtreten muss, mit dem Järvi Schostakowitschs Siebte weit weniger beeindruckend präsentierte.
Der dritte Satz steht gleichsam für Bruckner Pate, genauer für dessen Starkstrom-Scherzi. Die Kammerphilharmonie hier wunderbar knackig bis ruppig, gleichzeitig betont Järvi eine prägnante Wendung darin mit solch einer Verzögerung, als wolle er gleich zum Schunkeln übergehen. Besonderer Ohrenschmaus: das perfekte, wohlig-weiche Zusammenspiel der Posaunen und Hörner – ein perfektes Klang-Amalgam. Das Finale gestaltet sich als pure Energieexplosion, überbordender Elan bei technischer Brillanz. Spannend die Stelle, in der Järvi bei dem ganzen Stürmen und Drängen einmal ordentlich auf die Bremse tritt – die stampfende fanfarenartige Passage erhält dadurch ein ordentliches Gewicht – richtig fett, könnte man neudeutsch konstatieren.
Als Zugabe wird das große sinfonische Vorbild Schuberts selbst auf die Bühne gebeten – die Prometheus-Ouvertüre bildet, bekrönt von Naturtrompeten anstelle ihrer Ventil-Geschwister, den elektrisierenden Abschluss für ein Konzert ohne einen einzigen schwachen Takt.
Memo an mich: warum kollabieren eigentlich so viele Leute in der Elphi? Ist es der steile Aufstieg am Anfang, der den älteren Herrschaften dann im Konzert den Blutdruck zerhaut? Heute gab’s schon wieder Tumult, entweder ist mir das früher in der Laeiszhalle einfach nicht aufgefallen oder die Elphi lässt tatsächlich vermehrt die Sinne schwinden – allein bei meinen Besuchen nun schon zum vierten oder fünften Mal.
Ausgewählte Lieder in Orchesterbearbeitungen:
An Silvia D 891 (Bearbeitung: Alexander Schmalcz)
Des Fischers Liebesglück D 933 (Schmalcz)
Das Heimweh D 456 (Schmalcz)
Ganymed D 544 (Schmalcz)
Die Forelle D 550 (Benjamin Britten)
Alinde D 904 (Schmalcz)
Zugabe: Abendstern D806
(Matthias Goerne – Bariton)
(Pause)
Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944 „Große C-Dur-Sinfonie“
Zugabe:
Ludwig van Beethoven – Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ op.43
Wer ist dümmer – das Paar, das die falschen Plätze eingenommen hat oder jenes, das verdutzt bei den Erstbesetzern abblitzt, während der Dirigent bereits die Bühne betritt? Last Minute mag für Malle funktionieren, in der Elbphilharmonie steht man dann da wie bestellt und nicht abgeholt. Glück für das Depp-Quartett, dass der erste Programmpunkt nur fünf Minuten dauert, und man danach vom freundlichen Saalpersonal bedient wird.
Schubert macht den Rossini, das ist ein nettes Stückchen zum Eingrooven, wobei ich bezweifle, dass dieses famose Orchester wirklich erst auf Betriebstemperatur kommen muss, um seinen feinen, transparenten Klang zur Entfaltung zu bringen. Der Chef am Pult löst die italienische Esprit-Aufgabe mit federnder Eleganz und klarer Kante – typisch Järvi eben.
Die anschließenden Orchesterlieder ermöglichen das nächste Treffen mit der wahrscheinlich schönsten Baritonstimme des Planeten. Meine letzte Eloge auf Matthias Goerne (Link) liegt erst etwas mehr als einen Monat zurück, und ich habe meiner Schwärmerei heute nichts hinzuzufügen, außer der abermaligen Feststellung seiner Einzigartigkeit. Die Bearbeitungen der Lieder funktionieren übrigens wunderbar, Järvi und sein Ensemble stellen der überirdischen Stimme zarteste Orchesterminiaturen zur Seite in denen die Musiker auch solistisch zu überzeugen wissen – etwa im Lied „Heimweh“, in dem erst Englischhorn, dann Viola und schließlich Querflöte die sehsüchtige Weise aufnehmen. Mit der Zugabe – Abendstern – breiten Goerne und seine Begleiter noch einmal die Summe dessen vor den Zuhörern aus, was die Kunstform Lied so ergreifend macht: Intimität und Intensität – ganze Welten komprimiert in Minuten.
Mit dem ersten butterweichen Horneinsatz ist nach der Pause sofort klar, dass Järvi und seine Truppe auch den sinfonischen Teil des Abends veredeln werden. Offenbart die „Große C-Dur“ immer wieder die Vorbildfunktion Beethovens für Schubert, etwa in den laut-leise Effekten zu Beginn oder dem pochenden Dreiermotiv im Finale sowie dessen generellem, stürmischem Charakter, ist es weit interessanter, den Eigenheiten Schuberts in diesem Werk nachzugehen, die wiederum ihrerseits Einfluss auf die Fortentwicklung der Sinfonik hatten. Insbesondere für Bruckner muss sein Landsmann wirklich prägend gewesen sein, immer wieder fühle ich mich im Werk des jung Verstorbenen an die Arbeit des spät Berufenen erinnert. Namentlich der sicher mit der Ausdehnung der Sätze, aber ebenso ihrem strukturellen Aufbau verbundene Effekt, von einem Plateau auf das nächste gehievt zu werden, tritt schon bei Schubert zu Tage.
Welche Steigerung wohnt doch dem zweiten Satz inne, und wie Atem raubend wird diese aufgelöst – mit einem Flüstern nach der Eruption. Dynamische Kontrastwirkungen scheinen Järvi besonders zu liegen, sein Kammerorchester entfesselt dabei Energien und erzielt Wirkungen, die sich in der Wahrnehmung absolut mit „ausgewachsenen“ Orchestern messen lassen können. Es kommt eben bei dem subjektiv wahrgenommenen Bumms – wie bereits oft beobachtet – nur bedingt auf die reine Lautstärke an, sondern auf die Summe vieler Faktoren, darunter der Umgang mit Lautstärkeverhältnissen oder die Artikulation. Schade, dass ich an dieser Stelle gedanklich nochmal gegen den NDR nachtreten muss, mit dem Järvi Schostakowitschs Siebte weit weniger beeindruckend präsentierte.
Der dritte Satz steht gleichsam für Bruckner Pate, genauer für dessen Starkstrom-Scherzi. Die Kammerphilharmonie hier wunderbar knackig bis ruppig, gleichzeitig betont Järvi eine prägnante Wendung darin mit solch einer Verzögerung, als wolle er gleich zum Schunkeln übergehen. Besonderer Ohrenschmaus: das perfekte, wohlig-weiche Zusammenspiel der Posaunen und Hörner – ein perfektes Klang-Amalgam. Das Finale gestaltet sich als pure Energieexplosion, überbordender Elan bei technischer Brillanz. Spannend die Stelle, in der Järvi bei dem ganzen Stürmen und Drängen einmal ordentlich auf die Bremse tritt – die stampfende fanfarenartige Passage erhält dadurch ein ordentliches Gewicht – richtig fett, könnte man neudeutsch konstatieren.
Als Zugabe wird das große sinfonische Vorbild Schuberts selbst auf die Bühne gebeten – die Prometheus-Ouvertüre bildet, bekrönt von Naturtrompeten anstelle ihrer Ventil-Geschwister, den elektrisierenden Abschluss für ein Konzert ohne einen einzigen schwachen Takt.
Memo an mich: warum kollabieren eigentlich so viele Leute in der Elphi? Ist es der steile Aufstieg am Anfang, der den älteren Herrschaften dann im Konzert den Blutdruck zerhaut? Heute gab’s schon wieder Tumult, entweder ist mir das früher in der Laeiszhalle einfach nicht aufgefallen oder die Elphi lässt tatsächlich vermehrt die Sinne schwinden – allein bei meinen Besuchen nun schon zum vierten oder fünften Mal.
13. April 2018
Ensemble Resonanz – Emilio Pomàrico.
Elbphilharmonie Hamburg, kleiner Saal
19:30 Uhr, Reihe 24, Platz 12
Leoš Janáček – Tagebuch eines Verschollenen
für Sopran, Mezzosopran, Klavier, Harfe, drei Schlagzeuger und Streicher,
orchestriert von Johannes Schöllhorn (2017)
Georges Aperghis – Migrants
In drei Sätzen für zwei Frauenstimmen, Klavier, drei Schlagzeuger und Streicher (2017/18)
Texte aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“
(Agatha Zubel – Sopran, Christina Daletska – Mezzosopran)
Mein kleines Experiment, mal die letzte Reihe des Kammermusiksaales auszuprobieren, hat mir ein richtig gutes Konzert beschert, das meinen musikalischen Horizont einmal mehr erweitert. Zwar mag die Sitzposition, buchstäblich mit dem Rücken zur Wand und unter einem kleinen Vorsprung, schon etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber die Akustik ist für diesen größtmöglichen Abstand zum Bühnengeschehen absolut in Ordnung. Ein bisschen dumpf vielleicht, in jedem Falle leiser als auf den bislang erprobten Plätzen, aber weiterhin differenziert, ohne das Feinheiten verloren gingen. Über die Wirkung der Bläser kann dabei keine Aussage getroffen werden, da weder Holz noch Blech heute mit von der Partie waren. Besser noch als das Orchester selbst übertrugen sich die Stimmen, bzw. eine befürchtete mangelnde Präsenz derselben trat keinesfalls auf.
Janáčeks „Tagebuch eines Verschollenen“ ist ein wirklich bemerkenswerter Liederzyklus. Die Orchestrierung von Johannes Schöllhorn lässt das typische Idiom des Komponisten klar zur Geltung kommen, obgleich Janáček selbst nur eine Fassung für Klavier, zwei Solostimmen und Frauenchor hinterlassen hat, wie ich las. Wird der Protagonist wohl für gewöhnlich von einem Tenor gesungen, übernimmt hier die Sopranistin den Part, auf den Frauenchor wird verzichtet. Aber unabhängig von Fragen der Instrumentation und zur Aufführungspraxis überträgt sich mit diesem Werk jene unverwechselbare Klangsprache und Harmonik des Tschechen, die mich bislang vor allem für seine Opern eingenommen haben.
Dieser melancholische, oft regelrecht verwunschene, dabei aber immer ungemein ursprüngliche Charakter ist es, der Janáček einen besonderen Platz im Musikkosmos einnehmen lässt, Tradition und Volkstümlichkeit bei gleichzeitiger Beschreitung eines ganz eigenen Pfades in die Moderne. Gleich beim ersten Hören wird klar, dass die Partitur an Schönheiten reich bestückt ist – so beispielsweise die Passage vor dem Orchesterzwischenspiel, in der der Sopran von der Harfe begleitet wird oder natürlich der aufblühende Schluß. Die CD für ein tiefergehendes Studium ist bereits unterwegs.
Nicht minder anregend, wenn auch auf eine ganz andere Art, verhielt es sich mit dem zweiten, ohne Pause anschließenden Programmpunkt, der Komposition „Migrants“ von Georges Aperghis. Wurde das Thema der Entwurzelung bei Janáček durch das Zigeunerdasein verbildlicht, mit dem der Protagonist durch eine intime Verbindung in Berührung kam, so dass er schließlich die Scholle der bäuerlichen Gemeinschaft aufgibt, nähert sich Aperghis dem Topos der Ge- oder Vertriebenen durch einen scheinbaren textlichen Umweg. Dabei vermitteln die von ihm verwendeten Passagen aus Conrads Erzählung „Heart of Darkness“, fragmentarisch, schlaglichtartig montiert, eine beklemmende Vision des von sich und anderen entfremdeten Menschen.
Die musikalischen Mittel entfalten ihrerseits ein soghaftes Drama, das mehr als intensive physische Erfahrung denn traditionell gestaltete und zu rezipierende Vertonung einer literarischen Vorlage funktioniert. Rezitation, Sprechgesang, gesungene Laute, die mit dem teilweise regelrecht perkussiv eingesetzten Streichern eine faszinierende Symbiose eingehen, dazu das prägnante Schlagzeug, der weitgehende Verzicht auf tonale Strukturen – diese Musik mag manchen Gelegenheits-Konzertgänger verstört oder gar abgeschreckt haben, auf mich hatte das Werk eine wahrhaft fesselnde Wirkung. So etwas ist für mich zigmal ansprechender und zugänglicher als die Mathematismen Schönbergs, aber ebenso als die wohlig harmonisierten Klangrinnsale eines Arvo Pärt. Zeitgenössische Musik auf der Höhe der Zeit, inhaltlich wie formal.
Das Experiment der Familie links von mir, mal ein klassisches Konzert auf möglichst billigen Plätzen auszuprobieren, hat den Unglücklichen einen Schock fürs Leben verpasst und hoffentlich ein für alle Mal davon überzeugt, in Zukunft doch lieber einen höheren Betrag in Qualitätsunterhaltung zu investieren – Mario Barth wäre vielleicht eine valide Option. So musste man erst Janáček durchleiden, und als man dachte, schlimmer könne es wohl kaum kommen, kam Aperghis und marterte ihre armen, kleinen Hirne mit etwas, dass für sie nicht als Musik zu fassen war. Hilfloses Gequatsche und Rumgerutsche waren die Übersprunghandlungen der Wahl, konnten aber mit Bösen Blicken und verächtlichem Kopfschütteln weitgehend im Zaum gehalten werden. Spacken halt.
„Da können die ja auch nichts für“ hält der Vater für sich und seine Tochter fest, fasst damit seine hoffnungslose Ignoranz und Überforderung hübsch zusammen und beklatscht nach langem Zögern schließlich doch die Musiker auf der Bühne, dem Ort unsagbarer Schrecken.
Leoš Janáček – Tagebuch eines Verschollenen
für Sopran, Mezzosopran, Klavier, Harfe, drei Schlagzeuger und Streicher,
orchestriert von Johannes Schöllhorn (2017)
Georges Aperghis – Migrants
In drei Sätzen für zwei Frauenstimmen, Klavier, drei Schlagzeuger und Streicher (2017/18)
Texte aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“
(Agatha Zubel – Sopran, Christina Daletska – Mezzosopran)
Mein kleines Experiment, mal die letzte Reihe des Kammermusiksaales auszuprobieren, hat mir ein richtig gutes Konzert beschert, das meinen musikalischen Horizont einmal mehr erweitert. Zwar mag die Sitzposition, buchstäblich mit dem Rücken zur Wand und unter einem kleinen Vorsprung, schon etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber die Akustik ist für diesen größtmöglichen Abstand zum Bühnengeschehen absolut in Ordnung. Ein bisschen dumpf vielleicht, in jedem Falle leiser als auf den bislang erprobten Plätzen, aber weiterhin differenziert, ohne das Feinheiten verloren gingen. Über die Wirkung der Bläser kann dabei keine Aussage getroffen werden, da weder Holz noch Blech heute mit von der Partie waren. Besser noch als das Orchester selbst übertrugen sich die Stimmen, bzw. eine befürchtete mangelnde Präsenz derselben trat keinesfalls auf.
Janáčeks „Tagebuch eines Verschollenen“ ist ein wirklich bemerkenswerter Liederzyklus. Die Orchestrierung von Johannes Schöllhorn lässt das typische Idiom des Komponisten klar zur Geltung kommen, obgleich Janáček selbst nur eine Fassung für Klavier, zwei Solostimmen und Frauenchor hinterlassen hat, wie ich las. Wird der Protagonist wohl für gewöhnlich von einem Tenor gesungen, übernimmt hier die Sopranistin den Part, auf den Frauenchor wird verzichtet. Aber unabhängig von Fragen der Instrumentation und zur Aufführungspraxis überträgt sich mit diesem Werk jene unverwechselbare Klangsprache und Harmonik des Tschechen, die mich bislang vor allem für seine Opern eingenommen haben.
Dieser melancholische, oft regelrecht verwunschene, dabei aber immer ungemein ursprüngliche Charakter ist es, der Janáček einen besonderen Platz im Musikkosmos einnehmen lässt, Tradition und Volkstümlichkeit bei gleichzeitiger Beschreitung eines ganz eigenen Pfades in die Moderne. Gleich beim ersten Hören wird klar, dass die Partitur an Schönheiten reich bestückt ist – so beispielsweise die Passage vor dem Orchesterzwischenspiel, in der der Sopran von der Harfe begleitet wird oder natürlich der aufblühende Schluß. Die CD für ein tiefergehendes Studium ist bereits unterwegs.
Nicht minder anregend, wenn auch auf eine ganz andere Art, verhielt es sich mit dem zweiten, ohne Pause anschließenden Programmpunkt, der Komposition „Migrants“ von Georges Aperghis. Wurde das Thema der Entwurzelung bei Janáček durch das Zigeunerdasein verbildlicht, mit dem der Protagonist durch eine intime Verbindung in Berührung kam, so dass er schließlich die Scholle der bäuerlichen Gemeinschaft aufgibt, nähert sich Aperghis dem Topos der Ge- oder Vertriebenen durch einen scheinbaren textlichen Umweg. Dabei vermitteln die von ihm verwendeten Passagen aus Conrads Erzählung „Heart of Darkness“, fragmentarisch, schlaglichtartig montiert, eine beklemmende Vision des von sich und anderen entfremdeten Menschen.
Die musikalischen Mittel entfalten ihrerseits ein soghaftes Drama, das mehr als intensive physische Erfahrung denn traditionell gestaltete und zu rezipierende Vertonung einer literarischen Vorlage funktioniert. Rezitation, Sprechgesang, gesungene Laute, die mit dem teilweise regelrecht perkussiv eingesetzten Streichern eine faszinierende Symbiose eingehen, dazu das prägnante Schlagzeug, der weitgehende Verzicht auf tonale Strukturen – diese Musik mag manchen Gelegenheits-Konzertgänger verstört oder gar abgeschreckt haben, auf mich hatte das Werk eine wahrhaft fesselnde Wirkung. So etwas ist für mich zigmal ansprechender und zugänglicher als die Mathematismen Schönbergs, aber ebenso als die wohlig harmonisierten Klangrinnsale eines Arvo Pärt. Zeitgenössische Musik auf der Höhe der Zeit, inhaltlich wie formal.
Das Experiment der Familie links von mir, mal ein klassisches Konzert auf möglichst billigen Plätzen auszuprobieren, hat den Unglücklichen einen Schock fürs Leben verpasst und hoffentlich ein für alle Mal davon überzeugt, in Zukunft doch lieber einen höheren Betrag in Qualitätsunterhaltung zu investieren – Mario Barth wäre vielleicht eine valide Option. So musste man erst Janáček durchleiden, und als man dachte, schlimmer könne es wohl kaum kommen, kam Aperghis und marterte ihre armen, kleinen Hirne mit etwas, dass für sie nicht als Musik zu fassen war. Hilfloses Gequatsche und Rumgerutsche waren die Übersprunghandlungen der Wahl, konnten aber mit Bösen Blicken und verächtlichem Kopfschütteln weitgehend im Zaum gehalten werden. Spacken halt.
„Da können die ja auch nichts für“ hält der Vater für sich und seine Tochter fest, fasst damit seine hoffnungslose Ignoranz und Überforderung hübsch zusammen und beklatscht nach langem Zögern schließlich doch die Musiker auf der Bühne, dem Ort unsagbarer Schrecken.
9. April 2018
Gustav Mahler Jugendorchester – Vladimir Jurowski.
Elbphilharmonie Hamburg.
20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13
Béla Bartók – Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester Sz. 115
(Tamara Stefanovich – Klavier, Pierre-Laurent Aimard – Klavier)
(Pause)
Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65
Ich kann mich nicht erinnern, mit dem Bartók-Konzert zuvor jemals in Berührung gekommen zu sein, weder ausschnittsweise und ganz sicher nicht zur Gänze. Auch wenn ich kein ausgemachter Bartók-Fan bin, schaffen es seine Werke doch immer wieder, mich von der fraglosen Meisterschaft zu überzeugen, die ihnen in Sachen Konzeption oder Instrumentation innewohnt. Die persönliche Premiere heute war dann aber schon eine ungewohnt harte Nuss, zumal meine Konzentrationswilligkeit durch einen notorischen Nasenschnaubling arg auf die Probe gestellt wurde. Nichts desto trotz vermute ich, dass sich das Stück bei wiederholtem Studium sehr wohl, von einigen überaus interessanten Stellen – insbesondere im dramatischen ersten und ruhigen zweiten Satz – ausgehend, zu einem spannenden Ganzen für mich entwickeln kann. Auch gerade aufgrund der klanglichen Nähe zur sehr geschätzten Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta.
Nach der Pause tritt Herr Jurowski dann tatsächlich den unrühmlichen Beweis an, dass Schostakowitsch auf 13 E kein Garant für akustische Wonnen sein muss. Wenn das Konzert ein Gutes hatte, dann in der Vergewisserung, wie sehr mich diese Musik doch gleichermaßen fasziniert wie bewegt– nur leider nicht heute mit diesem Orchester unter dieser Leitung. Vielleicht lag es mit an der über das vorgeschriebene Maß angewachsenen Besetzung (unter anderem 10 Kontrabässe, jeweils vier Trompeten und Posaunen statt der notierten drei; fünf (?) statt vier Hörner etc.), dass das Klangbild sehr häufig die Schwelle zum Lärm ohne fokussierten Effekt überschritt. Aber auch wenn man das Orchester nach der Devise „alle kommen dran“ aufstellt, um möglichst vielen der jungen Leute das gemeinsame Erlebnis zu ermöglichen, sollte man als Dirigent schon ein Gespür dafür haben, wann man den Bogen überspannt. Zumal als designierter Petrenko-Nachfolger in München – nach dieser Leistung blicke ich noch wehmütiger auf das Jahr 2021. Dass man das Gustav Mahler Jugendorchester in der Elbphilharmonie durchaus glänzen lassen kann, hat Ingo Metzmacher im letzen Jahr (Link) bewiesen, heute lassen sich die Eindrücke eher unter gehobenes Mittelmaß zusammenfassen.
Die Defizite im Detail: Die Streicher enttäuschten am meisten – kein Samt, schwache, uninteressante Klangfarbe. So fällt beispielsweise die schwebende Begleitung des Englischhornsolos im ersten Satz ungewohnt nichtssagend aus, keine Spur von Transzendenz. Beim ruppige Beginn des dritten Satzes ist die Artikulation durchaus zupackend, dabei dennoch fahl. Zudem man nicht immer als Einheit auftritt – in diversen Momenten sind die ersten Violinen nicht zusammen. Die Holzbläser mit ihren bittersüßen Soli bleiben unauffällig, das Blech wirkt präsent, jedoch mit einer vulgären Note – könnte eigentlich als Kompliment gemeint sein, in der Wirkung heute allerdings eher forciert/plump. Die Posaunen trotzdem mit einigen beeindruckenden Momenten.
Nun zu Jurowski: das Hauptproblem mit ihm ist, dass er viel zu schnell zu laut wird, eine dynamische Differenzierung der Steigerungen und Ausbrüche findet kaum statt. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass der überfallartige Einsatz von schierer Lautstärke nicht als Dramaturgie zählt, zumindest nicht als intelligente. Im Ergebnis bekommt das Orchester die Kraft nicht auf die Straße, der Druck fehlt, die kolossalen Höhepunkte zerfasern in Krach. Des weiteren herrscht auch strukturell eher Einheitsbrei vor. Ich hätte nicht gedacht, dass man die Sogwirkung, die die stetige Entwicklung und unentrinnbare Steigerung des Kopfsatzes bietet, verfehlen könnte – doch, kann man.
Der zweite Satz ist einfach nicht präzise genug vorgetragen, die Artikulation nicht bissig genug – Jurowski verwechselt das allenfalls mit trockener Härte, dennoch bleiben Klangbild und Ablauf wischiwaschi. Dem maschinenhaften Beginn des dritten Satzes fehlt es ebenfalls an Schneid. Weniger Haudrauf, mehr Daumenschraube wäre gefragt. Hier und da greift der Herr Maestro dann doch dynamische Kontraste auf (Largo), aber selbst dann bleibt alles nur an der Oberfläche. Wenn Musik wie diese, die ungleich mehr als nur Musik ist, zu sehr nach Handwerk mieft, dann verliert sie ihre Fähigkeit, ein Stück Menschsein zu transportieren. Das heutige Konzert war ein Paradebeispiel, wie man diese Anklage gegen Leid, Unterdrückung und Unbarmherzigkeit zur leeren, lärmigen Hülle verkommen lassen kann. Ich bereue es zutiefst, diese Misshandlung in Ermangelung der Fähigkeit, sich einfach in Luft aufzulösen, erduldet haben zu müssen.
Béla Bartók – Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester Sz. 115
(Tamara Stefanovich – Klavier, Pierre-Laurent Aimard – Klavier)
(Pause)
Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65
Ich kann mich nicht erinnern, mit dem Bartók-Konzert zuvor jemals in Berührung gekommen zu sein, weder ausschnittsweise und ganz sicher nicht zur Gänze. Auch wenn ich kein ausgemachter Bartók-Fan bin, schaffen es seine Werke doch immer wieder, mich von der fraglosen Meisterschaft zu überzeugen, die ihnen in Sachen Konzeption oder Instrumentation innewohnt. Die persönliche Premiere heute war dann aber schon eine ungewohnt harte Nuss, zumal meine Konzentrationswilligkeit durch einen notorischen Nasenschnaubling arg auf die Probe gestellt wurde. Nichts desto trotz vermute ich, dass sich das Stück bei wiederholtem Studium sehr wohl, von einigen überaus interessanten Stellen – insbesondere im dramatischen ersten und ruhigen zweiten Satz – ausgehend, zu einem spannenden Ganzen für mich entwickeln kann. Auch gerade aufgrund der klanglichen Nähe zur sehr geschätzten Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta.
Nach der Pause tritt Herr Jurowski dann tatsächlich den unrühmlichen Beweis an, dass Schostakowitsch auf 13 E kein Garant für akustische Wonnen sein muss. Wenn das Konzert ein Gutes hatte, dann in der Vergewisserung, wie sehr mich diese Musik doch gleichermaßen fasziniert wie bewegt– nur leider nicht heute mit diesem Orchester unter dieser Leitung. Vielleicht lag es mit an der über das vorgeschriebene Maß angewachsenen Besetzung (unter anderem 10 Kontrabässe, jeweils vier Trompeten und Posaunen statt der notierten drei; fünf (?) statt vier Hörner etc.), dass das Klangbild sehr häufig die Schwelle zum Lärm ohne fokussierten Effekt überschritt. Aber auch wenn man das Orchester nach der Devise „alle kommen dran“ aufstellt, um möglichst vielen der jungen Leute das gemeinsame Erlebnis zu ermöglichen, sollte man als Dirigent schon ein Gespür dafür haben, wann man den Bogen überspannt. Zumal als designierter Petrenko-Nachfolger in München – nach dieser Leistung blicke ich noch wehmütiger auf das Jahr 2021. Dass man das Gustav Mahler Jugendorchester in der Elbphilharmonie durchaus glänzen lassen kann, hat Ingo Metzmacher im letzen Jahr (Link) bewiesen, heute lassen sich die Eindrücke eher unter gehobenes Mittelmaß zusammenfassen.
Die Defizite im Detail: Die Streicher enttäuschten am meisten – kein Samt, schwache, uninteressante Klangfarbe. So fällt beispielsweise die schwebende Begleitung des Englischhornsolos im ersten Satz ungewohnt nichtssagend aus, keine Spur von Transzendenz. Beim ruppige Beginn des dritten Satzes ist die Artikulation durchaus zupackend, dabei dennoch fahl. Zudem man nicht immer als Einheit auftritt – in diversen Momenten sind die ersten Violinen nicht zusammen. Die Holzbläser mit ihren bittersüßen Soli bleiben unauffällig, das Blech wirkt präsent, jedoch mit einer vulgären Note – könnte eigentlich als Kompliment gemeint sein, in der Wirkung heute allerdings eher forciert/plump. Die Posaunen trotzdem mit einigen beeindruckenden Momenten.
Nun zu Jurowski: das Hauptproblem mit ihm ist, dass er viel zu schnell zu laut wird, eine dynamische Differenzierung der Steigerungen und Ausbrüche findet kaum statt. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass der überfallartige Einsatz von schierer Lautstärke nicht als Dramaturgie zählt, zumindest nicht als intelligente. Im Ergebnis bekommt das Orchester die Kraft nicht auf die Straße, der Druck fehlt, die kolossalen Höhepunkte zerfasern in Krach. Des weiteren herrscht auch strukturell eher Einheitsbrei vor. Ich hätte nicht gedacht, dass man die Sogwirkung, die die stetige Entwicklung und unentrinnbare Steigerung des Kopfsatzes bietet, verfehlen könnte – doch, kann man.
Der zweite Satz ist einfach nicht präzise genug vorgetragen, die Artikulation nicht bissig genug – Jurowski verwechselt das allenfalls mit trockener Härte, dennoch bleiben Klangbild und Ablauf wischiwaschi. Dem maschinenhaften Beginn des dritten Satzes fehlt es ebenfalls an Schneid. Weniger Haudrauf, mehr Daumenschraube wäre gefragt. Hier und da greift der Herr Maestro dann doch dynamische Kontraste auf (Largo), aber selbst dann bleibt alles nur an der Oberfläche. Wenn Musik wie diese, die ungleich mehr als nur Musik ist, zu sehr nach Handwerk mieft, dann verliert sie ihre Fähigkeit, ein Stück Menschsein zu transportieren. Das heutige Konzert war ein Paradebeispiel, wie man diese Anklage gegen Leid, Unterdrückung und Unbarmherzigkeit zur leeren, lärmigen Hülle verkommen lassen kann. Ich bereue es zutiefst, diese Misshandlung in Ermangelung der Fähigkeit, sich einfach in Luft aufzulösen, erduldet haben zu müssen.
5. April 2018
Zyklus D „Große Stimmen“ – Juan Diego Flórez.
Elbphilharmonie Hamburg.
20:00 Uhr, Etage 15, Bereich J, Reihe 1, Platz 1
Wolfgang Amadeus Mozart –
Ouvertüre zu „La Clemenza di Tito“ KV 621„Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ aus: „Die Zauberflöte“ KV 620
„Si spande al sole in faccia“ aus: „Il re pastore“ KV 208
Ouvertüre zu „Don Giovanni“ KV 527
Christoph Willibald Gluck –
„L’espoir renaît dans mon âme“ und „J’ai perdu mon Eurydice“ aus: „Orphée et Eurydice“
Gaetano Donizetti –
„Ballabile“ und „Danza Militare“ aus: „Lucia di Lammermoor“
(Pause)
Jules Massenet –
„Je suis seul! ... Ah! fuyez, douce image“ aus: „Manon“
„Pourquoi me réveiller“ aus: „Werther“
Giuseppe Verdi –
Ballabile „La Primavera“ aus: „I Vespri Siciliani“
„Questa o quella“ und „Parmi veder le lagrima“ aus: „Rigoletto“
Ouvertüre zu „Alzira“
„Lunge da lei ... De’ miei bollenti spiriti“ und „O mio rimorso“ aus: „La Traviata“
Zugaben:
Willy Mattes – Deine Liebe ist mein ganzes Leben
Peruanisches Volkslied
Caetano Veloso – Cucurrucucú Paloma (Hable con Ella)
Gaetano Donizetti – „Pour mon âme, quel destin!“ aus: „La Fille du Régiment“
Agustín Lara – Granada
(Juan Diego Flórez – Tenor, NDR Radiophilharmonie / Leitung – Riccardo Minasi)
Natürlich bürgt der Name Juan Diego Flórez für Sangeskunst von Weltrang – nichts weniger wird in diesem Goette-Abo aufgetischt – aber ich hätte nicht gedacht, dass mich gerade dieses Konzert aus der Reihe so begeistern würde, wo das Repertoire des Peruaners doch nur marginal mit meinen Vorlieben überlappt. Aber wer braucht schon „seine“ Musik, wenn man dieser Stimme lauschen darf.
Dabei geriet der Start sogar noch etwas verhalten – die Gestaltung der Zauberflöten-Arie war nicht so ganz mein Fall, das Liedhafte kam fast etwas steif rüber. Vielleicht auch eine Frage des ungewohnten Sprachmetiers? Da geht doch nichts über Wunderlich. Ganz anders sah das jedenfalls schon bei der nächsten italienischen Mozart-Arie aus und erfuhr eine nochmalige Steigerung über Gluck zu Donizetti – dafür ist diese Stimme gemacht. Dieses Legato, dieser Schmelz, diese innige Wärme. Spannend auch der Unterschied zu Kaufmann was Volumen, Strahlkraft, das ganze Timbre angeht – eine „kleinere“ Stimme, aber eben perfekt für den Belcanto, mit süßem Schmelz und spielerischer Wendigkeit. Insbesondere bei Gluck und Donizetti merkt man zudem, welch großartiger Stimmdarsteller Flórez ist. Innige Seelenbilder in Sprachen, derer ich nicht mächtig bin – und die ich durch ihn doch verstehe. Schön: die Leute sind meist mucksmäuschenstill, die Konzentration wird selten gefährdet.
Die zweite, absolut unverhoffte Entdeckung des Abends: Herr Minasi ist eine Wucht am Pult. Knackig, leicht, wieselflink – durchweg sehr flotte Lesarten, die perfekt Verve und Esprit dieser Kompositionen transportieren. Ein wahrer Ohrenöffner: Seine Interpretation der Don Giovanni-Ouvertüre. ich bin halt kein Mozart-Experte und es wird sicher andere Dirigenten mit diesem Konzept geben und gegeben haben, aber das für mich absolut ungewohnt hohe Tempo gleich vom Start weg, lässt den düsteren Beginn wohl weniger mysteriös und bedrohlich wirken als z.B. bei Furtwängler, sorgt aber andererseits dafür, dass sich dieser viel besser, homogener in das Ganze fügt. Der Übergang zum schnellen Teil erfährt so einen deutlichen Energieschub, das Leichte, Vitale, Tänzerische wird betont – das war heute fast ein ganz neues Stück für mich.
Ein anderes Beispiel für Minasis Meisterschaft: die Donizetti-Festmusik – mit ordentlich Wumms vorgetragen, aber nicht lärmig, sondern schmissig, satt. Eleganz und Kraft. Die Radiophilharmonie Hannover hat ihren Anteil daran. Obgleich nicht perfekt (Präzision bei hohem Tempo, hier und da Wackler etc.), so doch absolut zuverlässig im Gesamtklang und in der Wirkung auf den Punkt. Darüber hinaus ist die Akustik-Wahrnehmung heute wieder sehr schön, präsent, ausgewogen – allein die Kombination Hörner plus Flórez’ Stimme – Balsam für die Ohren.
Mit dem Massenet nach der Pause kommen wir schließlich in kompositorische Gefilde, die mein Herz höher schlagen lassen. Was für eine Orchestration – die Einbindung der Orgel, der Glocken, der Harfe. Die Manon-Arie ist sehr vielversprechend – die Oper ist mir gänzlich unbekannt, die Arie aus dem bereits zweimal live bestaunten Werther bestätigt das Potenzial, welches dieser Komponist für mich besitzt. Wahrscheinlich tendierte mein Geschmack für diese Rollen doch eher zu einem Tenor mit mehr Stahl in der Stimme (und wieder ergibt der parallel im Kopf vollzogene Abgleich mit Kaufmann ein interessantes Wechselspiel), aber ungeachtet dessen, welchen Weg man bevorzugt, wandelt Flórez unbestreitbar auf den Pfaden der Vollendung.
Verdi mag mich insgesamt nicht so berühren, in Flórez’ Darbietung erfährt noch die banalste Humtata- und Drehorgelmusik ungeahnte Veredlung. Zumal der Mann scheinbar auf Knopfdruck voll in Text und Rolle eintaucht – davon zeugen auch seine launigen Anmoderationen, etwa wenn er dem Duca aus Rigoletto angesichts Emanzipation und #Metoo in der heutigen Zeit einen schweren Stand bescheinigt. Womit wir bei einem weiteren, äußerst wichtigen Faktor für Flórez’ Extraklasse und Erfolg wären: Der Mann kann Kraft seiner sympathischen Ausstrahlung und offenen Art einen Saal für sich gewinnen. Ich muss ihn unbedingt einmal auf der Theaterbühne erleben, ich glaube fest, dass er jeden Charakter mit Spielfreude und Herzblut verkörpert.
Heute waren es neben seiner atemberaubenden Kunst auch seine witzigen Einschübe und Anekdoten, die dem Sänger die Herzen des Publikums zufliegen ließen – etwa als er einmal fast den Einsatz des Dirigenten „crashte“, um doch noch etwas über das folgende Stück zu erzählen, und sich mit den Worten entschuldigte: „Sorry, i am crazy – too many high notes, you know ...“. Flórez plaudert über seine kosmopolitische Familie, begrüßt die kleine peruanische Schar im Publikum (mit einem Seitenhieb, dass man trotz aller Begeisterung für Fußball die WM im Sommer wohl doch nicht gewinnen werde), und das alles streut er mit leichter Hand ein, ohne das es bemüht oder gar anbiedernd wäre. Ein richtiger Kommunikator, möchte man sagen.
Als er dann die Zugaben nicht mit einer weiteren Arie, sondern den Zeilen „Deine Liebe ist mein ganzes Leben“ beginnend ein Ständchen für seine Frau zum Hochzeitstag anstimmt, sich dabei selbst auf der Gitarre begleitend, ist es um jedes romantische Herz im Saal geschehen. Die weiteren Stücke, zwei Lieder, eine Arie von Donizetti sowie der feurige Schlusspunkt „Granada“ demonstrieren noch einmal eindrucksvoll die Vielseitigkeit dieses Künstlers und seine ohrenscheinliche Liebe dazu, was Gesang in und für Menschen auslösen kann – sei mit einer einfachen Volksweise oder durch die Artistik der Spitzentöne.
Dabei geriet der Start sogar noch etwas verhalten – die Gestaltung der Zauberflöten-Arie war nicht so ganz mein Fall, das Liedhafte kam fast etwas steif rüber. Vielleicht auch eine Frage des ungewohnten Sprachmetiers? Da geht doch nichts über Wunderlich. Ganz anders sah das jedenfalls schon bei der nächsten italienischen Mozart-Arie aus und erfuhr eine nochmalige Steigerung über Gluck zu Donizetti – dafür ist diese Stimme gemacht. Dieses Legato, dieser Schmelz, diese innige Wärme. Spannend auch der Unterschied zu Kaufmann was Volumen, Strahlkraft, das ganze Timbre angeht – eine „kleinere“ Stimme, aber eben perfekt für den Belcanto, mit süßem Schmelz und spielerischer Wendigkeit. Insbesondere bei Gluck und Donizetti merkt man zudem, welch großartiger Stimmdarsteller Flórez ist. Innige Seelenbilder in Sprachen, derer ich nicht mächtig bin – und die ich durch ihn doch verstehe. Schön: die Leute sind meist mucksmäuschenstill, die Konzentration wird selten gefährdet.
Die zweite, absolut unverhoffte Entdeckung des Abends: Herr Minasi ist eine Wucht am Pult. Knackig, leicht, wieselflink – durchweg sehr flotte Lesarten, die perfekt Verve und Esprit dieser Kompositionen transportieren. Ein wahrer Ohrenöffner: Seine Interpretation der Don Giovanni-Ouvertüre. ich bin halt kein Mozart-Experte und es wird sicher andere Dirigenten mit diesem Konzept geben und gegeben haben, aber das für mich absolut ungewohnt hohe Tempo gleich vom Start weg, lässt den düsteren Beginn wohl weniger mysteriös und bedrohlich wirken als z.B. bei Furtwängler, sorgt aber andererseits dafür, dass sich dieser viel besser, homogener in das Ganze fügt. Der Übergang zum schnellen Teil erfährt so einen deutlichen Energieschub, das Leichte, Vitale, Tänzerische wird betont – das war heute fast ein ganz neues Stück für mich.
Ein anderes Beispiel für Minasis Meisterschaft: die Donizetti-Festmusik – mit ordentlich Wumms vorgetragen, aber nicht lärmig, sondern schmissig, satt. Eleganz und Kraft. Die Radiophilharmonie Hannover hat ihren Anteil daran. Obgleich nicht perfekt (Präzision bei hohem Tempo, hier und da Wackler etc.), so doch absolut zuverlässig im Gesamtklang und in der Wirkung auf den Punkt. Darüber hinaus ist die Akustik-Wahrnehmung heute wieder sehr schön, präsent, ausgewogen – allein die Kombination Hörner plus Flórez’ Stimme – Balsam für die Ohren.
Mit dem Massenet nach der Pause kommen wir schließlich in kompositorische Gefilde, die mein Herz höher schlagen lassen. Was für eine Orchestration – die Einbindung der Orgel, der Glocken, der Harfe. Die Manon-Arie ist sehr vielversprechend – die Oper ist mir gänzlich unbekannt, die Arie aus dem bereits zweimal live bestaunten Werther bestätigt das Potenzial, welches dieser Komponist für mich besitzt. Wahrscheinlich tendierte mein Geschmack für diese Rollen doch eher zu einem Tenor mit mehr Stahl in der Stimme (und wieder ergibt der parallel im Kopf vollzogene Abgleich mit Kaufmann ein interessantes Wechselspiel), aber ungeachtet dessen, welchen Weg man bevorzugt, wandelt Flórez unbestreitbar auf den Pfaden der Vollendung.
Verdi mag mich insgesamt nicht so berühren, in Flórez’ Darbietung erfährt noch die banalste Humtata- und Drehorgelmusik ungeahnte Veredlung. Zumal der Mann scheinbar auf Knopfdruck voll in Text und Rolle eintaucht – davon zeugen auch seine launigen Anmoderationen, etwa wenn er dem Duca aus Rigoletto angesichts Emanzipation und #Metoo in der heutigen Zeit einen schweren Stand bescheinigt. Womit wir bei einem weiteren, äußerst wichtigen Faktor für Flórez’ Extraklasse und Erfolg wären: Der Mann kann Kraft seiner sympathischen Ausstrahlung und offenen Art einen Saal für sich gewinnen. Ich muss ihn unbedingt einmal auf der Theaterbühne erleben, ich glaube fest, dass er jeden Charakter mit Spielfreude und Herzblut verkörpert.
Heute waren es neben seiner atemberaubenden Kunst auch seine witzigen Einschübe und Anekdoten, die dem Sänger die Herzen des Publikums zufliegen ließen – etwa als er einmal fast den Einsatz des Dirigenten „crashte“, um doch noch etwas über das folgende Stück zu erzählen, und sich mit den Worten entschuldigte: „Sorry, i am crazy – too many high notes, you know ...“. Flórez plaudert über seine kosmopolitische Familie, begrüßt die kleine peruanische Schar im Publikum (mit einem Seitenhieb, dass man trotz aller Begeisterung für Fußball die WM im Sommer wohl doch nicht gewinnen werde), und das alles streut er mit leichter Hand ein, ohne das es bemüht oder gar anbiedernd wäre. Ein richtiger Kommunikator, möchte man sagen.
Als er dann die Zugaben nicht mit einer weiteren Arie, sondern den Zeilen „Deine Liebe ist mein ganzes Leben“ beginnend ein Ständchen für seine Frau zum Hochzeitstag anstimmt, sich dabei selbst auf der Gitarre begleitend, ist es um jedes romantische Herz im Saal geschehen. Die weiteren Stücke, zwei Lieder, eine Arie von Donizetti sowie der feurige Schlusspunkt „Granada“ demonstrieren noch einmal eindrucksvoll die Vielseitigkeit dieses Künstlers und seine ohrenscheinliche Liebe dazu, was Gesang in und für Menschen auslösen kann – sei mit einer einfachen Volksweise oder durch die Artistik der Spitzentöne.
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