16. November 2018

Swedish Radio Symphony Orchestra – Daniel Harding.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 9, Platz 2



Allan Pettersson – Symphonic Movement 
Robert Schumann – Konzert für Violine und Orchester d-Moll WoO 23
(Alina Ibragimova)

(Pause)

Hector Berlioz – Roméo et Juliette / Symphonie dramatique op. 17 (Auszüge)



Allan Petterssons symphonischer Satz ist ein spannender „Widerspruch“ – von der Konzeption ist das Werk sehr konventionell angelegt, mit einer Folge mehrerer, sich klar voneinander abtrennender Abschnitte unterschiedlicher Tempi und Ausdruckscharaktere und erinnert darin z.B. an eine „klassische“ sinfonische Dichtung spätromantischer Prägung. Auch das verwendete Instrumentarium und die Klangfarben könnten dieser Epoche entsprungen sein, jedoch haben die darin angewandte Melodik und Harmonik nun wirklich nichts mit einer Stilkopie gemein. Ich weiß nicht genau, wie ich es besser beschreiben soll, aber die Melodielinien erinnern latent an vertraute, tonale Motive und Themen, ohne dabei jedoch wirklich fasslich, geschweige den eingängig zu sein. Auch die Harmonik ist keineswegs durchgängig atonal, schrammt immer wieder am Erwarteten vorbei (wobei keinesfalls Zitate oder konkrete Anklänge gemeint sind) und ist mit einer Fülle an Dissonanzen durchsetzt, ohne dabei genuin fremd zu wirken – ein bemerkenswerter Spagat, der Pettersson da gelingt.

Robert Schumann findet in meinem musikalischen Kosmos ja nicht wirklich statt. Seine Klaviermusik mag auch für Banausen wie mich ihren Reiz haben, wovon ich mich beispielsweise durch Grigory Sokolovs Fürsprache (Link) überzeugen konnte, aber ich beschäftige mich generell nicht so häufig mit Solo-Klavierliteratur. Seine Sinfonik wiederum gibt mir als Verehrer Beethovens, Berlioz’, Bruckner, Mahlers oder Schostakowitschs zu wenig interessante Impulse, die Partituren wirken auf mich immer irgendwie zu sauber – ein Umstand, den sie für mich mit Mendelssohns Werken teilen. Ich kann dem „klassischen“ Ansatz durchaus etwas abgewinnen und liebe als Wagnerianer auch Brahms, aber die Evolutionsstufe Schumann spare ich weitgehend aus. Das Violinkonzert aus seiner Feder, wie ich dem Programmheft entnehme ein Spätwerk und von Freunden und Zeitgenossen eher verhalten aufgenommen, trägt da doch einiges zur Ehrenrettung bei.

Gerade der ausladende Kopfsatz birgt einiges an dräuender Dramatik, wie ich sie mag, wenngleich das lyrische Seitenthema wieder schwächerer Natur ist. Letztlich trifft mein – sicher unfaires – Schumann-Urteil auch auf diese Komposition zu: Am liebsten ist er mir, wenn er die Stirn in Falten legt, er ist berührend, wenn er träumt, aber leider nie wirklich überzeugend, wenn er jubelt, triumphieren möchte. So lässt sich kaum ein intimerer, versonnenerer Satz als der zweite denken – sicher unterstützt durch das phänomenal zarte Spiel Alina Ibragimovas und Hardings extremen Ausloten der Pianissimo-Tauglichkeit des Saales – das unmittelbar daran anschließende Finale beinhaltet wieder diese Art beschaulichen Jubel, wie er mir zutiefst zuwider ist. Bizarrer Weise klingt das eine prägnante Thema, oftmals keck von den Holzbläsern intoniert, wie eine biedere Vorwegname der Jung-Siegfried-Welt. Heissa, jetzt wird aber gar zünftig Kehraus betrieben ...

Da muss Schumanns Zeitgenosse Berlioz nun wirklich wie von einem anderen Stern wirken. Diese konzeptionelle Kühnheit, diese raffinierte Instrumentation – es ist mir wieder einmal sonnenklar, warum ich süchtig nach den Kompositionen des französischen Ton-Revolutionärs bin. Auch ohne seine Chorepisoden gelingt es der Shakespeare-Sinfonie mit ihren rein orchestralen Teilen die Elbphilharmonie in einen wahren Tempel des Klangrauschs zu verwandeln. Was ich besonders an Berlioz schätze: Er lässt sich Zeit. Die langsam Form und Raum gewinnenden Entwicklungen und Steigerungen, die nicht enden wollende Liebesmusik (die ein weiteres Mal in Berlioz’ Oeuvre Tristan-Assoziationen weckt), in jeder nur denkbaren Gestalt ihres Themas die emotionale Achterbahnfahrt des Paars illustrierend, oder das stufenweise Vordringen in jedesmal noch verwunschenere Traumsphären im Mab-Scherzo – ich liebe Berlioz für seine Kunst und Fähigkeiten ebenso wie für seine Umsicht und Geduld, diese in allen erdenklichen Facetten auszukosten.

Das Schwedische Radio-Sinfonieorchester macht unter Harding einen bärenstarken Eindruck, einzig manche Hornpassagen (unter anderem ein prägnantes Solo), blieben hinter dem ansonsten phänomenalen Klangeindruck zurück. Streicher, Holzbläser, Blech – alles von erster Güte. Dazu Hardings Dirigat, das – wie so oft bei jenen Dirigenten, welche die Akustik der Elbphilharmonie verinnerlicht haben – vor allem mit dynamischen Kontrasten arbeitet und namentlich die leisesten Töne zur Gänsehautgewinnung nutzt. Leider keine Zugabe dieser begnadeten Kombination.