20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 12, Platz 7
Claude Debussy – Le martyre de Saint Sébastien
Textfassung: Martin Mosebach
Symphoniker Hamburg
Europa Chor Akademie Görlitz
Chorleitung – Joshard Daus
Lauryna Bendžiūnaitė – Sopran
Marta Świderska – Mezzosopran
Stine Marie Fischer – Alt
Dörte Lyssewski – Sprecherin
Dirigent – Sylvain Cambreling
Nachdem ich den Nachfolger Tates bereits bei einer Generalprobe in der Laeiszhalle mit seinem neuen Klangkörper erleben konnte, nun also mein erstes offizielles Konzert mit Sylvain Cambreling als neuem Chefdirigenten der Symphoniker Hamburg. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis, denn das erste Mal habe ich Herrn Cambreling vor nicht ganz fünfzehn Jahren in der seinerzeit ebenfalls brandneuen Philharmonie in Luxemburg kennengelernt, ebenfalls mit der Europa Chor Akademie unter Herrn Daus, genauer gesagt in einer Probe zu „Das Augenlicht“ von Anton Webern.
Herr Cambreling scheint seinen Ruf als jemand, der sich auch und besonders für eher selten gespielte Werke der klassischen Moderne einsetzt, mit der Präsentation des rätselhaften Opus Debussys zu bestätigen – wer die akustischen Finessen der Bühnenmusik hier in diesem Saal bestaunen durfte, weiß spätestens nun, warum der Franzose dieses Stück für sein Elbphilharmonie-Debüt auswählte. Ich bin vielleicht nicht der größte Debussy-Freund, aber solchen Klängen kann man sich nur schwer entziehen.
Fast noch verblüffender als das stetig vor sich hin irisierende musikalische Kaleidoskop ist die klangliche Qualität, mit der es die Symphoniker zum Leben erwecken. Meinen tiefsten Respekt für diese Detailarbeit, das sich im Ergebnis definitiv mit jenen Orchestern messen darf, die ich in diesem Saal schon genoß und deren Visitenkarten landläufig deutlich klangvollere Namen zieren. Ich bleibe dabei, Jeffrey Tate hat mit den Symphonikern etwas Außergewöhnliches auf den Weg gebracht, das nun bei Herrn Cambreling glücklicherweise in den richtigen Händen seine Fortführung findet.
Das Stück selbst hinterlässt trotz seines mitunter kryptischen Charakters einen insgesamt sehr zwingenden, fasslichen Eindruck, indem auf die eigentlich vorgesehenen szenischen Anteile verzichtet wird, an deren Stelle eine Erzählerin tritt, welche die einzelnen Musikpassagen miteinander verbindet. Dabei ist der von Martin Mosebach verfasste Text gleichermaßen suggestiv wie plastisch („Es wurde damals zur Leidenschaft: Das Sterben ... Wer andere sterben sah, wurde noch eifriger, endlich selbst auch sterben zu dürfen.“) und regt an nicht wenigen Stellen zum Nachdenken über die Macht (und Funktion) des Glaubens an – am eindringlichsten in der folgendermaßen schließenden Abhandlung über den Götterglauben: „Ein neuer Gott soll uns recht sein – einer unter vielen – viele Götter, die alles bedeuten – die alles Mögliche bedeuten – vielleicht auch überhaupt nichts.“ Inwiefern Mosebach dabei Elemente aus dem Originaltext D’Annunzios verarbeitet, bleibt unklar, ist angesichts der unzweifelhaften Wirkung jedoch auch zu vernachlässigen.
Fazit: Solisten, Chor, Orchester, Dirigat, Rezitation – die exquisite Summe eines vollendeten Ganzen schafft einen berührenden Abend zwischen musikalischer Entdeckungsreise und philosophischer Selbstsuche.