6. Juli 2013

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny –
Johannes Knapp. Theater Freiburg.

19:00 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, 1. Rang Mitte, Reihe 1, Platz 23



Heute also ins Theater Freiburg. Der Anblick der Fassade stimmt ein wenig traurig – ein versehrter Torso, von hässlichen Zweckanbauten eingepfercht, dem man anstelle seiner ursprünglichen Schmuckfassade ein in rührender Bescheidenheit verschandelndes Dachhütchen verpasst hat. Dafür gibt es zu beiden Seiten der Auffahrt gelebtes Hipstertum: Urban Gardening im Ländle! Aber schließlich gedenke ich hier weder einzuziehen noch zu gärtnern, so daß wir uns dem musikalischen Ertrag des Besuchs zuwenden können.

Jener fiel angesichts des enormen Potenzials des Stückes und der drei Knaller-Erlebnisse in Berlin, Augsburg (Link) und Bremen (Link) leider etwas mau aus, obwohl man auch nicht von einem schlechten Abend sprechen kann. Orchester und Dirigat nicht ganz zwingend, wenig spritzig, z.T. unpräzise und nicht immer zusammen, die Stimmen ok, mehr aber auch nicht. Begbick diesmal als Volldramatische, Jenny in der Intonation etwas wacklig, dazu arg leise, die Akustik insgesamt sehr direkt, laut, durchaus mit Dampf.

Höhepunkte ergaben sich in erster Linie aus der Inszenierung bzw. darstellerischen Einzelenergieleistungen, beispielsweise bei der intensiven Steigerung von Jims verzweifelter Erkenntnis „Aber etwas fehlt!“ (Nebenbei bemerkt auch ein passendes Motto für den ganzen Abend) oder der endzeitlichen Stimmung im Angesicht des drohenden Hurrikan – und hier wieder speziell durch Jim, der die Ängstlichen verlacht. Nein, die Inszenierung ist nicht schlecht, hält im Gegenteil eine Fülle schlüssiger Einfälle und Umsetzungen bereit. Äußerst kreativ beispielsweise der Einsatz von pfeilförmigen, klappbaren Elementen, die je nach Bedarf mal als Auto, Haus, Schiff, Flasche, Waffe oder auch Gerichtspult dienen. Auch daß es sich beim letztlich alles bestimmenden Geld hier schlicht um Konfetti handelt, mit dem sprichwörtlich und buchstäblich um sich geschmissen wird, ist ein weiteres Beispiel für diese einfachen aber zündenden Ideen. Die Szene mit der zitierten „Ewigen Kunst“ trieft, in Kronleuchter-Romantik getaucht, den Flügel mitsamt Pianistin zentral auf der Bühne platziert, nur so vor Ironie.

Leider scheint die Regie der humoristischen Wirkung des Stücks an manch anderer Stelle nicht recht zu vertrauen – und greift immer wieder in die Klamauk-Schublade. Das schrill Groteske bietet sich durchaus an, da sprechen wir dann aber von einer anderen Tonalität als dem slapstickartigen Ineinandergerenne der Gauner oder ähnlichen Holzhammer-Einlagen. Auch nicht zuletzt deshalb ergibt die Summe der Teile heute Abend kein begeisterndes Ganzes. Natürlich ist das mit dem Humor so eine Sache. Geschmackssache, um genau zu sein. Beim großen Fressen leibhaftige Kinder an Kälber statt zur traurigen Weise des Jack O´Brien verspeisen zu lassen, ist sicher wenig subtil, illustriert dafür aber die Radikalität der Szene äußerst effektvoll. Auch der Kindertanz als Bild für den Liebesakt folgte diesem Prinzip der fokussierenden Irritation, wohingegen die Umsetzung von Boxen und Saufen eher klassisch ausfielen.

Wie gesagt, letztlich bot die Inszenierung solides Handwerk, jedoch von der Intensität her deutlich zu wenig, um dem Abend einen Ruf als Ereignis von bleibendem Eindruck zu verschaffen. Oder um im Bild des im Stile einer Fluggesellschaft uniformierten Begbick-Anhangs zu bleiben: In dieser Form konnte das Stück leider nur bedingt die Flug- bzw. Fallhöhe erreichen, die ihm erwiesenermaßen sonst vergönnt ist. Und dennoch freue ich mich darauf, dem Werk erneut auf anderer Bühne zu begegnen. Schließlich sind um uns herum bislang wenig Anzeichen auszumachen, die auf Aktualitätseinbußen der Netzestadt-Geschehnisse hindeuten würden. In diesem Sinne: Neue Chance dem Scheitern, neues Glück dem Unglück.


Kurt Weill – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Musikalische Leitung – Johannes Knapp
Regie – Tom Ryser
Bühne und Kostüme – Stefan Rieckhoff
Licht – Markus Bönzli
Chor – Bernhard Moncado
Dramaturgie – Dominica Volkert

Begbick – Anja Jung
Fatty – Christoph Waltle
Dreieinigkeitsmoses – Ks. Neal Schwantes
Jenny – Sally Wilson
Jim Mahoney – Roberto Gionfriddo
Jack O´Brien – Fausto Reinhart
Bill – Alejandro Lárraga Schleske
Joe – Frank Schneiders
Tobby Higgins – Fausto Reinhart
Schauspielerin – Melanie Lüninghöner
Pianistin – Julia Vogelsänger

Philharmonisches Orchester Freiburg
Opernchor des Theater Freiburg
Statisterie des Theater Freiburg