26. August 2019

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg –
Kent Nagano. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich K, Reihe 5, Platz 18



Felix Mendelssohn Bartholdy – Die erste Walpurgisnacht op. 60

(Pause)

Hector Berlioz – Te Deum op. 22



Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Hamburger Alsterspatzen
Chor der KlangVerwaltung
Franz-Schubert-Chor Hamburg
Hamburger Bachchor St. Petri
Jugendkantorei Volksdorf
Kinder- und Jugendsingschule St. Michaelis
Kinderkantorei Bergstedt und Volksdorf
Cappella Vocale Blankenese
Compagnia Vocale Hamburg
Stimmwerk Hamburg
Vokalensemble conSonanz
Kammerchor Cantico

Annika Schlicht – Alt
Pavel Černoch – Tenor
Thomas E. Bauer – Bassbariton
Dirigent Kent – Nagano


Von der letzten Reihe eines Blockes aus hat man wirklich beste Sicht auf all die alten Säcke, die sich gern über die heutige Jugend aufregen und hier, natürlich ohnehin latent mit der Gerätschaft überfordert, keine Gelegenheit auslassen, während des Konzerts einfach mal dumm rumzuknipsen oder gleich ne Runde mitzufilmen – dabei das umsitzende weiße Resthaar gespenstisch illuminierend. Das allein wäre ja schon für sich eine formidable Ablenkung vom Geschehen auf der Bühne, aber zum Glück hat man das Hörgerät erfunden. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn mir nicht der permanent-penetrante Fiepton aus taubem Ohr einer tauben Nuss, umgeben von offenbar ausnahmslos tauben Nüssen, deren Gehör ebensowenig für diese Frequenzen wie ihr Gemüt für ungestörten Kunstgenuss empfänglich schien, die ganze erste Walpurgisnacht wahrlich zur Höllenfahrt machte.

Womöglich hätte ich noch Gefallen an dieser Musik gefallen, die ich bislang nur vom Tonträger kannte. Wobei, bleiben wir realistisch, dafür ist der gute Mendelssohn Bartholdy einfach zu sehr melodischer Biedermann und Butzenscheiben-Harmoniker. Brav, sauber, nein – porentief rein. Die opulenten Chormassen beeindrucken durch ihre akustische Präsenz und Wucht, weniger mit dem versungenen Material. Von den Solisten gefällt mir der Bariton am besten, Herr Bauer hat definitiv Charakter in der Stimme. Frau Schlicht macht ihre Sache ebenfalls gut, den Tenor des Herrn Černoch empfand ich eher als Schwachpunkt. Ein Vergleich der Interpretation durch Herr Nagano mit jener Harnoncourts von CD fällt heute mangels Konzentration aus. Die Bässe waren sehr präsent, soviel habe ich dann noch zwischen Gift und Galle mitbekommen.

Auch zum Berlioz lässt sich angesichts der miesen Rahmenbedingungen wenig Konkretes festhalten, obgleich selbst das dümmste Akustikhemmnis nicht zu verschleiern vermag, was für ein großartiges, in Ausmaß und Inhalt großes Werk das Te Deum doch ist. Hier musste ich geplättet realisieren, dass eine Einspielung, ich glaube bei mir ist es die mit Claudio Abbado, nur einen absolut unzureichenden Eindruck von den Klangwirkungen wiedergibt, die das Stück freisetzt. Ich kann mich darüber hinaus nicht erinnern, schon mal einer Aufführung mit mehr Choristen beigewohnt zu haben, in der Elbphilharmonie schon mal ganz sicher nicht. Beinahe die gesamte Ebene 13 hinter und neben der Bühne war den schwarz gewandeten Damen und Herren, Mädchen und Knaben vorbehalten. Auch wenn das Stück nicht die Ausdehnung seines Requiems besitzt, verfolgt Berlioz hier doch eine ähnliche Kontrastkonzeption, vielleicht etwas weniger ausgefeilt oder eben noch extremer im Wechselspiel von ganz Feinem und mehrheitlich kolossal Überwältigendem.

Schade, dass das Te Deum angesichts der erforderlichen Ressourcen so selten dargeboten wird, das müsste man sich deutlich häufiger geben können. Allein wie sich Orchester und Orgel ein geheimes Duell darin liefern, wer wohl die satteste Klangwand produzieren könne, die sich in wahre Rauschzustände steigernden Chormassen, dann wieder zeitweise gezähmt zur lieblichen Schar der Engel, die Modernität der Harmonik, die Frische und der Ideenreichtum der Melodik, und wie sich alles schließlich im wahrlich apokalyptisch voranschreitenden „Judex crederis“ krönt – Das Te Deum unterstreicht einmal mehr den Status des progressiven Franzosen als einen meiner absoluten Lieblingskomponisten.

Und wie schon im Finale von Mahlers 2. (Link) muss ich Herrn Nagano ein Kompliment aussprechen: Wenn Chöre ins Spiel kommen, scheint der Chef der Staatsoper in seinem Element. Ein wirklich bewegendes Erlebnis, von allen Beteiligten zur Vollendung getragen.