30. Juni 2013

Eine florentinische Tragödie / Der Zwerg –
Jonathan Darlington.
Opernhaus Düsseldorf.

14:30 Uhr Einführung, 15:00 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 2, Platz 49



Doppeltes Fiasko in Düsseldorf. Was ist denn bitte so schwer daran, in die Birne zu bekommen, daß man Werken, die sich eh nur alle Jubeljahre mal in den Spielplan verirren, mit verschwurbelten Hirnwichsinszenierungen keinen Gefallen tut? Da kann man die funkelndsten Perlen heben, in solcher Schale wird man die Herzen des Publikums schwerlich für Raritäten selbst dieser Güte erwärmen. Und dabei gehören Zemlinskys Einakter doch zu den bekannteren Stiefkindern des Opernbetriebs. Ich fasse es einfach nicht, wie man es so in den Sand setzen kann – aber hey, das letzte Mal waren die beiden hier ja schließlich auch erst in den Zwanzigern zu erleben – klar, man möchte die Stücke nicht verramschen.

Doch ei der Daus, genau das ist der Deutschen Oper am Rhein mit dieser Produktion im Handstreich gelungen. Und das beileibe nicht durch Misstöne aus Graben oder Kehlen, mitnichten (aber das Musikalische verkam heute gezwungenermaßen zur Randnotiz), es reichte einfach der zwiefache Rein- bzw. Ausfall der Gesellen Klimo und Karaman, um Zemlinsky zumindest für die aktuelle Generation Düsseldorfer den Garaus zu machen. Äußerst schade, zumal die musikalische Qualität der Rheinoper auch heute seinen Teil zu einem potenziellen Gesamtgelingen beitrug.

Frau Klimos Inszenierung der florentinischen Tragödie ist nichts als ein Verbrechen am dramatischen Gehalt des Stückes. Selten habe ich eine Regie erlebt, die so brutal gegen den natürlichen inhaltlichen und musikalischen Fluß arbeitet. Ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich ernsthaft auf Werk, Musik und Aussage einlassen wollen. Statt einer Regie, die den Zuschauer auf seinem Weg begleitet und vielleicht auch leitet, sieht man sich mit Westentaschenpsychologie und Bildern konfrontiert, die man ohne entsprechenden Hintergrund schwerlich versteht, zusammengezwängt in ein Traummäntelchen, unter dem man sich herrlich kryptisch auszutoben getraut.

Es ist doch ganz einfach: All die symbolüberfrachteten, artifiziellen Winke mit Zaunpfählen sind nicht nur überflüssig, weil sie die vor allem in der Musik angelegte Tiefe(npsychologie) nur ankratzen oder im Zweifel verzerrt vermitteln, sondern versperren vielmehr den Zugang und verwandeln das Stück in eine kolossale Nervensäge. Es ist mir schlicht und ergreifend scheißegal, warum Simone ein Glas auf dem Regenschirm trägt, was Bardis Schattenspielgesten zu bedeuten haben oder welchem Volkshochschulkurs Traumdeutung das wechselseitige symbolische Verspeisen entstammt (Leider hatte ich meinen Freud- und Magritte-Pschyrembel grad nicht zur Hand). Die szenische Krücke des Harlekins hilft da auch nicht weiter. Er bringt halt die dämlichen Hüte und anderes Spielzeug – was soll’s. Da kann das Orchester zum Finale den Triumph Simones und das Erstarken von Biancas Lust noch so aufrauschen lassen – übrigens mit wunderbar sonor krönendem tiefen Blech – Der Gesamteindruck nuckelt entnervt an seiner Seifenblasenpfeife und seufzt leise: Klamauk.

Von diesem grausamen Bauchladen der Lächerlichkeit geerdet, ereilte mich nach der Pause die nächste Enttäuschung, die im Nachhinein betrachtet vielleicht sogar noch bitterer ausfiel, weil Herr Karaman auch hier in Ansätzen das Talent aufblitzen ließ, daß mich teilweise schon bei „Billy Budd“, vollends jedoch bei „The Turn of the Screw“ (Link) in den Bann geschlagen hatte. Auch hier die eine Variation der gleichen Frage: Warum so kompliziert? Warum nimmt man diese Geschichte, um eine ganz andere zu erzählen? Das Argument, welches bei Wagner gern als Feigenblatt für Mumpitz-Regie herhalten muß, die klassische Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte habe sich schließlich mittlerweile totgelaufen, dürfte hier etwas schwach auf der Brust daherkommen ... die Zwanziger, wir erinnern uns. Was also mag Herrn Karaman anstelle von Übersättigung getrieben haben, NICHT „Der Zwerg“ zu inszenieren, sondern „Skandal im Mädchenheim“? Ich überlege kurz, Moment ... Und dann fällt es mir wieder ein: Wurscht! Ich wollte ja den Zwerg sehen, und so heißt es: Thema verfehlt.

Spätestens wenn der Zwerg am Ende in rührendster Anflehung der Prinzessin förmlich vergeht, sie möge das Gesagte zurücknehmen, ist die Regie ein einziger Tritt zwischen die Beine der Partitur. Mein Mitleid für notgeile Priester hält sich überraschenderweise in Grenzen. Ach, es ging der Regie hier gar nicht darum, Mitleid zu erwecken, sondern vielmehr ... STOPP – es interessiert mich nicht für fünf Pfennig, warum Herr Karaman diesen „Kunstgriff“ tat, er hätte aus meiner Sicht einfach seinen verdammten Job machen sollen. Zu engstirnig? Zu konservativ? Ganz und gar nicht, nur ungemein enttäuscht, daß hier ein Theatermensch nicht an das immense szenisch-dramatische Potenzial dieses Märchens geglaubt hat, und etwas „Eigenes“ daraus machen mußte. Von mir aus hätte die Sache auch auf einem Schulhof im hier und heute als Mobbing-Drama oder meinetwegen auch auf dem Mond spielen können, wäre man beim Kern geblieben. Eigen- und Fremdwahrnehmung, der Umgang mit Gefühlen, Sehnsüchten und auch Zurückweisung – wir sprechen hier schließlich nicht von einem überkommenen spanischen Hofzeremoniell, sondern – wie eigentlich immer, wenn es ans Eingemachte geht – vom rein Menschlichen, Überzeitlichen.

Und nochmal: Doppelt, dreifach bedauerlich ist es, weil Herr Karaman und sein Team ihr Handwerk schon verstehen. Dafür muß ich nicht in Erinnerungen an die faszinierend bedrückende Umsetzung der inneren und äußeren Dämonen in „The Turn of the Screw“ schwelgen, auch die aktuelle Produktion spielt rein „technisch“ unzweifelhaft in der ersten Liga. Das morbide, kunstvoll ausgeleuchtete, trotz seiner Strenge flexibel eingesetzte Bühnenbild; die intelligente Personenregie, insbesondere in den Chorszenen virtuos, die Akteure je nach Situation sinnhaft staffelnd und akzentuierend; bis hin zur fast poetischen Choreografie der sich spiegelnden Clara und Ghita – all diese Elemente zeugen von großer Meisterschaft und Liebe zum Detail, daß man ins Programmheft beißen möchte, so schade ist das. Aber es hilft ja nichts. Bleibt nur zu hoffen, daß Herr Karaman sein Talent in Zukunft wieder an Stoffen erproben kann, die ihm aus sich selbst heraus Inspiration zuführen.

So bleibt für Zemlinsky leider zweimal das Fazit: Ein ganz mieser Bauchklatscher am Rhein.


Alexander Zemlinsky – Eine florentinische Tragödie
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Barbara Klimo
Bühne – Veronika Stemberger
Kostüme – Frank Bloching
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Hella Bartnig

Guido Bardi – Corby Welch
Simone – Anooshah Golesorkhi
Bianca – Janja Vuletic
Harlekin – Ronaldo Navarro

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker


Alexander Zemlinsky – Der Zwerg
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Immo Karaman
Bühne und Kostüme – Nicola Reichert
Licht – Volker Weinhart
Chor – Christoph Kurig
Dramaturgie – Hella Bartnig

Donna Clara – Sylvia Hamvasi
Ghita – Anke Krabbe
Der Zwerg – Raymond Very
Don Esteban – Stefan Heidemann
Die erste Zofe – Elisabeth Selle
Die zweite Zofe – Alma Sadé
Die dritte Zofe – Iryna Vakula
Die erste Freundin – Jessica Stavros
Die zweite Freundin – Luiza Fatyol

Damenchor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker