16. Juli 2017

Das Rheingold – Axel Kober.
Opernhaus Düsseldorf.

15:00 Uhr, 1. Rang links, Reihe 1, Platz 216



Dass die Oper Düsseldorf eine äußerst lohnenswerte Adresse unter den Bühnen Deutschlands darstellt, hatte ich nach diversen Ausflügen an den Rhein verinnerlicht. Dass ich hier allerdings ein Rheingold erleben würde, welches sich in jeder Beziehung vor Bayreuther Ansprüchen nicht zu verstecken braucht, ja für mich persönlich die Referenz definieren sollte, an der sich fortan andere Inszenierungen und musikalische Umsetzungen dieses Werkes werden messen lassen müssen, hätte ich dann doch nicht unbedingt erwartet. Herr Hilsdorf startet mit dieser Regiearbeit einen Ring, dessen Fortsetzung ich schon jetzt entgegenfiebere, Herr Kober und seine Kollegen im Graben sowie auf der Bühne versorgen die Produktion mit höchster Qualität für Ohr und Herz.

Dabei zeichnet sich der Regieansatz weder durch ungeahnte Innovationen, noch eine revolutionäre Deutung aus, vielmehr schafft es Hilsdorf, das Ringen um Reichtümer und Macht ebenso konsequent und textsensibel wie packend abzubilden. Gut, ein nicht zu unterschätzender Kniff besteht anfangs darin, Loge vom Strippenzieher im Hintergrund zum Initiator der Ereignisse zu erheben, indem er Alberich den Rheintöchtern persönlich zuführt. Ansonsten folgt die Inszenierung der bewährten Dechiffrierung der nur oberflächlich betrachtet mythischen Welt mit ihren Göttern, Zwergen und Riesen als Abbild einer kapitalistischen Gesellschaft. Menschliches Streben nach Geld und Macht trifft auf die ebenso menschliche Sorge um Machterhalt.

Das Ganze verortet Hilsdorf in einem Salon des ausgehenden 19. oder beginnenden 20. Jahrhunderts, die Ausgestaltung der Charaktere erfolgt nach einem einfachen wie plausiblen Muster: Die Rheintöchter als Animierdamen, die Alberich – dem Kostüm nach wie auch sein Bruder eine Art Judenkarikatur – den Kopf verdrehen und demütigen, bis wir ihn nach dem Raub des Goldes als Großindustriellen wiedersehen, der über ein Heer rußverschmierter Kohlekumpel gebietet. Wobei der edle Zwirn nur bedingt die Wurzeln des Neu-Magnaten verhehlen kann, den weiterhin ein schleppender Gang und verwachsene Haltung als Versehrten kennzeichnen. Ganz im Gegenteil zu den Herrschaften, die den Zirkel der Götter bilden, allesamt die unantastbare Dekadenz und Blasiertheit in Person – das Großbürgertum beehrt den Salon. Wotan mit Sonnenbrille, Schal und Trenchcoat, mehr Dandy als (Gott-)König, der Rest des Gefolges in ähnlich unbunter Aufmachung. Allein Freias roséfarbenes Kleid unter dem Mantel ist vielleicht schon Indiz für die emotionale Wandlung, die sie durch Fasolts Zuneigung erfahren wird. Die Riesen schließlich komplettieren als grobe Handwerker in Kluft das hierarchische System, in dem Loge als windiger Halbgott tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt.

Über Fragen der Kostümierung hinaus gelingt es dem Regieteam jedoch, das zutiefst Menschliche der Motivationen und Handlungen aller Beteiligten in glaubhaften, entlarvenden Interaktionen der Darsteller herauszustellen. Ein Beispiel für diese sehr aus dem Blick für Details operierende Personenregie geben die beiden ungebetenen Besucher Alberichs, wenn sie ihm den zuvor von Mime in Hass auf seinen übermächtigen Bruder zertrampelten Hut scheinbar beiläufig präsentieren, natürlich mit den damit verbunden geäußerten Zweifeln an der Unumstößlichkeit seiner Macht. Alberich reagiert ebenso verdutzt wie verunsichert, eine äußerst subtile Art, die Einleitung der Übertölpelung des Tyrannen zu visualisieren, welche letztlich durch die Reizung seines Egos zum Erfolg gelangt. Dass Freia für Fasolt nach der gemeinsamen Zeit in Riesenheim mehr als ein Faustpfand darstellt, kann man der innigen, überraschend ungrobschlächtigen Musik entnehmen, mit der Wagner ihn bedacht hat, wenn er über die Geisel spricht, aber auch an Freia ihrerseits scheint die Episode nicht spurlos vorübergegangen sein – noch lange bleibt ihr Blick auf dem von seinem Bruder Ermordeten haften, während Fafner den Hort zusammenrafft. 

Generell muss man aber auch sagen, dass diese szenischen Details so gut funktionieren, weil das gesamte Ensemble darstellerisch einen erstklassigen Eindruck macht. Gerade die großen Partien wie Alberich, den Michael Kraus mit wahrhaft dämonischem Furor gibt, oder Simon Neals Wotan zwischen Arroganz und Entscheidungsschwäche, tragen durch ihre Präsenz und Spielintelligenz viel dazu bei, dem Begriff "Musikdrama" Leben einzuhauchen, aber die eigentliche Stärke der Produktion besteht darin, dass sich diese darstellerische Qualität bis in die Nebenrollen fortsetzt. Es ist fast schon bedauerlich, wie wenig Mime im Rheingold zu tun hat – ich will doch schwer hoffen, dass wir Cornel Freys Verkörperung des von seinem Bruder geknechteten, nervlich vollkommen zerrütteten Schwarzalben im Düsseldorfer Siegried wieder erleben werden. Oder die Rheintöchter – hier ein ausgesprochen sinnliches, erotisches Dreieck, zwischen dessen Schenkeln Alberich glaubhaft Verführung und Abweisung erfährt.

Ganz davon zu schweigen, dass allein schon die stimmlichen Reize von Frau Krabbe, Frau Kataeva und Frau Zaharia sowie deren zauberhafte Kombination bereits zu Anfang andeuten, dass dies auch und nicht zuletzt ein Rheingold großer Stimmen ist. Größe nicht allein und unbedingt bezogen auf Volumen, sondern auf die musikalische Einlösung charakterlicher Erfordernisse. Der süße Wohlklang der Rhein-Sirenen, der die Brücke von Wagner zu schönsten Koloraturen in Belcanto-Manier schlägt, ohne jedes Schrille und Forcierte. Die lupenreine Deklamation Freys – stimmliches Mime-Method-Acting. Schön ebenso die Abgrenzung zu den anderen beiden Tenorpartien – Norbert Ernst als Loge gesanglicher, aber immer noch mit viel Charakter in der Stimme, der Froh Ovidiu Purcels gemäß der Rolle eher fein und edel. Die beiden Riesen-Bässe mit der nötigen Wucht und latenten Aggression, aber eben im Falle Fasolts/Bogdan Talos in Gedanken an Freia auch mit der nötigen Wärme und Schmelz. 

Simon Neals Wotan ist stimmlich irgendwo zwischen der "Was kostet die Welt"-Mentalität eines Mandryka und Waschlappen angelegt – was in diesem Falle durchaus als Kompliment gemeint ist. Schließlich gibt es zum Ende der Oper durchaus Momente, in denen der kräftige Bariton die Autoritäts-Muskeln des Göttervaters spielen lässt. Dennoch besetzt das sängerische Epizentrum des Werks, wie so oft, Alberich, bzw. Michael Kraus – volltönend, radikal, der von Hass getriebene, von All- zu Ohnmacht verdammte Weltenzertrümmerer. Sein aus der totalen Niederlage formulierter Fluch, mit dem er den Ring fortan belegt, geht bei Kraus wirklich durch Mark und Bein. In Szenen wie diesen wird aber auch deutlich, was für ein großartiger Wagner-Dirigent Herr Kober ist und wie glücklich man sich schätzen kann, dass er mit den Düsseldorfer Symphonikern über einen Klangkörper verfügt, der alle Nuancen der Partitur organisch und differenziert umzusetzen weiß. Krawall kann jeder, Sog und Suggestion, Dramatik und Druck zu entwickeln, ist die große Kunst. Von der ursprünglich quellenden Natur des Rheins über die transparente, erhabene Klangwelt "auf Bergeshöhen", hinunter in die auskomponierte Zeche Niebelheim und zurück – diese Musik ist so reich an Farben und Stimmungswechseln, dass eine Umsetzung wie die heutige sprachlos macht.

Noch mal zurück zur Inszenierung: Was mir neben den bereits genannten Vorzügen besonders gut an der Regie gefällt, ist der Umstand, dass trotz der (plausiblen) Abstraktion des Handlungsraumes alle für das Verständnis relevanten Schlüsselmomente und -Elemente als solche Verwendung finden. Sicher, das Rheingold, welches die Nixen besingen, während sie ich offensichtlich dem Absinth-Rausch hingeben, wird als helles Leuchten außerhalb der Salonfenster "nur" angedeutet – aber weitaus poetischer und unreal begehrenswerter, als es ein Klumpen Gold auf dem Spielkartentisch vermocht hätte. Dass Alberich durch das Fenster steigt, um es zu rauben, ist zudem ein starkes Bild für die Ungeheuerlichkeit seiner Tat. 

Darüber hinaus ist die Inszenierung gerade auch für den Ring-Erstkontakt nur zu empfehlen: Tarnhelm, Drachen- und Krötenverwandlung, Ring, Hort – alles da, dienlich und im besten Sinne bühnenwirksam umgesetzt. Die Loren der Niebelungen-Minenarbeiter, die die Wände des Salons durchbrechen, die riesige Drachenklaue, die das Dach durchschlägt, die zahlreichen Ab- und Auftritte hinter, unter und inmitten der Tische mit ihren bodenlangen Decken, die vor neugierigen Blicken schützen – all das sind Ausprägungen eines liebevoll-altmodischen Theaterzaubers, der überrascht, irritiert, zum Schmunzeln animiert. Genau wie der bunte Glühbirnenrahmen, der am Schluß den Einzug der Götter über die Regenbogenbrücke paraphrasiert – kein Special Effect im Dienste eines plumpen Realismus, sondern das, was Theater, und nennt man es auch Handlung, Musikdrama oder Bühnenfestspiel, ausmacht: Eine Geschichte in uns Zuschauern zum Erzählen zu bringen.


Richard Wagner – Das Rheingold
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dietrich W. Hilsdorf
Bühne – Dieter Richter
Kostüme – Renate Schmitzer
Licht – Völker Weinhart
Dramaturgie – Bernhard F. Loges

Wotan – Simon Neal
Donner – Torben Jürgens
Froh – Ovidiu Purcel
Loge – Norbert Ernst
Fricka – Renée Morloc
Freia – Sylvia Hamvasi
Erda – Susan Maclean
Alberich – Michael Kraus
Mime – Cornel Frey
Fasolt – Bogdan Talos
Fafner – Thorsten Grümbel
Woglinde – Anke Krabbe
Wellgunde – Maria Kataeva
Floßhilde – Ramona Zaharia

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker