18. April 2018

Orgel pur – Jean Guillou. Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Jean Guillou – Improvisationen
Modest Mussorgski – Bilder einer Ausstellung / Bearbeitung für Orgel von Jean Guillou

(Pause)

Jean Guillou – La Révolte des Orgues op. 69 / für neun Orgeln und Schlagwerk

Zugaben:
Jürgen Geiger – Ständchen zum 88. Geburtstag von Jean Guillou
Johann Sebastian Bach / Marcel Dupré – Sinfonia aus der Kantate „Wir danken dir Gott, wir danken dir“ BWV 29

(Jean Guillou, Martin Baker, Roberto Bonetto, Winfried Böning, Bernhard Buttmann, Thomas Dahl, Jürgen Geiger, Roman Perucki, Juan de la Rubia – Orgel, Hélène Colombotti – Schlagwerk, Johannes Skudlik – Dirigent)



Wenn man den Abend seines 88. Geburtstags damit verbringt, in einer fremden Stadt im Ausland ein Konzert zu geben, muss man wirklich für die Musik leben. Die Orgelmusik, um genau zu sein, denn bei dem reizenden alten Herrn Guillou scheint sich wahrlich alles um die Königin der Instrumente zu drehen. In der Einführung teilt er seine Vision mit uns: eine modulare Orgel, die er am liebsten im Wald spielen würde. Oder vielleicht am Meer. Ebenso spannend wie amüsant Guillous Ausführungen zu seiner Paradedisziplin, der freien Improvisation: Das Thema selbst müsse nicht interessant sein, es komme einzig auf den Moment und die Ideen an, die ihm spontan kämen. Wer allerdings den Einfall zu seiner Komposition „Die Revolte der Orgeln“ hatte – ob er selbst oder der Dirigent Johannes Skudlik – das weiß er nicht mehr und lacht dabei herzlich.

Nachdem bereits der Moderator des Einführungsinterviews das Publikum zu einem Geburtstagsständchen animiert hatte, kam der Rest des Auditoriums auf den gleichen Gedanken, als Guillou die Bühne betrat, um sich dann abermals für den warmen Empfang zu bedanken. Das Konzert begann, wie in der Einführung angekündigt, mit einer Improvisation über zwei Themen, die dem Organisten erst am Spieltisch in einem versiegelten Umschlag übergeben wurde, um seine Spontanität tatsächlich auf die Probe zu stellen. Guillou stellte zuerst beide Themen einzeln vor – der Beginn der berühmten Melodie des Finalsatzes aus Brahms 1. Sinfonie und ein sehr einfaches Thema, das mir nichts sagte – um sie dann in seinem Stil zu verarbeiten. Nicht unbedingt leichte Kost für ungeübte Ohren.

Ganz anders hingegen seine Bearbeitung der Bilder einer Ausstellung, voller orchestraler Effekte und opulenter Ausschmückungen eher der Versuch einer Überbietung der Ravel-Version denn Übertragung des Klavierzyklus auf die Orgel. Definitiv beeindruckend, dennoch leider in seinem Schwierigkeitsgrad immer wieder die Hände seines Schöpfers an seine Grenzen und darüber hinaus bringend. Die Phrasierung mitunter verschwimmend, in schnellen Passagen kämpft Guillou hörbar mit der Geläufigkeit, verspielt sich des Öfteren, manche Läufe kommen dann allerdings wieder wie am Schnürchen. Die Transkription ist sehr virtuos (im großen Tor gehen bei all dem Gewusel fast das Hauptthema und die zwingende Harmonik der Vorlage unter), aber in jedem Fall facettenreich und passend (z.B. beim Ochsenkarren-Crescendo). Am Ende musste ich mir halt viel im Kopf zusammenbasteln, wie er es wohl eigentlich spielen wollte. Dreimal musste Herr Guillou beim Assistenten, der die Partitur bereithielt, spicken – trotzdem meinen größten Respekt vor dieser kolossalen Geistesleistung des beinahe Neunzigjährigen.

Für die Revolte der Orgeln nach der Pause wurden fünf kleine Orgeln um das Hauptmanual auf der Bühne postiert, dazu noch drei weitere auf den oberen Rängen verteilt. Das Werk selbst konnte ich zumindest nach dem ersten Hören nicht so recht greifen. Zu Guillous Kompositionsmerkmalen zählen repetitive Elemente, verzierungsartige Strukturen, das Ganze ist nicht melodiös, aber auch nicht komplett atonal. Echowirkungen, bei denen die Teilorgeln aufeinander reagieren, finden sich ebenso wie Passagen, in denen sich die einzelnen Instrumente ergänzen – der modulare Aspekt, der in der Einführung angesprochen wurde, scheint hier schon ansatzweise verwirklicht.

Zwei Zugaben rundeten das Konzert ab: Zuerst gaben die Mitorganisten ihrem Mentor das dritte Ständchen des Abends – eine Improvisation über „Happy Birthday“ ala Guillou – nicht ohne humoristische Wirkung, dieser musikalische Kontrast. Und ganz zum Schluß haut der gute alte Mann selbst noch einen raus: Nach all den Glückwünschen erwidert Guillou mit Bachs „Wir danken Dir Gott, wir danken Dir“. Und hier werden die alten Hände plötzlich wieder jung – die Orgel spielt ihn! Ein wahrhaft furioses, bewegendes Finale.