20. Dezember 2012

NDR Sinfonieorchester – Semyon Bychkov.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, 1. Rang rechts, Loge 9, Reihe 1, Platz 2 bzw. 3



Paul Dukas – L’apprenti sorcier „Der Zauberlehrling“
Maurice Ravel – Klavierkonzert Nr. 2 D-Dur „Klavierkonzert für die linke Hand“ (Kirill Gerstein)

(Pause)

Igor Strawinsky – Petruschka (Fassung von 1947)



Eine naive Frage: Was hat die Liebe zur Musik mit der Liebe zu einem Menschen zu tun? Speist sich diese wie jene aus ein und derselben Quelle? Oder handelt es sich um gänzlich verschieden gelagerte Regungen? Liebe. Das ist ja auch kein kleines Wort, trotz seiner Kürze. Wie heißt es doch so schön im Tristan – „dies süße Wörtlein: und“. Die Verbindung zweier Pole, um (auch mit sich selbst) eins zu werden. Mensch und Musik, Mensch und Mensch, eben besagte Pole. Mitunter vielleicht Universen.

Ach ja richtig, es gab ein Konzert. Mit dem Zauberlehrling kann man ein Orchester von seiner besten Seite zeigen – wenn es denn eine solche hat. Nein im Ernst, das war schon ziemlich gut – differenziert, kraftvoll, mitreißend. Auf den Ravel hatte ich mich am meisten gefreut. Was für ein traumhaftes Stück. Nebenbei bemerkt enthält dies Werk nahezu alles, wofür ich auch Britten liebe. Die Kontraste. Das Auftrumpfende, das Zarte, das Groteske. Und gerade an den Kontrasten hätte man heute noch etwas drehen können. Mehr Gewalt, mehr Mechanik, mehr von diesem spröden Charme des kauzigen Herzensbasken. An dem Solisten hat es wohl nicht gelegen. Beherzt, zupackend, energisch – so soll es sein. Womit wir der unendlichen Geschichte „Warum das NDR SO nicht mein Lieblingsorchester ist“ ein weiteres Kapitel hinzufügen könnten und eine passende Überleitung zum schwächsten Teil des Abends – Strawinskys Petruschka – gefunden wäre.

Warum schwächster Teil? Semyon Bychkov ist ein guter Dirigent, der ein Orchester offenbar zu inspirieren und motivieren weiß. Aber auch jemand wie er kann bestimmte Klangfarben des NDR nicht einfach umlackieren. Dabei sind in meinen Ohren nach wie vor nur die Bläser das Problem, genauer: das Blech. Und es ist ja auch nicht so, daß ich hier am laufenden Band Enttäuschungen erlebt hätte. Ich erinnere noch mal an die fantastische Peer Gynt Aufführung unter Hengelbrock oder die Pathétique mit Honeck. Wobei auch bei letztgenanntem Konzert das Blech nicht vollends zu überzeugen wußte. Doch zurück zum heutigen Abend. Ich muß dazu sagen, daß Petruschka in meiner Gunst weit hinter den geliebten Schlagern Feuervogel und Sacre zurückbleibt. Dieses ganze Drehorgel- und Volkston-Geschnetzelte macht aus struktureller Sicht einen Riesenspaß, spricht mich vom musikalischen Material her aber nicht wirklich an.

Und nun der Knackpunkt: Wenn dann z.B. Das Blech, als in diesem Stück äußerst virtuos und im wahrsten Sinne tonangebend gehandhabte Einheit nicht über entsprechende Klangfarben verfügt, bleibt der Spaß doch irgendwo auf der Strecke. Bestes Beispiel dafür war die Tuba – da interessiert mich nicht, ob der Solist die Töne trifft, es klingt einfach nach Nichts. Es mag von Arroganz zeugen, aber in einem derart virtuosen Stück möchte ich nicht, daß es sich bei den Einsätzen der Hörner und Trompeten so schrecklich nach Arbeit anhört. Ich möchte nicht bangen sondern genießen. Und um die Posaunen nicht auszulassen – weitgehend harmlos. Richtig, aber harmlos. Sehr schade, bedenkt man zumal den traumhaften Streicherklang, den dieses Orchester seit Jahren abruft. Irgendwie ermüdet mich dieses Thema nur noch. Aber ich versuche es halt immer wieder. Warum auch nicht. Ich hörte, Menschen ändern sich bisweilen – warum dann nicht auch ganze Orchester?

14. Dezember 2012

Der Rosenkavalier – Simon Rattle.
Staatsoper im Schillertheater Berlin.

19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16



1. Akt
Klassische Inszenierung ohne weitere Deutungsebene. Funktioniert. Barocke Garderobe. Große Toilette. Pomp. Damien Hirst Toten-Ballmaske als Anspielung auf die Vergänglichkeit. Ein schräger Kronleuchter. Allerlei verhaltensauffälliges Volk beim Lever. Der Sänger ohne Beine und leider auch ohne Schmelz. Lerchenauische Provinz-Raubritter, Leopold mit Joker-Mund. Die personifizierte Unberechenbarkeit, durch sein bloßes Auftreten sehr intensiv. Ein Zwerg statt einem Mohr, dieser bedient sich dann aber eines Servierwagens in Form eines Mohren. Aha.

Röschmann und Kozená umwerfend. Von Rattle mit Hilfe der farbgewaltigen, edlen Staatskapelle in höchste Verzückungssphären erhoben. Monolog der Marschallin von ergreifendster Sensibilität. Rose etwas verhalten – Erkältung. Andere unauffällig.

2. Akt
Kurzweilige Inszenierung. Die Chaostruppe derer von Lerchenau sorgt für Stimmung. Ein wunderbares Schlussbild: Leopold blickt in den Kristall des Cognacstöpsels. Hübsche Wandlung des Bühnenbildes durch die illuminierten Harnische. Putzig: Die Weltkugel-Minibar – so säuft ein Mann von Welt.

Peter Rose muß nun doch aufgeben. Jürgen Linn leiht ihm von der Bühnenseite seine Stimme, der Brite gibt szenisch weiterhin einen mireißenden Ochs. Schade, daß er nicht auch stimmlich glänzen konnte, aber sein Einspringer macht seine Sache mehr als gut – sehr dialektsicher und textverständlich.

Duett Kozená / Prohaska genial. Zartest. Eine phänomenale Live-Leistung. Für solche Qualität muß man sonst tief in die Plattenkiste greifen. Faninal sehr gut, Top-Organ und Wohlklang.

3. Akt
Scharade nett gemacht, trotzdem ist das nicht mein Humor. Theaterstadl. Ich wiederhole mich. Terzett und vor allem Duett am Ende himmlisch.

Ein ganz großes Lob noch mal an Rattle. Feinheiten, wie sie heute an der Tagesordnung waren, ist man sonst im Idealfall vielleicht aus Konzert und Studio gewohnt, gehören in der Oper jedoch zu den ersehnten Ausnahmen.


Richard Strauss – Der Rosenkavalier
Musikalische Leitung – Simon Rattle
Inszenierung – Nicolas Brieger
Bühnenbild – Raimund Bauer
Kostüme – Joachim Herzog

Die Feldmarschallin – Dorothea Röschmann
Der Baron Ochs auf Lerchenau – Peter Rose / Jürgen Linn
Octavian – Magdalena Kozená
Herr von Faninal – Michael Kraus
Sophie – Anna Prohaska
Leitmetzerin – Carola Höhn
Valzacchi – Torsten Hofmann
Annina – Anna Lapkovskaja
Ein Polizeikommissar – Tobias Schabel
Der Haushofmeister der Ferldmarschallin – Torsten Süring
Der Haushofmeister bei Faninal – Michael Smallwood
Ein Sänger – Stephan Rügamer
Eine Modistin – Narine Yeghiyan
Diener der Marschallin – Michael Markfort
Ein Notar – Tobias Schabel

Kinderchor der Staatsoper unter den Linden
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

9. Dezember 2012

Liederabend – Daniel Behle.
Laeiszhalle Hamburg, Kl. Saal.

19:30 Uhr, Parkett Mitte rechts, Reihe 10, Platz 8


















Franz Schubert – Die schöne Müllerin op. 25 / D795
Zugaben: Das Wandern / Am Feierabend / Ungeduld

(Daniel Behle – Tenor, Alexander Schmalcz – Klavier)



Wenn man in der U-Bahn nach Hause mit tauben Händen und pochendem Herzen sitzt, kann der Abend nicht ganz schlecht gewesen sein. Nun gibt es sicher generell schwächere Anwälte für die Musik als Schubert, aber selbst das Höchste will vermittelt werden. Und da kam heute Daniel Behle ins Spiel. Dachte ich anfangs noch, seine Stimme gerate neben dem allzu beherzt zupackenden Alexander Schmalcz etwas ins Hintertreffen, stellte sich doch sehr bald eine Balance zwischen beiden ein, die im Folgenden die Basis für einen Liederabend von größter Qualität und Intensität bildete.

Herr Behle besitzt eine dieser selten feinen, schlanken, dabei absolut durchsetzungsfähigen Tenorstimmen, mit denen der Liedvortrag zum lyrischen Triumph im doppelten Sinne wird. Wohlklang und Technik sind das eine, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zur Gestaltung in Dienste der zu transportierenden Botschaft – semantisch wie emotional – mindestens ebenso wichtig. Glücklicherweise fühlt man sich auch in dieser Beziehung beim Solisten des Abends sehr gut aufgehoben.

Und was hält dieser Zyklus für Momente bereit! „Der Neugierige“, „Tränenregen“ ... Allein die Vertonung der Zeile „Mein Schatz hat‘s Grün so gern“ in „Die liebe Farbe“ trägt in ihrem Changieren zwischen leidenschaftlicher Sehnsucht und bitterster Verzweiflung so viel leise Wucht im Herzen, daß es einen darüber fast zerreißen mag. Und dann der Schluß mit „Des Baches Wiegenlied“: „Blickt nicht herein, Blaue Blümelein! Ihr macht meinem Schläfer die Träume so schwer.“ Eine wissende, friedvolle Trauer um das Vergangene, ein gelöstes, gleichsam schwermütiges Erinnern, wie es vor allem dann bei Mahler wieder zu Tage treten sollte. Im Wissen um solche Musik liegt ein Trost, der schwer in Worte zu fassen ist.

5. Dezember 2012

Ensemble Matheus – Jean-Christoph Spinosi.
Laeiszhalle Hamburg

19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16



Georg Friedrich Händel – Der Messias

(Adriana Kucerova – Sopran, Sonia Prina – Alt, Topi Lehtipuu – Tenor, Christian Senn – Bass, les éléments)

Schneegestöber in Hamburg. Keine Lust, das Abokonzert wahrzunehmen. Man geht trotzdem hin. Wie oft schon hat sich ein erwartungsleerer Abend dann doch als Juwel entpuppt. Der heutige zeigte: Keine Regel ohne Ausnahme. Einen solchen Kampf aufs Blut mit dem Sandmann wünsche ich nicht dem schlimmsten Mozartfreund. Dabei machte die fesselnde Einführung – wieder mal brillant: Lars Entrich (geschliffen, informativ, anschaulich) – hoffen auf wahrhaft große Ereignisse. Groß war dann leider nur die Ernüchterung, es auch weiterhin frei nach Jochen Kowalski zu halten: „Ohne Händel kann ich leben.“

Und das lag sicher nicht an der Darbietung. Alle Faktoren sprachen für ein Spitzenkonzert – eben bis auf Händel. Welch ein Spielverderber! Orchester, Chor, Solisten, Dirigat – alles wunderbar, aber bis zur Pause lag mein Konzentrationsschwerpunkt eher darauf, nicht die Reise ins Traumland anzutreten. Für die zweite Halbzeit hatte ich mich dann gewissermaßen wachgestresst, es half aber trotzdem nicht weiter. Ich konnte mich zwar nun auf die Musik konzentrieren, begann jedoch, von stetig wachsender Langeweile in die Ecke gedrängt, aus Verzweiflung den Gesangstext mit- und das Ende förmlich herbeizulesen. Ist mir so noch nie passiert. Zumindest eine neue Erfahrung für mich.

Wie kann es nur in so vielen Noten so wenig Musik geben? Die Melodik? Die Harmonik? Schnarch! Und ständig diese nervtötenden Wiederholungen! Entweder war der Komponistennotstand auf der Insel weitaus ärger, als ohnehin immer kolportiert, oder die Briten haben nicht nur beim Essen eine niedrige Satisfaktionsschwelle. Wer solche Langweiler annektiert, hat sich das Mitleid der Musikwelt redlich verdient.

Fazit: Händels Messias mag tatsächlich Musik für die Ewigkeit sein – diese Erkenntnis wird mir jedoch für vermutlich selbige verschlossen bleiben, da ich nach dem heutigen Fiasko zukünftig einen großen Bogen darum zu machen gedenke. Luja sog i!