27. Mai 2018

KunstFestSpiele Herrenhausen.
NDR Radiophilharmonie – Ingo Metzmacher.
Kuppelsaal Hannover.

11:00 Uhr, 1. Rang, Block 3, Reihe 3, Platz 19



Hector Berlioz – Grande Messe des Morts „Requiem“ 
Bernd Alois Zimmermann – Stille und Umkehr

Hannoversche Chöre:
Bachchor Hannover / Norddeutscher Figuralchor – Leitung: Jörg Straube
Capella St. Crucis Hannover / Collegium Vocale Hannover – Leitung: Florian Lohmann
Johannes-Brahms-Chor Hannover / Mädchenchor Hannover – Leitung: Gudrun Schröfel
Junges Vokalensemble Hannover – Leitung: Klaus-Jürgen Etzold
Kammerchor Hannover – Leitung: Stephan Doormann
Knabenchor Hannover – Leitung: Jörg Breiding
Tenor – Werner Güra

NDR Radiophilharmonie
Orchester der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
(Einstudierung durch Musiker der NDR Radiophilharmonie und Lehrende der HMTMH)

Dirigent – Ingo Metzmacher
Musikalische Assistenz – Julian Wolf
Produktionsleitung – Lisa Magdalena Mayer



Zweiter Teil der inoffiziellen norddeutschen Requiem-Woche – heute: Berlioz in Hannover. Fast könnte man meinen, Ingo Metzmacher habe wirklich alle geschulten Kehlen der Leinestadt zusammengetrommelt, um dieses Riesenprojekt auf die Beine zu stellen, listet das Programmheft doch allein neun verschiedene Chöre auf. Darf ’s auch etwas mehr sein – so lautet heute das Motto im imposanten Kuppelsaal. Da ist es umso bezeichnender, dass, obgleich die Chorempore prall gefüllt und auch auf der Bühne kaum Platz für weiteres Instrumentarium zur Verfügung steht, die eigentlich von Berlioz vorgeschriebene Besetzung selbst damit nicht erreicht wird. So zählt man beispielsweise „lediglich“ beeindruckende 10 Bässe statt der aberwitzigen 18, die der französische Feuerkopf vorsah.

Aber egal, mit blanken Zahlen wird man diesem gigantischen Werk ohnehin nicht gerecht, dass über weite Strecken ungleich subtiler, inniger, feinfühliger daherkommt, als es die Monsterbesetzung nahe legen würde. Ohne Zweifel ist es eine beinahe apokalyptische Erfahrung, die vier Blechbläsergruppen – hier akustisch optimal im Rund des Saales verteilt – zu erleben, gewissermaßen das Jüngste Gericht in Dolby Surround, ergänzt vom infernalischen Erdbeben der zehn Paar Pauken auf der Bühne. Eine derart physische musikalische Einwirkung habe ich wohl bislang kaum verspüren dürfen, womit hier die Fülle des Raumes trotz aller Intensität nichts Lärmiges, sondern Druck und Präsenz entstehen lässt. Genau der richtige Kontrast zu den teilweise direkt anschließenden Oasen der Ruhe und Kontemplation, mit denen Berlioz’ Werk fast noch mehr den Atem zum Stocken bringt – was für eine beseelte, originelle, durch und durch suggestive Musik, die mit fortlaufender Dauer einen regelrecht meditativen Sog entfaltet.

Mein Respekt gilt allen Ausführenden, den tadellosen Sängern, dem wunderbar homogenen Klangkörper-Zusammenschluss aus Radiophilharmonie und Hochschule – selbst die Mammut-Blechaufgaben des Fernorchesters wurden mit Bravour gelöst (was für ein sattes Posaunencrescendo im Zusammenspiel mit dem einsamen, fahlen Flötenklang!) – und nicht zuletzt dem Dirigenten und Initiator der Aufführung, Ingo Metzmacher: Hut ab vor der Leistung, diesen Koloss auch über die Distanzen zusammenzuhalten (auch wenn dazu beim Tuba mirum wahrlich dirigentische Handkantenschläge von Nöten waren) und ebenso vor der Idee, diesem an Ressourcen und Ausdehnung übervollen Werk noch ein weiteres, weniger Trost spendendes denn irrlichterndes als komponiertes Fragezeichen an die Seite zu stellen. Bernd Alois Zimmermanns „Stille und Umkehr“ folgte dem Requiem nahtlos als rastloser, verlöschender Schatten, der dem Vergänglichkeitsthema eine weitere, subjektivere, persönliche, bedrückende Facette abrang. Bewegend, erschütternd, zu sich führend – ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Konzert.