27. April 2019

Philharmonisches Staatsorchester – Kent Nagano.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 13, Platz 1



György Ligeti – Requiem für Sopran, Mezzosopran, zwei gemischte Chöre und Orchester

(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 2 c-Moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester »Auferstehungssinfonie«

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Arnold Schoenberg Chor
Staatschor Latvija
Sarah Wegener – Sopran
Gerhild Romberger – Alt
Dirigent – Kent Nagano



Das Ligeti-Requiem stellt das Elphi-Publikum auf eine harte Probe. Dem geneigten Filmfreund und Kubrick-Verehrer bieten sich genug vertraute Anklänge an Stücke wie „Atmospheres“, welches in „2001“ mit seinen unentrinnbar intensiven, scheinbar chaotischen Steigerungen des Stimmengewirrs die Spannung in der Szene der Menschwerdung, des überspringenden Funkens der Erkenntnis, zum regelrecht physischen Erlebnis ausreizt. Weniger cineastisch vorgeprägte Zeitgenossen ohne Ligeti-Sektion im CD-Regal haben es da sicher schwerer. Aber auch so müsste sich dem offenen Ohr die Konzeption des Werks erschließen, die unter anderem auf größtmögliche Kontrastwirkungen abzielt.

Extreme Sprünge in den Gesangslinien, extreme Dynamikunterschiede vom kaum hörbaren Surren zu gewaltigen, ja gewaltsamen Entladungen. Wenn ich mich auf den ersten uninformierten Blick vielleicht zu einer Kritik hinreißen lassen möchte, dann träfe es gerade dieses Beharren auf den Extremen, dem ein wenig der Mittelbau abzugehen scheint. Wie gesagt zumindest nach dem ersten Hören. Andererseits ist die daraus resultierende Extremwirkung, auch in den damit verbundenen Assoziationen, mehr als spannend: Ordnung – Chaos. Nichts – Alles. Intensität durch die An- und Abwesenheit des Klanges.

Auf intensive Eindrücke hatte ich mich auch im Hinblick auf die Darbietung der emotionalen Achterbahnfahrt gefreut, die mir Mahlers Koloss für gewöhnlich bereitet. Leider erwies sich Herr Naganos Lesart als nur bedingt kompatibel mit meinen Vorstellungen und Wünschen. Schon mit den ersten Takten im Schneckentempo wurde klar, dass die Apokalypse uns heute eher gemütlich ereilen würde. Mahler in Zeitlupe kann durchaus funktionieren – siehe Maazels Einspielung mit den Wienern – aber dann muss man eben auch mehr Detailtiefe aus der Partitur herausholen. Naganos Zugang auf Mahler entschärft in meinen Ohren all jene Kontrastwirkungen, gerade hinsichtlich Tempo und Ausdruck, welche diese Musik zu mehr als Musik werden lassen. Als sich der finale, absteigende Lauf des Kopfsatzes beinahe in Zeitlupe vollzog, musste ich unweigerlich schmunzeln – nicht die adäquate Reaktion nach diesem (potenziellen) unerbittlichen Ringen in Tönen. Das darf kein gemächlicher Schlußvorhang sein, eher ein Fallbeil, das herniedersaust.

Und so ging es mehr oder weniger spannungslos bis zum Finale weiter. Wobei, das stimmt nicht so ganz. Nach einem harmlosen zweiten Satz und einer zahnlosen Fischpredigt ließ das Urlicht endlich aufhorchen. Natürlich lag dies nicht zuletzt an Frau Rombergers bekanntermaßen berührender Stimme und Vortrag, aber auch die Begleitung durch Nagano schien durch das Erscheinen des menschlichen Organs beflügelt. Spätestens mit dem unmerklich einsetzenden Chor nahm der Abend dann die zu diesem Zeitpunkt bereits unverhoffte Wendung: Naganos Talent als Chorleiter trat zutage. Man kann es nicht anders sagen, in puncto Gesang kam nun eben jene Differenzierung ins Spiel, die ich bis dahin so schmerzlich vermisst hatte, und den Abend doch noch versöhnlich beschloss – mit einer zumindest kleinen (Wieder-)Auferstehung also, auf das Pult bezogen, und der Hoffnung auf ähnliche Sangesinspiration auch außerhalb der Staatsoper.

23. April 2019

Orgel pur – Isabelle Demers.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Inspiration Venedig

Johann Sebastian Bach – Concerto a-Moll BWV 593
Andrea Gabrieli – Un gai berger aus »Canzoni alla francese«
Richard Wagner / Edwin Henry Lemare – Vorspiel und Liebestod aus »Tristan und Isolde«

(Pause)

Jean Guillou – Concerto d-Moll nach Vivaldi
Tomaso Albinoni – Triosonate d-Moll op. 1/1
Igor Strawinsky – Drei Tänze aus Petruschka
(Bearbeitung für Orgel von Isabelle Demers)

Zugabe:
George Thalben-Ball – Variations on a Theme by Paganini



Thomas Cornelius weiß einfach, wie man eine Einführung macht – in launigem Plauderton erfolgt die durchaus unterhaltsame Vorstellung des Instruments. Grundlegendes über den Aufbau, die Register, die Einsatzmöglichkeiten. Und weil er diese Art des Orgel-Crashkurses offenbar vor jedem Konzert der Reihe gibt, um vor allem Neulingen eine Druckbetankung zu liefern, variiert er den Schluß der Präsentation und stellt als Bonus für die Abonnenten jeweils eine besondere Pfeifenart und ihre Wirkungsweise vor.

Es folgt ein kurzes Gespräch mit der Organistin des Abends. Es geht um Hamburg als Orgelstadt (die Hauptkirchen und ihre Instrumente), sowie den Umstand, dass sich das Programmtitel stiftende Venedig weniger mit solch einem Titel rühmen darf. Der Grund dafür ist ebenso interessant wie verblüffend: Die Entwicklung der Orgel in Italien endete Mitte des 17. Jahrhunderts. Bezüge des Programms werden angesprochen, wobei Frau Demers erfrischend unverblümt klarstellt, dass es ihr in erster Linie darum ging, möglichst viele Facetten der Elphi-Orgel zeigen zu können. Sie lobt den warmer Klang, und gibt augenzwinkernd zu, dass sie als Orgel-Begeisterte die Realität der von ihr wohl gewöhnlich bespielten US-Konzertsäle nicht unbedingt als Maßstab sieht.

Randnotiz: Während sich der Saal vor dem eigentlichen Konzert langsam füllt, kann man wieder einmal ein besonders knuffiges Eumel-Verhalten studieren: Man „testet“ die Akustik mit einem Klatschen oder Schnalzen. Da erkennt man gleich den Klang-Experten.

Zu den Stücken. Bach: klein und fein. Gabrieli: hier legt Frau Demers eine irre Geläufigkeit an den Tag – ein erstes Ausrufezeichen. Wagner: Das Schwellwerk ermöglicht auf beeindruckend organische Weise ein crescendo/decrescendo, die Steigerungen zeigen hier auch im stufenweisen Zünden ihre Wirkung. Frau Demers absolut Wagner-geeignet, Timing, Phrasierung, alles passt. Nach der Pause geht es virtuos weiter, bis man sich schließlich beim Strawinsky ebenso ungläubig wie geflasht fragt, was man denn bitte noch alles aus diesem Instrument hervorzulocken vermag – nur damit einem die folgende, irrwitzige Pedalorgie der Paganini-Variationen darauf prompt eine Antwort gibt, welche die Zuhörer offenen Mundes oder von Ohr zu Ohr grinsend mit tosendem Applaus honorierten.

3. April 2019

Zyklus D „Große Stimmen“ – Philippe Jaroussky.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich J, Reihe 1, Platz 1













Francesco Cavalli 


– Sinfonia zum Prolog der Oper „Ercole amante“
– „Ombra mai fu“ / Arie des Xerse aus der Oper „Il Xerse“
– „Corone, ed Honori“ / Arie des Ciro aus der Oper „Il Ciro“
– Sinfonia aus der Oper „Ercole amante“
– „Negatemi i respiri“ / Lamento des Ciro aus der Oper „Il Ciro“
– „Perfida dove fuggi?“ und „Amor, ti giuro Amor“ / Rezitativ und Arie des Orimeno aus der Oper „Erismena“
– Sinfonia aus der Oper „Eliogabalo“
– „Erme e solinghe Cime“ und „Lucidissima face“ / Rezitativ und Arie des Endimione aus der Oper „Calisto“
– Sinfonia aus der Oper „Doriclea“
– „Che città“ / Arie des Nerillo aus der Oper „L’Ormindo“
– Sinfonia zur Oper „L’Orione“
– „Dove mi conducete“ und „Uscitemi dal cor, lagrime amare“ / Rezitativ und Arie des Idraspe aus der Oper „Erismena“

(Pause)

– Sinfonia aus der Oper „Egisto“
– „Delizie, contenti“ / Arie des Giasone aus der Oper „Il Giasone“
– „Quest’è un gran caso“ / Arie des Vafrino aus der Oper L’Ipermestra“
– Sinfonia aus der Oper „Il Giasone“
– „Ohimè, che miro?“ / Lamento di Apollo aus der Oper „Gli amori d’ Apollo e di Dafne“
– „Il diletto interrotto“ und „Desia la verginella“ / Rezitativ und Arie des Erino aus der Oper „La vitù de’ strali d’Amore“
– „La bellezza è un don fugace“ / Arie des Eumene aus der Oper „Il Xerse“
– Sinfonia aus der Oper „Ercole amante“
– „Io resto solo?“ und „Misero, così va?“ / Rezitativ und Lamento des Alessandro Cesare aus der Oper „Eliogabalo“

Biagio Marini – Passacaglia à 4 op. 22

Francesco Cavalli – „All’armi mio core“ / Arie des Brimonte aus der Oper „La statira, principessa di Persia“

Zugaben:

Claudio Monteverdi – Si dolce è’l tormento (so süß ist mein Leiden)
??? – Ich bin der Glücklichste
??? – Cupido-Arie

(Ensemble Artasarse, Philippe Jaroussky – Countertenor)



Eine dumme Frage: wie kann es sein, dass mitten im Programm ganz oben hinter der Bühne munter diskutiert wird, wer auf wessen Platz sitzt und ob man sich umsetzen muss? Vorschlag: Nachträglicher Einlass sollte generell unterlassen werden – wer zu spät kommt, den ... merkste selber.

Für Phillipe Jaroussky würde ich so manches ausgewachsene Sinfoniekonzert stehen lassen. Man könnte meinen, die Elbphilharmonie sei für seine Stimme entworfen worden, so makellos, so unmittelbar überträgt sich der überirdische Gesang im großen Saal, ob direkt oder indirekt schallend. Das putzige „Che città“ nutzt Jaroussky, um sich wirklich jedem Eckchen zuzuwenden – hat sich mittlerweile wohl herumgesprochen, dass das gut beim Publikum ankommt. Die Arie „Uscitemi dal cor, lagrime amare“ des Idraspe direkt vor der Pause gehört zum Zartesten, das ich je aus einem Mund, ob Männlein oder Weiblein zugehörig, vernehmen durfte. Dieses Diminuendo! Eigentlich ist das ja nicht wirklich meine Musik – ok, das Stück an sich ist definitiv schon anrührend, aber in dieser Darbietung macht mich das einfach fertig.

Die Konzeption des Programms beinhaltet immer wieder Instrumentalwechsel der Holzbläser, viel Schlagwerkeinsatz, wahrscheinlich auch, um die Aufmerksamkeit für die eher nur Spezialisten geläufigen Stücke hoch zu halten. Die Konzentration im Saal ist dementsprechend gut, war aber beim letzten Besuch (Link) noch etwas besser.

Fazit: Gäbe es ein eigenes Jaroussky-Abo, ich würde es sofort buchen.