20. Dezember 2019

Orgel pur – Iveta Apkalna.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



César Franck – Pièce héroïque h-Moll M 37
César Franck – Prélude, fugue et variation h-Moll M 30 op. 18 /
6 Pièces d'Orgue
Louis Vierne – Sinfonie Nr. 3 fis-Moll op. 28 für Orgel (Auszüge)

(Pause)

Camille Saint-Saëns / Alexandre Guilmant – Marche héroïque
Es-Dur op. 34
Charles-Marie Widor – Sinfonie Nr. 5 f-Moll op. 42/1

Zugabe:
Naji Hakim – Étude-Caprice »alla russa« / aus:
Quatre Ètudes-Caprices pour Orgue pédalier solo

(Iveta Apkalna – Orgel)



Einführung wie immer sehr interessant, obgleich sich Herr Cornelius in der Absicht ein klein wenig verfranste, die Besonderheiten der Französischen Orgelmusik des 19. Jahrhunderts und gleichzeitig die Elbphilharmonie Orgel möglichst umfassend vorzustellen. Ich fand’s gut, auch wenn es schon sehr ins Detail ging.

Franck: Piece Heroique immer noch ein Knaller. Vielleicht hier bezogen auf die Dynamik nicht ganz so differenziert präsentiert, wie ich es kennengelernt habe, aber definitiv mit dem nötigen Schmackes am Schluss.

Vierne: Der bekannte Unbekannte – hab ich das Stück etwa auf CD, oder nur andere Werke von ihm? Unbedingt auch den ersten Satz noch mal anhören. Der zweite keck, verschroben, tänzerisch, mit Walzerelementen, die entfernt an Ravel erinnern – schräg. Der dritte sehr intensiv, Parallelen zu Wagner, Liebestod-Steigerung – heftig. Der vierte virtuos-wuchtig, die Rhythmik nicht immer ganz klar zu erfassen, trotzdem sehr beeindruckend.

Saint-Saens: Der Marsch pustet mit seiner forschen, dahinpreschenden Art die Pausenlethargie hinfort, dabei überaus eingängig. Der ruhige Mittelteil hält dann delikat inne, ehe der Drive des Anfangs zurückkehrt und das Stück brillant beschließt. Könnte auch einer Opernszene à la „Einzug der Gäste“ sehr gut zu Gesicht stehen.

Widor: Über die abschließende Toccata ist bereits alles gesagt worden, ich persönlich höre die Sinfonie am liebsten in Gänze. Mein Lieblingssatz ist vielleicht der erste, wie es sich in Variationen immer weiter entwickelt und türmt. Besonders die Verschiebungen in der Harmonik gegen Ende bereiten mir jedes Mal Gänsehaut. Das anschließende Allegro cantabile schafft mit seiner nachdenklich-wehmütigen Stimmung einen schönen Kontrast zur Wucht des Kopfsatzes. Sein Mittelteil öffnet dann noch mal eine ganz andere Tür im Kosmos – gütig, lieblich, in sich ruhend, mit der Assoziation von Vogelrufen. Das Andantino verströmt für mich etwas Stolzes, Erhabenes, die Steigerung in seinem schnellen Teil ist wie ein Weckruf. Das Adagio wiederum verströmt Wärme und Geborgenheit pur – gewisse Karfreitagszauber-Vibes sind nicht von der Hand zu weisen. Und die Toccata – ist eben die Toccata. Besser kann man ein solches Werk und einen solch gelungenen Orgelabend wohl nicht beschließen.

Doch halt, Frau Apkalnas Zugabe hatte es ebenfalls in sich – in den Füßen, um genau zu sein. Der Saal tobte ganz zu Recht.

12. Dezember 2019

NDR Elbphilharmonie Orchester – Krzysztof Urbański.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 4, Platz 19 



György Ligeti – Atmosphères
Jean Sibelius – Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47
(Joshua Bell)

Zugabe des Solisten:
Frédéric Chopin – Nocturne Es-Dur op. 9/2

(Pause)

Mieczysław Weinberg – Sinfonie Nr. 3 op. 45



Zur Abwechslung mal ein anderes Gesicht bei der Einführung – kein Wunder, ist es doch meine erste NDR-Einführung seit Ewigkeiten. Herr Hodeide gibt zu jedem Werk eine Kurzvorstellung des Komponisten inklusive zeitlicher Einordnung sowie knapper Strukturanalyse. In dieser beleuchtet er neben den Aufbau auch kompositorische Besonderheiten, die dazu herangezogenen Musikbeispiele sind schlüssig gewählt und setzten den wohl eher wenigen vertrauten Weinberg in Verwandtschaft zum allbekannten Schubert. Darüber hinaus machen sie Lust auf das Werk, ohne zu viel vorwegzunehmen. All das präsentiert Hodeige ohne Umschweife, einzig vielleicht eine Spur zu mechanisch, wobei er beispielsweise Fachtermini stets im gleichen Atemzug erläutert – hier und da eine kleine Anekdote würde dem Ganzen wahrscheinlich gut tun – Stichwort persönliche Note.

Ligeti: Hoffnungsschimmer – Top-Klang, sehr kluge Dynamikregelung, generell sehr leise, gefällt mir ausgesprochen gut (Ohne Metrum kann Urbanski ...), Intonation weitgehend rein, das An- und Abschwellen funktioniert tadellos. Respekt, sehr verblüffende Wirkung. Für solche Werke wurde die Elbphilharmonie gebaut, leider gibt es kein adäquates Publikum dafür.

Sibelius: Klanglich weiterhin prima, auch hier sehr leise Grundlautstärke. Aber die Interpretation leider spannungslos. Es zieht sich – das sollte es nicht. Bell auch nicht so mein Fall: zu wenig Feuer, recht brav, nicht immer intonationsrein. Zugabe spricht Bände: Schmalz pur mit seiner eigenen Chopin-Version (Nocturne): Kitsch, süßlich-klebrig und ein bisschen Lamettagirlanden zum Schluss – und alle sind begeistert. Fast wie bei Rieu.

Weinberg: kein abschließendes Urteil. Sätze 1 und 2 aufs erste Hören wenig beeindruckend – gefälliger Schostakowitsch. Eingängig, lieblich, weniger komplex – bisschen Unterforderung. Adagio-Beginn auch eher seicht, dann aber mit deutlich intensiverer Entwicklung. Düsterer, spannungsgeladen. Finale auch kein happy Rausschmeisser, irgendwie ernster, fordernder. Hier und da interessante Instrumentierung. Der Klang überzeugt auch hier, einzig das Dirigat sieht schlimm aus, funktioniert aber.

Fazit: Ein ganz netter Abend.

4. Dezember 2019

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen –
Paavo Järvi. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 3, Platz 6 



Johannes Brahms – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15 
(Igor Levit)

Zugabe des Solisten:
Franz Schubert – Allegretto As-Dur aus: Moments musicaux D 780

(Pause)

Joseph Haydn – Sinfonie Es-Dur Hob. I/103 »Mit dem Paukenwirbel«

Zugabe:
Ludwig van Beethoven – Allegro molto e vivace aus:
Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21



Herrn Levit beim Klavierkonzert gewissermaßen auf dem Schoß, bzw. als staunendes Äffchen auf der Schulter zu sitzen, mag den akustischen Gesamteindruck vielleicht in subjektivere Gefilde gelenkt haben als sonst, erwies sich jedoch angesichts der sich dadurch ergebenden fokussierten Innensicht auf sein Ausnahmekönnen als äußerst gute Wahl. In Kombination mit Järvis gewohnt knackiger Lesart, durch die er mit seiner Kammerphilharmonie an gleicher Stelle Brahms bereits einer symphonischen Frischzellenkur unterzog (Link), wurde auch diese verkappte Sinfonie mit obligatem Klavierpart zur energischen Offenbarung.

Wilde Entschlossenheit, mürrischer Ernst, ja Verzweiflung wechseln sich im Kopfsatz fast sprunghaft mit zarter Wehmut und Versonnenheit ab. So extrem als emotionale Achterbahnfahrt habe ich diesen Satz wohl noch nicht erlebt – ein ausgesprochen mitreißender, berührender Ansatz. Das Konzept starker Kontraste im Ausdruck setzt sich dementsprechend auch satzübergreifend fort, vom kolossalen Ersten über den kontemplativen Zweiten zum furiosen Kehraus des Finales. Wenn es einem dann noch vergönnt ist, von der Hingabe und Leidenschaft, die Levit in dieses Werk investiert, aus nächster Nähe beschienen zu werden, weiß man, spürt man, wie viel diese Musik zu geben vermag. Die Schubert-Zugabe ist wie ein süßes Versprechen auf weitere wunderbare Klavierabende.

Nach der Pause „lediglich“ den Haydn zu bekommen, hatte mich im Vorfeld ehrlicherweise nicht unbedingt in Verzückung versetzt. Aber selbst ein Banause wie ich kommt nicht umhin, die Klarheit, die Frische, den Verve im Umgang mit dieser Musik dankbar zur Kenntnis zu nehmen, welche Järvi dem alten Schinken entlockt. Überhaupt Järvi, der Schelm – macht Faxen, blickt angesichts imitierter Vogelrufe in der Partitur scheinbar irritiert gen Saaldecke, dreht sich mit hochgezogener Augenbraue zum Publikum um. Und das alles – wie auch immer er das macht – ohne aufgesetzt oder affig zu wirken. Gewissermaßen spiegelt er nur das Gewitzte Haydns, ohne jedoch aus dessen Musik eine Show zu machen. Eine pfeilschnelle Beethoven-Zugabe beschließt diesen ungetrübt labenden Abend.