20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 3, Platz 6
Franz Schubert – Winterreise D 911
Matthias Goerne – Bariton
Markus Hinterhäuser – Klavier
William Kentridge – Visualisierung, Regie
Sabine Theunissen – Bühne
Greta Goiris – Kostüme
Hermann Sorgeloos – Licht
Snezana Marovic – Videomontage
Kim Gunning – Videoprojektion
Matthias Goerne. Das erste Mal, dass ich auf diesen Ausnahmekünstler aufmerksam wurde, ist jetzt auch schon 15 Jahre her – auf der Einspielung der Wunderlieder Mahlers mit dem Concertgebouw Orchester unter Chailly definierte er seinerzeit (und bis heute) für mich, was einen Sänger von einem stimmlichen Charakterdarsteller unterscheidet. Dieser Facettenreichtum, diese verinnerlichte Außenwerdung der Worte in Gesang, der ganz gemäß dem Mahler’schen Postulat mehr transportiert, als es die Noten vermögen. Und wie anders als der so gerühmte Thomas Hampson, das Dandy gewordene Manifest des parfümierten Schöngesangs. Ich liebe schöne Stimmen, aber Schönheit ohne Tiefe ist oftmals frustrierender als jeder schiefe Ton.
Bei Herrn Goerne sind nun alle Vorzüge, die ein Bariton für die Gattung Lied mitbringen kann, auf das Vollkommenste vereint. Eine profunde, sonore Tiefe, die Autorität wie Wärme zu vermitteln im Stände ist, kombiniert mit einer Höhe, die immer wieder so zart, ja verletzlich, scheu und rein klingt, als spotte sie der allgemeinen Musiktradition, die Engel gern mit Sopranen oder Knabenstimmen besetzt. Eine bis ins Nuancierteste aussteuernde Phrasierungskultur und -Intelligenz liefert im Zusammenspiel mit einer Flexibilität, wie sie bei einer Stimme dieses Volumens selten ist, das permanente Potenzial, höchste Erwartungen noch zu übertreffen.
Wenn dann noch mit Schuberts Winterreise einer der berührendsten Liederzyklen überhaupt gegeben wird, könnte fast unter den Tisch fallen, dass mit William Kentridges visueller Begleitung heute ebenfalls die Arbeit eines bildenden Künstlers auf dem Programm steht, den ich seinerzeit seit langem verehre. Fernsehdokumentationen, Ausstellungen in Hamburg, Berlin und bei der Documenta sowie nicht zuletzt seine „Drawing Lessons“ im Hamburger Schauspielhaus mit der krönenden, abendfüllenden Oper „Refuse The Hour“ (Link) haben mich Kentridge, seinen individuellen Stil und Themenhorizont lieben gelernt.
Seine Umsetzung – größtenteils präexistente, neu arrangierte Segmente aus seinem filmischen Schaffen, die auf die Bühne projiziert werden – ist aufgrund ihrer kontextuellen Neuanbindung zwar weitgehend abstrakt, liefert jedoch einen wahren Fluß aus frei assoziierten Illustrationen der Lieder und ihrer Texte, der ganz ohne allzu konkrete Verbildlichungen eine ungeheuer stimmige Atmosphäre schafft. So geben die umherwirbelnden schwarzen Papierschnipsel, aus denen Kentridge gern wechselnde Schattenrisse werden und vergehen lässt, dem Wind der „Wetterfahne“ ein Gesicht, die stetig abrollenden Stanzlöcher der Rolle eines mechanischen Klaviers werden zu den fallenden „gefror’nen Thränen“. In seltenen Fällen gibt es auch deutliche Parallelmontagen, etwa mit dem animierten Vogel und seinem Flügelschlag zu „Die Krähe“. In wenigen Momenten interagiert der Sänger selbst deutlich mit den Filmsequenzen, beispielsweise wenn er sich unter eine Dusche stellt, indem er in den Lichtkegel des Projektors tritt.
Alles in allem gewinnt Kentridge dem Zyklus mit seiner Arbeit eine auch visuell äußerst stimulierende Ebene ab, die weit über das dekorative Element hinausgeht, seinerseits den Sog der eisigen Wanderung beschwört, die Gesamterfahrung intensiviert. Ich hoffe auf weitere Projekte dieser Art.