23. Februar 2018

Der Phantastische Äther –
Portrait Hans Jürgen von der Wense.
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal.

19:30 Uhr, Reihe 8, Platz 11


Hans Jürgen von der Wense – Musik für Klarinette, Klavier und freihängendes Blechsieb.
Hans Jürgen von der Wense – Musik für Klavier I-V
Gustav Mahler – Wenn mein Schatz Hochzeit macht
Hans Jürgen von der Wense – Musik für Gesang I-III
Hugo Ball – Totenklage
Hans Jürgen von der Wense – „Ich hatt’ einen Kameraden“ Groteske für Klavier
Erwin Schulhoff – aus: „Ironien“ für Klavier vierhändig, bearbeitet für Violine, Klarinette und Klavier von Steffen Schleiermacher (UA)

(Pause)

Hans Jürgen von der Wense – Zwei Lieder nach William Butler Yeats
Ferruccio Busoni – Elegie für Klarinette und Klavier
Hans Jürgen von der Wense – Musik für Klavier Nr. 13
Arnold Schönberg – Phantasy for Violin and piano accompaniment
Eduard Erdmann – „Foxtrott“ für Klavier, bearbeitet für Violine, Saxophon und Klavier von Steffen Schleiermacher (UA)
Steffen Schleiermacher – Zwei Lieder mit Texten von Hans Jürgen von der Wense (UA)

(Erik Schäffler – Sprecher, Holger Falk – Bariton, Steffen Schleiermacher – Klavier und Blechsieb, Andreas Seidel – Violine, Matthias Kreher – Klarinette und Saxophon)



Ging meine Erwartungshaltung an das Konzert eher in die Richtung „Klassik für Nerds“, kennt meine Begeisterung für diesen weniger wunderlichen als vielmehr sehr informativen Abend keine Grenzen. Zum einen ist es sicher kein Schaden, die illustre Persönlichkeit von der Wenses in Worten und Klängen kennengelernt zu haben. Darüber hinaus war es das Verdienst der Konzeption des Konzerts, einen lebhaften Einblick in eine unsagbar spannende Zeit zu gewähren, der sich nicht auf das rein Musikalische erschöpfte. Man hat zumindest eine Ahnung davon erhalten, wie sehr die Künstler nach Weltkrieg und Untergang der monarchistischen Ordnung Mitteleuropas auf der Suche nach Neuem waren.

Neuen Formen des Ausdrucks, sicher auch als Reaktion auf die nun als gescheitert empfundenen Mittel der „Guten, alten Zeit“. Umso faszinierender das daraus resultierende Spannungsfeld, etwa in von der Wenses Kritik an Strauss und besonders Mahler, dessen „blaue Augen“ im Liedgut von der Wenses bezeichnenderweise trotzdem wieder Verwendung finden. So wie bei Mahler die Wunderhornromantik eine Erinnerung an eine verlorene Zeit darstellt, die es wohl so nie gegeben hat, eher als emotionales Konzept zu verstehen ist, kann auch der „Modernist“ von der Wense letztendlich doch nicht aus seiner Haut als Poet und Romantiker, welche Mittel er auch wählen mag.

Das Programm spannt einen vielseitigen Bogen über von der Wenses Werk und das seiner Zeitgenossen, häufig flankiert durch vertiefende Bemerkungen und Zitate des Künstlers über sich und seine Kollegen. Musik- und Geschichtsunterricht, wie er involvierender nicht sein könnte. Und noch einmal – welche Vielzahl an Strömungen und Ideen in dieser Zeit doch herrschten. Anklänge an die Tradition einerseits, das Streben nach radikalen Neuerungen, ja neuen musikalischen Systemen oder gar die Aufgabe derer andererseits. Zwölftonmusik, Einflüsse des Jazz und anderer „schwarzen Musik“, als Stilmittel immer wieder Ironie, Groteske bis hin zum (scheinbaren) Nonsens.

Gleich die ersten Klänge der Musik von der Wenses für Klarinette, Klavier und Blechsieb lassen meine Antennen irritiert zurück – Musik oder Mumpitz? Aber unmittelbar mit seinen Klavierstücken stellt sich ein anderes, verblüfftes Gefühl ein: was für eine spannungsgeladene Musik, kein Stochern im luftleeren Raum, sondern ein Spiel mit konkreten, teils vertrauten, teils fremd wirkenden Harmonien, die den Äther wahrlich fantastisch auszuloten scheinen. Und welch ein Kontrast dazu dann die beiden Lieder, die er nach 45 geschrieben hat – einfach, geradezu volksliedhaft.

Dass man neben dem Musiker von der Wense auch eine Menge über den Dichter und Denker, den Naturfreund und Wanderer und immer wieder über den Zeitgenossen erfährt, scheint mir angesichts der mannigfaltigen Begeisterungsfähigkeit dieses Mannes nur legitim, ja unausweichlich. Sich für etwas oder jemanden begeistern – warum sonst sollte man das Ganze schließlich auf sich nehmen? Daran hat sich bis heute wenig geändert.

10. Februar 2018

Jolanthe – Valery Gergiev.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12 Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Jolanthe / Lyrische Oper in einem Akt op. 69 – Peter Iljitsch Tschaikowsky
(konzertante Aufführung)
Musikalische Leitung – Valery Gergiev

Jolanthe, blinde Königstochter – Irina Churilova
Vaudémont, ein burgundischer Ritter – Najmiddin Mavlyanov
Robert, burgundischer Herzog – Alexei Markov
René, provenzalischer König – Stanislav Trofimov
Ibn-Hakia, maurischer Arzt – Roman Burdenko
Bertrand – Yuri Vorobiev
Alméric – Andrei Zorin
Brigitta, Jolanthes Freundin – Kira Loginova
Laura, Jolanthes Freundin – Yekaterina Sergeyeva
Martha, Jolanthes Amme – Natalia Yevstafieva

Chor und Orchester des Mariinski-Theaters


Leistungsschau St. Petersburg in Hamburg, oder: Herr Gergiev kann es einfach. Nach dem beeindruckenden Gastspiel mit seinem Münchner Orchester (Link) setzt der Chef des Mariinski in dieser Funktion noch einen drauf, indem er heute gewissermaßen die Quadratur des Kreises schafft – der perfekte Opernabend, ganz ohne Opernhaus.

Hatte ich im vergangenen Jahr bereits das Glück, mich in St. Petersburg an der Ausnahmequalität des Mariinski-Theaters (Link) berauschen lassen zu können, gelingt es Gergiev und seinen Musikern, die sicher nicht von Haus aus dankbare Akustik des großen Saales in vollendeter Weise zu nutzen, wie ich es zumindest von diesem Platz aus noch nicht erlebt habe. Sorgte die geringe Distanz zur Bühne auf 12 D mitunter schon für ein sehr direktes, ja schroffes Klangerlebnis, erringt Gergiev mit seinem Orchester einen Triumph des Wohlklangs. Feinste Nuancen, butterweiche, ansatzlose Klangwogen vom zartesten Pianissimo bis zum sattesten Tutti-Ausbruch, dabei nie die Sänger zudeckend.

Und ja, die Sänger. Was bleibt einem viel über solch ein Ensemble zu sagen. Einer der raren Glücksmomente, wo selbst die Nebenrollen mit Kapazitäten besetzt sind, die den Begriff Weltklasse mehr als rechtfertigen. Das Wiedersehen mit Roman Burdenko, der mir bereits bei meinem St. Petersburger Besuch aufgefallen war, steht hierfür exemplarisch. Verkörperte er im Boris Godunow den sinisteren Jesuiten so ungemein fesselnd, nutzt er diesmal die Nebenfigur des maurischen Arztes, um nachhaltig im musikalischen Gedächtnis zu bleiben. Seine Arie, eine Art stetiges drohendes Crescendo, gehört fraglos zu den Höhepunkten des Abends.

Obwohl fairerweise gesagt werden muss, dass dieser Abend reich an Höhepunkten war, orchestral wie sängerisch. Nahezu jeder Charakter erhält von Tschaikowsky zumindest eine ausladende Solostelle, und jeder der Künstler nutzt seine oder ihre Arie heute wirklich mit Bravour – sei es der König/Vater in seiner Sorge um die Tochter oder Robert in draufgängerischem Überschwang. Von den beiden Sängern des Traumpaares ganz zu schweigen. Die szenische Umsetzung des Ganzen in festlicher Abendgarderobe gelingt darüber hinaus ausgesprochen gut – kein Rampengestehe, sondern darstellerisches Sich-Versenken in die Rollen. Auch dies hat sicher zur Intensität der Aufführung beigetragen. Das (mir gänzlich unbekannte) Werk selbst schlägt zudem auf Anhieb in seinen Bann und wartet mit einer Vielzahl von Schönheiten auf, von lyrischen Miniaturen bis zum großen Jubel-Finale mit Chor.

Fazit: Mariinski in der Elphi – ein Abend zum Träumen und Staunen.

8. Februar 2018

Liederabend – Diana Damrau, Jonas Kaufmann.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich J, Reihe 1, Platz 1


Hugo Wolf – Italienisches Liederbuch
Zugaben:
Robert Schumann – Unterm Fenster op. 34/3 / Vier Duette
Felix Mendelssohn Bartholdy – Gruß op. 63/3 / Sechs zweistimmige Lieder

(Diana Damrau – Sopran, Jonas Kaufmann – Tenor, Helmut Deutsch – Klavier)


So richtig traumhaft wurde es trotz des Traumpaares Damrau/Kaufmann dann leider doch nicht. Was in erster Linie wohl den Liedern selbst geschuldet ist, die mich überraschend kalt ließen. Dabei hatte ich das Italienische Liederbuch immer als eine von Wolfs besten, zumindest bekanntesten Schöpfungen abgespeichert. Scheinbar bin ich nicht der einzige Banause – die Lieder sind beim Publikum offenbar nicht bekannt und ernten eher höflichen Beifall. 

An der Konzeption des Abends liegt das wohl nicht. Die Lieder sind in der Reihenfolge so angepasst, dass ein erzählerischer Spannungsbogen entsteht, der es dem Sängerpaar gestattet, auch in darstellerische Interaktion zu treten. Viel Mimik und Gestik wird betrieben, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen, teilweise ein bisschen simpel, scherenschnittartig, aber insgesamt sicher förderlich, um bei der Stange zu bleiben. Zudem sind die Lieder in vier stimmungsgemäße Abteilungen unterteilt, die durch Frau Damraus wechselnde Schultertücher visuell angekündigt werden. Erst Grün, dann Rosa, dann Schwarz und schließlich das unvermeidliche Rot – wenig überraschend, dass mir das schwarze Viertel mit Abstand das interessanteste schien. Das letzte Stück daraus – „Sterb’ ich, so hüllt in meine Glieder“ – von Herrn Kaufmann unnachahmlich dargeboten, war für mich der innige Höhepunkt des Abends.

Frau Damrau beeindruckt vor allem mit leisen, hohen Tönen, hinterläßt insgesamt aber nicht den nachhaltigen Eindruck wie erhofft. Die Akustik ist prima, Timbre und Textverständlichkeit übertragen sich bei beiden ideal – nur Dumme lesen da im Programmheft mit. Helmut Deutsch wie gewohnt genial, der Flügel kommt auch sehr schön rüber – vielleicht besser als von 12 C bei Oppitz, wenngleich Deutsch auch keine Orchesterkonkurrenz zu fürchten braucht. Mit den Zugaben wird schließlich das abwechselnde Hin und Her der Sänger aufgebrochen – zwei waschechte Duette von Schumann und Mendelssohn Bartholdy runden das Konzert ab.

6. Februar 2018

Symphoniker Hamburg – Stefan Soltész.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich C, Reihe 1, Platz 3


Nikolai Rimski-Korsakow – Capriccio espagnol op. 34
Edward Elgar – In the South op. 50

(Pause)

Johannes Brahms – Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83
(Gerhard Oppitz)


Das war heute leider nicht so prall, der akustische Eindruck durchweg problematisch. Beim Rimski-Korsakow sehr dröhnend, Bass-lastig, dazu ein unangenehmes Bläserübergewicht, selbige relativ schroff, der Gesamtklang inhomogen. Aber das Stück ist sehr dankbar, mitreißend, zum Ende hin mit ordentlich Knack drin, obwohl das Timing nicht immer perfekt war. Feuer und Knalleffekte kommen aber immer gut bei der Zuhörerschaft an.

Elgar: leicht verbesserte Wirkung (Gewöhnungssache?), beim Forte/Fortissimo sind die Streicher doch gut zu hören, trotz enormem Blech und Schlagwerk. Das Stück kommt wie ein Westentaschen-Heldenleben daher (wenige Jahre danach komponiert ...). Der Beginn sehr positiv, optimistisch gestimmt, bisschen Meistersinger auch, zwischendurch viele lyrische Holzbläserpassagen, ein aufsteigendes antithetisches Motiv (Blech) sehr bruckneresk (Achte? Neunte? Welche?). Soltész mit umsichtiger dynamischer Regulierung, dennoch unter dem Strich etwas unbehauener klanglicher Gesamteindruck.

Brahms: Besetzung deutlich reduziert (eher Kammerphilharmonie als Gergiev), insbesondere weniger Bläser und Schlagwerk, aber auch Streicher – trotzdem bleiben die 6 Bässe. Zum Werk selbst: Nicht mein Konzert. Weder von den Themen, noch von der Stimmung her. Ausgenommen vielleicht der dritte Satz, bzw. Teile dessen. Das Finale gar nicht meins ... heiter beschwingt – die Höchststrafe. Oppitz prima, aber ohne denkwürdigen Eindruck. Die Musik wirkt bei geschlossenen Augen noch entfernter. Alles seltsam heute.

Soltész bestätigt meine bisherigen Erfahrungen mit ihm – guter Handwerker, aber Welten entfernt von Tates Klangmagie. Oppitz hatte mich 2006 in der Laeiszhalle schon mal schwer beeindruckt, heute war dafür trotz theoretischer Bestposition zu viel Distanz.

Fazit: Cambreling, bitte kommen!