19:00 Uhr, Block Q, Reihe 5, Sitz 25
Ludwig van Beethoven – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4
G-Dur, op. 58 (Igor Levit)
Zugabe des Solisten: Beethoven? Variationssatz?
(Pause)
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur
Der Gasteig und ich werden wohl keine Freunde mehr werden. Nachdem sich heute abermals die akustischen Defizite des (viel zu) großen Saales bemerkbar machten und darüber hinaus von einer äußerst befremdlichen Attitüde des Personals akkompagniert wurden, welche irgendwo zwischen überfordert, argwöhnisch belehrend oder schlichtweg ungastfreundlich anzusiedeln war, bin ich doch mehr als froh, dieses herrliche Orchester in schöner Regelmäßigkeit in der heimischen Philharmonie-Alternative bewundern zu dürfen. Vielleicht bringt ein Sitz mit weniger Outsorcing-Feeling, irgendwo auf halbem Wege zwischen Bühne und dem Hang, der noch nicht einmal das Ende der platztechnischen Fahnenstange bedeutet, sich aber dennoch meilenweit vom Geschehen anfühlt, eine Verbesserung, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob sich weitere Experimente in dieser Scheune lohnen und man nicht einfach abwarten sollte, bis sich München ebenfalls zu einem vernünftigen Konzerthaus durchgerungen hat. So bleibt erst einmal die Erinnerung an ein großartiges Konzert unter kleinartigen Bedingungen. Man ist nicht allein zu weit von der Bühne entfernt, als dass ein Fortissimo auch wie ein solches bei einem ankommen könnte, der übertragene Ton ist zudem durchweg stumpf und breiig ohne jede Brillanz, so dass sich gerade Feinheiten lediglich als Ahnung übertragen und eine transparente Wirkung des Orchestergefüges nahezu ausgeschlossen ist. Aber genug der Schelte, selbst diese maue Akustik konnte einer nahezu perfekten Darbietung kaum etwas anhaben.
Nachdem Maestro Jansons seine Teilnahme an diesem und weiteren Konzerten seines Orchesters aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, ließen mich Umbesetzung und Programmänderung doch weiterhin auf einen großen Abend hoffen. Der Verzicht auf Mahlers eher selten gespielte Siebte mag im ersten Moment ein kleiner Dämpfer gewesen sein, doch wenn man Mahler ersetzt, dann am besten mit Mahler, und natürlich ist auch Beethoven als Beifang nicht zu verachten. Manfred Honeck genießt seit dem Mahler-Geniestreich mit seinen Pittsburghern in der Laeiszhalle (Link) mein höchstes Vertrauen und vermochte jenes heute auf beeindruckende Art aufzufrischen. Mit Igor Levit konnte ich endlich einmal einen Künstler erleben, von dem ich zwar bereits viel Gutes gehört hatte – ihn selbst jedoch nicht. Die Kombination Honeck/Levit sollte sich dabei als ideal erweisen.
Während der Einspringer vom Pult aus für eine enorm konstrastreiche Lesart des Partitur sorgte und eine flotte Interpretation mit oftmals knackig-scharf konturiertem Ausdruck gestaltete, ergänzte sich dies vortrefflich mit dem überaus zarten Anschlag des jungen Russen – am eindringlichsten im zweiten Satz zu beobachten, in dem die mit größtmöglicher Schroffheit, ja Aggressivität vorgetragenen Eingaben der Streicher vom Solisten auf das Zarteste, Behutsamste beantwortet wurden. Dabei ist Honeck beileibe kein Brutalisnki, wovon beispielhaft die daraufhin einsetzende Beruhigung des Orchesters und viele weitere Passagen intimsten Ausdrucks zeugen, die teilweise den akustischen Rahmen bis an die Grenzen des Hörbaren ausloteten. Bleibt noch die Frage nach der Urheberschaft der vom Solisten gewählten Kadenz des ersten Satzes, welche in ihrem modernen, expressiven Duktus überraschte, gleichzeitig jedoch das Wesen des Beethovenschen Mikromotivik-Baukastens perfekt einfing. Bei der Zugabe stellte Levit noch einmal die Vielseitigkeit seiner Anschlagskultur und Wandlungsfähigkeit im Ausdruck unter Beweis, anstatt das Publikum mit einer typischen Virtuosenblendgranate beeindrucken zu wollen – sehr sympathisch.
Mit Mahlers Ersten blieb Honeck seiner von mir erstmals in Hamburg genossenen Handschrift treu. Auch hier arbeitete er mit starken Kontrasten, vor allem im Ausdruck, aber ebenfalls im Tempo, dass mal rubatoartig changierte und immer wieder vehement anzog, um das vermeintlich Disparate, die oft collagenhaft aufeinanderprallenden Gegensätze konsequent herauszuarbeiten. Dabei kam neben dem Treibenden, unbändig Vitalen ebenso das lyrische Moment nicht zu kurz, welches beispielsweise in der scheu-entrückten Lindenbaum-Passage des dritten Satzes an intimer Verletzlichkeit kaum zu steigern war. Andererseits ist sich Honeck nicht zu schade, das bäuerliche Tanzbein im zweiten Satz aufs Derbste schwingen zu lassen, was wiederum einen wunderbaren Kontrast zum für meine Begriffe durchaus parodistisch aufzufassenden „feinen“ Walzer schuf. Abgesehen davon, dass ich ohnehin jedesmal aufs Neue über die Großartigkeit der Konzeption der Sinfonie als Ganzes und ihres Finales im Besonderen staune, war es wieder eine Wonne, dieses musikalisch wie narrativ so plastisch fassliche Wunderwerk in solch kompromissloser Perfektion erleben zu dürfen. Da spielt es auch keine Rolle, dass z.B. unter der Dauerbelastung im Blech der ein oder andere Ton nicht hundertprozentig saß – das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erweckt Mahler zum Leben, wie er zu klingen hat. Meinen Dank an Manfred Honeck und meine Genesungswünsche an Mariss Jansons.