26. September 2011

John Malkovich: The Giacomo Variations.
Staatsoper Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 9, Platz 20


Die Erkenntnis des Abends: Massenmord steht mir als Konzept eindeutig näher als Vielweiberei. Der vermeintlich größere Unstern, der als unheilvolles Signum über, vielmehr vor dem Gelingen des Abends stand, war die in Aussicht stehende Speisung aus rein mozartscher Quelle. Bedenkt man diese erschwerten Bedingungen, kann ein wunderbarer Abend konstatiert werden – der allerdings dem Erlebnis im Schauspielhaus leider nachstand, nachstehen mußte.

War Malkovich in „The Infernal Comedy“ noch Dreh- und Angelpunkt des Stücks, agiert er hier mehr in das Ensemble integriert, gewissermaßen als erster unter gleichen. Dies kommt der ganzen Struktur des Stückes zugute, das deutlich runder, homogener daherkommt – auch in der szenischen Einbindung der musikalischen Partien. Doch eben diese Homogenität birgt die Gefahr einer gewissen Glätte, wie sie beim Unterweger-Ego-Trip nie zu befürchten war. Sicher, auch dieses Stück bietet Malkovich eine Bühne für all das, was die Zuschauer an ihm kennen und lieben und sehen wollen. Diese Momente treten hier allerdings deutlich dosierter zu Tage.

Die durch Malkovich Unterweger in den Mund gelegte unverblümte Offenheit mit der selbst produzierten und erwünschten doppelbödigen Wirkung auf andere, das permanente Spiel Malkovichs mit der Erwartungshaltung seines durch seine Rollentradition geprägten Publikums – all das ist in dieser Form im Giacomo nicht Hauptthema, nicht in dieser monologischen Form. Sicher, das Prinzip ist ähnlich, ob Malkovich in seinem Metier als Psychopath oder in Anbindung an seine Rolle des Valmont Reminiszenzen wachruft – in beiden Fällen darf er genüsslich drangsalieren, ausrasten, Monologe halten, mit einer Mischung aus Staunen und Entrückung schauen oder betont beiläufig die wuchtvollsten Dinge sagen. Nur, daß nach meinem Empfinden in der Infernal Comedy absolut kein Hehl daraus gemacht wurde, Malkovich eine möglichst breite Spielwiese bieten zu wollen. Wie gesagt, der Struktur des aktuellen Stücks hat diese Entegomanisierung gut getan – es hat diesmal eine.

Aber genug davon und nun zum Abend im Detail. Schon der erste Blick auf das Bühnenbild, der gleich mit dem Betreten des Saales gewährt wird (es wird komplett auf den Gebrauch des Bühnenvorhangs verzichtet), hält eine mehr als deutliche Anspielung auf das Kommende bereit: Drei Pavillon-ähnliche Séparées in der Form riesenhafter, überzeichneter Reifröcke, unter deren ausladenden Vorhang-Hüften verschiedene Räume angedeutet werden können. Die beiden äußeren Lauben sind zudem auf Rollen dreh- und verschiebbar, die zentral postierte, größte, fungiert als Schlafzimmer. Etwas Mobiliar und wenige Requisiten schaffen Giacomos Schreibstube in der rechten Laube und verorten das Geschehen – abgesehen von den prächtigen Gewändern – in der Zeit des Herzensbrechers. Zudem wird mittels Lichtregie die Atmosphäre ggf. verändert.

Das Stück beginnt gleich mit einem Knalleffekt. Malkovich erleidet auf der Bühne eine Herzattacke, die ihn zu Boden streckt, wobei bewusst damit gespielt wird, ob hier nur „gespielt“ oder tatsächlich gestorben wird. Nicht wenige im Saal erlagen dieser Ungewißheit, genährt von besorgten Blicken aus dem Orchestergraben und hastig aus dem Publikum zu Hilfe Eilenden – bis die Sopranistin im Arztornat des Rokoko per Elektroschockbehandlung Hand an den aufgebahrten Herren legt.

Eine Slapstick-Einlage später ist der Gute wieder auf den Beinen. Schon hier zeigt sich das musikalische Konzept des Abends: Die „Krankenbehandlung“ wird als darstellerische Plattform für eine Mozartsche Szene genommen. Dieses Prinzip zieht sich durch den Abend, wobei die (musikalischen) Szenen durch die Einbindung in andere Zusammenhänge – immer bezogen auf das Leben Casanovas, seien es „aktuelle“ Gedanken oder Erinnerungen – zum Teil deutliche „Uminterpretationen“ erfahren, ohne daß ein Wort der Arie, des Terzetts usw. geändert worden wäre.

Das Ensemble machte seine Sache sehr gut, wobei auch hier der „demokratische“ Ansatz der Produktion deutlich wird. Während die beiden Sänger auch als Schauspieler agieren, kommen Malkovich und seine Schauspielkollegin auch beim Gesang zum Zuge, zumeist in unterstützender Form bei Terzetten/Quartetten. Natürlich ist Malkovich kein Opernsänger, darum geht es auch gar nicht, vielmehr geht es um die Realisation von Konflikten, Unterredungen usw. im dramatischen Gefüge. Opernminiaturen, die gewissermaßen das Leben Casanovas illustrieren, wechseln mit Schauspiel, beides bildet eine Einheit, das vorliegende Stück ist Musiktheater im Wortsinne.

Sophie Klußmann besitzt nicht nur einen wunderbaren, zarten Sopran, der mit ihren lyrischen Momenten für die musikalischen Höhepunkte des Abends sorgt, sondern Kraft ihrer Anmut und Ausstrahlung auch enorme darstellerische Intensität. Florian Boeschs Bariton ist mehr als brauchbar, darstellerisch gibt er mit viel Freude am Spiel die jugendliche Inkarnation Casanovas und diverse andere Herren.

Das Stück ist reich an starken Momenten, musikalischer wie darstellerischer Art. Ob es nun die Schauspielerin ist, deren Tränen ihre verzweifelten Vorwürfe gegenüber Giacomo fast ersticken lassen, oder die Sopranistin, die sich unter zartestem Gesang dem Liebhaber hingibt, oder Casanova selbst, der am Schluß in einem zerbrechlichen, wenn nicht gebrochenen Duett mit seinem Alter Ego von der Bühne abgeht.

Dabei wird beileibe nicht nur Feinsinniges geboten, es ist durchaus Platz für Klamauk – der vom Publikum entsprechend honoriert wird. Es ist doch so: Anzüglichkeiten, sexuelle Anspielungen und der gemeine Schenkelklopfer verfehlen offenbar bildungs- und ständeübergreifend nicht ihr Ziel.

Gern hätte ich an diesem Abend weiter vorn gesessen, die Nähe meines Platzes im Schauspielhaus hat sicher auch seinen Teil zu der insgesamt stärker empfundenen Intensität beigetragen. Bleibt nur zu hoffen, daß Herr Malkovich auch weiterhin dieser Art von Grenzgängertum, dieser Form von Musiktheater, zugeneigt bleibt und man auf neuerliche Besuche hoffen darf.


John Malkovich – Giacomo
Ingeborga Dapkunaite – Elisa
Sophie Klußmann (Sopran) – Elisa II
Florian Boesch (Bariton) – Giacomo II
Wiener Akademie – Martin Haselböck