13. Dezember 2018

NDR Elbphilharmonie Orchester – Herbert Blomstedt.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Ludwig van Beethoven – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 
Es-Dur op. 73 (Emanuel Ax)
Zugabe: Schubert?

(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73



Das Phänomen Blomstedt – auch mit mittlerweile 91 Jahren immer noch verblüffend flott unterwegs. Der Gang auf die Bühne vielleicht eine Spur steifer im Rücken (kann ich mir auch eingebildet haben) als 2017 in Berlin (Link), am Pult jedoch weiterhin mit beneidenswerter physischer Präsenz – Der Mann hat Übersicht und läßt keinen Zweifel daran, dass er die Zügel mit gütiger Mine aber fest im Griff hat. Auch das Beethoven-Dirigat selbst ist mit Berlin vergleichbar – sehr rund und elegant, mir persönlich jedoch etwas zu gemütlich. Doch gerade dynamisch absolut ausgefeilt, facettenreich, das Orchester klingt sehr gut, sehr homogen. Generell heute erst mal nichts zu meckern. Im Gegenteil: die Hörner richtig gut! Die Akustik auf 15 M ist immer noch nicht mein Fall, aber immerhin transparent – tiefes Horn als Grund für den Solisten im dritten Satz war mir so noch nie aufgefallen. Ax passt dabei prima zu Blomstedt, ebenfalls rund, phänomenales Legato und butterweicher Anschlag – auch und gerade in der Zugabe.

Eine Prise Pausen-Rassismus: Das alte Klischee „Asiaten spielen technisch perfekt, jedoch ohne Seele“ erfreut sich in Teilen der Hamburger Bildungselite ungebrochener Beliebtheit. So erfuhr man ungewollt über Lang Lang: „Da können sie auch einen Automaten hinstellen“ Jawoll! Deutsche Leitkultur über alles in der Welt!

Aber zurück zu echten Leitbildern. Über Blomstedts Mimik und Gestik allein ließe sich ein Essay zum Thema ansteckende Lebensfreude verfassen. Über den jungendlichen Schwung seines Handkantendirigats. Über die freudig-erwartungsvollen Blicke an seine Mitstreiter, wenn er ihnen ihre Einsätze gibt. Oder über seine typische Geste beim Herauspicken der verdienten Solisten für den Applaus: eine Mischung aus Winken und Segnen der Musiker. Wer mit über 90 noch so intensiv Freude an Musik zu vermitteln und offenkundig zu erleben imstande ist, darf wahrlich gesegnet genannt werden.

Kein Segen ist leider mein Aboplatz. Habe ich bereits oft mit ihm gehadert, wurde die problematische Akustik heute nach der Pause noch einmal schlagartig klar. Offenbar ist die Verstärkung von der Beethoven- zur Brahms-Instrumentation alles andere als förderlich (u.a. 8 statt 4 Bässe). Der runde Klang weicht einem harten, kalten, zudem fällt er auseinander. Die Bläser dominieren die Streicher, letztere – eigentlich das Prunkstück des NDR – klingen dünn und kalt. So z.B. die Celli am Anfang des zweiten Satzes gespenstisch matt. Das Blech dafür lärmend, Horn leider nun auch mit ein paar Unsicherheiten (u.a. Solo zweiter Satz), Trompeten mit Patzer zum Satzschluss. So macht große Sinfonik einfach keinen Spaß, ich hoffe, dass ich meinen Platz zur neuen Saison endlich umtopfen kann.

Dafür gibt es beim Brahms, wahrscheinlich auch angeregt durch die gute Einführung, unerwartet spannende Bezüge zu Mahler zu entdecken. Eigentlich unverständlich, dass mir das nicht schon früher aufgefallen ist, schließlich gehören die Sinfonien des Hamburger Jung nicht gerade zu den seltenen Exoten in den Konzertprogrammen und die auch in der Einführung angesprochene Leihgabe der „Naturlaut“-Intervalle aus dem Finale, mit denen Mahlers Erstling beginnt, stellt ein mir seit Jahr und Tag bekanntes Kuriosum dar. Viel spannender als diese einzelne zitathafte Stelle schien mir heute allerdings die ganze Faktur der Zweiten, welche – wenn man so will – Brahms konzeptionell viel näher an Mahler heranrückt, ja ihn in gewisser Weise durchaus als Vorgänger auf charakterlicher Ebene erscheinen lässt.

Ich muss gestehen, dass ich gemeinhin mit der Zweiten am wenigsten anfangen konnte, gerade nach dem ersten Kennenlernen schien sie mir ungleich uninteressanter, ja seichter als die von Dramatik nur so durchzuckte Erste. Das ist natürlich eine dumme Einschätzung, aber zum Glück muss man ja nicht unbedingt (ganz) dumm bleiben. Was mir immer mehr, und heute eben wieder mit Macht aufgeht, ist die Ambivalenz, die in dieser Sinfonie verborgen (oder halt für Blitzmerker offenkundig) ist. Nehmen wir einmal beispielhaft den dritten Satz, namentlich die Holzbläser, im Besonderen die Oboe: Ihr Auftreten wirkt zuerst beschaulich, gemütlich, dann jedoch mindestens in gleichem Maße melancholisch, fast sentimental.

Die Ton gewordene wehmütige Erinnerung, die bei Mahler so oft anzutreffen ist und deren Vorläufer ich immer eher bei Schubert gesehen habe – hier findet sich ein ergreifender Vorgriff beim „absoluten“ Musiker Brahms. Gut, über die Unsinnigkeit, von absoluter und programmatischer Musik in klar abgrenzbaren Kategorien zu sprechen, hatte ich mich sicher bereits oft genug ausgelassen, das würde hier den Rahmen sprengen. Vielleicht liegt auch keine Wahnsinnserkenntnis darin, diesen Bezügen zwischen den beiden (zumindest stilistisch) scheinbar grundverschiedenen Komponisten nachzuspüren, aber für mich war das heute frappierend, gewissermaßen vom privaten Ringen bei Brahms zum Weltringen bei Mahler.

10. Dezember 2018

Zyklus D „Große Stimmen“ – Cecilia Bartoli.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich J, Reihe 1, Platz 1


Antonio Vivaldi:

Allegro / erster Satz aus „La Primavera“ op. 8 Nr. 1 RV 269
Quell’augelin / Arie der Silvia aus „La Silvia“ RV 734
Non ti lusinghi la crudeltade / Arie des Lucio aus „Tito Manlio“ RV 738
Gelosia, tu già rendi/ Arie des Caio aus „Ottone in villa“ RV 729
Allegro / dritter Satz aus „La Primavera“ op. 8 Nr. 1 RV 269
Vedrò con mio diletto / Arie des Anastasio aus „Il Giustino“ RV 717
Allegro non molto / erster Satz aus „L’Estate“ op. 8 Nr. 2 RV 315
Sol da te mio dolce amore/ Arie des Ruggiero aus „Orlando furioso“ RV 728
Adagio und Presto / zweiter und dritter Satz aus
„L’Estate“ op. 8 Nr. 2 RV 315
Se lento ancora il fulmine/ Arie der Zanaida aus „Argippo“ RV 697

(Pause)

Zeffiretti che sussurrate / Arie der Ippolita aus
„Ercole su’l Termodonte“ RV 710
Allegro /erster Satz aus „L’Autunno“ op. 8 Nr. 3 RV 293
Ah fügte rapido / Arie des Astolfo aus „Orlando furioso“ RV 728
Allegro / dritter Satz aus „L’Autunno“ op. 8 Nr. 3 RV 293
Gelido in ogni vena/ Arie des Farnace aus „Farnace“ RV 711
Allegro non molto / erster Satz aus „L’Inverno“ op. 8 Nr. 4 RV 297
Se mai senti spirarti sul volto / Arie des Cesare aus
„Catone in Utica“ RV 705
Largo und Allegro / zweiter und dritter Satz aus
„L’Inverno“ op. 8 Nr. 4 RV 297

Zugaben:
Georg Friedrich Händel – Mi deride ... Desterò /
Rezitativ und Arie der Melissa aus »Amadigi di Gaula« HWV 11
Wolfgang Amadeus Mozart – Voi che sapete che cosa è amor / Sagt,
holde Frauen / Arie des Cherubino aus »Le nozze di Figaro« KV 492
Ernesto de Curtis – Non ti scorda di me
Agostino Steffani – A facile vittoria

(Les Musiciens du Prince-Monaco, Gianluca Capuano – Dirigent, Andrés Gabetta – Violine, Cecilia Bartoli – Mezzosopran)



Bartolis Stimme absolut rund, nie keifig, selbst in der heftigsten „Aggression“ nicht. Die Koloraturen fließen (obwohl ich diese Musik weiterhin nicht besonders mag). Auch nicht das übliche Ältliche wie bei manchen Mezzos. Eindeutig DiDonato überlegen, viel feiner, perfekt nuanciert. Mit den anderen Solisten bin ich nicht so zufrieden, ob Holz oder Violinist hapert es hier und da doch mit der Intonation – oder sind das historische Instrumentenaltlasten?

Respekt vor der Dramaturgie des Programms, nahtlose Übergänge auch zu den Instrumentalstücken, Flöte und Oboe als Gesangspartner, Einstieg in die jeweiligen Arien. Die Jahreszeiten als Rückgrat ebenfalls clever gewählt, weil es so immer wieder bekannte Oasen gibt. Die Arien sind – so schön sie sein mögen – doch Spezi-Kost. Und die „Show“ ist ganz ohne Mätzchen packend, ein knackiges Dirigat und eine mal energische, mal berührende Sängerin, mehr braucht es nicht. Auch hier kann manche „Diva“ noch lernen.

Lustiger Stimmungswandel beim Pärchen neben mir: Von „Vivaldi – oh, wie schön!“ bis nervöses Sitzgerutsche und gelangweiltes Händchenhaltsuchen in weniger als einer Stunde. Eumel bleiben eben Eumel, vom Zappelphillip-Opa schräg rechts hinter mir ganz zu schweigen. Schade, da die Konzentration im Saal sonst nahezu vorbildlich ist, kein Vergleich zu Levit (Link).

Was DiDonato mit Pathos versucht, macht die Bartoli mit Herz. Die Dame ist ultrabeliebt beim Volk. Zurecht, was für ein Talent. schade, dass sie das falsche Repertoire besetzt :) Aber im Ernst, sehr interessanter Ansatz: einerseits ein Raritätenprogramm, gehaltvoll, ernst, und dann diese vier Zugaben:

1. Koloraturwettstreit zwischen Oboe, Trompete und Bartoli, 2. etwas Schlichtes (gemein gesagt Seichtes), was alle kannten – Rossini? (ne, war Mozart) 3. eine Kanzone? Schmalz triumphiert! 4. Arie und Duell Trompete/Bartoli inklusive Gershwin-Einschub (Jazztrompete/ Summertime). Und dann die Nummer mit der Glitzer-Weihnachtsmütze ... sowas kommt an. Die Leute ticken aus.

Also die meisten. Wenn Deine Loge nach der dritten Zugabe bis auf Dich selbst leer ist, weißt Du, wie sehr deine Umsitzenden Musik lieben ... Egal, was zählt, sind diese beiden Hammerarien nach der Pause. Diese Innigkeit, Zartheit, Pianissimo. Und bei der zweiten die Verwandtschaft zum Winter ... und dann der Übergang zum wirklichen Winter – genial. Gabetta durchaus krass virtuos, nur die Sache mit der Intonation bleibt seltsam.

Sollte Schule machen: Eumel-Klatschen durch die nahtlose Stringenz des Programms (fast) unmöglich. Auch keine zig „Vorhänge“, Frau Bartoli lässt sich nicht lang bitten – Zack, kommen die Zugaben.

Fazit: Selten hat mich ein Konzert mit Musik, die mich nicht wirklich interessiert, derart begeistert.

6. Dezember 2018

Klavierabend – Igor Levit.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, 1. Rang rechts, Loge 8, Reihe 2, Platz 6


Johannes Brahms – Ciaconna aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 
von Johann Sebastian Bach
Ferruccio Busoni – Fantasia nach J.S. Bach BV 253
Robert Schumann – Geistervariationen Es-Dur WoO 24

(Pause)

Franz Liszt – Feierlicher Marsch zum heiligen Gral aus »Parsifal« 

(Wagner) S 450
Ferruccio Busoni – Fantasie und Fuge über den Choral
»Ad nos, ad salutarem undam« S 259 von Franz Liszt (Meyerbeer)

Zugabe: Schumann?



Die ebenso verblüffende wie traurige Erkenntnis des Abends: Das Publikum in der Laeiszhalle ist (mittlerweile?) ebenso von ignorantem Pack durchsetzt wie die dafür oft von mir gescholtene Kundschaft der Elbphilharmonie. Wow, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet – die mieseste Atmosphäre, die ich seit langem in einem Konzert, selbst und vor allem auch Soloabend, zu erleiden hatte. Die ganze Klaviatur (!) der Asozialitäten und Unmusikalismen in geballter, komprimierter Form bereits bis zur Halbzeit weidlich ausgereizt. Huster im Sekundentakt, ach was, regelrechte pulmologische Exzesse, vom verendenden Röcheln bis zur schleimgeballten Eruption, ein vollendet durchgehaltener Klingelton, später ein weiteres pianissimo-zerschneidendes Handy-Signal, diverses Lehnengeballer und strategisch günstigst platziertes Gedönsfallenlassen, abgerundet durch alle Feinheiten der nervösen Zappelphillipperei in besonders ruhigen Momenten – all dies machten den von Dante sträflich ausgelassenen Kreis der Hölle durch akustische Folter perfekt, der dummerweise von der uneingeschränkt beeindruckenden pianistischen Leistung untermalt wurde, die ich mir nach München (Link) von Igor Levit erhofft hatte.

Jener hatte eine Werkauswahl im Gepäck, welche ich mir in ihrer programmatischen Wucht nicht beeindruckender hätte erträumen können. Gerade für mich als Opern-Freak im Allgemeinen und Busoni-Fan im Besonderen war diese Zusammenstellung ein Geschenk, bzw. hätte es werden können, wenn, ja wenn ... Umso frustrierender, da der Vortrag des Russen an diesem Abend kaum zu toppen sein dürfte. Und welch eine Leistung, in diesem Banausenmoloch als Solist alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen zu lassen – sieht man von Levits fassungslosem Kopfschütteln ab, als ein weiteres Handy das Verklingen eines Werkes jäh durchschnitt. Was könnte man heute nicht alles über pianistische Feinheiten fabulieren, über die überlegene Technik und Ausdruckskraft Levits ins Schwärmen geraten, doch leider ist mir heute ganz und gar nicht zum Schwärmen, denn zum Kotzen zumute. Dieses Publikum ist wirklich eine Schande für Hamburgs Kulturszene.

These: Die Elbphilharmonie bringt mehr Menschen in klassische Konzerte, auch in die Laeiszhalle, aber leider die falschen. Das hat gar nichts mit „Erfahrung“ oder „Überforderung“ zu tun – auch wenn ich noch nie im Sternerestaurant gespeist hab, komme ich als an die Gebräuche der allgemeinen Koexistenz herangeführter Mensch nicht auf die Idee, die Füße auf den Tisch zu legen. Wer sich beim Klavierabend nicht ruhig zu verhalten weiß, ist nicht weniger asozial und gehört je nach „Leiden“ entweder ins Lungensanatorium, die Nervenheilanstalt oder gleich zum Silbereisen. Immer wieder verblüffend: beim virtuosen Flügelgedonner des Liszt/Busoni/Meyerbeer-Finales wird seltsamerweise nicht mehr gehustet – da ist dem Künstler dann die Aufmerksamkeit selbst des letzten Akustik-Analphabeten gewiß.

Es war aber auch alles am Start. Eines der Highlights war zweifellos ein alter Klassiker: der Bonbonauswickler in Zeitlupe. Durchaus mit inhaltlichen Bezügen zur dadurch geschändeten Parsifal-Weihfestspiel-Verzückung – zum Raum wurde hier die Zeit, wenn auch ein grundweg hässlich eingerichteter. Ansonsten wie gesagt das Hauptproblem des Abends eine akustische Dichtung in der Nachfolge Liszts, frei nach Strauss: Tod und Verwesung. Allerdings fast noch schlimmer als jene Hustinettenbären sind die, die sich darüber hörbar echauffieren (um dann selbst sein Programmheft lautstark fallen zu lassen und nach ihm rumzusuchen), oder der verhinderte Kulturattaché hinter mir, der zwar um das Privileg weiß, in einer Probe einen leeren und somit stillen Saal genießen zu dürfen, trotzdem selbst aber die dummen Husterer als seines Zeichens dümmste Sau im Stall gut hörbar kommentiert.

Ab einem gewissen Zeitpunkt – man hat erkannt, das es zwecklos ist, dem musikalischen Fortgang konzentriert Folge leisten zu wollen – nimmt man verbittert aber leise (!) ganz neue Möglichkeiten der Instrumentation wahr. Das Handyfernorchester beispielsweise. An Mahlers Wirken ohrenscheinlich angelegt, funktioniert es doch gewissermaßen umgedreht: erst laut im Saal, dann ein einzelner trockener Schicksals-Hammerschlag der Sitzlehne, dann langsam beim Raustraben aus dem Saal verlöschend, nach dem Zufallen der Türe noch eine Weile von draußen zu vernehmen, jetzt leise, aber durchaus noch prägnant – ein Ton gewordenes Symbol für die Erinnerung an die gute alte (respektvolle) Zeit, die es so wahrscheinlich doch nie gab.

Einschub Funkuhren: Welcher Musikliebhaber kann eine Funkuhr besitzen, also so ein Ding, welches zu jeder vollen Stunde das Signal einer weiteren (überstandenen?) Stunde von sich gibt. Ich werde es wohl nicht mehr verstehen.

Wahrscheinlich sind das ganz wichtige Menschen, die immer und überall über alles informiert sein müssen, zur Not auch per Piepton. Überhaupt gehen scheinbar nur ganz wichtige Menschen ins Konzert, zumindest sind es solche, die ihre eigene Existenz klar über jene der anderen Beteiligten stellen. Wie der Herr, der in seinem Hustenanfall zumindest anstandshalber (aber natürlich doch ohne Anstand – knallende Lehne muss sein!) den Saal verlässt. Jedoch wenig später, die Loge in gleißendes Licht hüllend, selbige wieder betritt, erst hinten stehend, um dann schließlich doch bei laufendem Konzert seinen Platz an der Sonne in der ersten Reihe wieder einzunehmen, den er mit seiner Störung mehr als verwirkt hat. Das Ego der Leute. Ich, ich ich. Das gleiche Bild nach dem Konzert an der Garderobe: (Hauptsächlich alte) Menschen ohne Benehmen, die zur Mantelausgabe drängeln, als ginge gleich der letzte Zug ins Paradies. „Lassen Sie mich durch, ich bin Ar ... mleuchter!“

Dabei hätten diese armseligen Kulturtouristen doch ganz ergriffen oder beseelt nach Hause schweben müssen, wenn sie ein aufnahmefähiges Herz dafür besäßen, was Herr Levit da heute für sie veranstaltet hat. Für mich war der Abend – trotz der katastrophalen Umstände – nichts weniger als eine Wiedererstehung des Virtuosenkonzerts, vielleicht im Geiste Liszts – die Faszination des Virtuosen, bei der es aber um mehr geht als Technik und Artistik am Flügel – die Architektur der Überwältigung, durchaus mit dem Element der physischen Einwirkung und Berauschung, im Lauten wie im Leisen, im Schnellen wie im Langsamen, im Klingenden wie im Unhörbaren. Bestimmte einzelne Momente, das Wissen um die Möglichkeit dieser Intensität, trösten ein wenig darüber hinweg, ihre vollständige Einlösung heute nicht erfahren zu haben.