18:00 Uhr, Großherzogliche Loge, Reihe 1, Platz 3
Hätte ich mir bei Hindemith ja denken können, dass sich hinter einer „lustigen Oper“ eine bissige Satire verbirgt, in Teilen eine Parodie auf die Gattung Oper selbst, eine Groteske über die Kleingeistigkeit bürgerlich-privater wie gesellschaftlicher Konventionen. Ob dabei im Detail Geschlechterkampf, „Bindungsunfähigkeit“– oder hier besser die Probleme derer, denen es sprichwörtlich zu gut geht, Bürokratiewahn oder Sensationsgeilheit seziert werden, ist dabei gar nicht mal so wichtig, viel spannender ist die Gattung, die Schiffer und Hindemith damit hervorbringen. Am ehesten noch finde ich Gemeinsamkeiten zu „Mahagonny“, allerdings mit weitaus weniger energisch emporgerecktem moralisch-pädagogischen Zeigefinger, oder vielleicht auch bei Hindemith selbst – seine Einakter habe ich allerdings nur einmal vor vielen Jahren gesehen und kann mich zwar deutlich an den Eindruck erinnern, den sie auf mich machten, aber nur vage an Einzelheiten. Was für ein Unterschied zu „Cardillac“ – vom „Mathis“ ganz zu schweigen, wobei das Stilmittel der Ironie auch zu diesen die Brücke schlägt, auf der Hindemith offensichtlich gerne wandelt.
Was mich wirklich nach dem Besuch dieser Aufführung bewegt ist die Frage, wie die Theatergänger seiner Zeit Hindemiths Werk aufgenommen, besser verarbeitet haben im Vergleich zu heute. Nun gut, Berlin ist nicht Schwerin und war es in den Zwanzigern wahrscheinlich noch weniger, aber es hat mich schon ein wenig ernüchtert, wie kühl und distanziert ein Publikum des 21. Jahrhunderts diese Oper mehrheitlich bedacht hat, auf welche die abgegriffene Wendung, sie habe nichts an Aktualität eingebüßt, besser nicht passen könnte. Die Grunde sind wahrscheinlich ebenso banal wie traurig – Zitat 1: „... Mozart ist das nicht ...“. Seufz. Den zweiten aufgeschnappten, womöglich ebenso wenig repräsentativen „Einwand“ kann ich aber noch viel weniger nachvollziehen: „... dieser Klamauk! ...“ – und zwar auf die Inszenierung bezogen, und da hört der Spaß aber auf. Was das Mecklenburgische Staatstheater hier (auch) szenisch auf die Bretter gestellt hat, ist vieles, aber sicher keine billige Klamottenkiste, auch wenn und gerade weil es zuweilen derb und scharf zugeht.
Während Orchester und Ensemble das musikalische Niveau mehr als ansprechend gestalten, geht doch von der Produktion als Ganzes die größte Faszination aus. Angefangen beim gleichsam witzigen wie durchdachten Dreh-Bühnenbild, das immer wieder mit monströs vergrößerten Details arbeitet: Die brav in Reihe aufgestellten, gigantischen Leitz-Ordner bilden die Kabinen für die peniblen Sachbearbeiter auf dem Standesamt und offenbaren nach „Ladenschluss“ in großen Lettern worum es hier eigentlich geht: „Bürokratie“. Der in ihren Chef verliebte Chor der Sekretärinnen verrichtet seinen schwärmerischen Dienst auf einer bühnenfüllenden Schreibmaschine, deren Tasten als Sitzgelegenheiten fungieren. Oder schließlich der riesige Fernseher, in dem die Laura und Eduard ihre Seifenoper für das geifernde Publikum – uns im Saal eingeschlossen? – zelebrieren.
Aber auch an vermeintlich kleineren Einzelheiten der Bühnengestaltung lässt sich ablesen, wie clever und gleichzeitig dienlich, auch im Sinne der räumlichen Limitation, hier gedacht wurde. So wird das Schlafzimmerfenster kurzerhand zum Gefängnis für Eduard, der dadurch, hinter schwedischen Gardinen statt Jalousinen sitzend, die Szene mit der daheimgebliebenen Gattin parallel gestalten kann. Auch den Kleiderschrank als „Portal“ für Auftritte und Abgänge zu nutzen ist ebenso urig (z.B. das Skiurlaubspaar inklusive Restschnee) wie förderlich für die flotte Taktung des Stückes. Überhaupt wartet die Inszenierung mit einer nicht enden wollenden Fülle geistreicher, phantasievoller Einfälle auf. Die für den Massenwaren-Kunstkonsum zigfach duplizierte Figur der „einmaligen“ Venus im Museum, komplett mit billig-schreiendem Reklame-Banner ist an sich schon eine herrlich bissige Umsetzung der bereits im Libretto angelegten Touri-Kritik, vollendet wird das Ganze allerdings, wenn aus der vielleicht nicht schaumgeborenen, jedoch schaumbadenden Laura im Hotel die neue Attraktion wird – komplett mit Beschreibungstafel. Ein visueller Kalauer hier und da wie die pseudo-Lichtensteinsche „Weh-Nuss“ ergänzt den herrlichen Gaga-Faktor des Treibens.
Sowohl Kostüme (Die Butler als Pinguine, der „schmucke“ Herr Hermann) als auch die Personenregie an sich sorgen immer wieder für Schmunzler, selbst bei kleinen Rollen wie dem wunderbar desinteressierten Fremdenführer, der schlurfend und monoton seinen Touristenbegeisterungstext abspult. Schön auch, wie das Paar bei der Inszenierung in der Inszenierung, dem zur Schau getragenen Ehekrach, die absurde Überhöhung darstellerisch durchzieht. Dabei lässt die publikumswirksame Ausschlachtung der privaten Angelegenheiten wirklich kein Mittel aus: Die Protagonisten tragen Perücken, aus den Pinguinbutlern werden Baywatch-Versionen mit nacktem Oberkörper, die zum Duell mit mannshohen Gabeln schreiten, der eigentliche Zwist des Ehepaares wird mit Gotcha-Gewehren dramatisch wie farblich aufgerüscht und durch die Show führt ein kreischend-bunt gedresster Moderator, der zwar für uns stummgeschaltet pausenlos quatschend, aber mit großen Gesten den Animateur gibt. Unterstützung bei der Begaffung bekommen wir durch weitere Zuschauer im edlen Zwirn, die in den Proszeniumslogen Platz nehmen und als Zuspätkommer mehrfach die erste Reihe des Parketts aufmischen.
Hindemiths Partitur selbst trägt nicht minder zur humoristischen Note des Stückes bei. Man hört viel „Altes“, Polyphonie, die in bizarrem Kontrast zu den „Plattheiten“ der Handlung steht, Koloraturen bzw. die Parodie jener Operismen, ganz deutlich in der ebenso schönen wie dämlichen Arie des Herrn Hermann bzw. dem wohlgemerkt inszenierten Liebesduett – Strauss und Puccini lassen grüßen. Weitere Höhepunkte für Ohrenspitzer: Der Triumphmarsch des Geldes im „römischen“ Stil, wenn Eduard, feldherrengleich, in eine rosige finanzielle Zukunft blickt, kontrastierend dazu der Trauermarsch, welcher den Liebeskummer des Ehebruch-Dienstleisters Hermann begleitet. Die Arie der Laura über die Errungenschaft der Warmwasserversorgung, oder noch aberwitziger: Das gewaltige Chorfinale über alle Spielarten der Peinlichkeit.
Bei aller vordergründig lockeren Heiterkeit ist gerade am Schluss die Fallhöhe enorm, die das Lachen sprichwörtlich im Halse verbleiben lässt – sofern man denn sein Gemüt nicht auf Durchzug gestellt hat: Letztendlich sind die Eheleute in einem goldenen Käfig gefangen, die persönliche Entwicklung wird abgelehnt bzw. spielt in der Erfüllung der Sensationsbefriedigung der Massen keine Rolle, ja muss unterdrückt werden, um selbige nicht zu gefährden. Das Publikum will „seine“ Realität, die „ewige“ – ewige Unterhaltungsverdammnis für das unglücklich-glückliche Paar, für das der Vorhang niemals fällt, fallen darf.
Neues vom Tage – Lustige Oper in drei Teilen
Musik – Paul Hindemith
Text – Marcellus Schiffer
Originalfassung von 1928/29
Musikalische Leitung – Gabriel Venzago
Inszenierung – Toni Burkhardt
Bühnenbild – Wolfgang Kurima Rauschning
Kostüme – Anja Schulz-Hentrich
Choreinstudierung – Joseph Feigl
Dramaturgie – Peter Larsen
Laura – Karen Leiber
Eduard – Yoontaek Rhim
Der schöne Herr Hermann – Matthias Koziorowski
Herr M. – Christian Hees
Frau M. – Itziar Lesaka
Ein Hoteldirektor – Sebastian Kroggel
Ein Standesbeamter – Cornelius Lewenberg
Ein Fremdenführer – Igor Storozhenko
Ein Zimmermädchen – Kathrin Voß
Ein Oberkellner – André Schmidtke
Sechs Manager – Christian Hees, Jaewon Kim, Sebastian Kroggel, Cornelius Lewenberg, André Schmidtke, Igor Storozhenko
Pinguine – David Reichert, André Rickert
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin