15. Juni 2013

Vasco de Gama (L’Africaine) – Anja Bihlmaier.
Opernhaus Chemnitz.

17:30 Uhr Einführung, 18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 65



Nach Chemnitz fahre ich ausgesprochen gern. Das Auge ruht auf dem schmucken Theaterplatz mit seinem imposanten Triptychon, ein nettes kleines Hotel liegt nur einen Katzensprung entfernt – so läßt es sich leben. Natürlich auch bzw. in erster Linie, weil Gewissheit herrscht, daß man hier darüber hinaus künstlerisch auf seine Kosten kommt.

Nach einer überaus sympathisch vermittelten, leicht und locker frei vorgetragenen Einführung finde ich mich in gespannter Erwartung im Saal ein, wo erst mal ein seltener wie unbeabsichtigter dramaturgischer Effekt an mein verdutztes Ohr dringt: Der sakrale Teil besagten Triptychons meldet sich zu Wort – man läutet zur Messe. Als das kurze Ständchen durch St. Petri verklungen ist, liegt meine volle Aufmerksamkeit wieder auf dem faszinierenden Schwanengesang Meyerbeers.

Die Akustik ist auch bei leerer Bühne sehr gut, es ergeben sich schöne Hallwirkungen, beispielsweise anfangs in den intimen Passagen der Inès (Guibee Yang, deren Goldkehlchen bereits in „Die schweigsame Frau“ (Link) bezaubern durfte – kristallin und doch zu Herzen gehend), wenn die Orchesterbegleitung jeweils für kurze Zeit verstummt. Überhaupt lauscht man dieser Besetzung mit Wonne.

Ein erfreuliches Déjà-vu stellt sich beim Auftritt des Nélusko ein, der wie schon in der Würzburger Produktion dieses Werkes (Link) vom stimmgewaltigen Adam Kim gegeben wird. Ein schönes Organ! Und das nicht allein bezogen auf die Präsenz, nein auch das Timbre stimmt. Besonders stark die wehmütige Klage des mehr als in Treue zugeneigten Sklaven, als er die Vermählung Vascos mit seiner Herrin realisiert. Eben jene Sélika schien mir anfänglich etwas herb, zu wenig sinnlich, doch Claudia Sorokina steigerte sich mehr und mehr – vor allem auch ihr intensives Spiel gestaltete die Rolle der Königin, die ihren Stolz als Sklavin unterdrücken muß, insgesamt betrachtet überaus glaubhaft.

Bernhard Bechtold geht die ernste Rolle des Vasco mit dem gleichen Elan an, der ihn schon als unbeschwerten Henry Morosus auszeichnete. Sein Tenor ist sehr schön, generell eher dunkel gefärbt, dabei aber hell und klar in der Höhe, durchaus mit Schmelz. Am besten strahlt er dennoch in den kräftigen, zupackenden Passagen – die irisierende Lyrik der berühmten Arie „Land, so wunderbar!“ läßt auch dieses vorzügliche Organ an seine Grenzen stoßen. In jedem Fall bietet Bechtold Ausdruck und Intensität, stimmlich wie darstellerisch – ein Sympathieträger durch und durch.

Ganz im Gegensatz zu Don Pédro, dessen dramaturgisch bedingte, undankbare Ausgestaltung als Arsch vom Dienst Kouta Räsänen mit dem erforderlichen Habitus absolviert. Nicht zu vergessen bei aller Lackafferei: Der Mann hat eine prima Stimme – sehr sonor, ein bißchen nasal, sehr druckvoll. Rolf Broman schließlich überzeugte in seiner Doppelrolle als christliche wie heidnische Oberkutte mit volltönendem Bass, Vascos Freund brachte sehr glaubhaft den inneren Zwiespalt zwischen Pédro (Befehl) und Vasco (Herz) zum Ausdruck.

Auch die Inszenierung macht diesen „Vasco“ zu einem mitreißenden Erlebnis. Die Bühnenbilder sind gleichsam reduziert wie prägnant, beispielsweise Vascos Kerker mit der Erdball-Nische, die wunderbar sein Dilemma zwischen Eingesperrtsein und Entdeckerdrang visualisiert, oder später die fließend-pulsierende Dschungelprojektion – Exotik, Rausch und Vergiftung verschwimmen. Ein Detail der Ausstattung hat mich allerdings etwas ratlos hinterlassen: Der gläserne Sklavenschaukasten, in dem Sélika und Nélusko vorgeführt werden, ist mit Manzanillo-Kasten identisch, der für die Königin am Ende den Tod bedeutet. Soll diese Parallele vielleicht andeuten, daß alles Leid der „Wilden“ letztendlich auf die „Zivilisation“ zurückzuführen ist?

Kontrastierend zu den eher schlichten Kulissen, fallen die Kostüme umso prächtiger aus, wobei sie eher 19. Jahrhundert, also die Zeit der Entstehung der Oper atmen, als die der historischen Vorlage. Auffällig: Es gibt viele scheinbar nebensächliche, aber sinnvolle Tätigkeiten, die die Szenen mit Leben füllen. Vasco hantiert eifrig mit Sextant und Karten, Sélika bringt – wie es sich für eine Dienerin gehört – Stühle und Tee, die Matrosen exerzieren und schrubben das Deck.

Generell läßt die Personenregie die Figuren sehr authentisch und somit involvierend interagieren. Der Inquisitor wird mit Handkuss begrüßt, das ganze Kartenlesen und Prüfen während der Ratsszene, schließlich die Abstimmung und Vascos wütende Reaktion, wenn er den Tisch samt Kreuz umwirft (welche die harte Verurteilung umso glaubhafter macht), um nur ein paar Beispiele aus dem ersten Akt zu nennen. Ok, Ende des dritten Aktes ist auch ein bisschen Mummenschanz bei der Enterszene dabei, aber unterhaltsam ist auch dies.

Weitere Schlaglichter einer interessanten, durchdachten Regie: Nélusko lehrt die Matrosen das Fürchten (Das Einhaken und „Schunkeln“ illustriert die Wellenbewegung), die Projektion des Meeres, eine stimmungsvolle Lichtregie – erst sehr drastisch bei leerer Bühne, später mit Farb- und Temperaturwechsel (Purpurorgie in Indien), die intelligente Staffelung der Choristen (Das Paar Sélika/Vasco umringend, Nélusko auch optisch in seinem Gram ausschließend).

Der Eifer Vascos läßt in Sélika die Hoffnung auf Liebe entflammen, diese Liebe findet im Ballett visuellen Ausdruck. Kombiniert mit dem Bild des pulsierenden, wallenden Waldes (wiederum ein Anklang an die Wellen des Meeres), welches dann bei Sélikas Todesrausch erneut aufgegriffen wird. Eckige Gesten, eingefrorene Bewegung, puppenhaftes Spiel kennzeichnen ihr Sterben. Schließlich erscheint Vasco Sélika noch einmal „real“ auf der Bühne, im Tod erfüllt sich ihr Traum – wenn auch nur als weiterer Traum.

Musikalisch ist das Werk ein wahres Füllhorn von Schönheiten, abwechslungsreich, packend, anrührend – eben so, wie ich Meyerbeer bislang kennengelernt habe. Allein das Chorfinale der Oper ist ein Hammer, der mit elektrisierender Harmonik zuschlägt. Spätestens mit diesem Finale werden auch die Parallelen zu Berlioz’ Trojanern offenkundig, nicht nur formal, sondern vor allem inhaltlich (Die Liebe zwischen der exotischen Königin und dem geliebt-verhassten Fremden, schließlich der Freitod Sélikas/Didos). Wobei ich ausdrücklich vermeiden möchte, die - zumindest der (Teil-)Uraufführung nach (bei der Entstehungszeit verhält es sich anders herum) - vermeintlich jüngere, indische Afrikanerin gegen ihre nordafrikanische Schwester auszuspielen oder umgekehrt. Zwei große Opern bleiben für sich und gemeinsam groß – oder in diesem Zusammenhang besser: Grand.

Zu Dirigat und Orchester braucht es übrigens nicht viele Worte: Verve, Technik, Sensibilität – in Chemnitz stimmt das Gesamtpaket. Womit gleichzeitig mein Fazit für diese Produktion gefunden wäre.