30. Mai 2018

Zyklus D „Große Stimmen“ – Joyce DiDonato.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich J, Reihe 1, Platz 1



»In War and Peace – Harmony through Music«

Joyce DiDonato – Mezzosopran und Produktionsleitung
Il Pomo d'Oro
Manuel Palazzo – Choregrafie, Tanz
Maxim Emelyanychev – Cembalo und Leitung
Henning Blum – Lichtdesign
Yousef Iskandar – Videodesign
Ralf Pleger – Regie


Georg Friedrich Händel – „Some dire event ... Scenes of horror,
scenes of wie“, Arie der Storgè aus „Jephtha“ HWV 70

Leonardo Leo – „Prendi quel ferro, o barbaro!“,
Arie der Andromaca aus „L’Andromaca“

Emilio de' Cavalieri – Sinfonia aus „Rappresentatione di anima et di corpo“

Henry Purcell – Chaconne g-Moll Z 730

Henry Purcell – „Thy hand, Belinda ... When I am laid in earth“,
Arie der Dido aus „Dido and Aeneas“ Z 730

Georg Friedrich Händel – „Pensieri, voi mi tormentate“,
Arie der Agrippina aus „Agrippina“ HWV 6

Carlo Gesualdo da Venosa – Tristis est anima mea (instrumental)

Georg Friedrich Händel – „Lascia ch’io pianga“,
Arie der Almirena aus „Rinaldo“ HWV 7

(Pause )

Henry Purcell – „They tell us that you mighty powers above “,
Arie der Orazia aus „The Indian Queen“ Z 630

Georg Friedrich Händel – „Crystal streams in murmurs flowing“,
Arie der Susanna aus „Susanna“ HWV 66

Arvo Pärt – Da pacem Domine (instrumental)

Georg Friedrich Händel – „Augelletti, che cantate“,
Arie der Almirena aus „Rinaldo“ HWV 7

Georg Friedrich Händel – „Dopo notte, atra e funesta“,
Arie des Ariodante aus „Ariodante“ HWV 33



Als zu den Klängen der berühmten Händel-Arie der Almirena aus „Rinaldo“ per Videoprojektion Blütenblätter auf die Bühne rieselten, war mein Entschluss, diesem Kitschkokon, den Frau DiDonato für ihren Auftritt um sich spinnen ließ, in der nahenden Pause zu entfliehen, eigentlich gefasst. Aber es ging mir heute so wie den unsäglichen Gaffern bei einem schlimmen Unfall – ich konnte den verstörten Blick letztendlich doch nicht abwenden. Wenn man böswillig an die Sache herangeht, könnte man der Dame einen das Narzistische weit mehr als streifenden Hang zur Selbstdarstellung unterstellen, aber auch wenn hinter all der „Konzept!“ schreienden Performance wirklich ein ehrliches Anliegen der Künstlerin, ein inständiger Apell zur Reflexion über das Leid in der Welt stehen sollte, komme ich nicht umhin, dessen Ausführung in überbordendem Manierismus und naiver Plattheit, die schwülstig-pathetische, ja leider gar parodistische Note zu attestieren, welche mir jeglichen Zugang zu Botschafterin und den durch sie dargebotenen Werken verstellt.

Dass es Frau DiDonato tatsächlich ernst meint mit ihrer Mission, wird dann spätestens mit der Entgegennahme des Schlussapplauses deutlich, bei der sie die Bühne der Elbphilharmonie tatsächlich für eine kleine Predigt nutzt. Ganze dreimal insistiert sie in ihrer peinlich überschwänglichen und redundanten Rede darauf, man möge doch das heutige Konzert dazu nutzen, um über den Frieden nachzudenken, ihn mit nach Hause und in den Alltag nehmen, während sie die Besucher als „Erbauer“ dieses „Tempels“ preist – auch dies mehrfach. Vielleicht relativiert sich das als typisch amerikanischer Hang zu Übertreibung und Show, aber selbst wenn ich dem Kern ihres Ansinnens weniger skeptisch gegenüber stünde, erstickt dieser Showcharakter jegliche Auseinandersetzung im Keim. Und das ist es wohl auch, was mich am meisten an diesem „Konzeptkonzert“ störte – ein vorgeblich tiefes Anliegen als Vehikel für einen seichten Unterhaltungsabend, der der Musik einen Bärendienst erweist.

Schließlich dienen alle verwendeten Elemente rein dekorativen Zwecken, verharren an der Oberfläche. Nehmen wir die Videoprojektionen: Hübsche Stimulanzien, nicht mehr, nicht weniger. Flitter, der die Saaldecke hübsch illuminiert, während unten irgendwas gesungen wird – hach, wie schön. Und wenn es gegenständlich wird, kommt der Kitsch-Holzhammer: die besagten Blütenblätter, oder ein stilisiertes Feuerwerk zum Schluß. Dann der Tänzer. Das hätte durchaus eine spannende Arbeit werden können, einen Liederabend mit dieser Ausdrucksform zu bereichern – wenn der tanzende Adonis eine mehr als schmückende Funktion eingenommen hätte. Ein zwingendes Konzept war auch hier nicht ersichtlich. Der seltsam wahllos wirkende Einsatz, mal als visuelle „Aufwertung“ der Instrumentalstücke, Reaktionsfläche für das hochpeinlich theatralische Agieren der Sängerin oder – ich hatte es befürchtet – Blütenblätterstreuer, fügte sich nahtlos in den Bauchladen der netten Reize, der vom Publikum schließlich mit stehenden Ovationen bedacht wurde.

Frau DiDonato scheint in jedem Fall über treue Fans zu verfügen, einmal entfleuchte gar zwischen zwei Stücken ein gepresstes „Diva!“ einer elektrisiert-übereifrigen Kehle. Ich für meinen Teil muss leider feststellen, dass ich mit La Diva rein musikalisch ebenfalls nicht so recht warm geworden bin. Eine schöne Stimme, keine Frage, aber den Zauber, den beispielsweise eine Frau Garanča mit ihrem Gesang entfacht, um mal im Mezzo-Fach zu bleiben, konnte ich heute leider nicht wahrnehmen. Auffällig in jedem Fall der Hang, die scherenschnittartige gestisch-mimische Darbietung mit einem „zu viel des Guten“ im musikalischen Ausdruck einhergehen zu lassen. Die Stimme klagt, schluchzt, leidet – alles mehr als eine Spur „drüber“, so dass es mich wahrscheinlich selbst auf einer Opernbühne als Teil einer Inszenierung gestört hätte. Und rein technisch, nun ja, der Vergleich mag hinken, aber Herr Jaroussky steckt die Dame in Sachen Flexibilität und Phrasierung dreimal in die Tasche. Bizarrerweise lag mir ihr Strauss, eine wirklich sehr intim angelegte Interpretation von „Morgen“, deutlich näher als ihr „Paradefach“ Barock.

Was gab es sonst noch festzuhalten. Die Herren und Damen von Il pomo d’oro verstehen ihr Handwerk, knackiger Sound und packende Tempi durch Herrn Emelyanychev, der vom Cembalo aus dirigierte und allenfalls seine Gestik ruhig ein wenig hätte herunterschrauben können, wo er doch nur dies mächtige Häuflein und kein Fernorchester zu dirigieren hatte. Fun fact: Gestern saß das Bübchen noch eine Reihe vor mir im Parkett und studierte aufmerksam und mit seinem Nebensitzer feixend die Arbeit Nézet-Séguins – klein ist die Welt. Leider schweigt sich das Programmheft darüber aus, welches Blasinstrument Herr Emylyanychev zwischendurch an die Lippen brachte, vom Klang her eine Mischung aus kränklicher Oboe und altersschwacher Trompete – und wieder einmal gilt mein großer Dank den Errungenschaften der Instrumentenentwicklung, durch die ich heute in der Regel von solch historischen Praktiken verschont werde.

Zu den Stücken selbst, einige bekannte Hochkaräter-Arien waren ja dabei, mag ich angesichts der ganzen Umstände nicht viel kundtun. Außer vielleicht meine Verwunderung darüber, dass zwischen all der alten Musik auch ein ziemlich frisches Werk vertreten war – mit Arvo Pärt gab sich der Schutzheilige der gefälligen Tiefe die Ehre, auch dies passte zum Gesamteindruck. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass mein musikalisches Highlight des Abends jenes rein instrumental als Zwischenspiel genutzte Madrigal von Carlo Gesualdo war, bei dem ganz unvermittelt harmonische Kühnheit das 16. Jahrhundert für einige berührende Momente in ein ungeahnt modernes Licht stellte – allein dafür hat sich der Besuch gelohnt.

PS: den Brief, den jeder Konzertbesucher „persönlich“ von „Joyce“ am Saaleingang nebst dem Programmheft bekam, mit der Aufforderung, auf eine Antwortpostkarte zu schreiben, worin man persönlich Frieden fände, habe ich dann doch unbeantwortet gelassen – Gift und Galle sind selten gute Souffleure.