25. November 2018

Götterdämmerung – Axel Kober.
Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Orchestersitz links, Reihe 5, Platz 153



Gutrune als Fixerbraut, Gunther als Edel-Alki und dann lässt sich Siegfried am Gibichungenhof auch noch ganz ohne Amnesie-Drink den doch ach so in ewiger Minne zu Brünnhilde entflammten Kopf verdrehen – das sind natürlich für den geneigten Erz-Wagnerianer unhaltbare Zustände, Sakrilegien am heiligen Hort Richard’schen Kulturgutes.

Ein einzelnes, schwachbrüstig-empörtes „Buh“ als Lautmeldung zu Gutrunes Griff zum Heroinbesteck zeugte von dieser Geisteshaltung eines eher überschaubaren Auseinandersetzungswillens mit den angeblich so heiß geliebten und verinnerlichten Klassikern. In mir lässt jenes irritierende Geräusch eher eine Mischung aus Mitleid und Fassungslosigkeit aufkommen und ist akustische Bestätigung dessen, dass Dietrich Hilsdorf und sein Team mit dieser Götterdämmerung, wie schon in den vorangehenden Teilen der Tetralogie, einiges richtig gemacht haben, mehr noch, auch inszenatorisch einen Ring zu schmieden wussten, der Wagners Riesenwerk ins Mark durchleuchtet und für mich persönlich spätestens mit diesem Schlussstein Referenzcharakter erreicht hat.

Es ist doch nicht so schwer: Gutrune ist halt verzweifelt am Hofe ihres Schwächling-Bruders – hier als Säufer dargestellt – und will folgerichtig bei ihrem ersten Auftritt gleich wieder abtreten und sich wie Rose in Titanic über die Heckreiling des Rheindampfers stürzen, der die Gibichungenhalle gibt. Überhaupt inszeniert Hilsdorf den Rhein gleich als Wink an die Oper am Rhein mit, inklusive Düsseldorfer Brücke (und Duisburg-Panorama?) Die Nornen am Rhein, oder: draußen nur Kännchen. Mit dem Kellner wird sich der Kreis bzw. Ring am Ende schließen.

Doch bis dahin gibt es noch eine Menge zu reflektieren. So erliegt Siegfried nicht dem Trank, sondern schlicht seinen Trieben. Das ergibt insofern Sinn, wenn man sich den Text später in der Rheintöchterszene einmal auf der Zunge zergehen lässt – Fremdgehen scheint auch hier kein Problem für den jungen Tunichtgut. Für Sex mit den Nixen hätte er den Ring bereitwillig abgegeben, erst ihre Warnungen und vor allem Drohungen entfachen seinen Trotz und besiegeln sein Schicksal. Sehr gut inszeniert und gespielt auch, wie Siegfried zu Beginn Gutrune gebannt folgt, die sich ihm verführerisch im Führerhaus entzieht, bis sie schließlich den Vorhang vielsagend zuzieht.

Und es kommt noch dicker für den hehrsten Helden. Kein Umkehrtrank, sondern schlicht Alkohol lässt Siegfried auf der Jagd wieder die Wahrheit sagen. Die Idee, dass Tränke bei Wagner eventuell nur als Bild oder Vehikel fungieren, ist vielleicht nicht neu (Vgl. den Liebestrank in Tristan und Isolde: Nur ein Depp merkt nicht, dass da schon vorher was ging), aber in dieser an tragischer Komik oder komischen Tragik kaum zu steinernen Szene bissig und böse umgesetzt.

Aber wer kommt schon gut weg in dieser Oper, Pardon, Bühnenfestspiel. Heute teilweise gar Bühnenkarneval. Und Karneval ist bekanntlich mitunter eine brutale Angelegenheit, fragen sie mal die Soldaten, die als Zeugen bei Siegfrieds Bier-Beichte dabei waren. Oder Alberich. Selbst sieht er sich als Einflüsterer Hagens und erliegt damit dem gleichen Marionettentrugschluss wie sein Erzfeind Wotan: „Für mich gewinn ich den Ring ...“ tönt der besäuselte Spross nach Vatis Abgang, oh weh.

Unter Siegfrieds Trauermarsch wird schließlich jedes Deutschland als Flagge zu Grabe getragen, doch die letzte ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit? Hilsdorf zieht mit dieser Götterdämmerung alle Register, am Ende schießt er mit den Botho-Strauß-Zeilen vielleicht eine Spur über das Ziel hinaus. Nicht inhaltlich, sondern die Aufnahmefähigkeit selbst gewillter Zuschauer wie mich betreffend.

Der rheinische Ring bleibt sich übrigens bis in Details der Ausstattung treu. Auch heute umrahmt die Bühne wieder die der an Varieté erinnernde Stuckrahmen mit Glühlampenreihen – bei der grünen Fee leuchtet er entsprechend gefärbt oder simuliert mit zwei Birnen, grün und rot, eine Rhein-Schleuse. Alles fließt. Nicht zuletzt die Musik.

Axel Kober und das delikate Dirigat. Bei Steigerungen mitunter sehr schnell, gar ungewohnt (vgl. das Rheinfahrt-Geschmetter oder die Hagen-Chorstellen), aber immer organisch und fesselnd. Dazu ein Top-Ensemble, aus dem ich nach vier fantastischen Abenden wirklich niemanden mehr hervorheben möchte. Auch wenn dies, so grüble ich, wohl mein erster Komplett-Ring war, so habe ich doch bereits genug Ring-Segmenten beigewohnt um klar sagen zu können, dass der Deutschen Oper am Rhein sowie insbesondere Herrn Hilsdorf und seinem Team etwas ganz Besonderes gelungen ist, an dem sich künftige Eindrücke werden messen lassen müssen. Vielen Dank für diese Reise.


Götterdämmerung
Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“
Musik und Text – Richard Wagner

Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung –Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Volker Weinhart
Chor –Gerhard Michalski
Mitarbeit Regie – Ilaria Lanzino, Dorian Dreher
Dramaturgie –Bernhard F. Loges, Anna Grundmeier

Siegfried – Michael Weinius
Gunther – Bogdan Baciu
Alberich – Michael Kraus
Hagen – Hans-Peter König
Brünnhilde – Linda Watson
Gutrune – Sylvia Hamvasi
Walraute – Katarzyna Kuncio
1. Norn – Susan Maclean
2. Norn – Sarah Ferede
3. Norn – Morenike Fadayomi
Woglinde – Anke Krabbe
Wellgunde – Kimberly Boettger-Soller
Floßhilde – Ramona Zaharia
Mannen – Bo-Hyeon Mun, Domg-In Choi, Volker Philippi

Chor und Extrachor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker