10. September 2018

Polish National Radio Symphony Orchestra –
Alexander Liebreich.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Krzysztof Penderecki – Als Jakob erwachte ... 
Ignaz Jan Paderewski – Klavierkonzert a-Moll op. 17
(Szymon Nehring – Klavier)

Zugabe des Solisten:
Ignaz Jan Paderewski – Cracovienne fantastique op. 14 Nr. 6

(Pause)

Andrzej Panufnik – Wiegenlied
Witold Lutosławski – Konzert für Orchester
Zugabe des Orchesters:
Edvard Grieg – Solveigs Lied / Peer Gynt-Suite Nr. 2



Penderecki: „REDRUM“ in der Elphi. Immer wieder spannend, aus welchen Werken Stanley Kubrick sich für seine Meisterwerke bedient hat. Und Hut ab vor der Musikalität, so verschiedene Komponisten wie Bartok, Ligeti oder eben Penderecki zu einem packenden Soundtrack wie „Shining“ zu amalgamieren, ohne dass dabei Geschnetzeltes herauskommt. Aber auch ganz ohne Horror-Kontext weiß Penderecki, wie bereits durch seine Sinfonien bekannt, mit seiner Musik zu faszinieren. Die Klänge, welche zeitweise von der gesamten Holzbläsertruppe auf einer Art Muschelpanflöte hervorgerufen werden, sind da nur ein interessantes akustisches Detail von vielen. Kleine ketzerische Anmerkung am Rande: ob Penderecki wohl jemals ein heiteres Scherzo verfasst hat?

Nachdem der Name relativ häufig in der Musikliteratur fällt, konnte ich heute endlich mal eine Komposition mit dem Namen Paderewski verbinden, den ich allerdings weniger als Komponist denn Solist abgespeichert hatte – Dieses Vor-Urteil bestätigend kommt leider sein Klavierkonzert daher, ein überaus eingängiges Virtuosenkonzert ohne jeden Nachhall. Der Pianist schien mir recht vielversprechend, die Zugabe – ebenfalls aus Paderewskis Feder – weniger. Ungewöhnlich: Der Flügel wurde ohne Schalldeckel betätigt.

Panufniks Wiegenlied war da schon deutlich mehr nach meinem Geschmack. Spannend, welche Reibung sich durch die Kombination des scheinbar atonal irrlichternden Streicherteppichs mit dem ausgesprochen simplen Thema ergibt, das sich wie ein Kinderlied in Endlosschleife durch die Komposition zieht. Eine interessante akustische Verwandschaft zum ebenfalls leicht „schrägen“ Glissandi-Zauber des Sommernachtstraums von Britten tut sich auf.

Beim Konzert für Orchester von Lutoslawski hat mir wieder mal mein Gedächtnis ein Schnippchen geschlagen. Kenn ich nicht? Und wie ich das Konzert kenne – ein wahres Meisterwerk! Parallelen zur Filmmusik (schwankend wogende Harmonien à la Jaws im ersten Satz) und wiederum zum geliebten Britten (Beginn der Passacaglia mit Peter-Grimes-Nähe), viel modern Kühnes, aber auch ganz viel „Altes“ (z.B. Blechchoral wie bei Hindemith) lassen das Werk zu einem wahrlich packenden Ohrenschmaus werden.

Solveigs Lied als Zugabe sorgte dann noch für den bittersüßen Schlusspunkt eines anregenden Konzertes.

9. September 2018

Liederabend – Christian Gerhaher.
Glocke Bremen.

20:00 Uhr, Saal links, Reihe 11, Platz 4



Franz Schubert – »Schwanengesang«

Lieder nach Friedrich Rückert
Sei mir gegrüßt D 741
Dass sie hier gewesen D 775
Lachen und Weinen D 777
Du bist die Ruh D 776
Greisengesang D 778

Lieder nach Ludwig Rellstab D 957/1-7
Liebesbotschaft
Kriegers Ahnung
Frühlingssehnsucht
Ständchen
Aufenthalt
In der Ferne
Abschied

(Pause)

Lieder nach Heinrich Heine D 957/8-13
Der Atlas
Ihr Bild
Das Fischermädchen
Die Stadt
Am Meer
Der Doppelgänger

Die Taubenpost D 965A (Johan Gabriel Seidl)

Schwanengesang D 957

(Christian Gerhaher – Bariton, Gerold Huber – Klavier)



Christian Gerhaher gehört zweifelsohne zu den versiertesten Liedsängern, die man heute erleben kann. Mir persönlich steht im Baritonfach Matthias Goerne noch etwas näher, aber das bezieht sich rein auf das subjektive Geschmacksempfinden. In Sachen nuancierter Detailarbeit und Ausdruckskraft setzen beide jeder auf seine Weise Maßstäbe. Gerhaher zeichnet dabei ein besonders edler Ton aus, der sich über die gesamte dynamische Bandbreite erhält. Dabei sind es gerade deren Extreme, die mich besonders in den Bann ziehen. Da ist zum einen ein fast schon gesprochen sangloser Tonfall in den leisesten Stellen, der diesen durch etwas ambivalent Brüchiges enorme Präsenz verleiht. Zum anderen ist es schier überwältigend, zu welchen Fortissimo-Schüben sich seine vermeintlich so schlanke Stimme aufschwingt – die Glocke erzittert ein ums andere mal unter den Ausbrüchen. Auch wenn ich sicher kein Schubert-Experte bin, kann ich mir eine ausgefeiltere, intensivere Beschäftigung und Wiedergabe mit diesen Werken kaum vorstellen – ein Liederabend der Extraklasse.

2. September 2018

Orchestre Révolutionnaire et Romantique –
Sir John Eliot Gardiner.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich I, Reihe 3, Platz19



Hector Berlioz – Le Corsaire / Ouverture op. 21 
Hector Berlioz – La mort de Cléopâtre / 
Scène lyrique für Mezzosopran und Orchester
(Joyce DiDonato – Mezzosopran)

Hector Berlioz – Chasse royale et orage / aus »Les Troyens«

Hector Berlioz – Je vais mourir / Monolog und Arie der Dido
aus »Les Troyens« op. 5
(Joyce DiDonato – Mezzosopran)

(Pause)

Hector Berlioz – Symphonie fantastique /
Episode de la vie d'un artiste op. 14



Der offizielle Saisonauftakt brachte gleich zwei versöhnliche Erkenntnisse: Frau DiDonatos Stimme kann, losgelöst von Selbstdarstellung und Sendungsbewußtsein, durchaus berühren und historische Aufführungspraxis muss keine furztrockene Angelegenheit sein. Denn während die Solistin sich diesmal ohne das Diven-Brimborium und jene naiv-kitschige Weltverbesserungsattitüde ihres Soloprogramms (Link) ganz in den Dienst der vorgetragenen Werke stellte, brannte Sir John Eliot Gardiner ein wahres Feuerwerk der Kontraste mit seinen revolutionär-romantischen Kollegen ab.

Ein reines Berlioz-Programm – was könnte es Schöneres zum Start in die neue Elphi-Spielzeit geben? Ein wenig skeptisch war ich nur bezüglich der beteiligten Künstler. Frau DiDonato hatte vor nicht allzu langer Zeit an gleicher Stelle einen mehr als nachdrücklichen ersten Eindruck auf mich gemacht – selten hat mich ein Liederabend so abgestoßen. Heute konnte ich mich glücklicherweise voll auf ihren stimmlichen Vortrag konzentrieren, ohne von Flitter und Schwulst abgelenkt zu werden. Nach dieser Darbietung kann ich schon eher nachvollziehen, warum die Dame einen so großen Namen in der Szene besitzt, wenn ich auch bei meinem Urteil bleibe, dass mir persönlich andere Mezzos (Garanča, Coote) noch besser gefallen. So oder so, der gesprochen-gehauchte Tod der Cleopatra war schon ein bewegendes Ereignis.

Held des Abends war für mich jedoch eindeutig Herr Gardiner mit seiner Truppe. Beileibe kein Freund der historischen Ausfführungsart, muss ich zugeben, dass die alten Instrumente mit ihrem z.T. doch sehr herben, unbehauenen Klang in Kombination mit dem knackigen Dirigat dem expressiven Berlioz gut zu Gesicht standen. Es ist schon krass, wie anders allein das Becken klang, mehr Mülltonnendeckel denn Schallverteiler, oder wie oft die Hörner ihre Windungen während eines Stückes getauscht haben. Was aber am Ende zählt, ist ein mitreißender Vortrag dieser unglaublich progressiven Werke. Die Kleopatra-Szene ist fast schon ein Vorgriff auf Berg, die Wirkung der Symphonie Fantastique auf ihre Zeitgenossen lässt sich beinahe heute noch nachspüren. Mein größter Respekt an den rüstigen Pultmeister – das Feuer, es brannte!