28. März 2018

Armenian State Symphony Orchestra – Sergey Smbatyan.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 4, Platz 9


Eduard Hayrapetyan – Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 4
(Narek Haknazaryan)
Zugabe: Katalanisches Lied „Bird Song“

(Pause)

Aram Chatchaturjan – Sinfonie Nr. 2
Zugaben:
Aram Chatchaturjan – Walzer aus „Maskerade“
Aram Chatchaturjan – Säbeltanz aus „Gayaneh“



Chatjaturjans – oder Khatchaturians, wie ich vor der Wikipedia-Konsultation immer dachte – zweite Sinfonie habe ich durch eine Aufnahme der Wiener Philharmoniker aus den 60ern kennengelernt, bei der der Komponist selbst den Taktstock führt. Der martialische Beginn wird auf dieser CD noch verstärkt, da die Glockenschläge aufgrund überforderter Mikrofonie die Lautsprecher jedesmal zum Klirren bringen. Der alarmartige Start der Sinfonie, die gleich aus dem Stand den dynamischen Vollausschlag vollzieht, hat die Tontechniker seinerzeit wohl doch kalt erwischt. Die heute erlebte Expositions-Explosion fällt unter Live-Bedingungen akustisch vollendet, dabei keineswegs weniger aufrüttelnd aus und markiert den beglockten Startschuss zu einer knappen Stunde Sinfonik höchster Meisterschaft in mustergültiger Darbietung.

Das armenische Staatsorchester – vor nicht allzu langer Zeit dem Status als Jugendorchester entschlüpft – erweist sich als Spitzenklangkörper, der unter der Leitung seines Gründer zu Höchstem gewillt und befähigt ist. Sergey Smbatyans Interpretation weicht in diversen Punkten von jener Chatchaturjans ab – aber keinesfalls zum Schlechteren. Gleich zu Anfang gibt es dafür ein besonders anschauliches Beispiel: Im Kopfsatz nimmt er das markante, folkloristisch anmutende Thema, welches auftritt, nachdem sich das erste Beben beruhigt hat, deutlich schneller als der Komponist selbst, erzielt damit aber einen zwingenderen Übergang zur darauf folgenden Hatz, die Holzbläser-Glissandi einleiten, welche Smbatyan ebenfalls viel schneller und energischer in die Höhe schnellen lässt. Vereinfacht könnte man festhalten, dass die Tempokontraste bei Smbatyan um einiges schärfer ausfallen, generell ist seine Lesart geprägt von Verve und Feuer. Dies kommt gerade den stark rhythmisch geprägten Passagen der Sinfonie zugute, in denen die Armenier sich unter seiner Stabführung teilweiße regelrecht in einen Rausch wirbeln – ohne es dabei an Präzision vermissen zu lassen, wohlgemerkt. Virtuosität im Dienste tänzerischen Taumels.

Aber es sind nicht allein die wieselflinken Haken, die Chatchaturjans Musik live naturgemäß besonders beeindruckend schlägt, welche meine tiefe Verehrung für dieses Werk begründen – da wären zuvorderst noch sein melodischer wie harmonischer Reichtum und die ganze, makellose, satzübergreifende Konzeption zu nennen. Vom wuchtig-grimmigen Kopfsatz, über das atemlos wuselige Allegro (grandios hier der Einsatz des Klaviers) zum gravitätischen Zentrum des Ganzen, dem sich bis ins Monumentale windenden Trauermarsch des berührenden Andante, um mit einem erschütternden Finale zu schließen, dessen Ambivalenz und nachdenklichen Ausklang nur der oberflächlichste Zuhörer mit regimetreuem Jubel oder gar einer Apotheose verwechseln kann. Diese Sinfonie steht ihnen Schwestern von Schostakowitsch und Prokofjew um keinen Deut nach – nur dass sich das leider in den Spielplänen nicht niederschlägt. Die gewählten Zugaben, Chatchaturjans Walzer aus „Maskerade“ und der offenbar unvermeidliche Säbeltanz hingegen reduzieren diesen großartigen Komponisten auf das gefällig Populäre, dabei gibt es noch so viel Spannenderes von ihm zu entdecken. Bezeichnend, dass der Säbeltanz dann auch das am schwächsten vorgetragene Stück des Konzerts war. Bei dem angeschlagenen, aberwitzigen Tempo überschlug man sich fast, zum ersten und einzigen Mal zeigte die Integrität des Klangkörpers kurz Risse und lief Gefahr, unter die eigenen Hufe zu geraten.

Mit ungleich feinerem Florett wurde da die Uraufführung des Cellokonzertes vor der Pause ausgefochten. Das Werk Hayrapetyans, dem Solisten laut Einführung als komponierte Charakterstudie auf dem Leib geschneidert, war aufgrund seiner komplexen Struktur innerhalb der einsätzigen Form vielleicht nicht sofort fasslich, erlag jedoch ebenso nicht der Gefahr, das Publikum mit einem Folklorekompott à la Armenien abzuspeisen, sondern vielmehr ernste, tiefsinnige Musik zu vermitteln. „Schwerpunkt Kaukasus“ ist das aktuelle Festival überschrieben, wie schön, dass sich offenkundig mehr als Völkerschau-Allüren dahinter verbergen. Wie passend geriet da die Zugabe Haknazaryans: ein Volkslied, das dem Idiom nach armenischer nicht sein könnte – und aus Katalonien stammt.