7. Juli 2013

Jan Vogler und Freunde.
Festspielhaus Baden-Baden.

11:00 Uhr, Parkett Mitte, Reihe 6, Platz 15



Joseph Haydn – Klaviertrio G-Dur Hob. XV:25 „Zigeunertrio“
Erwin Schulhoff – Fünf Stücke für Streichquartett
Antonín Dvořák – Klavierquintett A-Dur op. 81


(Moritzburg Festival Ensemble: Benjamin Schmid – Violine, Mira Wang – Violine, Lars Anders Tomter – Viola, Jan Vogler – Violoncello, Antti Siirala – Klavier)



3,50 für ne Cola, dazu 1,50 für die Garderobe – das riecht nach Rekord in deutschen Landen. Passt ja auch irgendwie zu diesem Haus, das zumindest in der Anzahl der Sitzplätze unzweifelhaft den Branchenprimus gibt und auch sonst eher die Devise „Klotzen, nicht kleckern“ zu leben scheint. Apropos, filigran ist jetzt übrigens nicht die erste Vokabel, die mir beim Anblick des Kubus auf der Zunge lag, der sich da an den alten Bahnhof gewanzt hat. Nein, ok, das ist jetzt schon eine Spur zu schnodderig formuliert. In der an Klötzen nicht gerade armen Historie moderner Klotzarchitektur gibt es durchaus Unansehnlicheres. Man hatte Geld, das kommt schon rüber.

Stil hatte man auch, zumindest hier und da, denkt man sich, während man sich durch die menschenleeren, lichtdurchfluteten Ebenen Stockwerk um Stockwerk gen obersten Rang vorarbeitet. Menschenleer, weil heute kleine Besetzung den großen Saal bespielen wird. Kammermusik in der Riesenhalle, weshalb auch nur ein Teil des Hangars zur Platznahme freigegeben ist. Und daher hält sich auch außer dem ketzerischen Verfasser dieser Zeilen kein vernünftiger Mensch in den oberen, von einer Buchung ausgeschlossenen Gefilden auf – von etwas hier und da scheu um die Ecke lukendem Personal einmal abgesehen.

Trotzdem hat es schon einen gewissen Charme, gerade hier lustzuwandeln. Die weitläufigen Foyers, die endlosen Gänge zu den Logen, die bis zur nächsten ausgewachsenen Vorstellung eingemotteten Gastronomiestationen, alles wirkt so natürlich noch kahler und unwirklicher, als ohnehin durch die nüchterne Architektur evoziert. Der Gedanke an prunkvolle Opernhäuser inmitten kautschukspendender Amazonasurwälder kommt mir in den Sinn. Warum auch immer. Der Vergleich hinkt, schließlich liegt Baden-Baden weder im Urwald, noch hat man den Bau aus Jux und Dollerei gerade hier platziert. Das Festspielhaus ist die einzige Bühne Deutschlands, die ohne Subventionen auskommt und sich zu einem Großteil durch Kartenverkäufe finanziert, sagt das Internet meines Vertrauens.

Es geht hier um Geld, das suggerieren Ambiente und kurschattige Lage. Aber in gleichem Maße um Qualität. Auch dafür steht das Ambiente, vor allem jedoch der Spielplan des Hauses. In einer Art Ahnengalerie begrüßt bereits im Gang zwischen Alt- und Neubau die programmatisch versammelte Creme de la Creme der Klassikwelt mit gewinnendem Lächeln die Besucher. Nimmt man eines der Magazine zur Hand, die in mehreren Display-Reihen das omnipräsente Antlitz der Netrebko ziert, stellt sich beim Blättern eine gänzlich süffisanzfreie Beeindruckung ein. Und ich will ganz ehrlich sein. Der Grund für meinen Besuch war im Vorwege weder meine mäßig ausgeprägte Ader für Kammermusik noch die mir bekannten und geschätzten Herren Schmid und Vogler, sondern einfach die Neugierde auf dieses Haus, die ich mit einem kurzen Halt auf dem Weg zurück in den Norden zu befriedigen suchte. Oder anders ausgedrückt: Muß man ja mal gesehen haben und es lief halt keine Götterdämmerung als Vormittagsmatinee.

Derart banausisch nahm ich im Parkett Platz – und erlebte das wahrscheinlich beste Kammermusikkonzert meines bisherigen Konzertbesucherlebens. Wobei der Zusatz Kammermusik ausdrücklich nicht als Einschränkung zu verstehen ist, im Gegenteil. Bereits während der Darbietung suchte ich euphorisiert all die Superlativ-Momente zwecks späterer schriftlicher Huldigung en Detail gedanklich zu fixieren — leider trägt die Tatsache, daß mittlerweile das neue Jahr mir faulem Hund beim Schreiben über die Schulter schaut, eher wenig dazu bei, sich jetzt gleichsam minutiös in ausschmückender Augenzeugenziselierung zu ergehen. Das ist Pech. Ein großes Glück hingegen war ohne Frage die Teilnahme an diesem Konzertleckerbissen. So ist dann folgerichtig ein Wort in meiner Erinnerung daran hängen geblieben: Qualität.

Ich höre mir Haydn an – ich kann für gewöhnlich mit Haydn nicht viel anfangen – aber die schiere Qualität des Vortrages, der Technik und vor allem der Interpretation (soweit ich das überhaupt mangels Vergleichsmöglichkeiten beurteilen kann), die immense Spielfreude dieser Ausnahmekünstler auf der Bühne, begeistern mich zumindest für die Dauer eines Klaviertrios für den gediegenen Österreicher. Daß mein Herz grundsätzlich eher Dvorak oder Schulhoff zufliegt, ändert daran nichts, dennoch ist es immer wieder eine spannende Erfahrung, durch mitreißende Fürsprecher vermeintlich Fernes ganz nah zu spüren.

Von Schulhoff kannte ich bis dato nur die Musik der Tanzgroteske „Die Mondsüchtige“, die Fünf Stücke für Streichquartett nun folgen dem ersten Eindruck hochinteressanter, packend expressiver Musik. Auch wenn das Quartett ihn, anders als die Groteske, nicht im Namen trägt, ist Tanz doch in allen Sätzen das prägende Element – Die erfrischend „moderne“, mitunter verwunschen-sperrige Faktur hat es mir dabei absolut angetan. Ein weiteres Kompliment an die Programmgestaltung für diesen kammermusikalischen Paradies- (oder doch eher Nacht-)Vogel im Zentrum der Abfolge, wobei manch skeptischer Seitenblick meiner Nachbarn vielleicht nahelegt, daß ihnen sein Schnabel nicht ganz so hold gewachsen deuchte wie mir. Aber beim Dvorak war man sich dann wieder einig: schön war’s!

Selbiges galt auch für das entspannte wie kurzweilige Künstlergespräch, das sich an das Konzert anschloss und bei dem die Musiker über Programm, Persönliches und zukünftige Pläne Rede und Antwort standen.

Fazit: Ein schönes Gefühl, wenn man sich bei einem Zwischenstopp wider Erwarten ganz angekommen weiß.